Rochefort: Memoiren
Vierunddreißig

So dringend es auch sein mochte, James wieder auf den Thron zu setzen, für mich war das nur sekundär. Es würde keinen Vertrag geben, keine Rettung für Messire de Sullys Karriere und Leben, wenn es keinen hermeneutischen Mathematiker gab, mit dem man handeln konnte …

Bei meinem Eintreffen hatte der Mob Robert Fludds Haus in Southwark bereits geplündert.

Die englischen Bürgermilizen sammelten sich auf den Straßen. Ich musste mir einen Weg durch Männer mit antiken Brustplatten aus mittelalterlichen Kriegen kämpfen, Männer in Kettenhemden, die in irgendeiner Rüstkammer die Jahrhunderte überdauert hatten, und ich sah mehr Piken als Musketen.

Das Gartentor in der Tooley Street war aufgebrochen worden, die Torflügel hingen schief an den Scharnieren. Die Sonnenuhr war umgestoßen. Aus jedem Fenster hingen Trümmer, und Bücher lagen zerrissen und zertrampelt auf der Straße.

Der Geruch der Kamillenblüten stieg mir in die Nase. Auch sie waren niedergetrampelt worden, zerstört von den Leuten von Southwark, die Freude an derartigen Verwüstungen fanden.

Auf wessen Befehl hin haben sie das getan? Allein sind sie bestimmt nicht auf die Idee gekommen.

Die Hälfte der Bücher war verschwunden – Seite für Seite herausgerissen und unter dem Mob verteilt.

Es war äußerst unwahrscheinlich, dass er hierher zurückkehren würde, und offenbar hatte er das auch nicht getan. Aber …

»Messire.«

Das war ihre Stimme.

Dariole kam aus dem zerstörten Erdgeschoss des Hauses. Ich spähte hinein, trat ein und hielt dabei vorsichtig nach zerbrochenen Bodenbrettern Ausschau. »Ist das Euer Werk?«

»Ich bin durch die Tavernen gezogen und hab den Leuten dort gesagt, hier könnten sie einen Diener des Earl of Northumberland finden. Und ich habe ihnen auch von Hariot, Hues und Warner erzählt. Allerdings weiß ich nicht, wo die wohnen«, fügte Dariole hinzu. »Sie wollten Beweise für schwarze Magie sehen.«

Ich hockte mich neben den Kamin. Vorsichtig zog ich ein halb verbranntes Stück Papier heraus. Irgendetwas stand in Fludds seltsamen, mathematischen Symbolen darauf geschrieben. Ich konnte es nicht lesen, und es zerfiel in meinen Händen.

»Ich nehme an, er wusste, dass das geschehen würde.« Dariole nickte in Richtung der Bücher, die verstreut im Garten lagen. »In ihnen findet sich gar nichts Geschriebenes – jedenfalls nichts in seiner Handschrift wie das, was Ihr da in der Hand habt. Das war schon verbrannt, lange bevor wir hierher gekommen sind.«

Ich wusste nicht recht, ob ich wütend war, oder einfach nur erstaunt. Ich stand wieder auf und sagte: »Ihr seid also wirklich dafür verantwortlich. Warum?«

Dariole hatte die Finger in den Wehrgurt geschoben, als traue sie dem Mob nicht, obwohl dieser schon längst weitergezogen war. Ich zog ihre Hand aus dem Gürtel.

Sie wich zurück.

»Ich dachte …« Sie neigte den Kopf zur Seite und blickte zu mir hinauf. »Ich dachte, ich stelle sicher, dass Fludd hier nichts mehr hat, wohin es sich lohnt zurückzukehren. Aber wie auch immer, alles Wichtige ist sowieso weg.«

Das Sonnenlicht, das durch die zerbrochenen Fenster fiel, ließ mich deutlich ihr mit Asche verschmiertes Gesicht erkennen.

»Ich dachte, ich könnte ihm irgendwie wehtun.«

»Mademoiselle …«

»Und wisst Ihr was?« Dariole wischte sich mit der Hand über den Mund. »Das ist einfach nur … armselig. Sinnlos. Ihn muss ich …«

Sie bahnte sich einen Weg zwischen dem zerstörten Mobiliar hindurch zur Tür.

Meine Stiefel traten auf Glas, als ich ihr folgte.

