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Nun gut, Peter Verhoeven war ein unsympathischer Mensch, mit so ziemlich allen häßlichen Eigenschaften ausgestattet, die man sich vorstellen konnte. Aber ging er deshalb über Leichen? Dazu erschien er ihm zu konturlos, zu schwach. Mochte sein, daß Ingeborg recht hatte. Vielleicht hatten ihn die Alten wirklich mit den Jahren kleingekriegt, aber nach außen hin machte er nicht den Eindruck. Da markierte er den dicken Macker, Typ: Mann von Welt.

Wilhelm Verhoeven war ein harter Knochen; vielleicht auch verständlich, nach allem, was der so mitgemacht hatte.

Aber konnte einen der Wunsch nach Selbständigkeit so weit treiben, daß man den eigenen Vater aus dem Weg räumen wollte? Wenn man keine andere Möglichkeit mehr sah, vielleicht.,Mein Mann hat so ziemlich alles versucht.’..

Aber was wollte Peter Verhoeven mit diesem runtergewirtschafteten Hof? Er würde hart arbeiten müssen, und das schien ihm ja nun nicht gerade zu liegen. Andererseits hatte er keine andere Wahl, schließlich hatte er sonst nichts gelernt. Und er war fünfzig. Da konnte man nicht mehr von vorne anfangen. Wenn er spielte, war der Hof seine einzige Sicherheit.

Ganz schön hart eigentlich, wenn man die besten Jahre seines Lebens in Abhängigkeit verbrachte und dabei immer die Möglichkeit, sein eigener Herr zu sein, direkt vor der Nase hatte. Und nur der Vater, der das verhinderte.

Aber es blieb eine Tatsache, daß es Peter Verhoeven nicht gewesen sein konnte. Der hätte ja auch niemals seinen Vater mit seinem Onkel verwechselt. Sowas konnte nur einem passieren, der die beiden nicht gut kannte, vielleicht nur kurz gesehen hatte; möglicherweise auf dem Schützenfest.

Ackermanns Killer-Theorie. Hörte sich verrückt an, aber dieser eine einzige wohlgezielte Schuß wies auf Erfahrung und Übung hin. Das stimmte schon.

Wo konnte Peter Verhoeven hier einen Typen auftun, der die Sache für ihn erledigte? Die »Spielerkollegen«, wie Ackermann sie nannte? Da mußte er jetzt ansetzen.

Aber ein Killer kostet gutes Geld im Voraus und bar auf die Hand. Und Peter Verhoeven hatte keins. Na ja, vielleicht hatte er gewonnen.

Welche Rolle spielte Ingeborg in dieser ganzen Geschichte? Sie hatte sofort gewußt, in welche Richtung seine Fragen gezielt hatten, aber sie hatte kaum reagiert. Sie verachtete ihren Mann, das sprach aus jedem Wort, aber sie hatte gesagt »wir hatten das Testament gefunden«. Hatte sie mitgemacht bei dem Entmündigungsversuch? Wäre ihr ja auch eigentlich nicht zu verdenken. Wenn Wilhelm tot wäre, gäbe es bestimmt kein Hindernis mehr, Hendrina entmündigen zu lassen; so von der Rolle, wie die Alte war. Diese verrückte alte Frau hatte jetzt noch tatsächlich mehr auf dem Hof zu sagen als Ingeborg, als Peter. Was für eine absurde Situation! Ingeborg jedenfalls schien sich damit abgefunden zu haben, oder? Ihr ging es nur noch um ihren Sohn.

Erst mal mußte er jetzt seinen Bericht schreiben. Wie sollte er dem Stasi wohl seine neue Idee verkaufen? Er hörte schon jetzt den ganzen Sermon über Indizien und mangelnde Beweise.

Vielleicht würde ihn die Überprüfung der Spielerrunde weiterbringen, und für das Gespräch mit Peter Verhoeven heute nachmittag mußte er sich noch was überlegen.

Im Präsidium hatten sich Heinrichs und Breitenegger mal wieder lautstark in der Wolle.

»Du hast sie doch wirklich nicht mehr alle stramm, Walter!« bellte Breitenegger und tippte sich mit dem Pfeifenstiel an die Schläfe. »Morgen, Helmut«, nickte er knapp.

