20

Die Verhandlung war zu Ende. Harry ging langsam aus dem Gerichtssaal in die große Halle. Er wollte Wraight ausweichen, der jedoch unbeirrt auf ihn zusteuerte.

«Ich schwöre Ihnen, ich konnte nicht anders», sagte Harry hastig. «Wenn Sie Pennys Gesicht gesehen hätten, als Sandra …»

«Ich habe es gesehen, Mr. Brissom.»

«Sie war außer sich vor Angst und Sorge. Wir haben gekämpft wie die Löwen, aber dann fiel ihnen Sandra in die Hände. Ein dreijähriges Kind darf man nicht hineinziehen. Die Verantwortung konnte ich nicht übernehmen …»

Wraight unterbrach ihn. «Meiner Ansicht nach haben Sie mehr Mut bewiesen als die meisten Menschen, die ich kenne. Sie haben bis zur Grenze des Tragbaren gekämpft.»

«Aber ich habe kapituliert.»

«Erst als Sie nichts anderes mehr tun konnten.»

«Ich habe vor Gericht gelogen. Ich bin der Justiz in den Rücken gefallen, und dieses verdammte Schwein geht straffrei aus.»

«Allerdings.»

«Bis zuletzt wollte ich mir dauernd einreden, daß es gar nicht so entscheidend wäre, wenn ich eine falsche Aussage machen und Simon nicht identifizieren würde. Daß die Polizei ja trotzdem beweisen könnte, daß er am Steuer saß. Dann hätte ich wenigstens keinen Verrat an der Justiz begangen, sondern nur an mir selbst.»

«Wäre das nicht das Schlimmere gewesen?»

«Nun, zumindest wäre der Gerechtigkeit Genüge geschehen.»

«Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß man unter Gerechtigkeit vielerlei verstehen kann.»

«Das ist mir ganz egal. Mir ist hundeelend.»

«Wie wär’s mit einem Drink? Die Kneipen machen erst in einer halben Stunde zu. Ich möchte Sie gern einladen.»

«Warum?»

«Im Augenblick kann ich Ihnen nur dadurch meinen Respekt für Ihren Kampf beweisen. Und vielleicht möchte ich auch mein Gewissen ein bißchen beruhigen. Schließlich habe ich Ihnen ja nicht gerade sehr geholfen, wie? Ich habe keine Veranlassung, stolz auf mich zu sein.»

Harry ging darauf nicht ein. «Penny wird das schwer schlucken. Sie hat mir das Versprechen abgenommen, auch die Geschichte mit Sandra zu vergessen. Wie könnte ich? Wie hätte ich vor Gericht die Wahrheit sagen sollen, ohne an die möglichen Folgen für Sandra zu denken? Aus Rache wären sie doch zu allem fähig gewesen. Nein, ich hätte nicht den Mut aufgebracht, Penny noch einmal einer solchen Hölle auszuliefern. Ich wußte von vornherein, daß ich mein Wort brechen würde. Man kann nicht auf die Dauer gegen Schatten kämpfen.»

«Nein», sagte Wraight leise, «das kann kein Mensch.»

«Und da habe ich an meine Grundsätze geglaubt. Feine Grundsätze – die schwimmen jetzt alle den Bach runter!»

«Kommen Sie, trinken wir einen, Mr. Brissom.»

«Was hätten Sie an meiner Stelle getan?»

«Ich hätte vermutlich nicht so lange durchgehalten wie Sie. Das erfordert eine ordentliche Portion Mut. Und wenn, dann hätte ich an der gleichen Stelle kapituliert wie Sie. Was bleibt einem denn anderes übrig?»

Langsam verließen sie das Gerichtsgebäude.

 

Weldun und Simon betraten den Vorhof.

«Na, was hab ich dir gesagt, Major?» fragte Charlie Weldun.

«Wir pauken dich schon raus, hab ich gesagt. Halt du nun hübsch dicht und überlaß die Sache uns. Hab ich nun recht gehabt oder nicht?»

Simon wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Um ein Haar wär’s mir an den Kragen gegangen.»

«Aber nur um ein Haar», grinste Weldun. «Du hast mächtigen Dusel gehabt. Und warum? Weil du vorsichtig in der Auswahl deiner Freunde warst. Du bist frei, na, lach doch endlich.»

«Steh du mal vor Gericht, ohne zu wissen, ob sie dich drei oder fünf Jahre einlochen, da vergeht dir das Lachen!»