»Und erzählt mir nichts von Rache. Ihr habt verdammt lange versucht, mich umzubringen, schon vergessen, Rochefort?«

»Ich bin nicht gerade das beste Vorbild für Euch.«

Sie zuckte mit den Schultern. Draußen im Garten sah ich im Licht der Sonne, dass ein Mann, der im Gegensatz zum Rest des Mobs offenbar des Schreibens mächtig war, ›Hexer‹ auf das Podest der Sonnenuhr geschmiert hatte. Ich blieb nicht stehen, um nachzusehen, was er als Schreibmaterial verwendet hatte. Man läuft leicht Gefahr, die Wut des Mobs zu erregen – viele Gruppierungen in Paris konnten ein Lied davon singen.

Dariole stapfte über die gesammelten Weisheiten von Paracelsus, Bruno und Dee hinweg, und vereinzelt blieben Seiten an ihren Stiefeln kleben. Im Kies streifte sie sie ab. Ich trat die zerbrochenen Überreste des Eichentors beiseite. Kurz darauf gesellte sich Dariole auf der Straße zu mir.

»Was er Euch angetan hat«, sagte ich leise, »lässt sich mit nichts vergleichen. Mademoiselle, Ihr wisst, wenn ich ihn Euch übergeben und ihn für die Königin aufheben könnte, ich würde es tun!«

Ihre Lippen bewegten sich, und auch wenn es klein, unsicher und reumütig war, es war zumindest ein Lächeln.

»Ihr wisst nicht, wie das ist, Messire.« Sie schaute zu mir hinauf. »Wir sollten jetzt besser gehen. Sie brauchen Euch für den Marsch zum Whitehall-Palast. Dann werden wir ja sehen, wie viel Unterstützung Prinz Heinrich hat, wenn sein Vater über die Straße geritten kommt. Der alte Mann tut mir allerdings auch ein wenig Leid – dieses Schwein von Sohn wird er behalten.«

Als wir die Menge wieder erreichten, war die Luft von Geschrei erfüllt. Kinder rannten umher, während sich immer mehr Milizionäre in den Straßen sammelten. Schließlich erreichten wir ›The Rose‹, und ich sprach laut aus, was ich dachte: »Heute ist jeder Ladenbesitzer, der irgendwann mal mit einer Pike geübt hat, auf der Straße und glaubt, in einen richtigen Krieg zu ziehen.«

»Catso!« Dariole grinste schief. »Ich hoffe nicht! Schaut mal dort drüben …«

Ein Trupp, der sich unter einer Standarte versammelt hatte, trug nicht eine einzige Pike oder Muskete. Was die Männer in den Händen hielten, waren walisische Langbögen.

»Gütiger Gott im Himmel!«

»Da habt Ihr wohl Recht«, sagte Dariole plötzlich wieder ernst. »Wenn diese Leute sterben, dann ist Fludd auch daran schuld.«

Als wir das Theatertor erreichten, wurde ein Lied angestimmt. Alleyne stand auf einem Podest am Tor und dirigierte James' lautstärkste Sympathisanten in einem Choral, dessen Worte ich nicht verstehen konnte. Doch ich nahm an, das Lied sollte die Moral heben. Saburos Gewand machte es mir leicht, ihn in der Menge zu entdecken. Er stand neben einem grauen Pferd aus irgendeinem Stall in Southwark. James Stuart ließ sich von einem halben Dutzend Händen in den Sattel helfen.

Ich nahm den Zügel von dem Samurai entgegen, zog den Hut ab und verneigte mich vor Seiner Majestät. »Über die London Bridge, Sire, und dann nach Whitehall?«

Das war eine rhetorische Frage. Einen Augenblick später dachte ich: Warum habe ich bis jetzt eigentlich noch nicht gelernt, dass man Machtmenschen keine solche Gelegenheiten gibt?

»Nicht nach Whitehall!«, erwiderte James Stuart mit fester Stimme. Er deutete mit dem Finger auf mich. »Habt Ihr die Nachrichten denn noch nicht gehört?«

»Was für Nachrichten, Sire?«

Er schnipste mit den fetten Fingern. »Bringt den Boten!«

Alleyne, der unter all seinem Speck recht kräftig war, sprang vom Podium, packte einen dürren Pagen am Kragen und zerrte ihn zu uns. Der junge Mann war in dem Alter, da Hände, Füße und Nase zu groß für den Rest des Körpers sind, und er wurde abwechselnd rot und weiß ob der Behandlung, die ihm widerfuhr.

