15

Kriminalchefinspektor Weir stellte genau den Typ Mann dar, der Fusil gewesen wäre, wenn er eingesehen hätte, daß es manchmal vorteilhafter war, Kompromisse zu schließen, daß politischer Druck zwar unwillkommen, aber unvermeidlich war, daß man stets mit einem Auge auf die Öffentlichkeit schielen mußte und zur erfolgreichen Führung einer Polizeitruppe mehr gehörte als Verbrecher zu fangen.

Er kam zu Fusil ins Büro und begrüßte ihn mit Handschlag. »Hallo, Bob!« sagte er. »Wie lange ist es her, daß wir uns zum letztenmal gesehen haben? Drei Jahre? Oder vier?« Er hatte einen freundlichen, leichten Umgangston, doch strahlte er dabei immer Autorität aus.

Fusil bot ihm einen Stuhl an, und sie setzten sich. Eine Weile schwelgten sie in der Erinnerung an vergangene Zeiten, als sie beide in der gleichen Abteilung gearbeitet hatten, dann kam Weir zur Sache und sagte, daß ihm ein Sergeant von der Grafschaftspolizei später helfen würde, und bat um ein Büro für sie beide.

Weir rauchte Mentholzigaretten, und eine seiner wenigen Schwächen war, andere Raucher auch dazu überreden zu wollen. »Stinken Sie die Welt immer noch mit Ihrer schmutzigen Pfeife voll? Wenn Sie wüßten, wie Ihre Lungen und Ihr Mund aussehen, würden Sie’s bleiben lassen, Bob. In Ihrem Alter sollten Sie anfangen, mehr an Ihre Gesundheit zu denken.«

»In meinem Alter«, antwortete Fusil, »lohnt sich das nicht mehr. Es ist nicht mehr viel von ihr übrig.«

Weir zündete sich eine Mentholzigarette an. »Manche Leute werden erst vernünftig, wenn sie tot umfallen … Na schön, erzählen Sie mir, was eigentlich los ist! Ich möchte alle Einzelheiten wissen, auch die, die nicht in den offiziellen Berichten stehen.«

Fusil informierte ihn.

Als er fertig war, lehnte sich Weir in seinem Stuhl zurück und sagte, kleine Rauchwolken ausstoßend: »Sie haben da das Bild eines Mannes gemalt, der tüchtig, aber mürrisch ist, fleißig, aber manchmal unzuverlässig, sehr intelligent und etwas kontaktarm. Wo sticht ihn der Hafer? Häusliche Schwierigkeiten?« fragte er schlau.

»Ich habe so was gehört.«

»Geldsorgen?«

»So einfach liegt die Sache wohl nicht. Seine Frau arbeitet als Fotomodell und soll angeblich sehr gut verdienen. Aber wenn jemand ein hohes Schmiergeld angeboten wird … Tausende von Pfund …«

Weir wartete, doch Fusil sprach den Satz nicht zu Ende. »Eine Frau, die mehr verdient als der Mann, kann einen Haufen Schwierigkeiten machen«, meinte Weir dann. »Es ist Ihnen sicher schon der Gedanke gekommen, Bob, daß das Motiv für seinen Verrat, falls es einer ist, vielleicht anderswo zu suchen ist?«

Fusil nickte. Er wollte nicht zugeben, daß er aus Ärger über Rowan noch nicht dazu gekommen war, gründlich über das Motiv nachzudenken.

»Haben Sie irgendeine Idee?« fragte Weir.

»Nein, Sir. Keine, die beim gegenwärtigen Stand der Dinge von Nutzen sein könnte.«

Weir mußte seine ausgegangene Zigarette neu anzünden. »Wir fangen mit der üblichen Routine an: Überprüfung der Bankkonten, der Sparbücher, des Lebensstandards und wo weiter. Meiner Meinung nach werden wir mit viel Phantasie an die Geschichte herangehen müssen. Wie stehen die Chancen, daß seine Frau darin verwickelt ist?«

Fusil wußte keine Antwort.

