Rochefort: Memoiren
Zweiunddreißig

Die Umstände waren gegen uns. Bei Sonnenaufgang ließ der Wind drastisch nach und nahm an den beiden darauffolgenden Tagen auch nicht mehr zu.

Erst am Vormittag des dritten Tages blähten sich die Segel wieder, und Wellen zogen über das Meer. Ich ging an Deck und lehnte mich an die Reling, um sie zu beobachten. Nach einer Stunde vor der Küste von Kent traf die Martha zufällig auf eine Brigg, die gerade die Themsemündung verlassen hatte. Ich hörte den Engländer Arnott Befehle brüllen, und seine Männer rafften die Segel, um längsseits zu gehen.

Ist das meine Gelegenheit?

Ein Mann schafft sich seine eigenen Gelegenheiten, dachte ich und beobachtete, wie die Martha ein Boot zu Wasser ließ, um zu dem Kauffahrer hinüberzurudern. Kurz darauf kehrte das Boot mit einem Mann an Bord wieder zurück, der deutlich besser gekleidet war als der durchschnittliche Seefahrer. Mit Arnott und James Stuart verschwand er in der Kapitänskajüte. Es dauerte nicht lange, und Mademoiselle Dariole kam wie erwartet heraus, untröstlich darüber, dass man sie hinausgeworfen hatte.

Sie stand an der unteren Reling, zog sich die Wollmütze aus und fuhr sich mit den Fingern durch das kurzgeschorene Haar.

Ich stieg zu ihr hinunter und trat neben sie.

»Bevor wir London erreichen, muss ich noch einmal mit Euch sprechen, Mademoiselle.«

Dariole blickte weiter über das grüne Wasser hinweg zu dem Kauffahrer und streckte die Hand über die Wellen aus, um die Gischt zu fühlen. Sie schwieg – was ich ehrlich gesagt auch nicht anders erwartet hatte.

Holz knarrte, und in der Takelage über uns riefen die Seeleute einander zu. Dariole hob den Blick und gab mir mit einem Wink zu verstehen, dass sie mich durchaus bemerkt hatte. Die Mannschaft der Martha hatte Dariole zunächst für eine Hofblume und den Lustknaben des Königs gehalten. Sie jedoch hatte die Männer rasch eines Besseren belehrt, als sie einen von ihnen die Wanten hinaufgejagt und mit einem Tauende aus dem Krähennest geprügelt hatte. Ich musste jedes Mal lächeln, wenn einer der Männer sie nun respektvoll begrüßte, auch wenn er mehr als doppelt so alt wie sie war.

»Ich verstehe durchaus, dass Ihr mir nichts zu sagen habt.« Ich drehte mich um und lehnte mich mit dem Rücken an die Reling, damit ich ihr Gesicht sehen konnte.

Sie verlor die Fassung. »Ich habe Euch sogar eine ganze Menge zu sagen, Rochefort, aber vertraut mir: Ihr wollt es nicht hören!«

Trotz ihrer glatten Wangen hätte sie gut als ein Junge von etwa zwanzig Jahren durchgehen können. Nur passte das irgendwie nicht zu dem verdreckten Wams und der roten Hose, die eher einem Straßenschläger zu gehören schienen. Zu wissen, dass auch die schmale Hüfte, um die der Schwertgurt geschlungen war, die einer jungen Frau war …

Schließlich drehte sie den Kopf, um mich anzuschauen. Ihre Augen funkelten. »Ihr glaubt, dass Fludd in London ist. Ihr sagt es zwar nicht, aber ich weiß, dass Ihr das denkt. Sein Heinrich IX., sein erster in der Reihe ›ewiger Könige‹, wie Caterina gesagt hat … Er wird dort sein. Und Ihr glaubt, dass ich ihn am Leben lassen würde!«

Frustriert, nachdem ich meinen Gedankenfaden verloren hatte, ließ auch ich meinem Temperament freien Lauf. »Mademoiselle, nicht er hat Euch missbraucht! Warum wollt Ihr nicht seine Diener töten? Eure Chancen stünden besser, Luke und John zu finden, wer von den beiden Euch auch immer …« Ich fand keine Worte dafür, die ihr keinen Schmerz verursacht und meine Wut nicht weiter angefacht hätten. »Ich frage mich, warum Ihr Robert Fludd die Schuld an allem gebt! Er hat sich nur zurückgehalten. Es war sein Mann, der … der Euch verdorben hat …«

Sie stieß sich von der Reling ab. Ihre Augen schimmerten dunkel in ihrem Gesicht, das nun vollkommen bleich war. »›Verdorben‹. Wie ein Stück Fleisch? Ist es das, Messire? Ist es das, was ich bin?«

»Mademoiselle!«, protestierte ich.

