Rochefort: Memoiren
Achtundzwanzig

Clio, die Muse der Geschichtsschreibung, schritt durch die versammelten Tugenden hindurch – triumphierend –, die Hand auf den Arm von James Stuart gelegt, erster seines Namens von England und sechster von Schottland.

Die Laster – besiegt – waren nicht mehr anwesend, zumal sie sich rasch umgezogen hatten, um als Tugenden wieder auf die Bühne zu eilen. Darin unterschied sich die Schauspielerei scheinst gar nicht so sehr vom höfischen Leben.

»Legt nieder den Leichnam des in Verdammnis versunkenen Lasters!«, deklamierte ich. Hinter mir knarrte die Bühnenmaschinerie, um die hölzerne Kulisse so zu verändern, dass eine pastorale Szenerie entstand. Et in Arcadia ego, sinnierte ich.

Clios Stimme trug so weit wie die eines Offiziers im Feld, wenn er Befehle erteilt; das schien mir ein adäquater Ersatz für mein mangelndes, schauspielerisches Talent zu sein. Sicherlich konnte man mich selbst im hintersten Teil der Höhle hören und das trotz der schalldämpfenden Wirkung der niedrigen Decke. Der junge Mann in weißem Satin stand am Kopf der Festtafel auf sein Stichwort hin auf.

»Sehet die Hoffnung und den Sieg der Stuarts!«, fuhr ich fort und fragte mich, wer das wohl geschrieben hatte, und ob ich je die Gelegenheit bekommen würde, mit Madame Lanier ein paar Fragen der poetischen Diktion zu diskutieren.

Die Schauspieler, welche die Tugenden darstellten, traten ans Ufer des kleinen Baches, der durch die Höhle rann. Die Hitze der vielen Fackeln ließ ihre Gewänder schimmern. Mäßigung – der beste und jüngste Sprecher nach der von Übelkeit geplagten Clio und einer jungen Maid sehr ähnlich – rezitierte seine Zeilen und rief Heinrich auf, die hölzerne Bühnenbrücke zu überqueren und sich zu seinem Vater zu gesellen.

Ich kniff die Augen zusammen, um in dem schlechten Licht an den betrunkenen Höflingen vorbeisehen zu können, und tatsächlich entdeckte ich auch ›König James' Dämon‹ am Höhleneingang. Saburo nickte ausdruckslos. Man hätte glauben können, dass der Samurai sich den Hals verrenkt hatte.

Cecils Männer sind auf Position, und James' Männer haben Heinrichs Leibwache übernommen. Das vereinbarte Signal. Kein Geräusch drang zu mir durch, aber bei all den Posaunen und anderen Instrumenten bezweifelte ich auch, dass irgendeiner der Feiernden sich davon hätte stören lassen – einschließlich des jungen Heinrich Stuart.

Kühn überquerte der junge Mann die Brücke – die knarrte –, und das Laternenlicht spiegelte sich auf seinem zurückgekämmten rötlichbraunem Haar. Mäßigung und Gerechtigkeit nahmen ihn an den Händen. Seine Kleidung war einem prachtvollen Theaterkostüm nicht unähnlich: elfenbeinfarbener Kragen, verziert mit silberner Spitze, weiße Seidenstrümpfe und Schuhe mit Rosen auf den Schleifen. Alles in tugendhaften Farben, ganz so, wie Edward Alleyne es demütig vorgeschlagen hatte.

Im Geiste hörte ich Dariole sagen: Wenigstens trägt der Prinz keinen Rock

Sie stand mit den anderen Pagen in einer Ecke. Ich wandte den Blick von ihr ab. Ich durfte keine unnötige Aufmerksamkeit auf sie lenken, zumal sie sich nun, da Heinrich die Bühne betreten hatte, zu Monsieur Saburo gesellen würde.

James' Arm zitterte unter meiner Hand, als die Tugenden einen Tanz mit Heinrich begannen, der ihn schließlich zu uns führen musste.

Und der im Tod enden wird. Mord.

Der König von England und Schottland hatte außer den von mir gemachten keinerlei Vorschläge angenommen, was sein Kostüm betraf. Unter dem Seidenwams wurde seine stämmige Gestalt von einem Kettenhemd geschützt, und sein Kragen verbarg einen Halsschutz, während seine ausladende Pluderhose derart mit Kleie vollgestopft war, dass selbst ein Schwert darin stecken bleiben würde, von Heinrichs Dolch einmal ganz zu schweigen.

»Ihr werdet ihn nicht an mein Gesicht herankommen lassen«, murmelte James. Ich verstärkte den Griff um seinen Arm.

»Euer Majestät muss keine …« Ich ermahnte mich, dass ich hier nicht die gleiche Offenheit walten lassen durfte wie bei meinem Herrn, dem Herzog. »Ihr müsst Euch nicht sorgen.«

Ihr müsst keine Angst haben.

Wenn irgendjemand sich in die Hose pisste, als diese lächerliche Maskerade zu einem Ende kam, dann James von England und Schottland. Messire de Sully hatte ihn einst in Anerkennung seiner Verschlagenheit den weisesten ›Narren der Christenheit‹ genannt; als Soldaten hatte ihn noch niemand bezeichnet.

»Ruhig, Monsieur«, sagte ich in Gedanken versunken wie zu einem Fähnrich, der kurz davor stand, seine erste Schlacht auszufechten. Heinrich umkreiste uns mit den Tugenden … wie Monde, die um die Sonne kreisten, Trabanten in Glanz und Ruhm des Königs. Habt Ihr nicht gesagt, dass Ihr diesen Beweis für den Verrat Eures Sohnes haben wollt?, sprach ich James im Geiste Mut zu. Mein Prinz, macht voran

Prinz Heinrich Stuart tanzte mit den Schauspielern unter der vom Ruß geschwärzten Höhlendecke. Sie folgten den Schritten eines Theatertanzes, der einfach genug gehalten war, dass selbst jemand von königlichem Blut ihn tanzen konnte. Höflinge schoben sich näher heran und drängten sich am Ufer des kleinen Baches.

Einige Männer, zu zweit oder zu dritt, bewegten sich auf die Fackeln zu, bereit, sie auf meinen Befehl hin zu löschen. Vor einer Stunde hatte ich zu Hariot und Heinrich gesagt: »Wir müssen so dunkel sein wie möglich; dann kann ich ungesehen einen Diener in das Kostüm des Prinzen stecken. Sobald Ihr wieder Licht macht, werde ich ihn aus Wut ob seiner schrecklichen Tat niederstechen.«

Und er hat den Köder geschluckt, dachte ich kalt und blickte in Heinrichs Gesicht, als er wieder an mir vorüberging und die Gerechtigkeit an den Mut übergab. Seine Blässe hätte sowohl der Angst als auch der Entschlossenheit entspringen können.

