Rochefort: Memoiren
Sechsunddreißig
Im Stall hatte man mir einen Braunen gegeben, der mehr Lust daran verspürte, sich auf dem Gras des Tower Hill zu wälzen als sonst irgendetwas. Ich lenkte ihn in den Zug des nihonesischen Gesandten und schob mich mitten hinein, als wir die Stadt betraten.
Menschen drängten sich hinter uns auf den Straßen, und eine Reihe von ihnen folgte uns sogar ein Stück. Gildenangehörige oder schlicht Neugierige. Ein paar von Heinrichs Anhängern ließen den Samurai ihr Missfallen hören. »König James' Dämon!«, riefen sie. Als wir vorankamen, sah ich weitere Gesandte auf der Straße, und mein Herz zog sich zusammen, als ich vergeblich nach dem Gesandten Frankreichs suchte.
Dariole funkelte mich an. Sie trug die Kopfbedeckung eines Samurai – was ein Tuch war, das um den Kopf gewickelt und unter dem Kinn befestigt wurde. Die Wangen waren fast völlig davon bedeckt, ebenso wie die Stirn. Es musste schon ein ungewöhnlich cleverer Mann sein, der sie in dieser Verkleidung zusammen mit dem nihonesischen Leinengewand erkannte.
Saburo ritt an der Spitze unseres kleinen Zugs in Begleitung von ein paar Towergardisten, die Sir William Waad Seiner Majestät zur Verfügung gestellt hatte. Hinter Saburo ritt ein Mann im fremden Gewand eines Samurai von fast der gleichen Gestalt wie er: schwerer Leib und breite Schultern.
Niemand würde den König in Kimono und hakama erkennen, zumal auch noch sein Gesicht verhüllt war; soviel war sicher. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Dariole drehte sich im Sattel um. »Schwere Nacht gehabt, Messire?«
Ihr Tonfall war kalt und voller Sarkasmus. Sie hatte die Hand auf dem Wehrgehänge, das sie über der Samuraikleidung trug.
Ich stöhnte. Der Braune versuchte sofort, meine Unaufmerksamkeit auszunutzen, und ich packte die Zügel fester. Besorgnis wuchs in mir, die nichts mit der Wahrscheinlichkeit eines Duells zu tun hatte.
Wäre sie eine andere Frau gewesen, dachte ich, wäre sie eine Hofdame in Röcken gewesen, würde ich verstehen, worin meine Sünde besteht.
Wäre sie eine andere Frau, würde meine unverzeihliche Sünde darin bestehen, vergangene Nacht nicht in ihr Bett gekommen zu sein.
Als ich die Wut auf ihrem Gesicht sah, fragte ich mich: Ist dem wirklich so? Trotz dieser Sache mit Fludd? Und wenn ja, kennt sie sich selbst dann gut genug, um das zu verstehen?
»Ihr hättet Euch vor der Berührung eines Mannes gefürchtet«, sagte ich auf Französisch und so leise wie möglich, »und das im Augenblick mit Recht. Ich hatte Euch nur geängstigt …«
Sie rieb sich mit der Hand über das Leinentuch, welches den unteren Teil ihres Gesichts bedeckte, als wäre es ihr irgendwie unangenehm. Ihre Augen waren vollkommen kalt. »Ich habe keine Angst vor Euch. Unter gar keinen Umständen.«
Ich ballte die Faust. Oh, das hast du aber gut gesagt, Rochefort … Wir erreichten die Schatten von St Paul's und wurden langsamer, als wir in die Fleet Street einbogen, wo es deutlich geschäftiger zuging.
Noch immer auf Französisch und viel zu leise, als dass uns irgendjemand hätte zuhören können, sagte ich: »Darf ich Euch, wenn ich ansonsten nichts zu tun vermag, um Verzeihung bitten?«
Der Blick, den sie mir zuwarf, war offen, selbstbeherrscht und wirkte älter, als man von einer Frau ihres Alters erwarten konnte – doch hatten die meisten Frauen ihres Alters auch nicht bereits ein, zwei Jahre in Paris mit dem Schwert gelebt und ihre Zeit mit Duellen verbracht.
