Teil Drei
Rochefort: Memoiren
Zweiundzwanzig
Die Art und Weise, wie ein Schwert in der Hand liegt, ist ein Trost, selbst wenn man es nur säubert. Ich wischte die Klinge des italienischen Rapiers ab und hielt es ins Licht, um die Schneide zu überprüfen. Die müsste mal geschärft werden.
Der Stahl funkelte silbern mit einem grauen Unterton in den Kratzern. Auch fand sich in diesem natürlichen Licht ein blaues Schimmern, das Spiegelbild des Himmels auf dem blankpolierten Stahl.
Solch ein wundervolles Ding. Und so anders – oder ist es gar nicht anders? –, wenn das Metall nicht mehr mit Blut verschmiert ist. Selbst dieser dünne Film von Rot, der von einem direkten Stoß herrührt, welcher das Leben eines Mannes vernichtet hat … Ich fühle mich nur selten besser als in jenen Augenblicken, da ich ein Rapier, ein Breitschwert oder einen Dolch in Händen halte.
Ein Mann kann dem Hass genauso schnell verfallen wie der Liebe, mit genau der gleichen Leidenschaft und in dem gleichen kurzen Zeitraum.
Ich werde Robert Fludd töten.
Ich hob die italienische Klinge hoch und atmete sanft ein. Die Waffe besaß den metallischen, halbverbrannten Geruch von Stahl, der mich stets an Schmiedefeuer erinnert.
Vor dem Fenster schlugen die Kirchenglocken zur vollen Stunde. Das Rufen der Frauen nach ihren Kindern und den Lehrlingen ihrer Männer, die zum Mittagessen kommen sollten, war in Southwark genauso laut wie in Paris. Nachdem ich Fludds Pferd unauffällig untergebracht hatte, war ich zum Dead Man's Place zurückgekehrt – Hühner und Hunde huschten mir aus dem Weg, und jeder, der mir entgegenkam, beeilte sich, mir den Vortritt zu lassen. Vermutlich war es für jedermann offensichtlich, dass es besser war, in den Rinnstein zu springen, anstatt mir Gelegenheit zu geben, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen.
Ich fand die Waffen von Mademoiselle Arcadie de la Roncière auf ihrem Bett neben dem Helm des Nihonesen. Alles war noch so wie eine Woche zuvor.
Der Helm, der nicht aus einem Stück Stahl gefertigt war wie zum Beispiel die spanische Sturmhaube, der Morión, sondern aus mehreren schmalen Teilen bestand, war mit leuchtenden Emaillefarben bemalt, auf denen sich die Sonnenstrahlen spiegelten, die durch das halb geschlossene Fenster fielen. Ich dachte: Bis heute habe ich den Helm nie ohne Saburo gesehen.
Wo steckt er übrigens? Haben sie ihn auch entführt?
Ich muss zu Cecil. In einem Augenblick …
Ich setzte mich, putzte weiter Darioles italienisches Rapier und den Dolch und suchte schließlich ihre Ausrüstung zusammen. Die Scheide schob ich in das Wehrgehänge und machte dann alles am Gürtel fest. Das Leder fühlte sich noch immer glitschig vom Öl an, wie es stets der Fall ist, wenn es erst vor kurzem behandelt worden ist.
Auf halbem Weg den schmalen Hüftgurt entlang markierte eine Linie die Grenze zwischen geöltem und trockenem Leder.
Ich werde Fludd umbringen – und auch die anderen Männer, die Dariole entführt haben.
»Wenn du den wahren Schuldigen willst, musst du aber noch viel besser werden«, sagte ich laut, saß kurz einfach nur da und starrte auf den bemalten Putz an der Wand, ohne ihn wirklich zu sehen.
Was war in diesem Raum geschehen?
Ich nahm wieder das italienische Rapier und zog den Schleifstein über die Klinge. In dem leeren Zimmer klang das sich wiederholende Geräusch geradezu dünn. Für meine Finger war es schwer, das Heft richtig in den Griff zu bekommen. Darioles Hand war deutlich kleiner als meine und somit auch ihr Heft.