 

Rowan steckte die Münzen in den Telefonapparat, und das Freizeichen ertönte. Er wählte die Nummer der Registratur von Scotland Yard und meldete sich mit: »Kriminalconstable Rowan, Polizei von Fortrow.«

»Wo steckst du? Naja, wir können nicht alle in einer richtigen Stadt leben, da mußt du dich nicht entschuldigen! Was gibt’s für Probleme?«

»Ich brauche Informationen über einen gewissen Pete Faraday.«

»Erzähl mir ein paar Einzelheiten, damit ich weiß, wo ich suchen soll!«

»Da gibt’s nicht viel zu berichten. Bloß, daß er für eine große Verbrecherorganisation arbeitet, die auf Mädchen und Heroin spezialisiert ist.«

»Eins steht fest: Du machst mir das Leben auch nicht leichter. Warum fragst du nicht deine eigenen Leute?«

»Er ist nicht in unserer Kartei.«

»Okay. Ich hab ein gutes Herz. Mal sehen, was wir haben. Ruf später noch mal an! Vielleicht weiß ich dann mehr. Du schickst mir natürlich noch das offizielle Anfrageformular?«

»Ich geb’s noch heute in die Post.«

»Vergiß nicht, daß dein Inspektor unterschreibt. Ohne Gegenunterschrift spielen die hier sonst verrückt!«

Rowan bedankte sich und hängte ein. Vielleicht hatte die Grafschaftspolizei eine Akte über Faraday, doch sicher wußte man dort auch, daß er, Rowan, suspendiert worden war.

In einem schäbigen Café trank er eine Tasse Kaffee, dann lief er mehr als eine Stunde durch die Stadt und rief London wieder an. Der andere fragte ihn, ob er immer so eifrig sei, und wenn ja, warum er noch nicht zum Superintendenten befördert worden wäre. Es gab eine Akte über Faraday. Faraday war fünfunddreißig Jahre alt, einsachtzig groß, gut gewachsen, dunkelhaarig, mit einer kleinen Narbe am rechten Mundwinkel, und legte wert auf modische Kleidung. Er war in der Besserungsanstalt gewesen und hatte einmal gesessen, mehrere Male hatten ihn Anwälte aus der Klemme gezogen. Faraday war ein harter Bursche, clever und gerissen, und hatte eine Zeitlang bei einer Südlondoner Gangsterbande gearbeitet, die von der Polizei aufgelöst worden war. Er stand unter dem Verdacht, vor drei Jahren in Birmingham die Prostitution groß aufgezogen zu haben. Gegenwärtiger Aufenthalt unbekannt. Ob Rowan die Akte geschickt haben wollte? Wenn ja, sollte er ihnen noch das entsprechende Ergänzungsformular einsenden.

Rowan verbrachte den Rest des Tages damit herauszufinden, wo Faraday steckte. Gegen acht Uhr abends erfuhr er es endlich.

 

»Was hast du den ganzen Tag getrieben?« fragte Heather, während sie die Tür zum Backrohr öffnete.

»So wenig wie möglich, und das so selten wie möglich«, antwortete Rowan und setzte sich auf die Kante des Küchentischs.

Heather stellte fest, daß das Huhn fast fertig war, schloß die Ofentür und richtete sich auf. Ein paar Schweißtropfen standen ihr auf der Stirn. Sie trat auf Rowan zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Fred«, sagte sie, »ich habe dich etwas gefragt! Bitte, antworte mir doch ehrlich!«

Er rang mit sich, doch dann erzählte er ihr die Wahrheit. »Ich versuche, den Mann an der Spitze zu finden.«

»Warum?«

»Wenn ich weiß, wer es ist, kann ich was unternehmen, um die Fotos und das bewußte Päckchen …«

Sie holte Luft. »Aber … aber wie?«

»Wenn ich ihn erst mal kenne, werde ich mir’s überlegen.«

Forschend betrachtete sie ihn. »Du siehst plötzlich so … so grausam aus, Fred. Ich habe Angst. Ich habe Angst um dich! Du hast dich verändert.«

»Du siehst Hirngespinste.«

»Du bist so verschlossen. Früher warst du immer so freundlich und rücksichtsvoll.«

Er fragte sich, wieso sie schon all die schlimmen Dinge vergessen hatte, die er ihr einmal gesagt hatte. Die Liebe war doch etwas Seltsames.