»Messire, wir befinden uns vielleicht nicht mehr in Paris, aber es gibt auch hier eine Gosse, und ehe Ihr Euch verseht, könntet Ihr wieder darin landen.«
Innerlich zuckte ich zusammen, ließ mir nach außen hin jedoch nichts anmerken. Ja, ich habe Recht. Ja, es gibt keine Möglichkeit, wie ich mich bei ihr entschuldigen könnte.
Vor uns wurden die Towergardisten langsamer. Ich erkannte, dass wir uns Middle Temple näherten. Wir waren an unserem Ziel: ›Prinz Heinrichs Raum‹, wie man ihn vor seiner Thronbesteigung genannt hatte. Für gewöhnlich traf sich hier der Rat des Herzogtums Cornwall. Unsere Ankunft bereitete meinem Gespräch mit Mademoiselle Dariole ein Ende. Ich bedauerte das und empfand einen Schmerz, der teils vom Herzen, teils von einem Kater kam.
Das Haus befand sich auf der Südseite der Fleet Street, der Raum des Prinzen im ersten Stock. Von außen sah das Gebäude recht armselig aus, fand ich: schlichtes Eichenfachwerk, Putz und eine Hand voll Schnitzereien. Wir stiegen ab und wurden von Männern in Heinrichs Livree hineingeführt. Oben geleiteten sie uns in einen hell erleuchteten, mit Eiche verkleideten Raum, dessen augenfälligstes Merkmal eine reich verzierte Decke darstellte, in deren Mitte die drei Federn des Prince of Wales sowie die Initialen P und H zu sehen waren. Die Stuckarbeiten waren von einer derartigen Qualität, dass man hätte glauben können, ein Franzose hätte sie in Auftrag gegeben.
In der Mitte des Raums stand ein langer Tisch, der mich auf unangenehme Art an die Festtafel in Wookey erinnerte. Als wir eintraten, erhob sich eine kleine, buckelige Gestalt.
Zwei von Cecils Männern begleiteten uns in den Raum. Den beiden zusätzlichen Ronin schenkten sie keinerlei Aufmerksamkeit … Sie sind an Monsieur Saburo gewöhnt, dachte ich. Und ich bin zur Ablenkung recht nützlich: der berüchtigte Duellant Rochefort …
Ich trat neben den König und Mademoiselle Dariole hinter ihn. So schmerzhaft das Eingeständnis auch war, sie war weit besser in der Lage als er, sich zu verteidigen.
Insgeheim hatte ich damit gerechnet, dass irgendjemand schreien würde, ›Verhaftet den Schwindler!‹, kaum dass wir das Haus betreten hatten – doch niemand war gekommen. Natürlich könnte sich das jederzeit ändern, aber im Augenblick funktionierte Mademoiselle Darioles Maskerade.
Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Ich lächelte spöttisch und wünschte mir, ich hätte mich auch unter einem nihonesischen Gewand verstecken können.
Der kleinwüchsige Robert Cecil nahm Saburos Verbeugung entgegen. Vom Prinzen – oder König – war noch nichts zu sehen. Das überraschte mich nicht. Heinrich überließ es Cecil, uns zunächst einmal auszufragen.
Und wo steckt Doktor Robert Fludd?
Cecil setzte sich gleichzeitig mit dem Samurai. Als ich vortrat und meinen Platz neben dem König und hinter Saburos Stuhl einnahm, kam es zu ein wenig Aufregung zwischen mir und Cecils Gentlemen. Nur war unsere Auseinandersetzung von jener Art, die niemandem auffiel, der nicht schon einmal Leibwächter eines mächtigen Mannes gewesen war. Monsieur Saburo grunzte vor sich hin – in Europa, dachte ich, wäre das ein Lachen gewesen.
»Falls ich die Verhandlungen auf eine eher ungewöhnliche Art eröffnen dürfte …«, bemerkte Robert Cecil trocken. »Warum kommt der Gesandte Japans in Begleitung von Monsieur Rochefort?«
Er sah genauso aus wie damals, als ich ihn auf Heinrichs Zeremonienbarke gesehen hatte: dünn, buckelig, die Augen unnatürlich leuchtend, und seine ganze Haltung sprach von Macht und Selbstvertrauen. Ich verneigte mich, wie es einem Franzosen geziemte, und sammelte rasch meine Gedanken.
