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»Mein lieber Scholli!« Das Geldeksche Anwesen konnte einen schon umhauen. Solche Häuser kannte Toppe bisher nur aus Meerbusch; daß es so etwas in Kleve überhaupt gab, hatte er nicht geahnt.

Es lag dicht am Deich, am Ende eines Privatweges, ein weißes Landhaus mit Reetdach, das riesige Grundstück umgeben von einer hohen efeubewachsenen Mauer. Durch das schmiedeeiserne zweiflügelige Tor erkannte Toppe einen Swimmingpool, einen von Hecken eingefaßten Tennisplatz, und das langgestreckte Gebäude an der rechten Seite sah aus wie ein Pferdestall. Es gab kein Namensschild, nur einen Klingelknopf unter der Gegensprechanlage.

Als er klingelte, kamen sofort laut bellend zwei Deutsche Doggen ans Tor gelaufen. Toppe fühlte sich wie in einem Film.

»Ja, bitte?« kam jetzt auch schon die passende kühle Stimme aus der Sprechanlage.

»Toppe. Kriminalpolizei Kleve. Ich möchte zu Herrn Geldek.«

»Einen Augenblick.« Es dauerte zwei Minuten, dann ertönte ein Summer, und mit einem leisen Klicken sprang das Tor auf.

»Kommen Sie herein. Die Hunde werden Ihnen nichts tun.«

Da war Toppe sich nicht so sicher, aber er ging mit festen, bestimmten Schritten den plattierten Weg zur Haustür entlang. Die Hunde umkreisten ihn und ließen ihn nicht aus den Augen. Vor der Doppelgarage parkten ein Z l und ein schwarzer 735er. Als sich die Haustür öffnete, erwartete er ganz selbstverständlich eine Hausdame in weißer Schürze, aber es schien die Hausherrin selbst zu sein, die ihm entgegentrat.

Sie war eine überschlanke, große Frau mit kurzen Locken und grauen berechnenden Augen. Alles an ihr, selbst die Haarfarbe, war teuer und absolut perfekt.

»Guten Tag, Herr..«

»Toppe.« Sie machte keine Anstalten, ihn hereinzubitten.

»Herr Toppe, ja. Es tut mir leid, mein Mann ist auf Geschäftsreise. Worum geht es denn?« Ihre Stimme war das einzige Mißgeschick. Sie war matt und viel zu hoch.

»Ich würde ihm gern einige Fragen über eine Pistole stellen.«

»Pistole? Pistolen besitzt mein Mann gar nicht.«

»Das ist mir bekannt. Zumindest keine, die in seinem Waffenbesitzschein eingetragen sind.«

Ihre Augen zogen sich kaum merklich zusammen. Sie ließ ihn kommen.

»Es geht um die Tatwaffe in einem Mordfall. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen bin ich auf den Namen Ihres Mannes gestoßen.« »Merkwürdig.« Sie fröstelte in ihrem dünnen Seidenoverall.

»Es weht ein kühler Wind«, sagte Toppe und schaute an ihr vorbei in die Diele.

»Ja, sehr unangenehm. Ich würde Sie gern hereinbitten, aber ich bin gerade beim Packen.«

»Sie wollen verreisen?«

»Wir verbringen die Weihnachtstage immer auf unserer Finca in Spanien.«

»Ich verstehe. Sagt Ihnen der Name Verhoeven etwas?«

»Nein. Sollte er?« Sie konnte wunderbar gelangweilt aussehen.