Sie schüttelte ihn sanft. »Was tust du nun genau? Was hast du heute den ganzen Tag gemacht?«

Er hob seine Hände und streichelte sie. »Ich habe eine Frau dazu erpreßt, mir Informationen zu geben, die ich brauchte«, erklärte er mit harter Stimme.

»Du … du hast jemand erpreßt? Das ist ein schlechter Scherz, Fred! Du hast immer gesagt, daß so was in deinen Augen zu den schlimmsten Verbrechen zählt.«

»Schließlich haben sie dich auch erpreßt. Feuer kann man nur mit Feuer bekämpfen, sagt ein altes Sprichwort.«

»Da gibt’s noch eins: Wer mit dem Feuer spielt, kommt darin um«, antwortete sie wütend. »Man kann nicht im Dreck wühlen, ohne sich dreckig zu machen.«

»Wenn ich mir die Hände schmutzig machen muß, kann ich’s auch nicht ändern!« rief er. »Mein Gott! Was glaubst du denn! Solange ich dir und Tracy helfen kann, ist mir gleich, was mit mir passiert!«

»Ich … ich weiß nicht, ob das die Sache wert ist. Jedenfalls nicht, wenn du dich so schrecklich veränderst.«

»Auch nicht einmal um Tracys willen?«

Sie schwieg.

Er legte ihr die Hände um die Taille und zog sie sanft an sich. »Wenn es um uns oder um diese Gangster geht, Heather, ist es mir egal, was für Waffen ich benütze: Daß euch beiden nichts passiert, ist das einzige, was zählt.«

»Aber haben die Menschen nicht jahrhundertelang das gleiche behauptet und damit die schlimmsten Dinge gerechtfertigt?«

Rowan war das gleichgültig. Geschichte war für ihn tote Vergangenheit. Er wußte nur, daß er zu allem bereit war, um Heather und Tracy zu retten.

 

Rowan saß in seinem Wagen und beobachtete den Constable, der mit gleichmäßigen Schritten den gut beleuchteten gegenüberliegenden Bürgersteig entlangging, und stellte mit leisem Spott fest, daß er plötzlich aufgeregt war. Jetzt war der Constable auf gleicher Höhe mit seinem Mini und sah nicht einmal zu ihm hin, sondern ging weiter in Richtung auf die Geschäfte, die für Verbrecher viel reizvollere Möglichkeiten boten als die Wohnhäuser, die er gerade passiert hatte.

Rowan lehnte sich in seinem Sitz zurück. Er sehnte sich nach einer Zigarette, aber ihm war eingefallen, daß schon Gangster identifiziert worden waren, weil sie sich eine Zigarette angezündet hatten und dabei der Lichtschein auf ihr Gesicht gefallen war. Es lag eine gewisse Ironie darin, daß er all sein Können als Polizist nun darauf verwendete, etwas Ungesetzliches zu tun. Ungesetzlich, überlegte er plötzlich. Er war nichts weiter als ein blutiger Anfänger im Gangstergeschäft, der mit Einsätzen spielte, die ein vernünftiger Verbrecher keines Blickes gewürdigt hätte.

Das Haus weiter unten an der Straße, in dem Faraday wohnte, war dunkel, doch im Licht der Straßenbeleuchtung konnte er die Umrisse erkennen. Es war nicht sehr groß, lag in einem Garten, hatte im ersten Stock zwei Fenster und im Parterre einen Erker und eine Tür. An der einen Seite befand sich eine Holztür, die in den Garten führte, und zwei Meter Holzzaun. Er hatte nur herausbekommen, daß Faraday in dieser Villa wohnte. Mit wem oder in welchem Zimmer – das wußte er nicht.