»Feiglinge!« Der Junge weinte fast vor Zorn. Ich packte ihn am Kinn und drehte seinen Kopf in meine Richtung, um ihn zu mustern. Sein Gesicht war voller Wut. Die Farben seiner Livree waren die von Robert Cecil, Earl of Salisbury.

»Was für Nachrichten verbreitest du?«, verlangte ich zu wissen.

»Uns werdet Ihr nicht täuschen! Die Lords in Whitehall schicken jeden Soldaten los, den sie haben!«

Vom Sattel hinab bemerkte James Stuart: »Offensichtlich lebt Robert Cecil noch, Master de Rochefort. Der Herr Minister hat eine Proklamation verfasst, die in jeder Stadtgemeinde verlesen werden soll.«

Der Page riss sein Kinn aus meinem Griff. Mit brechender Stimme sagte er: »Lord Cecil warnt alle Einwohner, sich vor Euch Verschwörern zu hüten! König James ist tot. Gott schenke seiner Seele Frieden. Und dieser Mann ist einfach nur ein Schauspieler, ein Schwindler!«

Neben mir murmelte Dariole gerade leise genug, dass James sie im Sattel nicht hören konnte: »Glaubt der Herr Minister nun, dass sein König tot ist, oder sitzt er jetzt schon beim neuen feist drin?«

»Euer Majestät darf sich davon nicht abschrecken lassen«, drängte ich James. »Die tapferen Untertanen Eurer Majestät sind auf Eurer Seite …«, auch wenn sie mit ihren Waffen noch nicht einmal eine Katze ängstigen könnten. »Und ich bin sicher, dass die Truppen in Whitehall niemals auf ihren König feuern werden.«

»Aye, aber wer ist der König hier?«, verlangte James zu wissen. »Ein Schwindler, Master de Rochefort. Sie nennen Uns einen Schauspieler! Dieser verdammte Robert Cecil und Unser Sohn … Ihre Soldaten werden den Schwindler niederschießen, und dann wird man Uns irgendwo verscharren!«

Das königliche ›Wir‹ hätte man in diesem Fall auch durch ein ganz profanes ›uns‹ ersetzen können, sinnierte ich. Es bedurfte nur eines Mannes, der gewillt war, die Befehle zu befolgen und die Waffe auf seinen König zu richten …

Über den Lärm einiger Trompeten hinweg, die ein paar Miliztrupps offenbar zu dieser Heerschau mitgebracht hatten, sagte ich: »Euer Majestät ist sehr weise.«

»Aye. Das wissen Wir. Aber was nun, Master de Rochefort?«

Saburo stieß ein Grunzen aus und bot an: »Nehmt Euch eine Burg in einem anderen Teil des Landes. Sammelt eine Armee um Euch, kommt zurück, und führt eine Schlacht. Nehmt die Hauptstadt mit Waffengewalt ein.«

Ich suchte nach Dariole. Sie schaute sich die Bewaffneten an. Ich sah, wie sie bemerkte, dass wir alle drei sie anblickten: Spion, Samurai und König.

»Und Eure Empfehlung, Mademoiselle?«, drängte ich sie. »Wie Caterina gesagt hat, seid Ihr die Unberechenbare unter uns.«

Kurz presste sie die Lippen fest aufeinander. »Sagt mir, Messire: Wenn Ihr an Heinrichs Stelle wärt, in Whitehall, würdet Ihr den König töten?«

Ich spürte, wie ich puterrot anlief. James warf mir einen Blick zu, der mir verriet, dass Cecil ihm gegenüber zumindest angedeutet hatte, dass ich etwas mit der Ermordung des Königs von Frankreich zu tun haben könnte.