Eine Drehung in meinem eigenen Tanz ließ mich wieder ins Publikum sehen. Jenseits der Festtafel erhaschte ich einen Blick auf Mademoiselle Dariole, die nervös mit Monsieur Saburo redete. Von Robert Fludd war noch nichts zu sehen, obwohl ›König‹ Heinrich ihn hierher gerufen hatte.

Aber er muss doch kommen, um seiner Marionette die Angst zu nehmen, oder? Oder werden wir Robert Fludd schlicht nicht wiedersehen, wenn der Mord scheitert?

Immerhin stehen Saburo und Spofforth mit Licht und Musketen bereit, dachte ich und ließ meinen Blick abermals über den Tisch schweifen. Der Dolch in meinem Rock wirkte bei weitem nicht so beruhigend auf mich, wie ich mir gewünscht hätte.

Ich bemerkte, dass Thomas Hariot nicht länger am Tisch saß.

Mir lief ein Schauder über den Rücken.

Mit absoluter Sicherheit dachte ich: Wir sind verraten worden.

Das Gefühl, eine Verschwörung sei gescheitert, ist unverkennbar, und ich habe gelernt, es nicht zu ignorieren. Unter anderen, aber ähnlich gelagerten Umständen habe ich nur überleben können, weil ich sofort gehandelt habe.

»Euer Majestät.« Ich packte James am Arm. »In einem Augenblick werde ich Euch auffordern zu laufen. Zu der Höhle dort … Seht Ihr? Die zu unserer Rechten? Wenn ich sage ›Lauft!‹, dann lauft, und lasst Euch von niemandem aufhalten, Sire!«

Mit der anderen Hand fasste ich die Kordel, an der der Dolch hing, und zog sie hoch. Das Heft verfing sich im Saum des Reifrocks. Ich riss ihn los und hörte Seidenfäden reißen. James blickte mit großen Augen zu mir hinauf. Seine Lippen schimmerten vor Speichel.

»Mann, Ihr habt gesagt, dass wir hier standhalten würden! Dass wir keinen Grund hätten, uns von der Stelle zu bewegen!«

»Manchmal gebieten die Umstände eben etwas anderes!« Der junge Prinz drehte sich im Tanz zum letzten Mal in Richtung Brücke, und Vernunft und Gerechtigkeit schickten sich an, ihn durch die Reihen der Tänzer zu führen, die sich just in diesem Augenblick aufstellten und Lobeshymnen sangen.

James riss erschrocken die Augen auf. »Ich werde nirgendwo hingehen! Ihr seid hier der Verräter, Mann! Jetzt sehe ich es! Hilfe! Hilfe! Zu Eurem König!«

Er riss den Arm zurück – und bekam ihn zu seiner offenkundigen Überraschung nicht aus meinem Griff. Seine Wachen rannten auf uns zu. Ich hielt den Dolch fest in der anderen Hand und versuchte noch einmal, James Vernunft beizubringen. »Ich will Euch retten, Sire, nicht bedrohen!«

Der fette Mann erstarrte.

Prinz Heinrichs Höflinge warfen ihre Fackeln in den Bach oder löschten sie auf den Felsen. Männer brüllten Befehle. Die Höflinge am Tisch sprangen auf, und als ein feines Tischtuch sich entzündete, schrie eine Frau.

Gerechtigkeit und Vernunft erschienen vor uns und drehten sich in ihren weiten Kostümen so, dass Prinz Heinrich vor dem Publikum verborgen war. Verzweifelt dachte ich: Warum habe ich es ausgerechnet jetzt mit Schauspielern zu tun, deren Leidenschaft für ihre Kunst selbst das Verlangen überwog, die Beine in die Hand zu nehmen und einfach nur loszurennen?

Heinrichs Blick glitt über mich, ohne mich zur Kenntnis zu nehmen, und seine Hand wanderte in das aufgeknöpfte Wams.

Ich lächelte grimmig, als die Mehrzahl der Lichter flackerte und verlosch, Dunkelheit sich in der Höhle ausbreitete und erste Schreie ertönten. Ich packte James mit beiden Händen und riss seinen schweren Leib herum, sodass er hinter mir stand und ich ihn mit meinem Körper vor seinem Sohn abschirmte. Wenn ich einen sechzehn Jahre alten Welpen nicht entwaffnen kann …!

»Heinrich! Kind!« James löste sich aus meinem Griff, als ich mich anschickte, ihn zu verteidigen, und drängte an mir vorbei dem Jungen direkt in den Weg.

Prinz Heinrich stieß hart und brutal zu.

Die Spitze traf James in den Bauch.

Der englische König grunzte und blickte an sich hinunter.

Ich schlug mit dem Knauf meiner Waffe auf Prinz Heinrichs Knöchel, und sofort flog sein Dolch in die Dunkelheit davon. Er rang mit den Händen und starrte mich an; nun schaute er auf den Schauspieler neben seinem Vater …

Ich schlug ihn.

Im Gegensatz zu dem jungen Prinzen kannte ich keine Hemmungen, jemandem ins Gesicht zu schlagen, egal ob nun mit der Faust oder der Klinge. Schließlich war das Gesicht die verwundbarste Stelle. Warum also sollte ich darauf verzichten, dort anzugreifen?

Du darfst den Sohn des englischen Königs nicht töten, ermahnte ich mich selbst in einem Augenblick der Ruhe inmitten all des Chaos. Mein Schlag war nicht hart gewesen; ich hatte keine Knochen unter meiner Faust brechen gespürt. Ich fluchte, als Prinz Heinrich Stuart wie ein Sack nach hinten und in den Bach fiel.

Wahrheit und Mäßigung wichen zurück und kreischten wie die Mädchen, als die sie verkleidet waren. Unser Teil der Höhle war voller dunkler Gestalten, die in der Dunkelheit entweder kämpften oder flohen. Die Vernunft schrie mit der brechenden Stimme eines heranwachsenden Jünglings:

»Er hat den König getötet! Der König ist tot!«

»Der König lebt!«, bellte ich noch lauter. Monsieur Saburo, Monsieur Hauptmann Spofforth, Ihr seid ein wenig spät dran …

James stand einfach nur da, die Hände auf den Bauch gelegt, und starrte mit weit aufgerissenen Augen nach unten. Schweiß lief ihm über die Stirn. Grob riss ich ihn zur Seite und rieb ihm mit der Hand übers Wams. Ich fand kein Blut. Ja! Ein gutes Kettenhemd. Außer einem blauen Fleck wird er keinen Schaden davontragen …

»Lauft, Euer Majestät!« Ich tat mein Bestes, ihn über den felsigen Untergrund in Richtung der Schauspielerhöhlen zu ziehen. Die Knie des Königs gaben nach – offenbar war es ihm unmöglich, die Beine zu bewegen –, und ich trat auf meinen Rocksaum und fluchte.

»Ihr hattet Recht, Sire«, versuchte ich, ihn zu ermutigen. »Euer Sohn konnte Euch nicht ins Gesicht stechen.«

Er sackte zu meinem Füßen zusammen und heulte wie eine Banshee.