Sie drehte sich um und stapfte das Deck hinunter. Ich schaute auf meine Hände hinab. Krampfhaft klammerte ich mich an die Reling.

»Gütiger Gott!«, murmelte ich. Warum kann ich ihr die Dinge nicht so sagen, wie ich sie meine?

Ich fand sie bei einem Laderaum im Bug der Martha. Sie hatte die Beine untergeschlagen und schaute zur Küste von Essex am Horizont, während wir in Richtung Nordwesten fuhren.

Sie hob das Kinn, das auf ihrer Hand gelegen hatte, sagte aber kein Wort.

Der frische Wind wehte mein Haar nach vorn und zerzauste den Federbusch auf meinem Hut – in Bridgwater hatte es genug Läden gegeben, um wieder einen Gentleman aus mir zu machen.

Ich zog den Hut aus und ließ mich vor Dariole auf ein Knie nieder wie zu einer höfischen Verbeugung.

Bevor sie reagieren konnte, packte ich ihren Fuß, beugte mich vor und küsste ihren Stiefel.

»Messire!«

»Es gibt Dinge, die man nicht sagen kann … Man kann sie nur demonstrieren.« Ich blieb knien und blickte zu ihr hinauf. »Ich habe Euch nie als verdorbene Ware betrachtet und werde es auch nie. Ich küsse Eure Hände und Füße und bitte Euch demütig um Vergebung, dass ich das nicht schon sofort gesagt habe.«

Benommen streckte sie den Arm aus. Ich ergriff ihn und küsste ihre nackten, vernarbten Finger.

»Ihr hasst mich dafür, weil ich nicht wünsche, dass Ihr Fludd tötet. Aber, so wahr mir Gott helfe, ich will, dass Ihr ihn tötet! Wenn es doch nur möglich wäre. Ich würde ihn ja selbst töten wollen.«

Ihr Blick wirkte kalt und erwachsen.

Wie unter Zwang schloss sie die Hand um meine.

»Warum?«

Sie implizierte mehr, als sie sagte; so viel wurde mir klar. Entweder zitterte meine Hand oder ihre, ich weiß es nicht mehr. Ich kniete wie der Gentleman, der ich schon seit zwei Jahrzehnten nicht mehr war, und sagte: »Warum ich das sage, anstatt mich an Eurem Leid und Eurer Demütigung zu ergötzen? Warum, obwohl ich Euch in Paris noch habe umbringen wollen? Warum ich mir wünsche, Euch zu helfen, auch wenn ich es nicht kann?«

Dariole presste die Lippen aufeinander. Dann nickte sie. »Ja, eine Antwort auf diese Fragen wäre für den Anfang nicht schlecht.«

Ich versuchte, mir die gewandten Reden ins Gedächtnis zurückzurufen, die mir in den letzten Tagen in den Sinn gekommen waren, doch in diesem Augenblick brachte ich nur ein Seufzen heraus.

»Betrachtet es als Scherz auf meine Kosten«, sagte ich schließlich. »Monsieur Rochefort, der einst Euer Feind war, ist … Er sorgt sich genauso sehr um Euer Wohlergehen wie Ihr selbst. Ihr habt keinerlei Grund, in irgendeiner Weise gut von mir zu denken. Ich bin der Mann, der Euch getötet hätte; aber wenn ich Euch zu Eurer Rache verhelfen könnte, wenn das irgendwie möglich wäre, ich würde es tun. Ob mit meinem Schwert oder meinem Verstand, ich würde alles in meiner Macht Stehende tun, um Euch zu helfen. Glaubt mir.«

Dariole zog ihre Hand zurück und bewegte sich langsam. Sie schwang ihre Beine herum und stieg von der Ladeluke.