»Was das betrifft … Ich muss zugeben, das wäre möglich. Und nicht nur durch die Hand des Prinzen.«

James Stuart nickte. »Cecil. Und Northumberland. Wie viele dieser Männer, glaubt Ihr, hat er um sich? Und Unser Prince of Wales. Er ist gerissen«, James Stuart seufzte, »Unser ältester Sohn. Für meinen Geschmack kommt er ein wenig zu sehr nach seinem Großvater. Wir glauben, wenn er Cecil hinter sich hat, werden Wir die Stufen des Palastes nicht lebend erreichen. Welchen Tag haben wir heute, Monsieur?«

Nach kurzem Nachdenken antwortete ich: »Den 20. Juli, Sire.«

»Die Proklamation soll heute verbreitet werden.« Der König schaute sich um, und Falten zeigten sich auf seinem Gesicht. »Und nächsten Monat um diese Zeit werden diese Männer hier in einem protestantischen Kreuzzug gegen Spanien ziehen.«

Dariole deutete auf die Männer mit den Langbögen. »Aber nicht so!«

»Ihr habt uns noch nicht gesagt, was Ihr tun würdet«, ermahnte ich sie. »Erinnert Euch daran, was Suor Caterina gesagt hat. Was ist hier das Unwahrscheinlichste?«

Widerwillig antwortete Dariole: »Alles mit Ausnahme von Whitehall, nehme ich an. Euer Majestät, als in Paris ein König ermordet worden ist … bin ich gegangen. Ich weiß nicht, was die getan haben, die dort geblieben sind. Messire, was ist mit Eurem Herzog? Was hat er getan?«

Langsam fügte sich in meinem Kopf alles zusammen.

»Die Bastille«, sagte ich.

Dariole nickte. Der Samurai und der König wirkten verwirrt.

»Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit, dass Eure Milizen besser bewaffnet werden, Sire.« Ich blickte zu James. »Nach dem Tod des Königs hat Seine Gnaden, der Duc de Sully, sich in die Bastille zurückgezogen. Wir benötigen einen uneinnehmbaren Ort, der uns überdies – und wichtiger noch – Zugang zu Waffen verschafft. Sire, gibt es irgendein Gebäude in London, das sowohl Burg als auch Waffenkammer ist?«

Saburo grunzte laut und zufrieden. James blickte zuerst zu ihm und dann zu mir. »Sprecht Ihr vom Tower? Aye. Aye … Aber nehmen wir einmal an, sie lassen uns nicht herein?«

»Dort dürften nicht allzu viele Soldaten sein.« Dariole zuckte mit den Schultern, als der König zu ihr schaute. »Dieser Earl, dieser Northumberland, wird nicht mehr dort sein. Gleiches gilt für alle Eure Gefangenen, Euer Majestät. Wachen wären dementsprechend auch kaum welche übrig.«

Und in dem Fall hätten sie wohl auch die Waffenkammer leergeräumt … aber die Mauern sind in der Tat unbezwingbar.

»Master de Rochefort?«

Ich schaute mich um und lächelte grimmig. Gut viertausend Mann befanden sich in den Straßen, dazu noch einmal die gleiche Anzahl an Frauen und Anhang. Hätte ich eine Kompanie Musketiere gehabt, ich hätte dafür garantiert, dass sie bei der ersten Salve auseinander laufen würden.

Aber entweder das oder Whitehall … und ich halte Prinz Heinrich für schlau genug, dass sein Vater auch tot bleibt. Er hätte mit Sicherheit keine Skrupel, den ›Betrüger‹ zu erschießen.

Wie es aussieht, wird es doch nicht so einfach, Robert Fludd gefangen zu nehmen.

»Euer Majestät«, sagte ich, »lasst uns den Tower einnehmen.«

Es heißt, als der Earl of Essex sich gegen die Königin erhoben hat, sei er durch London marschiert und hätte die Bürger aufgefordert, ihn zu unterstützen. Als die Türen bei seinem Kommen verriegelt wurden, hatte er keine Unterstützung mehr; am Abend waren ihm dann nur noch sechs Mann geblieben.

Als nun James Stuart an den Häusern vorbeiritt, wurden erst die Fenster und dann die Türen aufgeworfen, und die Bürger jeder einzelnen Gemeinde jubelten ihm zu.

Sie werden sich noch an seine triumphalen Prozessionen durch diese Straßen erinnern, dachte ich. Sie erkennen ihren König am Gesicht.