»Vermutlich ist das nicht gerade die beste Vorstellung«, sinnierte ich laut. Der Prinz wollte seinen Vater tot sehen und hatte versucht, ihm den Bauch aufzuschlitzen; viel tröstlicher als ein Stoß ins Gesicht war das auch nicht.

Lärm ertönte am Haupteingang. Ich hob den Blick und sah über die Köpfe der anderen hinweg Licht flackern – Musketenläufe waren zu erkennen. Das war Saburo, und er hatte Hilfe mitgebracht.

»Fast aufs Stichwort!« Mit dem Dolch in der Hand bezog ich über James Position. »Saburo! Zu mir! Hauptmann!«

Cecils Männer schwärmten aus. Ich sah, wie zwei von ihnen einen Mann zum Höhlenausgang schleppten, und ich erkannte, die kleine, buckelige Gestalt des Obersten Ministers. In dem Licht, das die Bewaffneten mitgebracht hatten, sah ich, dass die Festtafel umgekippt war. Ein Mann schrie, als Feuer an seinem kurzen Mantel leckte. Alleyne spähte mit großen Augen vom Boden hinauf, während Mademoiselle Dariole durch den Bach platschte und dabei die Höflinge ignorierte, die von Cecils Männern an ihr vorbeigeschleppt wurden. Rapier in der rechten, Dolch in der linken Hand grinste sie wild über das ganze Gesicht.

»Passt auf den König auf!« Ich trat beiseite und steckte den Dolch weg, als der Samurai sich mir mit Dariole näherte. Die beiden drehten sich nach außen, während ich mich niederkniete, um nach James Stuart zu sehen. Nur mit einem Dolch bewaffnet und in einen Rock gekleidet war ich nicht gerade der bestmögliche Leibwächter für den König.

Dariole blickte über die Schulter und grinste breit genug, dass ihre Zähne im Fackellicht funkelten. »Und? Wie ist das? Wir haben gewonnen!«

»Der König lebt.« Ich stand auf. Der Mann zu meinen Füßen war außer im Herzen unverletzt.

Ich konnte Dariole ihren Überschwang nicht übelnehmen. Stattdessen schlug ich unter meinem Rock die Hacken zusammen und verneigte mich vor ihr. »Ohne Zweifel glaubt Ihr, eine entscheidende Rolle dabei gespielt zu haben, nicht wahr?«

»Natürlich habe ich die gespielt. Ihr wisst, dass Ihr es ohne mich nie geschafft hättet!«

Das Geräusch der Verhafteten, die abgeführt wurden, verhallte allmählich, während die Rufe der Schauspieler, die Alleyne anschrien, immer lauter wurden. Noch ein, zwei Augenblicke und Spofforths Männer würden an meiner Seite sein, und gemeinsam würden wir dann den König aus der Höhle und in Sicherheit geleiten können.

Dariole legte eine schier unglaubliche Sorglosigkeit an den Tag, wie sie typisch für einen jungen Mann war. Dennoch schimmerte ihre Stirn im flackernden Licht. War das kalter Schweiß?

Darioles Augen glänzten im Fackellicht. Ich glaubte, eine leichte Röte auf ihren Wangen erkennen zu können.

»Messire«, sagte sie leise, »ich werde Fludd töten … aber jetzt weiß ich noch nicht einmal, wo ich anfangen soll, nach ihm zu suchen. Ich habe nicht so viel Erfahrung wie Ihr. Deshalb frage ich Euch: Gilt Euer Angebot noch? Werdet Ihr mir helfen, ihn zu finden?«

Dass sie mich um Hilfe bittet …!

Meine Gedanken überschlugen sich. Mit dem Tod von Robert Fludd würde ich keinen Grund mehr haben, in England zu bleiben … und Mademoiselle Dariole hätte keinen Grund mehr, etwas mit Monsieur Rochefort zu tun zu haben.

Doch Doktor Fludd zu finden, konnte einige Zeit in Anspruch nehmen …

Warum?, fragte ich mich selbst. Warum suche ich weiterhin Darioles Gesellschaft, obwohl nun die perfekte Gelegenheit gekommen wäre, sie von meiner Gegenwart zu befreien? Ich könnte mein perverses Verlangen zur Seite schieben und einfach gehen, sodass keinerlei Gefahr mehr für sie bestünde. Ich könnte in die Niederlande gehen, nach Italien oder in sonst irgendein Land, von wo aus ich Frankreich beobachten kann. Ich muss Messire de Sully helfen. Dariole könnte ich einfach sagen, sie müsse Fludd allein suchen; die Rache gehört ihr.

»Messire?«

Was auch immer ich sage – wenn ich noch einen Augenblick zögere –, werde ich das Vertrauen in ihren Augen sich rasch in Zorn verwandeln sehen … und sie hätte das Recht dazu.

Aber es würde … es würde mir wehtun, das zu sehen.

Doch es würde ihr auch schaden, weiter in meiner Gesellschaft zu sein. Ich habe schon Grausamkeit und perverse Lust in ihr geweckt.

Wäre ich ein anderer Mann gewesen, ich hätte mir eingestanden, dass ich schlicht Angst hatte.

Ein Flammenstoß brannte sich in mein Blickfeld.

Gleichzeitig knallte ein Musketenschuss in meinen Ohren und löschte jedes andere Geräusch aus.

Ich warf mich zu Boden, fiel dabei auf James Stuart, der gerade aufstehen wollte, und zerbrach das Weidengestell meines Reifrocks.

Mein Leib bedeckte den größten Teil von seinem, und verheddert in meinen Rock blickte ich auf. Einer von Spofforths Männern hat seine Waffe aus Versehen abgefeuert. Dafür werde ich ihm den Kopf abreißen …!

Der Gestank des verbrannten Zunders stach mir in die Nase. Das war nicht nur eine Waffe …

Musketen feuerten.

Flammen sprühten aus Gewehrläufen. Zwanzig in einer abgehakten Salve. Steinsplitter regneten von oben herab, und ich riss Mademoiselle Dariole herunter.

»Was'?«, knurrte sie in einer Mischung aus Wut und Unglauben.

»Bleibt unten!«

»HEINRICH! König Heinrich! Es lebe Heinrich IX.!«

Ich war fast taub, trotzdem hörte ich tiefe Männerstimmen rufen. Weitere Männer rannten herbei. Ich sah ihre Silhouetten am Höhleneingang; Männer mit Musketen.

»Sie werden nicht nach unten feuern, bevor sie nicht ihren ›König‹ haben!«, brüllte ich Dariole ins Ohr und fand gleichzeitig Saburo neben mir. Der Samurai packte James Stuart am anderen Arm. Der Schotte spie und fluchte.