Dann beugte sie sich vor und stieß so schnell die Hand in den voluminösen Stoff vorn an meiner Hose, dass ich nicht reagieren konnte.

»Mademoiselle!«, jaulte ich wenig elegant.

Dariole ließ mich wieder los und richtete sich auf.

»Ich hätte schwören können, Ihr hättet nur vor mir gekniet, weil Euch das einen Steifen beschert. Ich hätte nie geglaubt, dass Ihr das, was Ihr gerade gesagt habt, mit ernstem Gesicht über die Lippen bringen würdet. Offenbar habe ich mich in beiden Punkten geirrt.« Mit einer Mischung aus Verwirrung und Frustration schaute sie mir in die Augen.

Ich gab dem Verlangen nach, das mich schon die ganze Fahrt über geplagt hatte, stand auf und legte ihr die Hände auf die Schultern.

Dariole zuckte im selben Augenblick vor mir zurück, stieß gegen die Ladeluke und fiel darauf. Ihre Schwertscheide kratzte über das Holz.

Ich bot ihr die Hand an, um ihr wieder aufzuhelfen.

Sie kroch davon, die Hand am Dolch. Dann kniff sie die Augen zum Schutz vor der Sonne zusammen und schnappte: »Wie könnt Ihr so reden und gleichzeitig von mir verlangen, den Mann nicht zu töten, der mich vergewaltigt hat? Warum?«

Kann ich es dir wirklich nicht sagen?, fragte ich mich, wie ich es mich nun schon seit drei Tagen fragte, jede Nacht, seit die Martha den Hafen verlassen hatte.

Dariole stand auf, kletterte von der Ladeluke wieder aufs Deck zurück und hob das Kinn, um mich von unten anzufunkeln.

»Ihr habt Sully aufgegeben, nicht wahr? Ihr habt beschlossen, stattdessen Jamie Stuart in den Arsch zu kriechen. Ihr wollt Euch bei ihm einschleimen, indem Ihr ihm Fludd in die Hände treibt.«

Es hatte eine Zeit gegeben, da hätten solche Bemerkungen mich erröten lassen. Nun verneigte ich mich nur und zog den Hut wieder auf, obwohl ich innerlich kochte.

Angelegenheiten wie diese hier würden sie in Gefahr bringen, sollte sie davon erfahren. James Stuart würde es sicher geheim halten wollen. Gleiches galt für Maria di Medici, und die Medici war nicht gerade zimperlich, was Mord betraf.

Nein: Wenn dieses Abkommen nur den höchsten Stellen bekannt sein durfte, wenn nur die engsten Berater von James Stuart und der Königin davon wissen durften …

Ich blickte in ihr wütendes Gesicht hinunter.

Wenn einer ein Recht hat, davon zu erfahren, dann du.

»Ich werde es Euch sagen, Mademoiselle«, saget ich und beobachtete, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte.

Wie sich herausstellte, reichten ein paar Worte, um alles zu erklären.

»Sully«, sagte Dariole, nachdem ich geendet hatte, und in diesem einen Wort verbarg sich ein wahres Meer an Bedeutungen, und das nicht nur, weil sie es ohne jegliches Ressentiment ausgesprochen hatte.

Wieder kniff sie die Augen zum Schutz vor der Sonne zusammen, als sie zu mir hinaufblickte. Dann fiel der Schatten eines Segels auf ihr Gesicht.

Unbeholfen sagte ich: »Jetzt versteht Ihr sicherlich, warum ich das tun muss, nicht wahr?«

Dariole hatte die Hand noch immer am Dolch, doch nur, um den Daumen in den Gürtel einhaken zu können. Sie lehnte sich an die Reling, hob die Hand, um die mit Salz verkrustete Takelage zu befühlen, und blickte in den milchig trüben Himmel hinauf.

»Ich verstehe, warum Ihr glaubt, das tun zu müssen.« Unvermittelt drehte sie sich wieder zu mir um. »Ich bin nicht dumm, Messire. Sully ist nun schon seit …« Der Hauch eines Lächelns erschien auf ihrem Gesicht. »Er ist schon länger Euer Gönner und Förderer, als ich lebe.«

Mit dem verächtlichen Blick, den ich ihr zuwarf, hoffte ich, unsere Beziehung wieder ein wenig in die Richtung wie früher zu bringen. Tatsächlich lächelte sie auch, als sie sich von der Reling abstieß und mir weiter ins Gesicht schaute.