»Mylord, weil ich den König seit dem Maskenspiel in Wookey ständig begleitet habe. Ich kann bezeugen, dass er in der Tat kein Schwindler ist.« Ich schaute ihm unverwandt in die Augen. »Ich kann bezeugen, dass es sich in der Tat um James Stuart handelt, erster seines Namens von England und sechster von Schottland, der sich im Tower befestigt hat. Und«, fügte ich hinzu, »es ist der Vater, der dem Sohn große Freude bereiten wird, wenn dieser ihn wieder unter den Lebenden sieht.«
Cecil legte die blassen Fingerspitzen zusammen. »Oder – verzeiht mir, Master Rochefort es handelt sich um einen Schauspieler, der dem verstorbenen König ähnelt, und diese Ähnlichkeit nutzt man nun aus, um einen Aufstand gegen König Heinrich zu entfachen.«
»Der König wird es selbst beweisen, Seso-sama«, warf Saburo höflich ein, »wenn er die Zeit für gekommen hält.«
Ich zuckte mit den Schultern und schaute Cecil weiterhin an. »Sobald Ihr ihn seht, Mylord, ist die Angelegenheit erledigt. Dann kann auch Prinz Heinrichs bedauernswerter Irrtum korrigiert werden, und die weniger besonnenen Ratgeber des jungen Prinzen, wie zum Beispiel Master Fludd, wird man ihrer Posten entbinden und zur Rechenschaft ziehen.«
Cecil legte die Stirn in Falten, und das lange Gesicht nahm einen fast schon traurigen Ausdruck an. »Ihr seid viel zu sehr darin verstrickt, Master Rochefort. Verzeiht mir meine ungewöhnliche Offenheit, aber es gibt ohne Zweifel genügend Katholiken in Frankreich, die Verwirrung in Bezug auf die englische Thronfolge begrüßen würden, besonders wenn die Hugenotten derart in Unordnung sind wie jetzt.«
Irgendetwas ist passiert, dachte ich, und mir zog sich der Magen zusammen. Nur was? Der Herzog, mein Herr …
»Hier steht Ihr nun, und wieder besteht eine Verbindung zwischen Euch und einem toten Monarchen«, bemerkte Cecil in abgehacktem Tonfall und fixierte mich mit seinen dunklen Augen. »Ich warne Euch, Master Rochefort: Sollte ich auch nur den geringsten Hinweis darauf finden, dass Ihr in irgendeiner Weise mit dem Unfall in Verbindung steht, der uns unseres Königs beraubt hat, werde ich Euch die Eingeweide aus dem Leib reißen und Euren Kopf an der London Bridge aufspießen lassen – ob das dem Hof in St Germain nun gefällt oder nicht!«
Unterdrückter Zorn brannte in seiner Stimme. Das und die weißen Flecken auf seinen Wangen hätten mich in Angst versetzt, wäre ich der Mann gewesen, für den er mich hielt.
Da die Dinge jedoch so waren, wie sie waren, war ich sogar zufrieden. Ich blickte jedoch nicht zu James, aus Furcht, er würde unsere Maskerade zu früh auffliegen lassen.
»Seid Ihr katholisch?«, verlangte Cecil zu wissen.