Flammen zuckten vom Eingang in die Höhle hinein. Das kommt zu schnell, als dass der erste Trupp schon wieder nachgeladen haben könnte … Sie haben mehr Männer, als ich gedacht habe: vierzig oder mehr …

Die Höhlendecke explodierte förmlich unter den Einschlägen der Musketenkugeln, und Trümmer regneten auf uns hinab.

Die Männer feuerten abwechselnd. Jetzt ist die Frage: Schaffen wir es, bevor der zweite Trupp feuerbereit ist?

»Hier entlang!«, brüllte ich.

Ich richtete mich auf, raffte meinen Rock zusammen, packte den König, schleifte ihn mit Saburo im Schlepptau vorwärts und ließ mich hinter die erstbeste Deckung fallen, die ich im Fackellicht erkennen konnte: die umgestoßene Festtafel aus schwerer Eiche.

Splitter flogen aus dem Holz, und der Tisch erbebte. Ich hörte die Stimme eines Fremden bellen: »Feuert nach oben!« Ich schaute zurück.

Prinz Heinrich lag halb im Bach; sein Haar trieb auf dem Wasser.

»Haltet den König fest!«

Saburo und Dariole packten James Stuart. Dariole schaute mir amüsiert hinterher. Ich hatte keine Zeit, ihr zu erklären: Wenn wir Heinrich erst einmal haben, können wir ihn als Geisel verwenden.

Doch kaum hatte ich mich auf die Knie gestützt, als ich eine Bewegung hinter mir bemerkte. Ich wirbelte herum und sah eine Gestalt über den Tisch springen.

Hätte ich eine Muskete gehabt, ich hätte Hauptmann Spofforth erschossen.

Gut zwanzig von Cecils Männern folgten ihm, gingen in Deckung und luden ihre Musketen nach. Spofforth fluchte wild. Er hatte den Hut verloren, und sein Schwert war blutverschmiert. Rasch duckte er sich und spähte über die Tischkante hinweg. Es war zu dunkel, um zu sehen, ob Leichen im Eingang lagen, wohin die erste Salve gerichtet worden war.

Das Schreien eines Mannes hallte von den Wänden.

Ich verlangte zu wissen: »Wer sind die?«

Spofforth stieß ein spöttisches Lachen aus. »Die Männer es jungen Prinzen.«

»Seine Leibgarde? Sind die nicht verhaftet?«

»Ja ja, die sind in Gewahrsam. Das da sind Soldaten in den Farben des Prinzen.«

Ich schlug mit der Faust gegen das Holz und schürfte mir die Knöchel auf. »Merde

Wenn Cecil eine ganze Kompanie außerhalb von Wookey hat verstecken können, dann konnte das auch Heinrich Stuart …

… Heinrich Stuart mit dem hellseherischen Rat von Robert Fludd.

Ich kroch auf allen vieren wieder zurück. »Ich werde den Prinzen holen …«

Ich hielt inne.

Zwei Leichen lagen als schwarze Klumpen auf dem ›Bühnenboden‹, und dunkle Flüssigkeit sickerte aus ihnen heraus. Einer der Schauspieler drückte sich in eine kleine Nische an der Höhlenwand; offenbar wagte er es nicht, in Richtung der Umkleidehöhlen zu rennen. Außer ihm war niemand im hinteren Teil der Höhle zu sehen.

Niemand außer Dariole, die bis zu den Knöcheln im Bach stand, Prinz Heinrich mit beiden Händen unter den Armen packte und begann, ihn über die Felsen zu schleifen.

Einige der Fackeln auf der Bühne brannten noch. Sie zeichnet sich deutlich vor ihnen ab, dachte ich kalt und gefasst. Aber sie werden sie wahrscheinlich nicht erschießen … falls sie erkennen, dass das Heinrich Stuart in ihren Armen ist. Falls nicht …

Ich richtete mich auf, wickelte den schweren Rock um meinen Arm und lief geduckt in Richtung Bach.

Der Prinz erholte sich langsam wieder und hatte bereits begonnen, sich gegen die junge Frau zu wehren.

Wenn sie Gelegenheit bekommt, das Schwert zu ziehen, ist er tot!

In derselben Sekunde, da ich sie erreichte, riss Heinrich sich los und taumelte zurück. Ein Mann hinter ihm hob eine Pistole. Der Lauf zielte genau auf meine Brust.

Pistolen sind selbst auf kurze Distanz nicht zuverlässig. Trotzdem packte ich Mademoiselle Dariole am Arm und schleuderte sie durch die Höhle. Sie rutschte über den Felsen, als sie auf ihm aufschlug, und in die Deckung des umgestürzten Tisches.

Der Offizier mit der Pistole packte den wankenden jungen Mann. Er hob die Stimme. »Der Prinz! Der König! König Heinrich ist hier!«

Er riss den Stuart-Prinzen fort, als würde dieser überhaupt nichts wiegen, und richtete eine zweite Pistole auf mich. Zwei weitere Männer rannten herbei. Ziellos abgefeuerte Pistolenkugeln gruben Löcher in den Kalkstein der Wände.

Ich gab Prinz Heinrich auf und sprang wieder in die Deckung des Tisches.

»Verdammter Hurensohn!« Darioles Gesicht war weiß und nass. Sie atmete nun schnell und flach. Ihre Hände bluteten. Sie hatte sie sich aufgeschürft, als ich sie auf die Felsen geworfen hatte.

Im Geiste zählte ich ständig weiter: neunzehn, zwanzig, einundzwanzig …

Mündungsfeuer von einem ganzen Schritt Länge erhellte die Höhle, und in diesem Licht sah ich die Männer im Höhleneingang. Das Knallen der Musketen machte mich taub. Auf dem Schlachtfeld ist eine Salve schon laut. Hier, auf allen Seiten von Wänden umgeben, beraubte der Lärm nicht nur meine Angreifer ihres Gehörs, die Salve erzeugte auch eine Wand aus Rauch zwischen uns.

Gut vierzig Musketenkugeln schlugen in die Festtafel, doch die drei Zoll dicke Eichenplatte hielt dem Angriff stand.

Eine Kugel schrammte an der Kante vorbei und schleuderte Splitter in mein Haar.

»Bei Gott und allen Heiligen! Sollen sie im Höllenfeuer schmoren!«, fluchte Spofforth.

»Habt Ihr eine Pistole übrig?«, fragte ich. »Der Samurai versteht übrigens auch, damit umzugehen.« Irgendjemand warf mir eine Steinschlosspistole zu, und ich lud sie, so schnell ich konnte. »Wie viele sind schon erledigt? Und wie viel Mann habt Ihr?«

»Zwölf oder fünfzehn Mann sind tot oder verwundet.« Spofforth Gesicht war schwarz von Pulver. »Zwanzig stehen noch. Ihr habt nichts von feindlichen Soldaten erwähnt!«

»Bedauerlicherweise habe ich bis jetzt selbst nichts von ihnen gewusst.«

Ich blickte zu König James, der von Monsieur Saburo gehalten wurde. Tränen rannen über James Stuarts schlaffes Gesicht.