«Dein Fehler ist eben, daß du kein Vertrauen hast. Hab ich dir nicht gesagt, daß wir alles deichseln, wenn du die Klappe hältst?» Weldun zündete sich eine Zigarette an. «Ein Whisky, Major, alter Knabe, mal sehen, was die in der Kneipe da unten zu bieten haben.»

«Ich weiß nicht …»

«Du warst doch sonst kein Kind von Traurigkeiten, Major? Du bist frei, du kannst lachen! Du hast denen da drin die Zähne gezeigt, und das schafft nicht jeder. Ein Whisky oder zwei, und du bist wieder der alte.»

Sie verließen den Vorhof, überquerten die Straße und gingen in die Kneipe an der Ecke.

«Setz dich, Major. Na, was hältst du von einem Whisky als Seelentröster?»

«Okay.»

Weldun stand auf und holte an der Theke vier doppelte Whiskys.

«Kipp’s runter, Major! Du wirst sehen, wie du dann aufblühst.» Simon nahm ein Glas und trank.

Harry leerte sein Glas. «Noch einen?»

«Könnte nicht schaden, danke», erwiderte Wraight.

Harry ging an die Theke und bestellte noch einen Gin mit Tonic und einen Martini. Gleichgültig betrachtete er die Flaschen auf den Regalen vor dem Spiegel. Alkohol war jetzt nicht das geeignete Mittel. Er brauchte mehr, um ein für allemal reinen Tisch zu machen.

«Kirsche?» fragte die Kellnerin.

«Ja, bitte.» Er streifte sie mit einem flüchtigen Blick und sah wieder in den Spiegel. Plötzlich stutzte er. Da – die beiden Männer im Nachbarraum hinter der Trennwand … das war doch? Ja, der feiste, aufgeschwemmte Kerl war tatsächlich Simon. Zorn wallte in ihm auf. Er ballte die Fäuste. Wenn er sich doch jetzt auf ihn stürzen, ihn zusammenschlagen könnte … Der andere wandte sich etwas zur Seite, so daß Harry sein Profil erkennen konnte. Hatte er den nicht schon mal gesehen? Harry dachte nicht weiter darüber nach, nahm die Gläser und ging an den Tisch zurück.

«Ihr Wohl», sagte Wraight und trank. «Manchmal braucht man Schnaps eben als Heilmittel.»

«Mag sein – trotzdem wirkt er nicht.»

«Entschuldigen Sie bitte den Gemeinplatz – aber in Ihrem Fall kann nur die Zeit helfen.»

«Vielleicht haben Sie recht. Warten wir also auf den Verdrängungsprozeß. Wenn ich in ein paar Jahren zurückdenke, sage ich mir vermutlich, daß ich das einzig Richtige getan habe. Daß es lächerlich war, mir den Kopf zu zerbrechen, weil ich diesen fetten, widerlichen Kerl mit meiner falschen Aussage vor einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung bewahrt habe. Die Frau ist sowieso unwiderruflich tot. Simon hätte sich nach seiner Entlassung unweigerlich wieder betrunken und eine andere Frau überfahren … Sehen Sie, Inspektor, ich kenne alle Antworten, mit denen ich mein Gewissen beruhigen kann.»

Wraight trank einen Schluck, holte dann ein Päckchen Zigaretten heraus und bot Harry eine an.

«Aber vorläufig habe ich mein Gewissen noch nicht zum Schweigen gebracht», sagte Harry bitter. «Im Gegenteil – es macht mir schwer zu schaffen. Simon sitzt nebenan. Am liebsten möchte ich ihm den Schädel einschlagen.»

«Simon sitzt nebenan?»

«Ja. Er trinkt auf seinen Sieg und lacht.»

«Es ist nicht das erste Mal, daß der Schuldige freigesprochen wurde. Und es wird auch nicht das letzte Mal sein.»

«Was hab ich davon?»

Wraight trank aus. «Noch einen?»

«Nein, danke.»

«Es muß sowieso gleich Schluß sein.»

Und schon verkündete die Kellnerin die bevorstehende Sperrstunde.

«Da sitzt er nun und lacht», grollte Harry. «Ich hoffe bloß, daß ich einmal Gleiches mit Gleichem vergelten kann.» Er zog an seiner Zigarette. Plötzlich fiel ihm Simons Begleiter ein. Diesmal wußte er, warum er ihm so bekannt vorgekommen war.