Rowan trug neue, eine Nummer zu große Turnschuhe und zwei Paar dicke Wollsocken, damit sie einigermaßen paßten. Falls er Fußspuren hinterließ, würden sie zu einem Paar gehören, wie man sie zu Tausenden verkaufte und das eine größere Nummer war, als er sie trug. Dazu hatte er einen neuen blauen Overall angezogen, den er in einem Kaufhaus gekauft und dessen Etikett er herausgetrennt hatte. Danach – falls es ein Danach gab – würde er das ganze Zeug verschwinden lassen. In einer Tasche des Overalls steckten Plastikhandschuhe und eine neue Mütze – ebenfalls ohne Etikett –, die er aufsetzen würde, damit keine verräterischen Spuren in sein Haar gerieten. In einer kleinen Stofftasche lagen ein Hammer, Klebestreifen, Kitt, ein Klappmesser, ein biegsamer Plastikstreifen, ein Schlagstock, eine Taschenlampe, eine Rolle Schnur, ein ungetragener Damenstrumpf und ein paar Dietriche, die er selbst gemacht hatte.

Es war kurz nach ein Uhr. Er starrte in die Nacht hinaus. Er hatte über Faraday viel nachgedacht und versucht, sich nach den dürftigen Angaben vom Yard ein Bild von ihm zu machen. Sicherlich war Faraday nicht der Boss, er hatte nicht genug Erfahrung, nicht das richtige Alter, vermutlich auch nicht die Fähigkeit, eine so erfolgreiche Organisation zu schaffen. Er war hart, clever, gerissen. Es hatte keinen Zweck, ihm Heroin unterzuschieben und mit seiner Festnahme zu drohen, wenn er nicht redete: Über so einen Trick würde er nur lachen. Vermutlich verdiente er soviel, daß ihn nur eine wirklich große Summe in Versuchung führen konnte. Oder Gewalt …

Wolken schoben sich über den Mond, und die Blätter der Bäume raschelten in einer aufkommenden Brise. Ein Motorrad fuhr vorbei, mit einer Frau auf dem Rücksitz, danach kamen zwei Wagen, der eine fuhr sehr langsam, der andere überholte ihn und verschwand in Richtung Stadtzentrum.

In der Ferne schlug eine Kirchturmuhr einmal: Viertel nach eins. Es wurde Zeit. Plötzlich hatte er solche Hemmungen, daß er seine ganze Energie zusammennehmen mußte, um auszusteigen. War es Angst oder Vorahnung, überlegte er, während er die Plastikhandschuhe anzog.

Er überquerte die Straße und ging auf das Haus zu, ohne zu zögern, denn wenn jemand ihn sah – und obwohl niemand auf der Straße war, konnte ihn möglicherweise doch irgend jemand von einem Fenster aus beobachten –, würde ihn jede Unsicherheit verdächtig machen als jemand, der hier nichts zu suchen hatte. Er öffnete das etwa einen Meter hohe Gartentor, das dabei leise quietschte, und lief über den mit bunten Keramikplatten ausgelegten Weg zur hölzernen Seitentür. Er prüfte, ob abgeschlossen war, und holte das Bund Dietriche aus der kleinen Tasche. Der zweite paßte.

Der Garten war ungepflegt, eine Wildnis aus zu hohem Gras und verunkrauteten Beeten. Auf der Rückseite lagen im ersten Stock drei Fenster, im Parterre zwei und eine Tür mit einer Scheibe darin. Außerdem gab es einen etwa zweieinhalb Meter hohen Vorbau mit flachem Dach. Eins der Fenster im ersten Stock stand offen.

Er zog sich den Nylonstrumpf über den Kopf. Die Hintertür war abgeschlossen, der Schlüssel steckte innen im Schloß und keiner der Dietriche konnte ihn hinausstoßen. Er schaltete die Taschenlampe ein, deren Scheinwerfer er mit Heftpflaster zum Teil zugeklebt hatte, so daß das Licht nur in einem kleinen Strahl herausfiel, und überprüfte die Fensterriegel. Er konnte keinen mit seinem Plastikstreifen öffnen. Vielleicht hatte er beim Vorbau mehr Glück. An der Seite zum Garten war ein kleines Fenster, das als Einstieg in Frage kam. Doch es war auch verschlossen und der Plastikstreifen versagte hier ebenfalls. Also blieb nur Gewalt. Er verklebte die Scheibe mit Klebestreifen, drückte den Kitt dagegen, sandte ein Stoßgebet zum Himmel und schlug mit dem Hammer zu.