»Was das betrifft, bin ich mit Eurer verstorbenen Königin einer Meinung«, antwortete ich. »Man soll keine Fenster in die Seele eines Menschen öffnen. Die Religion eines Mannes ist seine eigene Angelegenheit, falls er denn überhaupt eine hat. Nach den letzten Kriegen in Frankreich und meiner Zeit in den Niederlanden ist es mir vollkommen egal, wie ein Mann zu seinem Gott betet – oder ob er es überhaupt tut. Mylord, ich bin kein gedungener, katholischer Meuchelmörder. Ich bin nur hier, um Zeugnis über die Identität des lebenden James Stuart abzulegen.«
Cecils Gesichtsausdruck, der sich gerade wieder ein wenig entspannt hatte, verspannte sich kaum merklich. »Wenn ich an Eurer Stelle wäre, Master Rochefort, dann würde ich von diesen Ufern verschwinden, solange es noch möglich ist. König Heinrich wird Männern gegenüber keine Gnade zeigen, die leichtfertig mit der Ehre und dem Namen seines verstorbenen Vaters spielen. Gesandter Saburo, ich bitte Euch um Verzeihung: Das ist eine Angelegenheit, mit der ich Eure Mission nicht unterbrechen sollte.«
Saburo grunzte. »Ich bin nur ein demütiger Hauptmann der ashigaru, Lord Seso. Verzeiht einem alten Soldaten seine Offenheit. Wir müssen nicht darüber reden, ob König Heinrich dieses oder jenes vergeben wird, denn es gibt keinen König Heinrich. König James lebt. Darauf gebe ich Euch mein Wort als Samurai.«
Cecil nickte anerkennend. »Auch wenn es wahr ist, dass es einige Ungereimtheiten in Bezug auf den Tod des letzten Königs gibt …«
»Seht Ihr?« Saburo deutete auf Cecil. »Ihr seid ein Magistrat. Ein Richter. Ihr müsst das Verbrechen untersuchen.«
Der winzige Mann hob die Augenbrauen, und unvorsichtiger, als ich ihn je gesehen hatte, bemerkte er: »Würde ich zum Gefolge des gegenwärtigen König Heinrichs gehören oder auch Lordrichter Coke, dann könnte man so eine Untersuchung wohl in die Wege leiten. Doch so, wie die Dinge im Augenblick stehen – verzeiht mir, Gesandter –, gibt es einen König Heinrich, neunter seines Namens, König von England und Schottland, und ihm schulden wir Treue.«
»Nicht im Gefolge des Königs?« Ich stellte die Frage nur wenige Augenblicke, bevor James Stuart etwas sagen konnte. Aus dem Augenwinkel hatte ich gesehen, wie er bereits den Mund geöffnet hatte. »Dann gehört Ihr nicht zu Heinrichs Ratgebern, Mylord?«
»Der junge König zieht die jungen Männer aus seinem Umfeld vor, was auch nur natürlich ist.« Cecil sprach bewusst zu Saburo, als hätte der Samurai ihm die Frage gestellt. »Es ist durchaus möglich, dass wir demnächst einiges mit dem König von Japan zu besprechen haben. So könnte es nächstes Frühjahr zum Krieg mit Spanien kommen. Aber das ist nicht der Punkt. Man hat mich darüber informiert, dass dieser falsche James aus einem Schauspielhaus in Southwark in den Tower gekommen ist.«
In meinem Kopf fügte sich eines zum anderen, und nun erklärte sich auch ihr Fehlen im Tower. »Das hat Euch Mistress Lanier erzählt, Mylord.«
Wie es aussah, spielte sie noch immer Fludds Spiel.
Cecil schaute zu mir hinauf. Ich vermutete, dass die Ereignisse der vergangenen Woche ihn schwer erschüttert hatten. Er verriet sich dadurch, dass er sich verärgert darüber zeigte, erneut mit dem Spion des Duc de Sully sprechen zu müssen.
»Ich kann Euch einfach nicht verstehen, Master Rochefort. Die Aussage dieser Lanier bestätigt alles, was Ihr mir über die Verschwörung zur Ermordung von König James erzählt habt. Auch sie hat mir erklärt, Master Fludd würde im Hintergrund die Fäden ziehen.«
Ah ja. Es ist selten klug, auf zwei Hochzeiten tanzen zu wollen.
»Habt Ihr ihn verhaftet?«, warf ich ein.
»Wie es scheint, befindet sich Doktor Fludd zurzeit nicht in London.«
Ich schaute nicht zu Dariole. Ich wusste, was sie dachte. Selbst Lord Cecil ist nicht unfehlbar.
Minister Cecil lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Sein Gesicht war kreideweiß. Schlecht gelaunt schnappte er: »Ihr kommt mir mit diesem unsinnigen Schauspielerkönig …«
Saburo hob die Hand und blickte Cecil in die Augen. »Schickt Eure Männer hinaus. Wir wollen vertraulich miteinander reden.«
»Und Eure Männer? Werden sie sich ebenfalls zurückziehen?«
»Sie sprechen kein Englisch«, log Saburo Cecil in gleichmütigem Tonfall ins Gesicht. »Schickt Eure Männer hinaus, Seso-sama.«
Cecil zögerte einen langen Augenblick, doch schließlich hob er die Hand und winkte seinen beiden Männern zu gehen. Die beiden schauten einander an, und der Minister schnappte: »Raus!«
Sie zögerten noch immer, doch dann gingen sie, und die schwere Eichentür schloss sich hinter ihnen.
