2
Kirkland nahm ein Päckchen Zigarillos vom Tisch, löste den roten Cellophanstreifen der Hülle, nahm eins heraus und zündete es sich an. «Na, und?»
Harlow lehnte sich zurück. Sein Stuhl knarrte. Immerhin wog er fast zwei Zentner, und der Stuhl war alt. «Das ist die Sache, Ray», meinte er.
Kirkland musterte ihn. Harlow war dick und immer etwas zu auffällig in seinem Benehmen wie in seiner Kleidung. Außerdem wirkte er überaus selbstgefällig, was bei den meisten Menschen als Zeichen von Dummheit gelten könnte, nicht aber bei «Boy» Harlow.
«Der Job wird auf eine Viertelmillion geschätzt», sagte Kirkland nach einer Weile.
«Zweihundertfünfzigtausend Pfund! Damit könnte man eine ganze Schnapsbrennerei leersaufen und hätte immer noch Kleingeld übrig. Und ein piekfeines Haus irgendwo im Süden wär auch noch drin.»
«Aber erstmal kostet uns die Sache ein kleines Vermögen.»
«Wir haben doch noch die Lohngelder vom letztenmal.»
«Da ist nicht mehr viel übrig. Schließlich mußten wir davon leben, und das ist teuer.»
Harlow lachte. «Mein Lebensstil ist allerdings verdammt teuer.»
Kirkland hielt sein Zigarillo zwischen Daumen und Zeigefinger und starrte auf die Rauchschwaden. «Neuntausend Pfund wollen sie allein schon als Miete für das Lebensmittelgeschäft neben der Bank.»
Harlow pfiff durch die Zähne. «Glatter Wucher!»
«Wenn wir das Ding nicht mieten und einen Strohmann reinsetzen, können wir die Sache mit der Bank sowieso sausen lassen. Das ist die einzige Möglichkeit, nah genug ranzukommen.»
«Aber neuntausend … du mußt sie drücken.»
«Hab ich schon versucht, aber sie gehen nicht runter.»
Harlow langte über den Tisch nach der Whiskyflasche. Er goß sich einen steifen Drink ein und ging mit dem Wasser mehr als sparsam um. «Haben wir die neuntausend?»
«Nein.»
«Können wir sie kriegen?»
«Ja, zu dreißig Prozent Zinsen im Monat.»
Harlow lachte plötzlich auf. «Weißt du was, Ray? Überzieh doch einfach dein Bankkonto!»
Kirkland lächelte flüchtig. Sein längliches, schmales Gesicht mit den feinen Zügen erinnerte an einen Gelehrten. «So toll ist mein Kredit nun auch wieder nicht.»
Harlow leerte sein Glas und stellte es auf den Tisch. «Ray, dieser Simon macht mir Kummer. Er ist kein Profi, und ich arbeite nun mal am liebsten mit Leuten aus der Branche.»
«Wir dürften keine andere Wahl haben.»
«Es muß einfach eine Möglichkeit geben.»
Kirkland zuckte die Achseln. «Gleich kommt Charlie. Mal sehen, was er dazu meint.»
Harlow zündete sich seine Zigarette mit einem goldenen Feuerzeug an. «Wieviel ist von den Lohngeldern noch übrig?»
«Ungefähr fünftausend.»
«Was müssen wir uns also dazu leihen?»
«Schätzungsweise fünfzehntausend. Wir brauchen ein erstklassiges Team, das von Anfang an bezahlt werden muß. Außerdem kostet die Ausrüstung ’ne Stange Geld.»
«Die fünfzehntausend kommen uns hübsch teuer zu stehen!»
«Das ist mit Geld immer so, sogar mit ehrlich verdientem.»
«Wir sollten lieber ’nen Geldverleih aufmachen.»
«Und du wärst dann unser bester Kunde, was?»
Harlow lachte.
Kirkland streifte die Asche ab. Die Jobs wurden immer größer, aber trotzdem blieb eine Viertelmillion eine beachtliche Summe. Wenn das klappte, würde er zur Spitzenklasse gehören. Er galt bereits als erstklassig und hatte deshalb auch keine Schwierigkeiten, ein gutes Team zusammenzukriegen. Aber mit dieser Sache würde er in die Elite aufsteigen.