Heinrichs war endgültig beleidigt. »Bitte, wenn du eine bessere Idee hast.« Er knüllte das Papier, das er in der Hand hielt, zusammen und warf es mit Schwung in den Papierkorb. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und stapfte zur Tür.

Das war Breitenegger nun auch wieder nicht recht. »Jetzt sei doch nicht gleich verschnupft, Mensch. Da kann man doch drüber reden. Gib die Liste mal her.«

Heinrichs zögerte und musterte Breitenegger aus zusammengekniffenen Augen, aber dann fischte er doch das Papierknäuel aus dem Abfalleimer und strich es sorgfältig glatt.

»Hab’ ich mir heute morgen beim KBA in Flensburg besorgt. Das sind alle Motorradbesitzer in Goch und Umgebung.«

Breitenegger seufzte tief und räusperte sich. Man konnte deutlich spüren, daß er sich einen Ruck geben mußte. »Na ja, vielleicht hast du recht. Schaden kann’s ja nicht. Klappern wir also die ganzen Leute ab. Aber eins sag’ ich dir: nur bis Freitag. Weihnachten will ich meine Ruhe haben und von dem ganzen Mist nichts mehr hören.«

»Bis Weihnachten haben wir den Typen längst«, meinte Heinrichs aus vollster Überzeugung.

»Traumtänzer«, murmelte Breitenegger und fing an, sich seine Pfeife neu zu stopfen.

»Das hab’ ich Gott sei dank nicht verstanden«, lächelte Heinrichs breit. Er hatte sich wieder gefangen. »Morgen, Helmut.« Auch er bemerkte jetzt Toppe.

»Morgen. Ist ja mal wieder ’ne Mordsstimmung bei euch.«

Er knallte sein Notizbuch auf den Schreibtisch und schüttelte den Kopf. Es machte wirklich keinen Spaß mehr. Er hing allein an diesem Mordfall, Astrid machte den ganzen zermürbenden Kleinkram und Breitenegger und Heinrichs kriegten dauernd Streit. Gerade die beiden, die sonst kaum was aus der Bahn werfen konnte. Heinrichs, der am liebsten alles positiv sah, und Breitenegger, den nie was aus der Ruhe brachte. Es war eindeutig der Wurm drin.

Breitenegger zündete seine Pfeife an und paffte sich in eine dicke Wolke ein. »Hast schon recht. Ist alles nicht mehr so, wie’s mal war hier bei uns.«

»Ist das ein Wunder?« schnappte Heinrichs. »Seit der Stasi da ist, geht doch alles drunter und drüber. Der reißt das ganze Team auseinander, mischt sich in jeden Dreck ein, putzt uns runter wie blutige Anfänger, spielt uns gegeneinander aus. Und da soll man noch gute Arbeit leisten!«

»Der Alte will die Statistik aufbessern. Angeblich liegen wir hier im Kreis mit unseren Ermittlungserfolgen weit unter dem Landesdurchschnitt«, antwortete Breitenegger.

»Uns kann er damit nicht meinen. Mit unseren Ergebnissen konnten wir immer zufrieden sein. Mann, wir reißen uns für den Laden doch wirklich den Arsch auf,« ärgerte sich Heinrichs. »Man hat doch kaum noch ein Familienleben. Aber darüber haben wir uns ja schon oft genug aufgeregt.«

»Ich bin froh, wenn Norbert wieder hier ist«, sinnierte Toppe.

»Ja.« Heinrichs verstand, was er meinte. »Ich glaub’ auch nicht, daß der Stasi mit dem so ein leichtes Spiel hat. Wollen wir los, Günther?«

Toppe wühlte in seinem Aktenwust. »Sag mal«, fiel es ihm plötzlich ein, »was ist eigentlich aus deiner Dackelgeschichte geworden?«

»Der Alte hat mir eine Abmahnung geschickt.«

»Das gibt’s doch wohl nicht! Und?«

»Tja, ich war ihm wohl zu renitent. Aber ein guter Freund von mir ist Anwalt. Stasi hatte leider die Fristen nicht eingehalten.« Breitenegger freute sich. »Pech! Hätt’ der eigentlich wissen müssen, wo er doch selbst Jurist ist. Hat ihn bestimmt mächtig gefuchst.«

»Ja, ja, da bleibt einem nur die klammheimliche Freude«, murmelte Heinrichs im Hinausgehen.