Das sind Heinrichs Männer, dachte ich. Heinrich traut Cecil nicht. Nun, das ist interessant.
Cecil sprach, bevor Saburo etwas sagen konnte.
»Hört mir zu, Gesandter. Die Aussagen eines Fremden aus Japan, eines französischen Spions und eines weiblichen Stückeschreibers werden nicht ausreichen, einen ehrenhaften englischen Prinzen des Verrats zu überführen.«
In dem sonnendurchfluteten Raum, mit dem Lärm der Menge draußen vor den Glasfenstern im Hintergrund und dem Geruch frischer Farbe von irgendwoher in der Nase blickte ich auf den kleinen, buckeligen Mann in seinem schwarzen Trauergewand hinunter.
»Es könnte aber reichen, um Doktor Fludd zu verurteilen«, sagte ich, »und damit wäre Euer Gnaden einen gefährlichen Verräter los, und der neue König wäre Euch zu Dank verpflichtet.«
Cecil blickte mich hart an. »Ich gehöre einfach nicht dazu. Der Prinz und sein Welpenhofstaat haben mir und dem verstorbenen König stets ablehnend gegenüber gestanden. Er hat Lord Northumberland und Sir Walter aus dem Tower befreit: Sie sind jetzt seine Regierung.«
Saburo legte die Hände auf den Bauch. »Nun da er der König-Kaiser ist, hat er Verurteilte befreit?«
»Er ist der König. Er hat das königliche Siegel.«
Ich spürte, wie James' Schulter neben meinem Arm zitterte. Mit absichtlicher Frechheit bemerkte ich: »Mylord, natürlich habt Ihr dem Prinzen das Siegel seines Vaters gegeben, kaum dass sich die falsche Nachricht über James' Tod verbreitet hat. Das verstehe ich. Die Menschen lieben nun einmal die aufgehende Sonne.«
Cecils Gesicht erstarrte zu einer Maske.
Saburo sagte: »Wäre ich der Ratgeber des schlechten Prinzen, würde ich rebellieren und einen anderen Prinzen auf den Thron setzen. James hat doch noch weitere Söhne, oder? Jüngere Söhne? Stöhne, die sich von einem weisen Ratgeber führen ließen?«
Robert Cecil war sicher versucht gewesen, den zehnjährigen Prinz Charles an die Stelle seines Bruders zu setzen, dachte ich, wenn auch nur in den kurzen Stunden der Dämmerung, da die Sonne sich über den Horizont erhebt.
In verächtlichem Tonfall sagte ich: »Ihr wisst, dass der Prinz versucht hat, seinen Vater zu ermorden. Mylord, Ihr wart in Wookey. Ihr habt gesehen, wie er auf den König eingestochen hat!«
Cecil sagte: »Ich will nichts davon hören.«
Er betonte das nicht sonderlich, doch es war in jedem Winkel des Raums zu hören. Ich sah dunkle Ränder unter seinen Augen, ausgeprägter denn je. Schlaflosigkeit? Sorge? Plant er Rebellion?
Auf wessen Seite stand der Herr Minister?
»Ihr habt gesehen«, wiederholte ich, »dass der Prinz ein junger Mann ist, der keinen Augenblick lang zögert, mit eigenen Händen zu töten. Ihr habt gesehen, dass er einen Vatermord versucht hat. Und wären wir nicht darauf vorbereitet gewesen, wäre ihm das auch gelungen. Ist das die Art von Fürst, der Ihr dienen wollt?«
Ich sprach mit einem gewissen Maß von moralischer Entrüstung in der Hoffnung, dass der Herr Minister zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt war, um die Söhne von Katharina di Medici nicht erwähnte: jene Valois-Könige, denen ein Mann hatte dienen müssen, weil sie legitim gewesen waren.