Spofforth brüllte: »Erwidert das Feuer!«

Die Musketen seiner Männer hinter dem Tisch spien Feuer und Rauch. Der Rauch hatte sich noch nicht ganz verzogen, als ich mit meinem Zählen bei zwanzig ankam. Der Feind feuerte eine weitere Salve ab. Im selben Augenblick zuckten unsere Männer unwillkürlich zusammen wie ein Schwarm aufgeschreckter Vögel und duckten sich vor den umherfliegenden Splittern.

Abermals schlugen Kugeln in den Tisch, der daraufhin – so schwer er auch war – ins Wanken geriet. Ein Mann schrie, getroffen von einer Kugel, die die Tischplatte an einer dünneren Stelle durchschlagen hatte. Die Männer um ihn herum fluchten und schützten ihre Gesichter mit den Händen.

»Wenn die so weiterfeuern, haben sie den Tisch bald durch.« Spofforth zählte offenbar genauso wie ich. »Sie stecken da oben hinter den Felsen. Schwierig, sonst hätte ich sie schon im Sturm angegriffen.«

»Es könnte durchaus sein, dass Ihr das noch müsst.«

Spofforth schürzte die Lippen und nickte, eine seltsam präzise Geste für einen Ruß geschwärzten und blutverschmierten Mann. »Das habe ich mir schon gedacht. Nun, ich denke, mehr als einer Salve werden wir nicht mehr standhalten. Werdet Ihr Seine Majestät in Sicherheil bringen?«

Ich nickte in Richtung der Höhlen hinter uns. »Ihr solltet Euch besser mit uns zurückfallen lassen, Hauptmann.«

»Ja. Aber ich habe nicht genug Männer für eine überzeugende Salve. Es muss schon ein Angriff sein.«

»Können wir auf Lord Cecil als Retter hoffen?«

Spofforth antwortete in gelassenem Ton: »Ich gehe davon aus, dass sie den Herrn Minister gefangen genommen haben – oder vielleicht sogar getötet, da sie ja wissen, dass er des Königs Mann ist. Sollte er jedoch frei sein, müsste er erst zusätzliche Truppen aus Bristol holen.«

»Dann werde ich König James nach Bristol bringen.«

Ich kannte Spofforth nicht sonderlich gut, aber er warf mir einen derart dankbaren Blick zu, dass ich nicht länger an seiner Absicht zweifelte, den Feind im Sturm angreifen zu wollen.

»Macht Euch zum Aufbruch bereit, Franzmann. Ich muss es machen, solange ich noch genug Männer für einen überzeugenden Angriff habe.«

Im Kopf zählte ich weiter. Noch nicht, noch nicht … Der Geschmack von Pulver und Blei brannte auf meiner Zunge. »Monsieur Saburo, kann der König gehen?«

Das Gesicht des Samurai wirkte ruhig in dem flackernden Licht. »Noch nicht. Ich werde ihn tragen, Roshfu-san.«

»Gut. Macht Euch bereit. Hauptmann, wartet.« Ich duckte mich tiefer in die Deckung des Tisches.

Unter dem Lärm der wild schreienden Männer, der Verwundeten, die nach ihren Müttern riefen, und während ich im Kopf weiterzählte, sagte ich leise: »Dariole?«

Sie saß mit dem Rücken zum Holz inmitten zerrissenen Leinens und zerbrochenen Geschirrs, und ihre Hände zitterten. Im Licht einer der wenigen noch brennenden Fackeln sah ich deutlich ihr Gesicht. Ihre Haut wirkte wie Wachs. So hatte ich sie noch nie in einem Duell gesehen, noch nicht einmal am Strand der Normandie.

Das ist der Schock. Eine Schlacht ist etwas anderes als ein Duell, und das ist ihre erste.

Kaum hörbar flüsterte sie: »Ich glaube, ich habe mir in die Hose gepisst.«

Vorsichtig streckte ich die Hand nach ihr aus und lächelte sie schief an. »Damit seid Ihr dann Mitglied einer uralten und ehrenhaften Bruderschaft geworden. Ich schlage vor, dass Ihr Hauptmann Spofforth nicht eingehender nach dem Zustand seiner Unterwäsche befragt, auch wenn er ein erfahrener Soldat ist – und auch nicht Monsieur Saburo, wo wir schon einmal dabei sind. Ich vermute, dass er sich auf seinem ›Weg des Samurai‹ genauso in die Hose pisst wie wir Europäer …«

Diese Art von lockerem Blödsinn funktionierte, wie sie es meistens tut. In den Niederlanden hatte ich schon viele junge Männer im gleichen Zustand wie Mademoiselle Dariole gesehen. Die Schrecken des Krieges brechen so manchen Stolz.

»Ich habe das Gleiche getan, Mademoiselle, als ich zum ersten Mal Geschützdonner gehört habe – was ziemlich peinlich war, da es sich um unsere Geschütze gehandelt hat.«

Dariole musste unwillkürlich lachen. Zwar sah sie noch immer aus, als müsse sie sich jeden Augenblick übergeben, aber ihr Blick war schon nicht mehr so leer wie noch kurz zuvor.

»Ihr dürft raten, wie alt ich damals war, Mademoiselle …«

»Fünfzehn? Sechzehn?«

»Zweiundzwanzig.«

Wieder lachte sie, diesmal lauter. Dann ergriff sie meine Hand und ließ sich von mir aus der Deckung ziehen.

»Nehmt James!«, befahl ich, blickte nach oben und nickte Spofforth knapp zu.

Ein einzelner Schuss ertönte unmittelbar vor Spofforths erster Salve, und ich hörte einen Mann am Höhleneingang schreien. Dem Geräusch nach zu urteilen, war er in den Bauch getroffen worden. Noch immer in der Hocke, den Rock um meinen Arm geschlungen hustete ich, als Pulverdampf mir im Hals brannte.

»Wenn sie angreifen …«, begann ich und würgte. Der Pulverrauch war so dick, dass das Fackellicht ihn kaum durchdrang, und ich musste die Augen zusammenkneifen, um die Gänge im hinteren Teil der Höhle zu sehen. Und das ist gut so. »Messire Saburo, Mademoiselle Dariole, wir werden den König auf direktem Wege durch die Höhlen hinter uns hinausbringen. Sobald wir losgelaufen sind, dürft Ihr nicht mehr anhalten. Ist das klar?«

»Hai!«

Dariole blickte mich über James' Kopf hinweg kränklich an, nickte aber entschlossen.

Ich steckte Zunder, Pulver und die Pistole in mein Mieder und nickte Spofforth zu. Er streckte die Hand aus. Ich legte den Rock auf den anderen Arm und schüttelte ihm die Hand. Ich bezweifele, dass ich Euch wiedersehen werde, Hauptmann. Fludd wird nicht daran gedacht haben, seinen Männern zu befehlen, Gefangene zu machen.