Die Scheibe zerbrach, doch die Scherben fielen nicht zu Boden, weil sie an dem Klebestreifen klebten. Er riß den Kitt ab, an dem eine Menge Klebestreifen mit Glasstücken hängen blieb, und säuberte den Rahmen.

Er leuchtete ins Innere und stellte fest, daß er in die Speisekammer eingebrochen war. Das oberste Regalfach direkt unter dem Fenster war bis auf zwei Tellerstöße leer. Er schob seine Tasche hindurch, langte hoch und packte das Dachende. Mit einem Klimmzug zog er sich hoch und schwang die Beine ins Fenster. Er hatte Mühe, sich hindurchzuzwängen, doch schließlich hatte er wieder festen Boden unter den Füßen.

Die Küche war eine einzige Unordnung, was darauf schließen ließ, daß es ein frauenloser Haushalt war. Auf dem Abtropfbrett standen schmutzige Teller und Tassen, drei leere Catch-up-Flaschen, ein Senfglas und viele leere Bierflaschen.

Vorsichtig schlich er von der Küche in die Halle. Ein alter, ziemlich erfolgloser Einbrecher, den er zweimal auf frischer Tat ertappt hatte, war beim zweitenmal sehr geschwätzig geworden. »Wenn man im Haus drin ist«, hatte er gesagt, »muß man herumschleichen, als liefe man durch ein Minenfeld. Erst den nächsten Schritt machen, wenn man weiß, daß die Luft rein ist!«

Die Treppe befand sich auf der rechten Seite der länglichen Halle, links lagen zwei Räume, Eß- und Wohnzimmer, beide leer, wie er feststellte. Leise ging er die Treppe hinauf. Auf halbem Weg blieb er erschrocken stehen, weil er ein Geräusch gehört hatte. Es hatte geklungen, als komme jemand auf ihn zu. Dann erkannte er, daß es von einer Maus stammte, die oben herumlief.

Die Treppe endete an einem L-förmigen Vorplatz. Die erste Tür links stand offen. Es war das Bad, wie er sich mit einem raschen Blick überzeugte. Lange stand er vor der nächsten Tür und lauschte. Kein Laut war zu hören. Er drückte die Klinke ganz hinunter und stieß die Tür vorsichtig einen Spalt auf. Kurz darauf hörte er das Rascheln von Laken und einen Schnarchton.

Er schlich zur zweiten Tür auf der rechten Seite hinüber. Auch hier alles still. Wie sich herausstellte, war das Zimmer leer. Im nächsten und letzten schlief wieder jemand.

Wer von den beiden war Faraday? Vermutlich betrachtete er sich als der bedeutendere und hatte sich deshalb das bessere Schlafzimmer ausgesucht. Es mußte das auf die Straße hinaus sein, es war das größere.

Er kehrte zu dem ersten Zimmer zurück, öffnete die Tür ganz und trat ein, den Schlagstock in der rechten, die Lampe in der linken Hand. Als er mit dem linken Bein ans Bett stieß, nahm er die Taschenlampe in die Rechte und den Schlagstock in die linke und schlich um das Bett herum, bis er in der richtigen Angriffsstellung war. Er tauschte Lampe und Schlagstock aus und schaltete die Lampe an. Der Mann im Bett, dessen Lider zu flattern begannen, aber noch geschlossen waren, mußte etwa Mitte Zwanzig sein. Rowan leuchtete ihm direkt ins rechte Auge. Als der Mann erwachte, flüsterte er befehlend: »Setz dich auf! Sofort!«

Der Mann war vom Schlaf benommen und gehorchte automatisch. Da schlug ihm Rowan mit dem Gummiknüppel am Ende des Nackens auf den Hinterkopf, und mit einem leisen Grunzen und zischend ausgestoßenem Atem sackte der Mann zusammen.

Rowan knipste die Nachttischlampe an, knebelte ihn und rollte ihn auf den Bauch. Dann band er ihm die Hände auf dem Rücken zusammen und die Knöchel mit den Händen, so daß er nach hinten gekrümmt dalag.