»Ich werde Euch nicht weiter zuhören, Monsieur.« Robert Cecil schaute mich müde an. Entweder war er krank oder verzweifelt; ansonsten hätte er sich nie so viel von seinen Gedanken anmerken lassen.
Ich zählte die Optionen an den Fingern meiner Hand ab. »Wäre Heinrich weg, könntet Ihr als Regent für Charles auftreten. Die Situation hier in England gleicht der in Frankreich mit Maria di Medici und König Ludwig. Charles ist nur ein Jahr älter als Ludwig. Aber mit Heinrich als König werdet Ihr aus Eurem Amt fliegen, sobald Eure Hilfe in diesen Gesprächen hier nicht mehr vonnöten ist. Heinrich wird seine eigenen Männer an Eure Stelle setzen. Ihr werdet England nicht länger regieren, wie Ihr es unter König James getan habt.«
Cecil errötete. »Der verstorbene König und ich haben zusammengearbeitet! Wir haben uns gemeinsam bemüht, dieses Königreich zu einem wohlhabenden, friedlichen Land zu machen: kein Krieg mit Spanien, kein Krieg mit Frankreich, keiner mit den Niederländern, Frieden für alle! Wir haben wie zwei Zugochsen im Geschirr gearbeitet – wie Euer Duc de Sully und König Heinrich. Und wie hat man James Stuart dafür gedankt? Man hat ihn einen Feigling genannt! Selbst Euer Duc de Sully!«
Robert Cecil atmete in dem darauffolgenden Schweigen tief durch und ballte die kleinen Hände auf dem gewachsten Tisch zu Fäusten.
»Ich werde die Erinnerung an James nicht verraten«, fuhr er schließlich steif fort. »Heinrich ist der legitime Sohn von James und Anne. Glaubt mir: Wenn ich einen Berater an seine Seite stellen könnte, der es vermag, ihn von diesem protestantischen Kreuzzug abzubringen, ich würde es tun! Hätte ich nur noch den Hauch von Einfluss, könnte es in der Zukunft durchaus sein … Und ich hätte wenigstens diesen Robert Fludd zur Strecke bringen können, hättet Ihr Eure Glaubwürdigkeit als Zeuge gegen ihn nicht ruiniert, indem Ihr einen Schauspieler als König nach London gebracht habt! Das ist eine Beleidigung an das Andenken von König James. Es schadet meinen Bemühungen, diesen Parasiten Heinrich wieder zu entfernen. Ihr seid ein Narr, Rochefort!«
Ich verneigte mich. Robert Cecils Stuhl kratzte über die nackten Bodenbretter. Er schlug mit den Händen auf den Tisch und funkelte mich voller Zorn mit seinen dunklen Augen an. »Ich werde Euch hängen und vierteilen lassen, Spion! Ihr hättet ihn retten können. Aus welchem anderen Grund wart Ihr denn bei dem Maskenspiel an seiner Seite? Ihr hättet den König am Leben erhalten sollen! Nicht wegrennen, um Eure eigene Haut zu retten! Wäre ich nicht so dumm gewesen, Euch zu vertrauen, würde James vielleicht noch leben!«
Ebenso laut knurrte ich: »Man könnte sagen, ich hätte Euch eine Chance gegeben, Mylord, nur habt Ihr versagt, sie auszunutzen! Jeder andere Mann hätte schon längst Regent für Prinz Charles sein können – seine verwitwete Mutter ist keine Maria di Medici! Ihr seid Politiker genug, um hier ihre Position einzunehmen!«
»Ich werde mir das nicht länger anhören!«
»Weil ich Eure geheimen Gedanken ausspreche?«
Seine Augen brannten förmlich. Einen Augenblick lang wünschte ich mir trotz seiner winzigen Gestalt, ich hätte die Waffen nicht im Vorraum zurücklassen müssen.
Langsam setzte Robert Cecil sich wieder.
Er sprach mit brüchiger Stimme. »Ihr überschätzt mich, Monsieur Rochefort. Ich bin nicht so clever wie ein Franzose. Solch eines Verrates bin ich nicht fähig.«
Er beugte sich vor. Es war, als wäre außer uns beiden niemand im Raum.
