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Jemanden zu beschatten und ihm klarzumachen, wo die Musik spielte, hatte Maik Bulkowski als IM-Athlet früh geübt, und so fühlte er sich bei der Sache mit Völlenklee und seiner Tussi zurückversetzt in die guten alten Zeiten. Er seufzte. Wäre sein Staat nicht untergegangen, hätte er heute eine ruhige Kugel schieben können, so aber … Das vereinigte Deutschland war eine einzige Scheiße. In der DDR hätten sich solche Arschlöcher wie dieser Völlenklee nie getraut, Ärzte und andere Bürger zu erpressen, und wenn, dann hätten sie sich am nächsten Tag im Knast wiedergefunden.
Er stieg in seinen Wagen, um Völlenklee und Corinna einen kleinen Hausbesuch abzustatten. Klingeln, sie zur Seite stoßen, wenn sie die Tür aufgemacht hatten, ihnen das zertrümmern, was gerade auf dem Tisch stand, mit dem Feuerzeug schnell etwas anzünden und mit dem Ruf »Letzte Warnung!« wieder raus aus der Wohnung, das war sein Plan.
Als er sich in seinen Sitz fallen lassen wollte, bemerkte er, dass da noch die Tube mit Sekundenkleber lag. Den hatte er sich gestern gekauft, um an seinem Boot etwas zu reparieren, und anschließend vergessen. Er steckte ihn in die Brusttasche seines Hemdes.
Von Kladow in die Dieffenbachstraße waren es an die 30 Kilometer. Eine Strecke. Idiotisch! Hätte dieser Penner nicht wenigstens in Spandau wohnen können! Zuerst musste Bulkowski durch ganz Gatow hindurch, und da war die Straße so schlecht, dass er Angst um seine angeknackste Bandscheibe haben musste. Danach auf der Heerstraße wurde es besser, jedoch war die so lang und öde, dass es ihn ebenso ankotzte. Am Funkturm ging es endlich auf die Stadtautobahn und auf dieser ungefähr 10 Kilometer bis zur Ausfahrt Tempelhofer Damm. Er fuhr weiter bis zur Gneisenaustraße, bog rechts ab und war nach weiteren anderthalb Kilometern endlich am Südstern. Nachdem er sich ein paar Mal verfranzt hatte, rollte er endlich durch die Dieffenbachstraße. Die Parkplatzsuche ersparte er sich. Für die drei Minuten, die er brauchte, um seinen Auftrag zu erfüllen, konnte er es auch riskieren, in zweiter Spur zu halten.
Er sprang aus dem Wagen und lief zur Haustür. Das bevorstehende Spiel Deutschland gegen Portugal hatte die Straße ziemlich leergefegt. Bulkowski konnte es recht sein. Er vergewisserte sich, dass die Namen Völlenklee/Natschinski wirklich auf dem Klingelklavier standen, dachte jedoch nicht daran, auf den weißen Knopf daneben zu drücken, da die beiden den Teufel tun würden und ihn reinlassen. Stattdessen klingelte er irgendwo und sagte, als sich jemand meldete: »Werbung, bitte aufmachen!« Es summte und er konnte die Haustür aufdrücken. Im Flur standen etliche Kinderwagen. Am liebsten hätte er die alle angezündet, um das linke Pack, das hier wohnte, auszuräuchern.
Bulkowski hasste das Treppensteigen. Trotz allen Trainings schnaufte er gehörig, sowie er oben angekommen war. Er musste einen Augenblick warten, bis sich sein Puls normalisiert hatte. Dann lauschte er. Nichts. Wahrscheinlich saßen die beiden in irgendeinem Biergarten, um Fußball zu gucken. Dennoch klingelte er. Einmal, zweimal. Nichts rührte sich. Die blöden Schweine! Er überlegte, was er ihnen als kleines Andenken dalassen konnte, und kam auf seinen Sekundenkleber. Den ins Sicherheitsschloss gespritzt, und es kam Freude auf. Das hatten sie mal bei einem Kumpel gemacht, um dem die Hochzeitsnacht zu vermiesen. Ohne einen Notdienst zu holen, ging da nichts mehr. Nachdem Bulkowski die halbe Tube in Völlenklees Schloss entleert hatte, machte er sich wieder an den Abstieg. Möglicherweise kam ihm Völlenklee noch entgegen. Kam er aber nicht.
Fluchend stieg Bulkowski wieder ins Auto. Jetzt zurück nach Kladow zu fahren, hatte er keine Lust. Er überlegte, während er den Motor startete, wo es die größte Leinwand gab und wo er Deutschland gegen Portugal am besten sehen konnte.
In diesem Augenblick sah er Völlenklee auf seinem Fahrrad in die Dieffenbachstraße einbiegen. Das war seine Chance! Ohne eine Sekunde zu zögern, gab Bulkowski Gas und raste auf den anderen zu.