«Der andere ist auch dabei.»

«Welcher andere?»

«Der Kerl, der neben ihm saß bei dem Unfall. Wie das Leben so spielt. Wir sitzen hier, um unseren Kummer zu ersäufen, und drüben feiern sie ihren Sieg.»

Wraight stand auf und ging zur Theke hinüber. Im Spiegel sah er, daß im Nebenraum nur drei Männer saßen. Keiner von ihnen war Simon.

«Wünschen Sie noch was?» fragte die Kellnerin. «Dann aber schnell.»

«Nein, danke», entgegnete Wraight und kehrte an den Tisch zurück.

«Sie sind weg. Wie sah der andere aus? Können Sie ihn beschreiben?»

«Eine Sekunde hatte er mir das Gesicht zugewandt. Er hat eine Narbe auf der Wange. Die hab ich damals nicht bemerkt.»

«Eine große Narbe?»

«Halbmondförmig.»

«Auf welcher Wange?»

«Keine Ahnung.»

«Und an welchem Tisch saß er?»

«Hinten am Fenster.»

Wraight überlegte kurz. «Dann war es wahrscheinlich die rechte Wange. Es muß eine ziemlich große Narbe gewesen sein, wenn Sie sie sogar im Spiegel bemerkt haben.»

«Vermutlich», meinte Harry gleichgültig und stand auf. «Ich muß jetzt gehen.»

Sie verließen die Kneipe, überquerten die Straße und trennten sich auf dem Parkplatz. Harry fuhr nach Deans Crescent.

Penelope öffnete sofort. «Na?» fragte sie gepreßt.

Er betrachtete sie aufmerksam und entdeckte die Angst in ihren Augen und Linien, die er nie zuvor gesehen hatte.

«Ich habe gelogen.»

Sie ergriff seine Hände. «Und der Mann?»

«Freigesprochen. Ich … ich konnte einfach nicht weiter, Penny. Das habe ich schon letzte Nacht gewußt.»

«Aber du …»

«Wir haben beide gekämpft, Penny. Und ich habe verloren und du mit mir. Ich bin mir selbst zuwider. Aber seit der Zerreißprobe mit Sandra konnte ich einfach nicht anders.»

«Harry, bitte mach dir nicht solche Vorwürfe.»

«Man kann sich doch nicht erst selbst betrügen und dann erklären, was für ein feiner Kerl man ist.»

«Die meisten hätten viel früher aufgegeben.»

«Du nicht. Deine letzten Worte heute früh waren, ich soll bei der Wahrheit bleiben.»

«Und weißt du, was ich dachte? Ich habe darum gebetet, daß du lügst. Ich hatte entsetzliche Angst.»

«Aber warum hast du mich dauernd gebeten, die Wahrheit zu sagen?»

«Weil ich nicht wollte, daß du meinetwegen vor Gericht lügst. Denn das hättest du mir nie ganz verziehen.»

Er zog sie an sich und küßte sie.

 

Wraight kippte seinen Stuhl zurück und legte die Füße auf den Schreibtisch.

Ackers trat ein. «Brissom hat also Schiß gekriegt?» fragte er verächtlich.

«Woher wollen Sie das wissen?»

«Na ja … er hat sich doch geweigert, Simon zu identifizieren.»

«Sie sind ein verdammter Esel, Philbert.»

«Verzeihung, Sir», entgegnete Ackers steif.

«Waren Sie im Archiv?»

«Jawohl, Sir.»

«Und wieviel Männer mit halbmondförmigen Narben auf der rechten Wange haben Sie herausgefunden?»

«Dreiundzwanzig.»

«Sind welche aus der Gegend dabei?»

«Zwei, Sir. Rooter und Weldun.»

«Rooter sitzt doch zur Zeit?»

«Ja, Sir. Er hat sieben Jahre gekriegt.»

«Bleibt also Weldun. Charlie Weldun – ein aalglatter Betrüger.» Wraight nahm die Füße vom Schreibtisch, und der Stuhl kippte in seine ursprüngliche Lage zurück. «Könnte der eigentlich reinpassen?»

«Wohinein, Sir?»

«In den Fall Simon.»

«Ich hab nichts über ihn gehört. Percy sagt, er sei kürzlich mit Harlow gesehen worden.»