»Ist es das, was dieser Schwindler ist? Einfach nur ein Pfand, das der Erpressung dient? Glaubt Ihr, ich würde Euch und ihn mit einer dicken Börse Gold abfertigen, um Euch loszuwerden? Ist es das?«
Unbekümmert zuckte ich mit den Schultern. »Und falls dem wirklich so sein sollte?«
Der kleine Mann warf mir einen derart verächtlichen Blick zu, dass ich bis zu den Ohren errötete, obwohl ich keinen Grund dazu hatte.
Cecil sagte: »James Stuart und ich haben gemeinsam den Großen Vertrag mit dem Parlament geschlossen. Die entsprechenden Gesetze hätten wir wohl diesen Herbst verabschiedet. Allein das war schon eine äußerst delikate und schwierige Angelegenheit, die mehr wert war, als Ihr auch nur annähernd verstehen könntet. Ich vermag nicht vorauszusehen, was sich nun zwischen Heinrich und dem Unterhaus ergeben wird, aber ich habe Angst um dieses Land. Und Ihr … Ihr habt uns in diese Lage gebracht, weil Ihr geglaubt habt, reich werden zu können, indem Ihr den Mann verratet, den mit Eurem Leben zu beschützen, ich Euch aufgetragen habe!«
Weder Saburo noch Dariole rührten sich; ich glaube, sie wagten kaum zu atmen. Ich fühlte, wie James Stuart neben mir von einem Fuß auf den anderen trat. Nur noch ein wenig Geduld, Sire …
»Ihr seid ein Narr!«, sagte Cecil verbittert.
Er stand auf und humpelte um den Tisch herum, bis er unmittelbar vor mir stand und zu mir hinaufblickte. Unsere unterschiedliche Körpergröße schien ihn nicht im Mindesten zu kümmern.
»Ihr seid ein Spion, ein Meuchelmörder und ein Verräter. Ihr seid ein Narr«, wiederholte Cecil, plötzlich mit müder Stimme. »Aber immerhin werdet Ihr dafür hingerichtet werden. Gott sei mein Zeuge. Ich wünschte, ich hätte Euch bei unserer ersten Begegnung mit dem Schwert niedergestreckt. So bin auch ich ein Narr.« Er wandte sich von mir ab und murmelte geistesabwesend vor sich hin: »Ein Narr. Wie auch König James, der so gestorben ist. Ein Narr.«
Es war, als würde er unbewusst seine Gedanken laut aussprechen. Ich glaube, er wusste tatsächlich nicht, dass er überhaupt gesprochen hatte. Krankheit, Schlaflosigkeit und bittere Sorge, all das hatte Spuren in seinem Gesicht und auf seinem gebeugten Rücken hinterlassen. Ich schickte mich an, mich umzudrehen und zu sagen: Euer Majestät, nun ist die Zeit gekommen.
Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, trat James Stuart hinter Saburo hervor und riss an dem Tuch um sein Gesicht. Robert Cecil blickte verärgert zurück.
»Master Saburo, Euer Mann …«
James riss das letzte Stück Tuch herunter und warf es zu Boden. Dann legte er die Hand auf den zerzausten Bart und trat auf Robert Cecil zu.
Cecil starrte ihn sprachlos an.
Für einen langen Augenblick schauten sie einander nur an: der Schotte in dem fremdländischen Gewand und sein Ratgeber in nüchternem schwarzen Wams und Pluderhose.
Wäre ich so weit gegangen, mir das vorzustellen – wenn ich denn geglaubt hätte, dass wir überhaupt so weit kommen würden, ohne verhaftet zu werden –, hätte ich es als selbstverständlich erachtet, dass ein loyaler Cecil seinem König steif und formell begegnet wäre.
Doch nun brach der kleine Mann in Tränen aus, trat vor und schlang die Arme um den kräftigen Leib des Königs.
Und dieser König James, der so sehr auf seine Würde bedacht war, der stets erwartete, dass man Königen als Göttern auf Erden den gebührenden Respekt zollte – dieser James Stuart schaute nach unten und legte Robert Cecil unbeholfen die Arme um die Schultern.
Cecil weinte so sehr, dass es einem erwachsenen Mann das Herz zerriss.
»Robbie«, sagte James in sanftem Ton. »Robbie, hört auf damit.«