»Ich bin nicht dumm. Ihr spielt Sullys Hund … aber ich habe gesehen, wie Ihr für ihn kämpft, Messire. Ich habe gesehen, wie sehr Ihr die Medici für das hasst, was sie getan hat … und deshalb sehe ich auch, warum Ihr das tun wollt.«

Langsam verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. Ich muss gestehen, dass ich mich ein wenig benommen fühlte, als ich so zu ihr hinunterblickte. »Mademoiselle, ich habe nicht angenommen, dass Ihr mich verstehen würdet … Ich dachte, Ihr würdet …«

»Ich glaube, Ihr irrt Euch.« Ihr Tonfall blieb gleichmütig. »Begeht keinen Fehler: Ich glaube, dass Ihr Euch irrt. Ich muss Fludd tot sehen. Das heißt jedoch nicht, dass ich nicht … Ich verstehe das mit Euch und Sully. Wirklich.«

Ihr Blick hatte beinahe etwas Mitfühlendes an sich. Ich bemerkte, dass mein Mund offen stand, und so schloss ich ihn rasch wieder. Das Gefühl, das mich durchströmte, erkannte ich sofort: Scham.

»Mademoiselle, ich entschuldige mich … Ich habe gedacht, Ihr würdet … Ihr würdet deutlich anders reagieren.«

Sie hob die Schultern. »Wir haben noch immer ein Problem, Messire.«

Eine Stimme bellte am Heck.

»Hai! Roshfu-san!«

Ich drehte mich um und sah Tanaka Saburo vor unserer Kabine. Er kam auf uns zu und verneigte sich vor mir und Mademoiselle Dariole.

»Der König hat Neuigkeiten aus Lono-da!«

London. Obwohl ich noch immer verwirrt war, verstand ich ihn. Dariole warf mir einen Blick zu, den ich als reumütige Belustigung deutete.

»Der König-Kaiser hat mit dem Schiffsmeister gesprochen.« Saburo nickte nach Backbord. Ich sah, dass das kleine Boot wieder zu der Brigg fuhr.

Saburo trat zwischen mich und Dariole, die Hände in den Stoffgürtel gesteckt, den er sich mehrfach um den Leib gewickelt hatte. Die nackten Füße standen fest auf den sich bewegenden Planken.

»Ich habe ihm gesagt, wären wir in meinem Land, würden seine Feinde seinen gesamten Clan vernichten bis hin zum kleinsten Kind. Der König-Kaiser hat eine Frau und noch einen Sohn sowie mehrere Töchter. Das Gute ist, dass Furada keine Söhne hat; so kann er den Thron nicht für seinen Clan beanspruchen.«

Zu durchschauen, was in Monsieur Saburos Geist vor sich geht, ist eine Aufgabe für Philosophen!, dachte ich. »Ich glaube nicht, dass Fludd über einen Clan im eigentlichen Sinne verfügt. Northumberland hat seine Brut wie all diese englischen Earls, aber ich halte ihn für Fludds Marionette. Umgekehrt kann ich es mir inzwischen kaum vorstellen.«

»Vielleicht«, erwiderte Saburo abschätzig. »Womöglich glaubt Furada das auch.«

Ich dachte darüber nach, und über die Macht der Edelleute, selbst wenn sie in Ungnade gefallen waren und im Gefängnis saßen.

Der Wind drehte und wehte mir die Gischt ins Gesicht. Der Kauffahrer entfernte sich von uns. Während ich ihn beobachtete, war ich mir gleichzeitig Darioles Nähe bewusst: ihrer Wärme, des Dufts ihres unparfümierten Leibes … unparfümiert wie der eines Mannes, doch so fein und mit der Macht, mich steifer werden zu lassen als ein Schiffsmast, wenn ich eingehender darüber nachdachte.

Das Deck neigte sich, und ein Mann stolperte an mir vorbei und prallte hart genug gegen die Reling, dass er ins Meer zu fallen drohte.

Erschrocken erkannte ich Seine Majestät James Stuart. Ich packte ihn an der Hüfte und hielt ihn fest.