Als wir die London Bridge überquerten, schätzte ich unsere Gefolgschaft auf acht-, zehntausend Mann. Ich ging neben James, Saburo und Dariole hinter uns. Jenseits der Brücke wandten wir uns nach Westen in Richtung Tower Hill und der riesigen Burg hinter dem stinkenden, verschlammten Graben.

Wächter spähten zwischen den Zinnen hindurch, als der Mob sich dem Tower näherte. Ich schaute zu Dariole. Wenn sie nach Whitehall um Hilfe schicken. Wenn Cecil oder Heinrich Musketiere schicken, um die Straßen mit ein paar Salven leer zu fegen …

Vor dem Mitteltor, dort wo der Graben in die Themse mündet, blieb James Stuart stehen. Ich ließ das Zaumzeug los und trat zurück.

Ein gut gekleideter, älterer Mann in Schwarz – Sir William Waad, nahm ich an – trat zwischen den Wächtern hervor, nahm den Hut ab und fiel auf die Knie.

»Nehmt dies, Sire, und erweist uns Eure Gnade!« Der Mann hielt eiserne Schlüssel in die Höhe. Seine frische Stimme trug vermutlich deutlich weiter als nur bis zu den ersten Reihen unserer ›Armee‹, und die Menschen schwiegen, um ihm zuzuhören. »Wir haben Euer Majestät für tot gehalten. Doch nun sehen wir, dass Ihr lebt, und wir danken Gott dafür! Sire, kommt herein, und nehmt Euch, was Euch gehört.«

»Erhebt Euch, Lord Lieutenant des Towers.« James sprach mit kräftiger Stimme; der Erfolg brachte das Beste in ihm zum Vorschein. Er winkte dem Mann aufzustehen, ergriff die leicht schmuddelige Hand, die der ihm reichte, und fügte fast beiläufig hinzu: »Führt diese Milizen in den Tower, und bewaffnet sie. Sie sind unsere Verteidigung gegen die Gefahr, die uns durch Verrat droht.«

»Jawohl, Euer Majestät!«

Der Schatten des Torbogens fühlte sich angenehm an, als ich darunter herging. Der Hufschlag von James' Pferd hallte von den Mauern wider. Dann trabte es über die Zugbrücke, und die Sonne strahlte wieder hell. Hinter uns waren die Stimmen der Miliz zu hören.

Einmal am Torturm vorbei und innerhalb der Mauern gestattete James Stuart, dass man ihm aus dem Sattel half. Er legte die Hand auf Monsieur Saburos Schulter, aber ob nun in Freundschaft oder zum Schutz, das vermochte ich nicht zu sagen.

»Richtet die Geschütze auf den Mauern aus, Lieutenant«, befahl er. »Sie sollen die Straßen von Westminster und Whitehall abdecken sowie jegliche Annäherung vom Fluss her verhindern.«

»Alles soll so geschehen, wie Eure Majestät befiehlt.« William Waad, ein Mann mittleren Alters, der an den Schläfen bereits ergraute, sank wieder auf die Knie. Dass er nun erst einmal seine wohlverdiente Ernte einfuhr, konnte ich ihm nicht zum Vorwurf machen. Nicht mehr lange, und viele Männer werden sich wünschen, dort zu sein, wo er jetzt ist.

Der Himmel war strahlendblau. Möwen kreischten über dem Fluss. Der Schatten der tausend Jahre alten Steinmauern war kalt, eine willkommene Abwechslung in dieser Hitze. Ich fühlte die Stärke dieser Mauern – wie ohne Zweifel auch viele der Männer, die uns durchs Tor folgten.

»Ihr dürft Uns jetzt in angemessene Quartiere führen«, sagte James zu dem Lieutenant des Towers. »Sind diese üblen Gestalten, Raleigh und Northumberland, noch hier?«

»Nein, Sire, der König … der Prinz, meine ich … hat Befehl zu ihrer Freilassung erteilt. Der Befehl war mit dem königlichen Siegel versehen, Euer Majestät. Ich dachte …«

»Ja ja ja, kümmert Euch nicht weiter darum.« James wischte die Rechtfertigungen des Lieutenant beiseite, woraufhin Waad (inzwischen weiß geworden, weil er so rasch vom Helden zum Verräter geworden war) erleichtert seufzte.

Saburo atmete tief durch, rollte mit den Schultern und verschaffte sich so ein wenig Platz in der Menge. Dann fiel er auf die Knie, drückte vor James die Stirn in den Staub und setzte sich dann auf die Fersen.