Charlie Weldun betrat das Zimmer. «Schönen guten Morgen, ihr Lieben! Wer spendiert mir was von dem köstlichen Lebenselixier?» Weldun war ein professioneller Hansdampf in allen Gassen, dem auch die gröbste Beleidigung nichts auszumachen schien. Jahrelang hatte er sich als mäßig erfolgreicher Betrüger betätigt. Er setzte sich an den Tisch, goß sich einen Whisky ein und prostete den anderen zu. «Das ist heute der erste, Freunde!»
«Hoffentlich bleibt’s dabei», meinte Kirkland.
«Du kennst mich doch, Ray!»
«Allerdings. Nach ein paar Drinks redest du wie ein Wasserfall.»
«Hab ich dir schon mal was vermasselt? Sag’s ehrlich – hab ich dir je was vermasselt?»
«Sonst würdest du ja nicht frisch und munter dasitzen.»
Weldun streifte Kirkland mit einem raschen Seitenblick. Ray Kirkland gehörte zu den Männern, die ihre Gefühle so geschickt verbargen, daß man sie kaum durchschauen konnte. Er stand in dem Ruf, gelegentlich gemein und brutal zu werden. Weldun befühlte die halbmondförmige Narbe auf seiner rechten Wange – der Denkzettel dafür, daß er einmal im Rausch zuviel geredet hatte.
«Hast du die beiden getroffen?» erkundigte sich Kirkland.
«Ja, Ray.»
«Kennt Baker die Bank? Hat er was erzählt?»
«Er kennt die Bank in- und auswendig, und mit den zweihundert Piepen sang er los wie ein Kanarienvogel. Er hat die Alarmanlagen mit eingebaut.»
Sie waren jetzt so gespannt, daß sie nicht gegen einen zweiten Drink protestieren würden. Weldun langte über den Tisch nach der Flasche. «Das sicherste System, das ihm je untergekommen ist, hat er gesagt.» Er goß sich einen Whisky ein.
«Wieso?»
«Da gibt’s erstens ’ne elektrische Kontrolluhr, und solange sie eingeschaltet ist, arbeiten die Alarmanlagen. Zweitens haben sie eine Kombination von offenen und geschlossenen Stromkreisen, so daß man die Leitungen nicht durchschneiden kann, selbst wenn man rankäme.»
«Wieviel Alarmvorrichtungen gibt’s insgesamt?»
«Im ersten Stock keine, da sind bloß Büros. Im Erdgeschoß und Tiefparterre aber haben sie im Fußboden und an den Fenstern Kontaktalarm, an der Decke und den Wänden Vibrationsalarm und zu allem Überfluß auch noch Alarmanlagen, die durch Geräusche ausgelöst werden. Baker meint, da braucht bloß ’ne Maus langzulaufen und ’n bißchen zu quietschen, schon geht’s los. Ich sag euch, Leute, Fort Knox ist nichts dagegen.»
Harlow fluchte.
«Ist jeder Zugang gesichert?»
«Kein einziger, bei dem’s nicht massenhaft Alarmvorrichtungen gibt.»
«Aber einer muß doch dasein!»
«Ray, alter Junge, ich habe stundenlang auf Tony Baker eingeredet und keinen rausgekriegt.»
«Schön. Die Leute von der Bank sind also schlau gewesen, aber wir werden noch schlauer sein und einfach die Hauptleitung durchschneiden.»
Weldun leerte sein Glas. «’ne Glanzidee», sagte er spöttisch.
«Und was ist daran faul?» fuhr Kirkland ihn an.
«Das ist ja ein tolles System, hab ich zu meinem alten Kumpel gesagt. Aber was passiert, wenn man den Strom unterbricht?»
«Na, und?»
«Er fand das komisch. ‹Hältst du die Leute wirklich für so dämlich?› fragte er mich. ‹Na ja, ich weiß nicht recht›, antwortete ich. ‹Hör mal, Charlie›, sagte er nach ein paar Drinks, ‹die Kontrolluhr ist an einen Elektromotor angeschlossen. Wenn also der Strom unterbrochen wird, schaltet sich der Motor automatisch ein und arbeitet so lange, bis der Strom wieder funktioniert. Außerdem sind die Alarmanlagen an Reservebatterien angeschlossen, die sich automatisch aufladen, das heißt also, daß die Alarmanlagen bei Stromausfall auf Batterie laufen. Und um die Sache komplett zu machen – Alarm wird gleichzeitig auch im Polizeirevier ausgelöst.›»
Kirkland nahm sich ein Zigarillo und zündete es an. Er stand auf und stieß den Stuhl zur Seite. Dann ging er zum Fenster und starrte über den kleinen Garten hinweg auf die belebte Straße. «Im Tresor liegt eine Viertelmillion. Zweihundertfünfzigtausend in bar!»