»Rochefort, Mann!«, protestierte er. Er war so erregt, dass ich ihn kaum verstehen konnte.

»Sire?«

James Stuart klemmte seinen ungelenken Leib zwischen mich und die Reling. Er stotterte unverständliches Schottisch. Monsieur Saburo zuckte mit den Schultern, als ich zu ihm blickte, und zeigte mir damit, dass er sich inzwischen zwar einige europäische Gesten angeeignet hatte; ansonsten war er keine große Hilfe.

Die See wurde zunehmend unruhiger, je näher wir dem Land kamen. Ich stand bereit, James am Gürtel oder Kragen zu packen für den Fall, dass er abermals über Bord zu fallen drohte. »Sire?«, wiederholte ich.

Die Schatten der Segel wanderten über uns hinweg, und die Sonne stand auf der anderen Seite, als wir in die Themsemündung einbogen.

Der Schotte war noch immer erregt, sprach aber zunehmend deutlicher. »Sie haben uns gesagt, dass alle Schiffe London verlassen!«

Er stieß mir mit seinem dicken Zeigefinger gegen die Brust, woraufhin ich unwillkürlich zusammenzuckte, da ich mich noch immer nicht von dem Sonnenbrand erholt hatte.

»Sie selbst waren die letzten, die gefahren sind, als der Wind es zuließ! Es gibt nicht einen Mann in der Stadt, mit dem sie Geschäfte machen könnten. Sämtliche Lagerhäuser sind geschlossen, ebenso alle Läden, und die Bürger sind aufs Land geflüchtet!«

James schnappte nach Luft. Ich packte ihn am Ärmel, als das Schiff auf den Wogen schaukelte; Majestätsbeleidigung war einem ertrunkenen Stuartkönig vorzuziehen. Besser wäre gewesen, wenn ich den Kauffahrer befragt hätte – aber ich verfüge nicht über die Autorität des Königs von England.

»Und warum tun sie das?«, verlangte ich zu wissen.

»Die Pest«, antwortete James Stuart knapp. »Der Mann hat Uns erzählt, dass die Pest seit dem zwölften dieses Monats so schlimm wütet wie schon seit Jahren nicht mehr! Der Bürgermeister ist fort, ebenso wie die Stadträte. Selbst die Ärzte sind nicht länger geblieben! Kaum jemand wird dort sein, um die falsche Krönung meines verräterischen Sohnes zu bezeugen außer den Armen in den Vorstädten!«

Zum Schutz vor der Gischt kniff ich die Augen zusammen. »Heinrich ist noch nicht gekrönt?«

James winkte abschätzig ab, als wäre ich ein Schüler, der ihn mit einer trivialen Frage belästigte. »Wir sind der von Gott gesalbte König. Falls Unser Sohn beschließt, sich heute oder morgen darüber hinwegzusetzen, was geht Uns das an? Habt Ihr mir nicht zugehört? Die Pest! Die gesamte Stadt ist verseucht! Unsere Bürger sind auf und davon!«

Saburo wirkte vollkommen teilnahmslos – allerdings war auch nicht ganz klar, wie viel von James' breitem Akzent er verstand. Und Mademoiselle Dariole drehte sich in meine Richtung, die Augen gegen die Sonne fast geschlossen, sodass ich ihren Gesichtsausdruck nicht deuten konnte.

Verwirrt suchte ich nach einer diplomatischen Erwiderung und murmelte: »Sire, je weniger Leute dort sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung …«

»Glaubt Ihr etwa, ich hätte Angst?« Dank seines offensichtlichen Zorns vergaß er sogar den pluralis majestatis. »Ich, der Morays Geisel war, als dieser sich ›Regent von Schottland‹ schimpfte?«

»Sire …«

»Als Kind war ich nichts weiter als ein Spielball der Mächtigen – Beute für jeden Laird, der mich in die Finger bekommen konnte! Ich bin Gefahr gewohnt!« James' Stimme zitterte förmlich vor Wut. »Hört Ihr mich? Sie haben einen Mann zu den Füßen meiner Mutter erschlagen, als sie mit mir im siebten Monat schwanger war. Ihr Rock triefte von seinem Blut, wo er sich an sie geklammert hatte, auf dass sie ihn retten möge. Mein Vater … Mein Vater ist von einer Pulverladung in Kirk O'Fields in den Himmel geschleudert worden, und meiner Mutter hat man die Schuld daran gegeben. Elisabeth, diese Hure, hat sie dafür hinrichten lassen …«

»Eine wahrlich vom Pech verfolgte Familie«, bemerkte ich und brachte James damit wenigstens zum Schweigen. Mademoiselle Dariole schluckte ein Lachen hinunter.