»Er ist ein Bekannter Ihres Mannes. Genauer gesagt einer der Herren, mit denen Ihr Mann freitags pokert.«

»Ach ja? Sehen Sie, mein Mann und ich haben ganz verschiedene Interessen und völlig getrennte Freundeskreise.«

»Im Zusammenhang mit Geschäften ist Ihnen der Name auch noch nicht begegnet?«

»Um Geschäfte kümmere ich mich nicht, Herr Toppe.« »Das ist erstaunlich, wo Sie doch Inhaberin zweier großer Betriebe sind.«

»Ich habe zuverlässige Mitarbeiter.«

»Natürlich. Wann kommt Ihr Mann von seiner Geschäftsreise zurück?«

»Nicht vor Silvester.«

»Genauer können Sie mir das nicht sagen?« »Nein. Wir werden uns in Spanien treffen, und wenn es uns gefällt, bleiben wir vielleicht noch einige Tage länger.«

»Ich bedanke mich, Frau Geldek. Ich werde mich wieder bei Ihnen melden.«

»Auf Wiedersehen, Herr.. Toppe.«

Im Weggehen drehte er sich noch mal um: »Ach, Frau Geldek..«

»Ja?«

»Wirklich, zwei sehr schöne Autos. Und grüßen Sie Ihren Mann.«

Sie lächelte nur und schloß die Tür.

Mit der Frau hatte Geldek den großen Wurf getan; sie war der perfekte Wachhund.

Toppe fuhr zum Präsidium zurück. Er steckte in einer Sackgasse. Vielleicht hatte Siegelkötter recht, und er sollte sich wirklich innerlich von dem Fall verabschieden. Wenn er sich bloß nicht so sicher gewesen wäre, daß er auf genau der richtigen Spur war.

Trotzdem begann heute sein Weihnachtsurlaub, und in den nächsten Tagen würde sich sowieso nichts mehr tun.

Er schloß den Kofferraum auf, holte die weihnachtlich verpackte Kaffeemaschine heraus und trug sie ins Büro hinauf. Dort stellte er sie auf die Fensterbank neben seinen Schreibtisch und schrieb einen Zettel: von Helmut für uns alle – frohe Weihnachten und ein besseres neues Jahr.

Wer auch immer in den nächsten Tagen Bereitschaft hatte, würde sie finden.

Auf seinem Schreibtisch fand er auch ein Geschenk, ein schmales, schwarzes Feuerzeug mit einer Karte: Dir und Deiner ganzen Familie: Frohe Weihnachten – Astrid Steendijk

Der Heilige Abend verlief ruhiger und friedlicher als Toppe es erwartet hatte. Seine Schwiegereltern kamen nur zur Bescherung herüber und verschwanden schon vor dem Essen wieder. Gabis Mutter schenkte ihm eine Menge mitleidiger Blicke, hielt aber den Mund. Schon wieder die,Armer Irrer’-Ecke; was mochte Gabi ihr erzählt haben? Nach dem Kaninchenbraten, den Gabi dieses Mal selbst gemacht hatte, spielten sie mit den Kindern Monopoly und tranken beide zuviel Weinbrand.

Er bemühte sich um das Familienleben, aber er war unruhig. Die Feiertage hielten ihn nur auf. Von den dreizehn Tagen blieben ihm nur noch zehn. Innerlich fieberte er, endlich weitermachen zu können.

Trotzdem war der erste Weihnachtstag genau das, was Toppe so lange vermißt hatte. Sein Freund Arend Bonhoeffer kam mit Sofia, und nach langer Zeit kochten sie mal wieder zusammen, aßen gut, redeten viel, machten einen Spaziergang mit den Kindern und Pläne für einen gemeinsamen Sommerurlaub in Irland.

Gerade, als Toppe um Mitternacht die Haustür hinter ihnen schloß, klingelte das Telefon.

Es war Ackermann, so aufgeregt, daß er mal wieder schrie. Toppe konnte ihn kaum verstehen.

»Geht’s ein bißchen leiser?«

»Wilhelm Verhoeven ist tot!« »Was!« Jetzt schrie Toppe.

»Ja! Er ist gestern abend die Treppe runtergefallen und heute nachmittag im Krankenhaus gestorben.«

»Die Treppe runtergefallen?«

»Genau. Wo wir doch noch von gesprochen haben!«