»Viel Glück, Monsieur.« Ich blickte ihm in die Augen.

»Danke.« Der einfache, zähe Hauptmann grinste. »Und Euch auch viel Glück … ebenso Euch, Madame.«

Der Feind feuerte abermals eine Salve. Die Luft bebte. Splitter flogen durch die Gegend. Der englische Hauptmann stand auf und brüllte durch den Rauch hindurch: »Feuer!« Selbst die wenigen Musketen seiner Männer verursachten einen ohrenbetäubenden Lärm. Ohne zu zögern, sprang Spofforth über den sich auflösenden Tisch. Zwanzig Mann folgten ihm, warfen die abgefeuerten Musketen beiseite und zogen ihre Rapiere.

»Los!«, befahl ich. »Rasch!«

Dariole und Saburo wuchteten James in die Höhe. Ich folgte ihnen und schirmte sie dabei so gut es ging mit meinem Rücken ab. Kampflärm hallte vom Höhleneingang zu uns herüber. Pistolen wurden abgefeuert. Ein Mann heulte wie ein Hund.

Als wir durch den Seitenausgang stürmten, stieß ich mir die Schulter an der Felswand. In dem darauffolgenden Gang übernahm ich die Führung, trat Kisten beiseite, und Mitglieder von Alleynes Schauspieltruppe sprangen mir kreischend aus dem Weg.

»Sagt, dass Ihr nichts gesehen habt!«, bellte ich Alleyne zu – obwohl das vermutlich sinnlos war. In der Garderobe angelangt schnappte ich mir mein sächsisches Rapier und den Dolch und warf Mademoiselle Dariole eine Laterne zu. Anschließend schnallte ich mir den Waffengurt um den Reifrock – ein absurdes Bild – und folgte dann Dariole und dem Samurai. Die Füße des schottischen Königs zwischen ihnen berührten kaum den Boden. Saburo hielt den Mann mit brutaler Kraft, und Dariole rief ihm ermutigend zu.

Der Boden wurde uneben, und immer weniger Stroh fand sich im Gang. Vorsprünge warfen tiefe Schatten. Dann schälte sich plötzlich eine Ziegelwand aus der Dunkelheit.

»Tretet zurück!« Ich ging an den anderen vorbei, raffte meinen Rock und trat zu.

Soldaten mauern nicht so gut wie Handwerker. Die Wand gab nach und brach schließlich zusammen. Ein kalter Wind wehte uns aus der Dunkelheit dahinter entgegen.

»Lasst mich los!«, bellte James Stuart laut genug, um mich zu erschrecken.

»Wir müssen gehen, Euer Majestät.« Ich dachte darüber nach, ihm einen kräftigen Schlag aufs Kinn zu verpassen. Aber dann müssten wir ihn tragen, und bei meinem Glück würde er mir vermutlich noch wegsterben.

James riss die Augen auf. »Heinrich hat auf mich eingestochen! Mein Sohn!«

»Wir müssen gehen!« Dariole trat von einem Fuß auf den anderen und blickte zum König hinauf. »Messire, sagt es ihm! Wir müssen gehen!«

Ich packte den König am Arm und zerrte ihn in die Dunkelheit der Höhle jenseits der Mauer.

Gut eine Viertelstunde später, als kein Geräusch mehr zu hören war, blieb ich sehen. »Sie werden uns folgen … vermutlich tun sie das bereits.«

»Gibt es hier einen Weg hinaus?«, verlangte Saburo zu wissen.

»Ja. Man hat ihn mir gezeigt …« Ich hielt inne.

Caterina hatte ihn mir gezeigt.

Falls Fludd schon davon wusste …

»Wir müssen nachdenken.« Ich stellte meine Laterne auf einen Kalksteinfelsen. Um uns herum erstreckte sich ein Wald aus Stalagmiten. »Einfach fortzurennen, ist nutzlos. Wir müssen nachdenken.«

»Was?«, fragte Dariole ungläubig und zog gedankenverloren ihre Hose zurecht. Ich wusste nicht, ob ich unter den gegebenen Umständen lachen oder weinen sollte.

»Wir müssen akzeptieren, dass Robert Fludd all das berechnet hat«, sagte ich und deutete mit einer weit ausholenden Geste auf die Höhlen, das Lager draußen, Heinrich Stuart und den König neben mir. »Wir müssen akzeptieren, dass er Jahre dafür Zeit gehabt hat. Was schließen wir daraus?«

Die junge Frau schüttelte stumm den Kopf. Saburo und der König starrten mich nur an. Ich sprach zu ihnen allen, aber ich schaute zu Dariole.

»Wenn er berechnet hat, unter welchen Umständen er an sein Ziel gelangt«, sagte ich, »dann hat er auch alle Möglichkeiten errechnet, wie er scheitern könnte. So hat er zum Beispiel mit Sicherheit errechnet, dass Cecil Soldaten hierher bringen würde, sonst wären Heinrichs Männer nicht hier gewesen. Vielleicht sollten sie uns ja nur vertreiben, um James dann hier, in aller Stille umzubringen anstatt auf der Bühne. Ich glaube, dass Fludd alle Möglichkeiten errechnet hat, in die sich die Ereignisse haben entwickeln können, nachdem das Kämpfen erst einmal begonnen hat – das und die genaue Zeitenabfolge der Geschehnisse.«

»Aber du kannst dich entscheiden, einen anderen Weg zu gehen«, sagte eine Stimme aus der Dunkelheit, »und Dariole ist diejenige, welche die Berechnungen des Londoner Meisters zunichte machen kann.«

Saburo grunzte. Dariole wirbelte herum und starrte die alte Frau an, während König James weiterhin gedankenverloren in die Dunkelheit blickte. Als Caterina ins Laternenlicht trat, wanderten ihre dunklen Augen kurz über mein Kleid. Trotzig erwiderte ich ihren Blick.

»Himmel!«, bemerkte sie.

»Suor Caterina.« Ich hatte sie schon fast erwartet, sodass mich ihr Erscheinen nun keineswegs überraschte. Ich nahm an, dass sie sich schon einige Stunden zuvor auf den langen Marsch von Cheddar Gorge hier hinunter gemacht hatte – oder aber sie hatte irgendeinen unglückseligen Soldaten dazu überredet, sie zu sich auf den Sattel zu nehmen.