Rowan verließ das Zimmer und schlich zu dem anderen Schläfer. Entweder war Faraday, den er an der Narbe neben dem rechten Mundwinkel erkannte, gerade am Aufwachen, oder er hatte ihn aus Versehen zu früh aufgeschreckt, denn als er die Taschenlampe anmachte, witterte Faraday die Gefahr sofort. Er rollte sich zur Seite, versuchte, die Bettdecke zurückzuwerfen, und rief dabei: »Jim … Jim!«

Rowan wartete, bis Faraday stand, dann schlug er mit dem Gummiknüppel zu. Er hatte nicht genau zielen können und traf ihn etwas zu hoch am Kopf, trotzdem verließ Faraday alle Kraft, und er sackte aufs Bett zurück. Als Rowan noch einmal zuschlug, verlor er das Bewußtsein.

Hastig machte Rowan sich an die Arbeit. Er legte Faraday auf den Rücken und spreizte seine Beine und Arme. Handgelenke und Knöchel band er jeweils an einem Bettpfosten fest. Sicherheitshalber machte er noch eine Schlinge, die er ihm über den Kopf zog; das andere Ende des Strickes befestigte er am eisernen Kopfende des Bettes. Dann setzte er sich auf einen Stuhl und wartete.

Als Faraday wieder zu Bewußtsein kam, versuchte er sofort, den Kopf zu bewegen. Die Schlinge zog sich zusammen, und er wäre beinahe erstickt. Rowan lockerte sie sofort. Faraday begriff, daß er gefesselt war, und entspannte sich, als habe er sich mit der augenblicklichen Situation abgefunden. Dann nahm er alle Kraft zusammen und versuchte, sich loszureißen. Dabei würgte ihn die Schlinge wieder und zwang ihn, aufzugeben. Rowan vergrößerte sie wieder etwas, und Faraday zog aufatmend die Luft in seine strapazierten Lungen.

»Ich brauche eine Information«, sagte Rowan.

Faraday antwortete mit einem Schwall von Beschimpfungen.

»Ich will den Namen vom Boss, ich will wissen, wo er wohnt und ob er allein ist.«

»Du bist verrückt!«

»Sag’s mir lieber gleich! Am Ende redest du doch!«

»Scher dich zum Teufel!«

Rowan sah auf seine Armbanduhr. »Es ist noch früh. Die Nacht ist noch lang.«

»Wie rührend!«

Rowan erhob sich und nahm eine Unterhose von einem Wäschestoß, der auf einem zweiten Stuhl lag. »Mach den Mund auf!« befahl er.

Faraday biß die Zähne zusammen. Rowan schlug ihm an die Schläfe, und als Faraday unwillkürlich vor Schmerz keuchte und den Mund aufriß, schob Rowan ihm ein Teil des Wäschestücks hinein und band es mit einem Taschentuch fest, das er Faraday um den Kopf schlang.

Dann zog Rowan das Klappmesser aus der Tasche und ließ es mit einem harten metallenen Geräusch aufschnappen. Faraday sah die lange Klinge und begann, gegen seinen Willen zu schwitzen.

»Ich möchte dir nicht unnötig weh tun«, erklärte Rowan. »Wenn du bereit bist zu reden, nickst du einfach mit dem Kopf.«

Wie die meisten Polizisten haßte Rowan jegliche Gewaltanwendung, nicht nur wegen der häufig nicht wieder gutzumachenden Folgen, sondern weil er Gewalt an sich nicht mochte. Doch jetzt hatte er keine Hemmungen. Faraday würde nur Gewalt zum Reden bringen, vielleicht nicht einmal gewöhnliche, brutale Gewalt. Er mußte sich etwas einfallen lassen, das ihn über alle Maßen erschreckte, weil er so etwas noch nie erlebt hatte. Rowan ließ das Messer auf Faradays Bauch sinken, Faraday erstarrte und schloß die Augen. »Ich werde dich kastrieren«, sagte Rowan.

Einen Augenblick lang war Faraday so verblüfft, daß er nicht sofort begriff. Dann versuchte er wieder, sich loszureißen, doch die Schlinge schnitt ihm tief in den Hals, und Rowan mußte sie wieder lockern.