Silberne Punkte funkelten auf dem Handkorb unterhalb der Parierstange.
Die Tür schwang auf.
Darioles Schwert in der Hand sprang ich auf.
Im trüben Licht sah ich nur eine Silhouette in der Tür.
Das Leinengewand des Nihonesen war an den Schultern weit, sein Haar auf fremdländische Art zurückgekämmt und gebunden, und die beiden krummen Schwerter steckten in seinem breiten Stoffgürtel.
Ich rief: »Wo ist sie?«
Seine Hand wanderte noch nicht einmal in die Nähe der Kattanklingen. Er trat zwei Schritte in den Raum hinein und fiel dann hart genug auf die Knie, um die Bodenbretter beben zu lassen. Bevor ich reagieren konnte, legte er die Hände flach auf den Boden und drückte die Stirn aufs Holz.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch eine schwache Hoffnung gehegt.
Er sprach laut und mit rauer Stimme; sein Gesicht war nicht zu sehen. »Ich habe in Erfüllung meiner Pflicht versagt. Sie ist meine Dienerin. Ich schulde ihr Schutz, bin ihr verpflichtet. Giri. Ich habe versagt!«
Die heiße Luft in dem fast verschlossenen Raum drohte, mich zu ersticken. Ich bewahrte gerade noch genug Fassung, um dem Samurai nicht einfach ins Gesicht zu treten.
»Ich kann Euch meinen Tod nicht anbieten.« Saburo setzte sich auf die Fersen und schaute mich mit seinen teerschwarzen Augen an. »Erst muss ich zu Hidetada zurückkehren, dann könnt Ihr meinen Kopf nehmen. Ich entschuldige mich. Verzeiht mir.«
Plötzlich lief mir ein Schauder über den Rücken, als mich die Erkenntnis überkam: Ich stand hier, wie sie dagestanden hatte, und er kniete, wie ich gekniet hatte – oder wie ich mir gewünscht hatte, vor ihr zu knien, mich ihr zu Füßen zu werfen.
Aber das ist nicht das Gleiche wie bei Mademoiselle Dariole. Mein Schwanz reagiert nicht auf den vor mir knienden Nihonesen. Dieser absurde, köstliche Schmerz im Unterleib angesichts solcher Unterwerfung ist einfach nicht da. Nun ja, wenigstens erkenne ich noch den Unterschied … nun, da es nicht mehr von Bedeutung ist …
Ich warf Darioles Rapier aufs Bett, durchquerte den Raum und stieß die Fensterläden auf. Warme Luft strömte herein, gefolgt vom Bellen der Hunde; sechzig oder mehr von ihnen kläfften ob der knallenden Fensterläden plötzlich los. Hatte Dariole sich zur Warnung auf die Kampfhunde verlassen?
»Wo habt Ihr überall nach ihr gesucht?«
Der kleine, breite Mann stand wieder auf. Er beäugte mich, als gäbe es da etwas, was er nicht ganz verstehen konnte. »Wo auch immer ich zu Fuß hingehen konnte. London ist nicht so groß wie Osaka oder Edo, aber es ist zu groß. Ich habe Seso-sama gebeten, mir bei der Suche nach meinem Pagen zu helfen. Er glaubt, der Feind habe nichts damit zu tun. Er glaubt, ein junger Mann, der zum Saufen und Ficken um die Häuser zieht, würde schon bald wieder zurückkommen.«
»Eine Woche. Eine Woche ist nicht ›bald‹. Sie ist verletzt!« Ich durchquerte den Raum und warf Monsieur Saburo den Brief hin, den der Priester mir gegeben hatte. »Könnt Ihr Euch vorstellen, dass sie sie haben mitnehmen können, ohne sie vorher kampfunfähig gemacht zu haben?«
Der Samurai blickte zu Darioles Waffen, die bei den Männerkleidern auf ihrem Bett lagen. Ich folgte seinem Blick und sah, dass auch ihr Kragen noch dort lag, die Innenseite verdreckt und das Leinen mangels Stärke weich.