Dariole wandte sich an die Nonne: »Ihr habt gesagt, dass ich Entscheidungen treffen sollte. Hier bleiben oder gehen. Und ich sage, wir sollten hier raus. Sofort!«

Ich drehte mich um und sah, dass der König zitternd auf seinen Füßen stand; der Samurai stützte ihn nicht länger. »Wir können in der Tat nicht länger in diesen Höhlen bleiben. Darin stimmen wir wohl alle überein.«

Saburo verneigte sich auf eine Art vor James, die einer Mischung aus englischem und nihonesischem Brauch entsprach, in jedem Fall sehr tief. »König-Kaiser, mein daimyo und mein Shogun haben unsere Gesandtschaft hierher geschickt, um mit Euch und niemand anderem Handelsgespräche aufzunehmen. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass Ihr auf dem Thron bleibt. Mein Schwert steht Euch zu Diensten, Herr. Wir müssen fort von hier.«

Ich konnte es ihm nicht verübeln, dass er aus der Situation seinen Vorteil zog. Ich beugte mich vor und sagte Saburo leise ins Ohr:

»Knien, Hände küssen … keine Diskussion.«

Der stämmige, dunkle Mann tat, was ich ihm sagte, und der Stuart-König nickte mehrere Male.

»Ihr dürft Euch wieder erheben.« Er winkte Saburo aufzustehen. »Wir wissen Euer freundliches Angebot durchaus zu schätzen, Master Saburo Tanaka.«

»Hai!«

Das sprach für James, dachte ich. Mon Dieu! … Wäre er zwanzig Jahre jünger und wäre sein Sohn nicht in das Komplott verwickelt gewesen, ich glaube, er hätte das Abenteuer genossen.

»Wir sollten jetzt gehen, Sire«, sagte ich und hob die Hand.

In Höhlen werden Echos verzerrt. Es war unmöglich, die Richtung zu erkennen, doch irgendwo in weiter Ferne wurde eine Muskete abgefeuert.

»Lauft!«

Ich folgte den anderen. Dabei stieß ich immer wieder mit den Ellbogen gegen Felsen, während ich versuchte, ein möglichst schnelles, aber auch sicheres Tempo einzuhalten.

Nicht schnell genug. Aber überall konnten Löcher lauern, Spalten, Kanten, und falls wir uns verlaufen sollten …

Und da waren noch Caterina und James, und die beiden waren nicht gerade jung.

»Suor Caterina!« Ich hielt die Laterne in die Höhe und drängte mich an die Spitze der Gruppe. »Wo entlang? Sind wir noch auf dem richtigen Weg?«

»Ja! Cielo, ja! Lauf weiter, Valentin!«

Das Licht fiel auf den Kalkstein, und ich sah Tierbilder auf den dunklen Höhlenwänden.

Vor uns schimmerte Wasser, still wie Eis.

Ich tauchte meine Hand hinein, tastete nach dem Führungsseil, warf es Saburo und dem König zu und raffte dann meinen Rock bis zur Hüfte. Als Mademoiselle Dariole und Caterina an mir vorübergingen – das Mannweib reichte der alten Italienerin seinen Arm –, blickte ich ein letztes Mal zurück und folgte ihnen dann ins Wasser hinein.

Das Platschen unserer Schritte in dem unterirdischen See oder Fluss durchbrach die uralte Stille. Sollte irgendwo noch geschossen werden, so hörten wir zumindest nichts davon. Als wir das andere Ufer erreichten, hob ich erneut die Laterne, und wir betraten eine lange, niedrige Höhle. Der Ausgang muss irgendwo da vorn sein …

Auf dem steilen Kalksteinhang wurde ich zum ersten Mal seit meinem sechsten Lebensjahr von einer Frau überholt.

Die alte Frau ist in Panik! »Caterina!«

Fluchend kletterte ich ihr hinterher und überließ es dem Rest, mir zu folgen. Ich hielt die Laterne weiterhin hoch, um zu sehen, wo ich hintrat – und ich erkannte, dass die Dunkelheit vor mir kein Felsen war, sondern der Höhlenausgang.

Keuchend erreichte Caterina den Ausgang.

Ein Pistolenlauf erschien an der Felskante und funkelte im Laternenlicht. Irgendjemand drückte ihn der alten Frau gegen die Schläfe.

Flammen und Rauch schossen hervor.

Ein Knall durchbrach die Stille.

Caterinas Gehirn spritzte auf die gegenüberliegende Wand mit einem Geräusch wie Regen, der gegen eine Fensterscheibe prasselt.

Den Bruchteil einer Sekunde lang herrschte vollkommene Stille bis auf das Tropfen von Blut und Gehirnmasse auf den Kalksteinboden.

Ich rannte den Hang hinauf. »Ambuscade

Caterinas Leib fiel zu Boden. Mit dem Schwert in der Hand sprang ich über ihn hinweg.

Mit schierem Glück schlug ich einem zweiten Angreifer schon im ersten Ansturm die Muskete aus der Hand. Ohne dass er Zeit gehabt hätte zu reagieren, rammte ich ihm das Rapier ins Herz.

Er sackte genauso in sich zusammen, wie Caterina es getan hatte.

Seine Muskete verschwand in der Dunkelheit. Die Lunte flackerte und verlosch. Ein paar Grashalme fingen Feuer und verglühten. Ich roch verbranntes Gras, Blut, Exkremente … Tod. Rasch warf ich die Laterne beiseite, sodass sie zerbrach. Brennendes Öl verteilte sich auf den Felsen. Ich riss Spofforths Steinschlosspistole aus dem Mieder. Im Licht des Ölfeuers sah ich sich bewegende Gestalten; ich hatte keine Ahnung wie viele es waren …

Wieder schabte ich mit dem Ellbogen über die Felswand; diesmal absichtlich, um mich zu orientieren, bis ich mich in die schützenden Schatten kauern konnte. Ein hervorstehender Splitter kratzte über meine nackte Schulter, schmerzhaft genug, dass ich wusste, er hatte Blut gefordert. Ich warf mich zur Seite, und der Mann, der mir nachgekommen war, stolperte über mich. Er stieß mein Schwert beiseite, und schon rangen wir miteinander.

Der Neumond kam hinter einer Wolke hervor. Auf einer Seite hörte ich Rufen, und eine Laterne flackerte auf. Ich rollte mit dem Mann im taunassen Dunst über den Boden.

Er packte meine linke Hand, die Hand mit der geladenen Pistole. Natürlich. Dazu ist er ausgebildet worden …

Dann kam mir die Erkenntnis: Die erste Pistole war für mich gedacht gewesen. In der Höhe hätte sie mich ins Herz treffen sollen.

Und dieser Mann hatte mich verfehlt.

Caterina hatte Fludds Plan also bereits durcheinander gebracht … für den Preis ihres Lebens.

Ich schlug dem Mann mit dem Kopf auf die Nase. Sie brach. Ich spürte, wie er die Hand mit der Pistole auf meinen Bauch richten und mich zwingen wollte zu schießen.

Der Nachteil an einer Steinschlosspistole besteht darin, dass das Pulver irgendwie auf der Pfanne bleiben muss. Wenn man sich beispielsweise mit einer Muskete auf dem Boden wälzt, würde das noch lange nicht die Lunte löschen. So aber war das Pulver rasch verloren, und die Waffe würde nicht mehr funktionieren.

