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Minneken Kuipers, die Frau mit der Bratpfanne, hatte sofort ihren Laden abgeschlossen und war schnurstracks zum Polizeipräsidium geradelt. Dort hatte sie der Beamte, bei dem sie ihre Anzeige aufgab, an eine Sonderkommission der Kripo im ersten Stock verwiesen, wo sie außer Atem und ein wenig zerzaust Platz nahm und ihre Geschichte erzählte.
»Bratpfanne?« Heinrichs starrte sie verblüfft an.
»Ja, sicher«, nickte sie, »oder glauben Sie etwa, ich laß’ mir von so einem Schnösel einfach meine Tageseinnahmen klauen?!«
Ihr Haushaltswarenladen in der Oberstadt war seit vier Generationen im Familienbesitz, und sie war nun – unverheiratet und kinderlos – die letzte, die den alten Klever Namen Kuipers repräsentierte.
»Nein, nein, aber Sie haben., wieso Bratpfanne?« Kommissar Heinrichs konnte sich, wenn er die Frau so ansah, kaum vorstellen, daß sie diesen Täter in die Flucht geschlagen haben wollte. Sie war sicher Ende Sechzig, klein und schmal, mit einem Mäusegesicht und flinken Augen.
Sein Erstaunen war ihr unverständlich.
»Na, die Pfannen stehen doch direkt bei der Kasse. Und als der mit der Mütze vorm Gesicht und diesem Pistolendings reinkam, da könnt’ ich doch nicht lange fackeln. Ich hab’ mir eine anständige Pfanne gegriffen, mit Stahlboden, und ihm eine verpaßt. Mitten auf die Zwölf.« Sie kicherte.
»Mitten auf die Zwölf, so, so«, meinte Breitenegger, der bisher schweigend, die obligatorische Pfeife im Mundwinkel, ihre Aussage zu Protokoll genommen hatte.
»Liebe Frau, das war ganz schön gefährlich.«
»Wieso gefährlich? Ich war doch schneller.«
»Das hätte trotzdem danebengehn können. Wir kennen den Täter nämlich. Wie sah übrigens seine Waffe aus?«
»Das war so eine, wie die in diesen Cowboyfilmen die immer haben; mit so ’nem Drehdings.«
Breitenegger brummte zustimmend.
»Ich hab’ mir das übrigens gleich gedacht«, bemerkte sie spitz.
»Was haben Sie sich gedacht?«
»Daß dieser junge Spund mit dem Moped, Ihr grüner Kollege, den nicht mehr kriegt.«
Sie erzählte von dem Polizisten, der gerade am Laden vorbeigekommen war und die Verfolgung aufgenommen hatte.
Heinrichs rief bei den Kollegen von der Schutzpolizei an. »Das muß Look gewesen sein«, erfuhr er. »Wir haben gerade die Meldung reinbekommen. Er hat am Fischmarkt einen Unfall gebaut; ziemlich schwer verletzt wohl. Die Zeugen sagen, er sei hinter einem Motorradfahrer hergewesen. Wir haben hier schon zwei Beschwerden liegen, weil er in verkehrsgefährdender Weise die Hagsche Straße runtergebrettert ist.«
»Wer? Der Motorradfahrer?«
»Nein, Look.«
Die Täterbeschreibung, die Frau Kuipers geben konnte, war nicht sehr genau.
»Aber die Nummer vom Motorrad, die hab’ ich mir gemerkt«, triumphierte sie.
Breitenegger schrieb mit, obwohl er eigentlich wußte, daß es nichts bringen würde.
»Tja, Frau Kuipers«, meinte er schließlich, »das wäre zunächst alles. Aber nächstes Mal, da spielen Sie nicht wieder die Mutter Courage. Das kann auch mal ins Auge gehen.«
» Na, das weiß ich aber noch nicht so genau, Herr Kommissar«, antwortete sie frohgemut im Hinausgehen und ließ Heinrichs und Breitenegger reichlich frustriert zurück.