Ich fügte hinzu: »Wenn Ihr keine Angst vor der Pest habt – was wollt Ihr uns dann sagen, Sire?«

Eine graue Linie durchbrach die Meeresoberfläche. Der unbeholfene, fette Mann mittleren Alters deutete auf die Themsemündung. »Dort ist Unser verräterischer Sohn. Man hat Uns erzählt, dass er die Lüge verbreite, Wir seien tot … dass in den Höhlen von Somerset das Wasser gestiegen sei und Unseren Leichnam fortgespült habe.« Er schauderte und blickte mich mit kalten Augen an. »Unser Sohn weiß, dass Hexen einmal versucht haben, Uns und Unsere Anne zu ertränken, als wir mit dem Schiff nach England gefahren sind. Das macht diese Lüge nur umso schmerzhafter.«

In der Tat sah ich weniger Furcht in seinen Augen als vielmehr Kummer. Sanft sagte ich: »Er muss etwas zu Eurem Tod sagen, Sire. Wie sollte er sich sonst zum König krönen lassen?«

James nickte. Er nahm eine schulmeisterliche Haltung an, von der ich wusste, dass sie ihm eine gewisse Sicherheit gab.

»Aye. Dieser Robert Fludd, der ihn verzaubert hat, ist ein zweiter Doktor Dee. Er beherrscht die Hexenkunst und wohl auch die Pest. Er will Unseren Sohn auf dem Thron sehen, damit er das bösartige Kind nach seinem Gutdünken lenken kann. Aber denkt nach, Mann! Wir sind James, König von England und Schottland … doch wer soll das bezeugen? Wer soll sehen, dass Wir noch immer leben? Alle Männer von Bedeutung, alle Edelleute, Bürger … Alle sind sie fort. Wen sollen Wir rufen, um zu bezeugen, dass Wir wieder nach London zurückgekehrt sind?«

Ich sah, wie Saburo das Gesicht verzog und Dariole den Mund öffnete, um König James zu unterbrechen. Ich trat ihr unauffällig auf den Fuß, und sie funkelte mich an – eine Geste, die ich aus irgendeinem Grund als sehr beruhigend empfand.

Der König sagte: »Die Bürger haben sich in ihren Häusern eingeschlossen, wenn sie nicht über genügend Geld verfügen, um davonzulaufen. Wir können nicht aufs Land gehen. Der Mann von dem Schiff hat Uns erzählt, dass man selbst Ritter mit gut gefüllten Börsen mit Piken und Knüppeln von den Toren anderer Städte wegjagt, falls sie aus London kommen. Selbst Edelleute lässt man in den Straßengräben verhungern.«

Er ließ die Schultern hängen. Das Schweigen, das auf seine Worte folgte, wurde nur vom Rauschen des Meeres und dem Knarren der Planken unterbrochen. Der dicke Mann starrte mich an – vermutlich nur, weil ich da war, und nicht, weil er eine Antwort von mir erwartete.

»Niemand kann uns sehen. Niemand wird dort sein, um unsere Rückkehr zu bezeugen! Unser Sohn wird sich krönen lassen, vor der Pest ins Ausland fliehen und nur kurz innehalten, um Uns in aller Stille ermorden zu lassen! Kapitän Arnott muss wenden. Wenn wir in London an Land gehen, sind Wir ein toter Mann.«

»Sire.« Meine Gedanken überschlugen sich. »Befehlt das Schiff nicht von London fort. Lasst uns auf diesem Kurs weiterfahren. Ich glaube, ich habe eine Lösung … Sie ist zwar nicht ohne Risiko, hat aber eine Chance auf Erfolg.«

Saburo grunzte. »Es herrscht Rebellion. Wie könnte da etwas ungefährlich sein?«

James funkelte mich an. »Und, de Rochefort? In welche Gefahr genau wollt Ihr Euren König stürzen?«

Ich verzichtete darauf, ihn darauf hinzuweisen, dass er nicht mein König war. Aber mit ihm als Verbündeten – und Gütiger Gott, mit Maria di Medial – ist er das auf gewisse Art vielleicht doch.