«Was Sie nicht sagen! Mit Bob Harlow?»

«Ja, Sir.»

«Harlow arbeitet für Kirkland, und Ray Kirkland gehört zu den großen Fischen. Na, vielleicht kommen wir jetzt weiter.»

«Meinen Sie, Sir?»

«Allerdings.»

 

Kirkland, Harlow und die anderen waren in dem Hinterzimmer über dem Supermarkt. Alle trugen neue Overalls, neue Turnschuhe, neue Gummihandschuhe und über dem Gesicht Nylonstrümpfe.

Zwei Männer arbeiteten an der Wand, hinter der die Bankbüros lagen. Sie benutzten abgepolsterte Hämmer und scharfkantige Meißel, um den Mörtel zwischen den Ziegelsteinen herauszubrechen. Er war so hart, daß sie nur langsam vorankamen.

Simon war in einer jämmerlichen Verfassung und hatte sich bereits zweimal übergeben. Wenn er hier nur weg könnte … um kein Geld der Welt würden sie ihn zurücklocken!

«Nicht so laut», sagte Kirkland.

Die Männer, die an der Wand hämmerten, kümmerten sich überhaupt nicht um ihn. Langsam legten sie einen weiteren Ziegelstein frei, der einen nervenzerreißenden Augenblick lang nach drüben zu fallen drohte, bis sie ihn herausziehen konnten. Nun führte eine kleine Öffnung in die Bankräume.

Nach den Informationen, die Kirkland ein kleines Vermögen gekostet hatten, liefen die Leitungsdrähte unmittelbar unter dem Loch durch ein Isolierrohr.

Kirkland war sichtlich nervös. Mit Simon hatte er ein Risiko auf sich genommen, das nicht zu unterschätzen war. Wie konnte ein solcher Angeber hoffen, mit einer so raffinierten Alarmanlage fertig zu werden? Und trotzdem behauptete er steif und fest, es zu können, und hatte zu diesem Zweck einen etwa zwanzig Zentimeter langen und zwanzig Zentimeter breiten Kasten mitgebracht. Ausgeschlossen – mit so einem winzigen Ding konnte man gar nichts ausrichten.

«Sie haben das Isolierrohr gefunden», sagte Harlow und betrachtete Kirkland prüfend. «Lampenfieber?»

«Du etwa nicht?»

«Eins kann ich dir flüstern, Ray: Wenn die Alarmanlage losgeht, schlage ich Simon kurz und klein, bevor wir türmen!»

«Damit er schnurstracks zur Polizei rennt und auspackt?»

«Wenn ich ihn mir vorknöpfe, sagt der nie wieder einen Ton zu niemand.»

«Stehen die Wagen bereit?»

«Ja. Immer mit der Ruhe, Ray.»

«Erst muß ich wissen, wie das mit den Alarmanlagen klappt.»

Harlow war viel unsicherer, als er tat. Im Innern zweifelte er genau wie Kirkland, daß Simon dieser Aufgabe auch nur annähernd gewachsen war.

Kirkland ging an der Wand entlang, griff in die Öffnung und befühlte das Isolierrohr. Dann zog er die Hand wieder heraus und trat einen Schritt zurück. «Okay.»

Einer der Männer begann den Mantel des Isolierrohrs mit einer feinen Metallsäge anzusägen. Fünfzehn Minuten später hatte er es geschafft, und die Öffnung wurde mit einem winzigen Brecheisen erweitert.

Kirkland herrschte Simon an: «So mach schon!»

«Ich … ich …»

«Los, vorwärts, du Halunke!»

Simons Angst vor Kirkland überwog alles andere. Er trat an die Wand, langte durch die Öffnung und tastete nach der Leitung. Dann legte er eine Metallschlaufe herum, an der er langsam und vorsichtig zog, bis er das Kabel etwas anheben konnte.

Mit zitternder Stimme bat er um ein Messer. Er benutzte ein Skalpell mit einer kleinen, scharfen Schneide und schlitzte damit die äußere Plastikhülle auf, bis er die inneren, ebenfalls mit Plastik isolierten Drähte freigelegt hatte. Er schnitt sie durch und bog sie soweit wie möglich auseinander. Dann verlangte er den kleinen Kasten, den er mitgebracht hatte.