»Ich fange ganz langsam an«, erklärte Rowan, »damit du Zeit hast, dir die Sache zu überlegen. Wenn du beschließt zu schweigen, wirst du bald nur noch Sopran singen können. In ein paar Monaten bist du nicht nur fett, sondern piepst in den höchsten Tönen und wirst zum Gespött der Leute.« Er schlitzte die Schlafanzughose auf und machte einen kleinen Schnitt. Blut sickerte aus der Wunde.

Faraday wand sich hin und her, soweit das bei seinen Fesseln möglich war, wodurch Rowans nächster Schnitt tiefer ging, als er beabsichtigt hatte. Faraday wimmerte und nickte mit dem Kopf.

Rowan legte das Messer aufs Bett und nahm den Knebel heraus. »Harry«, stieß Faraday hervor, während ihm der Schweiß über’s Gesicht lief. »Harry Chambers.«

»Wo wohnt er?«

»Brunswick Road vierundzwanzig.«

»Wer noch?«

»Ein paar Leute. Meistens auch eine Frau. Er ist ein großer Schürzenjäger, obwohl er nicht mehr taufrisch ist.«

»Was soll das heißen?«

»Er ist über fünfzig.«

»Beschreib ihn mir!«

»Er ist etwa einsachtzig groß und hat ein dickes Gesicht.«

»Woher stammt er?«

»Von Scouseland. Dort hat er eine Organisation gehabt, aber der Boden wurde ihm zu heiß, da kam er in den Süden.«

»Was für eine Farbe haben seine Augen?«

»Verdammt, warum? Blau, glaube ich.«

»Hat er gesessen?«

»Ja. Genaues weiß ich nicht.«

»Und du?«

»Einmal.«

Rowan setzte sich wieder und wartete.

Schließlich hielt es Faraday nicht mehr länger aus, und er sagte, obwohl er wußte, daß er sich damit eine Blöße gab: »Ich habe dir alles erzählt! Was willst du noch?«

»Ich warte«, antwortete Rowan und begann, von irgend etwas Unwichtigem zu sprechen.

Nervös starrte Faraday ihn an. Er begriff nicht, warum Rowan soviel redete. Plötzlich brach Rowan ab, und sie hörten, wie ein Wagen auf der Straße hielt und gleich darauf eine Autotür zuschlug. Dann entfernten sich Schritte die Straße hinunter.

»Was für eine Farbe haben seine Augen?« fragte Rowan zusammenhanglos. Durch die Wiederholung seiner Frage wollte er nur feststellen, ob Faraday die Wahrheit gesagt hatte – eine Standardprozedur bei jedem Verhör.

Faraday versuchte sich zu erinnern, was er gesagt hatte. »Blau!«

»Größe?«

»Einsachtzig.«

»Gesicht?«

»Es ist … es ist …« Faraday schwitzte noch heftiger. »Dick.«

»Wo wohnt er?«

»Berwick … Brunswick Road.«

»Nummer?«

Faraday antwortete: »Vierzehn«, und wußte sofort, daß es falsch war.

Rowan nahm den Unterhosenknebel. »Mach den Mund auf!« befahl er.

Faraday begann zu brüllen, und Rowan schlug noch einmal zu. Als Faraday zu sich kam, war er wieder geknebelt, und der Schmerz in seinem Kopf war unerträglich.

Dann spürte er die Spitze des Messers, blitzartig wurde ihm klar, was das bedeutete, und er gab auf und nickte. Rowan band den Knebel ab.

»Es ist Ed Murphy«, sagte Faraday.

Murphy, überlegte Rowan. Den Namen hatte er doch kürzlich erst irgendwo gelesen! Dann fiel es ihm ein: Ed Murphys Name war auf einer Suchliste bekannter Gangster gestanden, deren Aufenthalt unbekannt war.

»Wo wohnt er?« fragte er.

»Im Tranmere House in der Ashdowne Road.«

»Beschreib es mir!«

Faraday gehorchte. Er berichtete von Ed Murphy, seinem Leben und der Organisation.

Schließlich war Rowan überzeugt, daß Faraday die Wahrheit gesagt hatte. Er knebelte ihn wieder, prüfte, ob er nichts Verdächtiges vergessen hatte, und verließ das Haus.