»Es darf hier nicht zum Schusswechsel kommen. Das ist nicht gut. Iago-sama, ich bin der Gesandte Nihons. Ich stelle keine Bedrohung für diese Männer und den Prinzen dar. Wenn Ihr es mir gestattet, König-Kaiser, werde ich Euer Bote sein. Euer Gesandter. Das Gleiche habe ich für meinen Herrn Kobayakawa Hideaki und den Shogun getan, Tokugawa Ieyasu.«

Auch wenn die nihonesischen Namen schwer für mich zu verstehen waren, erinnerte ich mich daran, dass Monsieur Saburo den einen davon früher schon einmal als seinen Gönner erwähnt hatte. Ich beschloss, ihn später danach zu fragen.

Die ungewöhnliche Intelligenz, auf die man manchmal einen Blick erhaschte, funkelte in James' Augen. »Aye. Das ist eine gute Idee. Kommt mit Uns. Wir werden Euch sagen, was Ihr Unserem rebellischen Sohn und dem Earl übermitteln sollt.«

James rauschte davon. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er noch etwas zu mir sagte; meine offizielle Rolle war für diesen Tag beendet. Zu meiner Belustigung sah ich, dass Mademoiselle Dariole innerlich kochte, als die Menschenmenge sich von uns wegbewegte und den König förmlich mit sich trug. Das war verständlich. Schließlich hatten sie sich entschlossen, entweder mit ihm zu schwimmen oder unterzugehen.

»Die Dankbarkeit der Könige«, bemerkte ich.

Dariole funkelte mich an. »Ist sie besser als die des Herzogs?«

»Ihr habt so eine Angewohnheit, Eure Wut an demjenigen auszulassen, der Euch gerade am nächsten steht, Mademoiselle. Das ist ganz und gar nicht charmant!«

Ich machte Fingerübungen für den Fall, dass ich mich in den nächsten Sekunden in einem Duell wiederfinden würde.

Dariole nahm die Hände hinter den Rücken, blickte auf ihre Stiefel hinunter und dann zu mir. »Es tut mir Leid, Messire.«

Ich durfte sie nicht wissen lassen, dass meine Verteidigung augenblicklich in sich zusammenbrach – immerhin war sie eine Frau, und Frauen nutzen jede Schwäche schamlos aus. Dennoch konnte ich nicht anders: Ich lächelte sie an.

»Man hat mich angewiesen, mir ein Quartier im Martinsturm zu suchen, wo Sieur Northumberland noch gestern angewohnt hat. Monsieur der König ist nämlich recht stur; er ist fest davon überzeugt, dass sich dort noch Reste von Magie finden lassen.«

Dariole schaute mich zynisch an. »Oder etwas, das Euch sagen wird, wo Robert Fludd sich befindet.«

»In Westminster mit ›König‹ Heinrichs Musketieren und Pikenieren. Wenn er seine Arztgewänder trägt, dann würde ich mich an seiner Stelle jedenfalls dort aufhalten«, erwiderte ich offen, »bei meinem einzigen Verbündeten. Aber wollt Ihr jetzt nicht mit mir kommen und mir helfen?«

Ich ertappte mich dabei, wie ich Dariole vor dem Hintergrund der von der Sonne beschienen Menschenmenge betrachtete. Ihre Augen wanderten ständig umher. Vielleicht wird sie John ja finden, dachte ich. Einen Mann zu töten, der ihr großes Leid zugefügt hat, würde ihr im Augenblick wirklich helfen.

»Er weiß es.«

In meinen Gedanken versunken schaute ich sie nur verwirrt an.

»Fludd. Ich glaube, er weiß es immer noch. Er weiß, was wir tun und was wir tun werden. Ich glaube nicht, dass wir uns seinen Zaubern schon entzogen haben.«

»Ihr denkt also, wir sind noch nicht willkürlich und irrational genug, ja?«

Sie hob die Augenbrauen. »Das habe ich nicht gesagt, Messire …«

Ich konnte nicht anders, als lauthals aufzulachen. Ob nur unsere Differenzen vielleicht doch noch überwinden können?, dachte ich.

»Ich will … Ich will Euch etwas zeigen, Messire.« Sie ging mit mir nach Norden.