»Man muss Euch außerhalb des Hofes erkennen, Sire. So kann Euch niemand heimlich ein Leid zufügen. Doch Ihr könnt den Bürgermeister nicht alarmieren. Paul's Cross dürfte ebenfalls geschlossen sein. Ich nehme an, in Zeiten der Pest sind auch in London alle öffentlichen Versammlungen verboten, oder?«

James nickte ungeduldig. »Das hat zumindest der Kauffahrer gesagt.«

»Ihr müsst die Menschen aus ihren Häusern holen, damit sie Eure Rückkehr sehen können. Doch wenn die Seuche sich weit genug ausgebreitet hat, werden sie irgendwann vermutlich sogar die Kirchen meiden.«

Ich hob die Hand, um jedweder Unterbrechung zuvorzukommen. Der Gedanke an London, Pest hin oder her, rief mir den Rest von Fludds Plan ins Gedächtnis zurück, und Aemilia Lanier … von da war es nicht mehr weit bis zu einer Schlussfolgerung.

»Sire, ich kann Euch sagen, wo Ihr genügend Menschen finden werdet. Es gibt nur zwei Orte, die dafür in Frage kommen: Der eine ist die Westminster Abtei, wo man Prinz Heinrich krönen wird – und dort, Sire, ist die Wahrscheinlichkeit in der Tat sehr hoch, dass man Euch ermorden wird. Der andere Ort ist das Theater mit Namen ›The Rose‹ … das einzige, das in der Stadt geöffnet haben wird.«

Dariole schlug mit der flachen Hand auf das von der Sonne getrocknete Holz der Reling. Ihr Augen funkelten düster. »Ja!«

James Stuart starrte mich an. »In Southwark?«

Trotz des Gedanken an den unsichtbaren Tod zuckte ich mit den Schultern. »Sire, natürlich besteht dort die Gefahr der Pest. Euer Volk muss sich ihr täglich stellen. Euer Majestät, was bleibt Euch denn für eine andere Wahl? Auf Fludds Befehl wird ›The Rose‹ nicht wie andere Theater schließen. In ›The Rose‹ wird man Die Viper und ihre Brut spielen. Das Stück soll das Volk beruhigen und mit Heinrich IX. versöhnen. Geht dorthin. Zeigt Euch! Sire, das Publikum mag ja arm sein, aber es sind Tausende … und sie werden wissen, dass James Stuart lebt und bei bester Gesundheit ist.«

Dariole schlug die Faust in die flache Hand. »Ja! Euer Majestät, Ihr könnt Euch auf die Bühne stellen und so alle Menschen dort erreichen, und diese werden es weitererzählen … Alleyne hat mir einmal gesagt, Fludd nenne es das ›Theater der Welt‹! Ihr könnt ihnen zeigen, dass Ihr noch lebt. Und Ihr könnt dort auch Prinz Heinrich anklagen!«

»›Prinz Heinrichs bösartige Ratgeber‹«, korrigierte ich sie, bevor James Stuart der Wut freien Lauf lassen konnte, die ich in seinen Augen sah. »Gott weiß, dass die Häuser von Valois und Bearn genug damit zu tun hatten, ihren verlorenen Söhnen zu vergeben; darin habe ich Erfahrung. Prangert die Ratgeber des Prinzen an, die einen unschuldigen Jungen in die Irre geleitet und ihm erzählt haben, sein Vater sei tot …«

»Und dann geht der König nach Whitehall, Vater und Sohn fallen einander in die Arme, und das war's!«, rief Dariole enthusiastisch.

Ich legte ihr die Hand auf die Schulter, um sie zu bremsen … und sofort war sie steif von Kopf bis Fuß.

James Stuart nickte mir knapp zu und schaute mich aufmerksam an.

»Der letzte Teil mit Uns und Unserem Sohn wird nicht leicht sein. Aber was den ersten Teil betrifft … Nun gut, Master de Rochefort. Ja. ›The Rose.‹ In dieser Angelegenheit werden Wir Uns Euch anvertrauen.«