»Alles ein bißchen karg bisher, nicht?« sagte Heinrichs.
»Wie? Karg?«
»Ist doch ’n schönes Wort.«
Seit Monaten waren sie hinter diesem Motorradfahrer her, der immer am hellichten Tag, immer allein, kleine Läden überfiel und den Inhalt der Kasse mitgehen ließ. Er ging dabei äußerst brutal vor, hatte einen Ladenbesitzer so übel zusammengeschlagen, daß dieser an den Verletzungsfolgen gestorben war.
Sie wußten, der Täter war mittelgroß und schlank, sprach nur wenig und hatte keinerlei besondere Kennzeichen. Jedesmal war er anders gekleidet, aber eine dunkelblaue Wollmütze, die nichts als seine Augen freiließ, hatte er immer getragen.
Das Motorrad war eine 450er Honda, wie sie zu Hunderten herumfuhren, aber er benutzte fast immer ein anderes Nummernschild. Das Problem war, daß er in einem großen Gebiet arbeitete, aber stets in kleinen Städten: Kleve, Goch, Emmerich, Geldern und Rees, auch in Bocholt und Wesel, und mit ziemlicher Sicherheit gingen zwei Überfälle in Rheinhausen und Hamborn auf sein Konto.
Um ihn endlich stellen zu können, hatte man vor einer Woche zur Koordination eine Sonderkommission ins Leben gerufen; sie bestand aus Breitenegger und Heinrichs vom Ersten Kommissariat in Kleve. Daß der Täter diesmal gleich vor ihrer Nase zugeschlagen hatte, war vielleicht eine glückliche Fügung.
»Wir müssen mit Look sprechen. Vielleicht kann der uns endlich mal konkretere Hinweise geben«, überlegte Heinrichs.
»Machen wir«, knurrte Breitenegger, »sicher machen wir das. Aber man kommt sich ja langsam doch ein bißchen dämlich vor. Wir haben über hundert Hondas überprüft, alles Fehlanzeige. Inzwischen kann sich kein Motorradfahrer mehr auf die Straße trauen, ohne daß er nicht mindestens einmal kontrolliert wird. Und trotzdem rutscht der uns immer wieder dadurch. Es ist zum Haarausraufen!«
Das war eine ungewöhnlich heftige Rede für Günther Breitenegger, der normalerweise eher besonnen und kaum aus der Ruhe zu bringen war. Er war 55 Jahre alt, aus Bayern, aber schon seit achtzehn Jahren am Niederrhein, groß und schwer, gemütlich, meist väterlich-freundlich und im Ersten Kommissariat derjenige, der beruhigend eingriff, wenn zwischen den Kollegen die Wogen hochschlugen.
»Das Haarausraufen ist doch Toppes Spezialität«, flachste Heinrichs. »Der kommt übrigens am Montag wieder.«
»Das ist auch gut so«, bollerte Breitenegger. »Der kann sich mit Astrid um den Kleinkram kümmern, dann haben wir zwei es endlich nur noch mit diesem Kerl zu tun.«
Astrid Steendijk, die im vorigen Jahr schon als Praktikantin bei ihnen gearbeitet hatte, war am 1. September eingestellt worden. Das war zwar eine unerwartet großzügige Aufstockung ihres Teams gewesen, aber sie war einfach noch zu unerfahren, als daß man ihr in Eigenverantwortung Aufgaben hätte übertragen können. So hatte es in den letzten Wochen durch Toppes Ferien und van Appeldorns Erziehungsurlaub eine Menge Überstunden für Breitenegger und Heinrichs gegeben.
»Alsdann«, Breitenegger erhob sich schwerfällig. »Fahren wir zum Krankenhaus und schauen mal, ob wir mit Look sprechen können.«
»Ja, gut.« Heinrichs löschte seine Schreibtischlampe und steckte sein Notizbuch ein. »Schaun ’mer mal.«