«Und ein idiotensicheres Alarmsystem», murmelte Harlow.
«Trotzdem muß es eine Möglichkeit geben.»
«Da bin ich mal neugierig. Nach Charlies Schilderung kann man einfach nichts machen.»
Kirkland setzte sich wieder und goß sich noch einen Whisky ein. Er war ein Realist und wußte, wann er sich mit den Tatsachen abzufinden hatte.
«Behüt dich Gott, es wär so schön gewesen», meinte Harlow verträumt. «Die Viertelmillion – sie hat nicht sollen sein.»
Weldun kicherte plötzlich. «Wißt ihr was?»
«Was?» fragte Kirkland scharf.
«Nach Baker hab ich mich doch noch mit Simon getroffen und ihm erzählt, was für ’ne phantastische Anlage das ist. Und dann hab ich ihm gesagt, daß es wahrscheinlich keinen Menschen gibt, der damit fertigwerden kann. Und was hat er mir geantwortet?»
«Na?»
«Daß ein Genie wie er es schaffen würde.»
«Und wie?»
Weldun antwortete nicht sofort. «Du hast mir doch gesagt, ich soll mich um den Major kümmern, Ray.»
«Major?»
«Er hat’s gern, wenn man ihn so nennt, und das kostet ja nichts. Stundenlang hab ich ihn nicht aus den Augen gelassen und ihn sogar in den Klub gelotst, zu ’nem kleinen Spielchen. Gestern abend war das. Er kriegt drei Damen, und da hab ich ihm geraten, er soll aufs Ganze gehen. Drei Damen gewinnen immer.»
«Weiter!» herrschte Harlow ihn an.
«Drei Damen verlieren nie, aber ob ihr’s glaubt oder nicht – der Bankhalter hatte vier hübsche, kleine Zweien! Der Spaß hat den Major ’nen Hunderter gekostet. Und geschwitzt hat er dabei, daß er beinah weggeschwommen wäre.»
«Er hat hundert Pfund verloren?»
«Ja, und hatte natürlich kein Bargeld. Sie wollten ihm keinen Kredit geben, aber ich brauchte bloß mal zu zwinkern, und da ließen sie meinen alten Freund weiterspielen.»
«Du verdammter Idiot! Das kostet uns fünfzehn Schilling für jedes Pfund, wenn wir seine Schulden übernehmen!»
«Aber … aber du hast doch gesagt, ich soll ihn so weit kriegen, daß er uns was schuldet.»
«Etwas. Kein Vermögen.»
«Aber es hat geklappt. Ray, es hat hingehauen», berichtete Weldun hastig weiter. «Danach war er nämlich so aufgeregt, daß er anfing zu reden. Ich hab ihm von der Alarmanlage erzählt. ‹Major›, hab ich zu ihm gesagt, ‹du bist ein heller Junge. Und in Elektrotechnik ist dir keiner über. Aber der Mann, der mit dem Alarmsystem fertig wird, muß erst geboren werden.› Und da sagt er, daß er’s schaffen würde.»
«Hast du ihn gefragt wie?»
«Er wollte einfach nicht raus mit der Sprache. Er sagt, daß er ein Ehrenmann ist und daß man über so was nicht redet.»
«Der Kerl lügt», erklärte Kirkland. «Die Sache ist gestorben. Wir können die Alarmanlagen weder ausschalten noch umgehen, ob der Strom funktioniert oder nicht. Da gibt’s keine Möglichkeit.»
«Aber er behauptet, es wär kinderleicht.»
«Du willst uns wohl für dumm verkaufen?» Harlows Gesichtsausdruck jagte Weldun einen Schauer über den Rücken. Hilfesuchend wandte er sich an Kirkland. «Das hat er wirklich gesagt, Ray, ich schwör’s dir!»
Kirkland nahm sein Zigarillo aus dem Aschenbecher und sog den Rauch tief ein. Manchmal mußte man alles auf eine Karte setzen. «Also: wir mieten das Lebensmittelgeschäft für einen Strohmann. Außerdem kaufen wir uns Simon, indem wir seine Schulden einlösen. Dann stellen wir ein Team zusammen … Ich hoffe nur, daß er dich nicht zum Narren gehalten hat, Charlie!»