Unter den aufmerksamen Blicken der anderen öffnete er den Kasten und zog zwei elektrische Schnüre heraus. Die eine führte er durch die Öffnung in der Wand und verband sie mit den Drähten, die er freigelegt hatte. Er trat zurück, zog den Nylonstrumpf herauf und wischte Schweiß vom Gesicht. Er zog den Strumpf wieder herunter, nahm die zweite Leitungsschnur, die an einem Ende einen Stecker hatte, und steckte ihn in eine der Schreibtischlampen. «Fertig», sagte er.

«Schalt ein», befahl Kirkland.

Simon gehorchte. Einige Männer wichen zurück, als erwarteten sie jeden Augenblick eine Explosion.

Simon sah auf seine Uhr.

«Was ist los?» fragte Kirkland.

«Ich habe den Strom wieder angeschlossen.»

«Dann arbeitet die Uhr doch wieder elektrisch.»

«Sicher, nur mit einem kleinen Unterschied. Vorher waren’s fünfzig Hertz, und jetzt sind’s hundertfünfzig. Das bedeutet, daß die Kontrolluhr dreimal so schnell geht.»

Kirkland konnte seine Bewunderung nicht ganz verbergen.

 

Um elf Uhr abends war Simon fertig. Bis Montag früh um acht waren es noch dreiunddreißig Stunden. Da die Kontrolluhr jetzt dreimal schneller ging als gewöhnlich, würde sie anstatt der dreiunddreißig nur noch elf Stunden funktionieren. Das bedeutete, daß sie am Sonntagmorgen um zehn mit der Arbeit anfangen konnten.

Vorsichtshalber begannen sie erst um elf. Das Loch in der Wand wurde vergrößert, bis sich ein Mann durchzwängen konnte, der die Alarmanlage prüfen sollte.

Sie beobachteten, wie er den Korridor überquerte, eine Tür öffnete und entschwand. Während sie auf das Schrillen der Alarmanlage warteten, spürten sie, wie ihr Mund trocken wurde. Harlow trat dicht hinter Simon, das Messer in der Hand.

Doch es blieb still. Nach fünf Minuten erschien der Mann wieder und machte ihnen ein Zeichen. Zwei weitere Männer schoben sich durch die Öffnung. Sie reichten ihnen Schweißbrenner und zwei Sauerstoff-Acetylenflaschen zu.

Eine Stunde und fünfundfünfzig Minuten später traf die Polizei ein und umstellte die Bank. Es gab einen erbitterten Kampf.

 

Penny und Sandra waren in Orton Rise, als Wraight um dreiviertel sechs klingelte. Über der linken Wange klebte ein Heftpflaster, und unter dem rechten Auge hatte er eine Riesenbeule.

«Ich dachte, es würde Sie interessieren, daß wir eben die Männer verhaftet haben, die Ihnen und Miss Farrow das alles antaten. Die Gerechtigkeit hat also doch noch gesiegt – allerdings mit Verspätung.»

«Wie meinen Sie das?»

«Sie haben so lange und andauernd gekämpft, daß ich Sie schließlich bewundern mußte. Deshalb habe ich Sie nach der Verhandlung zu einem Drink eingeladen. Und bei diesem gemeinsamen Drink sahen Sie Simon und einen Mann mit einer Narbe in der Kneipe. So griff ein Rad ins andere, Mr. Brissom. Sie brauchen sich nichts vorzuwerfen. Sie haben das menschenmögliche getan – und es hat zum erfolgreichen Ende geführt.»

«Das ändert nichts daran, daß ich mir untreu geworden bin», sagte Harry.

«Nur wenn Sie es unbedingt so sehen wollen, Mr. Brissom.»

«Ist das nicht eine sehr pragmatische Betrachtungsweise?»

«Ich weiß nicht recht. Ich würde es einfach gesunden Menschenverstand nennen.»

Penelope sah Harry an. Ihre Augen strahlten. «Such doch nicht immer irgendwelche Haken, Harry!»

Plötzlich lächelte er.

Charles mischte sich ein. «Wir wollten gerade auf Harrys und Pennys Glück anstoßen. Wie wär’s, Inspektor, trinken Sie ein Glas mit?»

«Danke, gern, Sir. Dieser Nachmittag hat mir Durst gemacht.»

Er betastete die Beule unter seinem Auge. Sie tat weh. Aber die Beulen an Harlows Kopf schmerzten bestimmt wesentlich heftiger. Und das war immerhin ein Trost.