Ich rollte mich auf den Rücken und tastete nach meinem Schwert. Der Mann beugte sich vor und grub die Zähne in meinen Hals. Schließlich fand ich mein Schwert.

Der Griff des Mannes um meinen anderen Arm wurde immer stärker, und seine Zähne schlossen sich um meine Luftröhre. Ich konnte den Ellbogen nicht zurückziehen, um mit dem Schwert zuzustoßen.

Aber meinen Unterarm konnte ich noch bewegen.

Ich stieß mein Kinn nach unten, um meinen Hals zu schützen, drehte die Hand und schlug mit dem Heft meines Rapiers zu.

Das Heft des sächsischen Rapiers bestand aus purem Stahl und besaß spitz zulaufende Parierstangen, fünf Zoll scharfes, spitzes Metall.

Ich rammte dem Kerl die Parierstange ins Ohr.

Sein Schrei verstummte, kaum dass er ihn ausgestoßen hatte, und seine Zähne lösten sich von meinem Hals.

Ich drehte die Parierstange in seinem Ohr herum und stieß in den Kopf vor. Der Mann brach tot zusammen.

Ich trat den Leichnam von mir weg und stand auf, behindert von den halb zerfetzten Röcken um meine Beine.

Ein Felsbrocken schlug auf die Erde, und ich hob meine Pistole. Fast hätte ich geschossen … ein Fels so groß wie ein Kürbis, und … Nein. Nun sah ich es im Mondlicht. Das ist kein Fels.

Es war ein abgeschlagener Kopf, aus dem noch immer Blut quoll.

Saburo.

Ich hielt nach dem Samurai Ausschau, suchte nach einem Feind als Ziel für meine Pistole … Ich durfte aus Versehen keinen der unseren treffen.

Die Gestalt eines Mannes klappte nach vorn, als würde er sich verbeugen. Ein weiterer Schatten löste sich von ihm und riss ihm ein Schwert aus dem Bauch. Kurz funkelte das Mondlicht auf der gebogenen Klinge.

»Samurai!« Gewarnt von raschen Schritten hinter mir, wirbelte ich herum und rammte einem dritten Mann das Rapier ins Herz. »›Cecil‹ heißt die Parole!«

»Cecil!« Dariole sprang aus den Schatten neben mich. Sie blickte zu den grasbewachsenen Felsen über uns hinauf. »Sind da noch welche?«

»Bis jetzt nicht.«

»Seso-sama!«

Das war unmissverständlich. Ich grinste, löste mich aus dem Höhleneingang und lief zum Wald hinüber.

Als ich wieder zurückkehrte, empfing Dariole mich mit einem leise gezischten: »Cecil.«

Ich fand sie mit dem Knie auf der Brust eines weiteren Toten. Das Mondlicht spiegelte sich auf den Blutflecken auf seinem Leib. Darioles Gesicht schimmerte weiß. Der Leiche fehlte der Kopf.

»Zwischen den Bäumen stehen fünf Pferde«, berichtete ich. »Haben wir jetzt fünf Tote, oder ist einer entkommen, um Alarm zu schlagen?«

Darioles Wams war nass von Brust bis Bauch. Ihr Dolch tropfte, als sie damit gestikulierte. »Fragt Saburo-san. Er ist derjenige, der hier die Köpfe zählt.«

»Ihr solltet Euch besser nicht mit einem Mann auf einen Ringkampf einlassen«, sagte ich. »Haltet ihn stattdessen mit der Klinge auf Distanz.«

»Was Ihr nicht sagt!«

Sie stand auf. Ihre Bewegungen strahlten eine wilde Entschlossenheit aus.

Nicht mehr als fünf Männer … Das waren kaum mehr als bei einer durchschnittlichen Schlägerei, erkannte ich. Das hat nichts mehr mit Krieg zu tun. Gütiger Gott, dadurch hat sie tatsächlich ihr Selbstvertrauen zurückgewonnen …

»Lebt der König?«

»Er hockt in den Büschen. Saburo-san! Seso!« Ihr Zischen war mir zu laut, und ich winkte ihr, still zu sein. Der Samurai trat ins Mondlicht hinaus, die Schwerter gezückt und schwarz von Blut.

»Haben wir fünf Tote?«, drängte ich ihn.

»Hai!«

Er deutete auf ein paar flache Felsen im hellen Mondlicht. Deutlicher, als man es sehen will, waren dort fünf abgeschlagene Köpfe aufgereiht. Einer hatte stark aus dem Ohr geblutet; das war mein Gegner gewesen.

Dariole gesellte sich wieder zu uns, den Arm bei James Stuart untergehakt. Sie stand rechts von ihm. In der freien Hand hielt sie ihre blutige Klinge. »Ich hörte niemanden mehr. Falls hier mehr Männer als Pferde waren, so ist der Rest verschwunden.«

»Vielleicht sind das ja tatsächlich alle gewesen. Offensichtlich hat Fludd zwar geahnt, dass wir hier entlangkommen könnten, seine Männer aber nur unsere wahrscheinlichen Handlungen auswendig lernen lassen.« Ich ging wieder zum Höhleneingang zurück.

Caterina war so klein im Mondlicht, dass ich fast über sie stolperte, bevor ich sie sah.

Ihr Gesicht war unberührt, wenn auch blutüberströmt. Schläfe und Hinterkopf fehlten größtenteils. Ich zog den Handschuh aus und fühlte ihre rasch abkühlende Haut.

Traurig sagte Dariole hinter mir: »Ich habe sie umgebracht, Messire, nicht wahr? Ich war es, die gesagt hat, wir sollten gehen.«

»Sie wusste es, Mademoiselle.« Ich stand auf. Mir war bewusst, wie hart meine Stimme klang, doch ich konnte nichts dagegen tun. »Denkt nach. Das hat Fludd nicht vorhergesehen. Hätte er es getan, hätte er keine Pistolenkugel an eine alte Frau verschwendet, die man auch so hätte niederringen können. Sie hat das vorausberechnet.«

Ich drehte mich um und blickte zu Dariole, dem Samurai und dem König.

»Sie hat sich an mir vorbeigedrängt«, fuhr ich fort. »Sonst wäre ich als erster draußen gewesen. Die Pistole war für mich bestimmt, und ich denke, der zweite Mann hatte es dann auf Euch abgesehen, Sire. Aber die Pistole war für mich. Sie hat sie auf sich genommen, wohlwissend, dass wir uns so würden befreien können – wir alle.«

Dariole kniete sich neben mich und schloss Caterina die Augen.

Ihre eigenen Augen funkelten im Mondlicht, als sie schließlich wieder zu mir aufblickte. »Messire, wenn Fludd berechnet hat, dass dies hier geschehen könnte … dass Ihr als erster herauskommen würdet, sodass seine Männer erst Euch und dann den König erschießen könnten … Was geschieht jetzt? Was geschieht nun, nachdem Caterina das geändert hat?«