Ich musste mich nicht durch die Menge drängen. Sie machte vor uns einen Weg frei und schloss ihn hinter uns wieder, begierig darauf, jeden noch so kleinen Raum in diesen Mauern zu füllen und ihrem König zuzujubeln.

Die einfachen, uralten Mauern des Martinsturms fingen das Sonnenlicht auf, und irgendetwas glitzerte hoch oben. Dariole schaute zum Wehrgang hinauf und wandte sich dann rasch wieder ab. »Dort bin ich entlang gegangen, als ich Arbella getroffen habe.«

»Mademoiselle …«

Sie beschleunigte ihren Schritt in Richtung der mächtigen Tür am Fuß des Turms. Ich folgte ihr hindurch und die Treppe hinauf. Die Sonne blendete mich, als ich aus der Dunkelheit des Treppenhauses auf den Wehrgang trat.

Ich beschattete meine Augen und sagte: »Mademoiselle, freut es Euch, Euch vorzustellen, dass Robert Fludd alles vorauszusehen vermag, sodass man ihn nicht gefangen nehmen wird … und wir beide ihn nicht bekommen?«

Dariole legte den Kopf zurück, beschattete ebenfalls ihr Gesicht und schaute den Turm hinauf. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. »Könnt Ihr das sehen?«, fragte sie.

Ich kniff die Augen zusammen und entdeckte, worauf sie deutete. Es war das Ziffernblatt einer ins Mauerwerk eingelassenen Sonnenuhr. Der Gnomon zeigte drei Uhr.

Eingraviert in die Bronze, welche des Ziffernblatt umgab, sah ich auf der einen Seite ein Stundenglas mit Flügeln und auf der anderen einen Skorpion, der sich auf seinem Schwanz aufrichtete. Ich sah keine lateinische Inschrift, doch ich dachte bei mir, sie müsse tempus fugit lauten.

»Er hat mir erzählt, dass Thomas Hariot sie für ihn gemacht hat … Der Earl, meine ich.« Dariole senkte den Kopf wieder und schaute mich an. »Dorthin hat er mich bringen lassen, als ich auf Lady Arbella getroffen bin.«

Ich blickte nach links und rechts. Runter in den stinkenden Graben, oder runter auf das harte Hofpflaster: in beiden Fällen wäre man tot.

»Für eine verzweifelte Frau wäre es nur ein kleiner Schritt gewesen, und doch … Ihr habt ihn nicht getan.«

Dariole schüttelte den Kopf und ging wieder zur Tür. Wir durchsuchten die wenigen Sachen, die der Earl of Northumberland zurückgelassen hatte, fanden aber nichts. Mademoiselle Dariole verabschiedete sich von mir, als Monsieur Saburo zum ersten Mal wieder zurückkehrte, um mit dem König darüber zu sprechen, wie der Sohn auf die Rückkehr des Vaters reagiert hatte. Ich besorgte mir ein Pferd und ritt kurz aus dem Tower in die Knightrider Street, um nachzusehen, ob Fludd in seinem Haus vielleicht irgendwelche Spuren hinterlassen hatte; doch wie nicht anders zu erwarten, war das nicht der Fall.

Die Pest fegt die Straßen tatsächlich leer, dachte ich. Die Abendsonne neigte sich dem Horizont zu, und die Spiegelbilder der Häuser tanzten auf dem Fluss. Ich ritt wieder zum Tower zurück. Die warme Sommerluft wehte mir ins Gesicht, wo mir allmählich wieder ein ordentlicher Bart gewachsen war. Der Gestank von Eastcheap stieg um mich herum auf.

Es ist zwar noch etwas früh, um darüber nachzudenken, aber tun wir es einfach: Was sollen wir tun, wenn wir Fludd gefunden haben?

Dann, dachte ich, dann werden Mademoiselle und ich uns erst einmal streiten.

Das Pferd wurde langsamer, als ich mich nicht mehr aufs Reiten konzentrierte. Ich blickte zum Fluss, und der Wind zerzauste mein Haar, sodass ich eine lange Strähne aus meinem Gesicht streichen musste.

Und es könnte durchaus so weit kommen, dass ich mich zwischen Mademoiselle Dariole und Messire de Sully werde entscheiden müssen.