»Sie müssen … Sie müssen sie fast nackt geholt haben!«
»Kimono.« Saburo zupfte an seinem Ärmel. »Schwer. Tierhaut … Fell.«
»Ah. Ja. Ich weiß.«
Vor meinem geistigen Auge sah ich Mademoiselle Dariole am Frühstückstisch hocken, gehüllt in einen pelzbesetzten Mantel, der schon fünfzig Jahre aus der Mode war, und das Gesicht blass vom Spielen und Saufen in der Nacht zuvor. An den wenigen Morgen, da ich sie vor meinem Aufbruch in die Provinz so gesehen hatte, war ich immer wieder der Versuchung erlegen, ob ihres Zustandes eine spöttische Bemerkung zu machen. Obwohl sie dann meist nicht in der Lage gewesen war, gleichermaßen gewitzt zu antworten, so war sie doch nie um eine Beleidigung verlegen gewesen. Hätte ich eingehender darüber nachgedacht, wäre ich sicherlich angesichts der Tatsache misstrauisch geworden, wie leicht mich diese Geplänkel amüsiert hatten … und warum.
Jeder Mann wird wütend, wenn der Feind einen seiner Verbündeten misshandelt – besonders wenn man für diesen Verbündeten einst eine perverse Zuneigung empfunden hat.
Nein, ich will nicht lügen – für den man unglücklicherweise noch immer so empfindet.
Saburo durchbrach das Schweigen, das sich über den Raum gesenkt hatte. Sein Entsetzen war ihm deutlich anzuhören. »Könnte sein, dass der Feind sie schon getötet hat … dann könnte sie auch nicht mehr entkommen. Ihr dürft jedoch nicht so handeln, als wäre sie schon tot. Ihr müsst weiter für Furada arbeiten.«
Ich nickte bedächtig. »Das stimmt.«
Der Samurai verzog das Gesicht, zog Augenbrauen und Mundwinkel hinunter.
Ich fuhr fort: »Das wird mich jedoch nicht davon abhalten, sie zu finden.«
Die Falten auf Saburos Stirn verschwanden, und er nickte knapp. »Wir werden sie suchen.«
»Ja. Wir werden sie suchen. Schnell.«
Ich griff nach Darioles Rapier, steckte es in die Scheide und sprach, ohne den Samurai anzusehen.
»Königin Maria di Medici hat das schon einmal mit mir gemacht, mit Messire de Sully. Wie dumm muss ein Mann eigentlich sein, um nicht zu wissen, dass man das auch ein zweites Mal mit ihm machen kann?«
Am Sonntag hielt der junge Heinrich Stuart triumphalen Einzug in London. Er kam über das Wasser nach Westminster, und am folgenden Dienstag wurde er in der Abtei zum Prinzen von Wales ausgerufen. Am Sonntag fand dann ein Maskenspiel auf der Themse statt: Tethys Festival – wovon ich nur eines wiedererkannte, und das war offenbar von Madame Lanier gestohlen. So hieß es unter anderem in dem Stück: »Wir armen Schöpfer der Schatten, die wir nur Bilder umrahmen.« Vermutlich meint sie damit uns arme Sterbliche, dachte ich bissig, und nicht Monsieur Robert Fludd …
Zu den praktischen Konsequenzen dieser Feierlichkeiten gehörte auch, dass niemand mit Robert Cecil sprechen konnte, so sehr man sich auch bemühen mochte. Mit dem Earl of Salisbury würde ich erst wieder am Mittwoch sprechen können. Selbst die Einführung Monsieur Saburos an den Hof von König James konnte das nicht beschleunigen.
Da ich jedoch getrieben von einer leidenschaftlichen, ungeduldigen Furcht, die ich nicht eingehender betrachten wollte, nicht so lange zu warten gedachte, verbrachte ich meine Zeit damit, die offensichtlichsten Plätze abzuklappern, an denen man eine entführte junge Frau gefangen halten konnte.
»Das schließt auch Mademoiselles ›Cousin Guillaume‹ mit ein«, bemerkte ich Saburo gegenüber, als wir am Sonntag, den 3. Juni, durch die fast menschenleeren Straßen von More Gate gingen. Nahezu alle Bürger waren runter zum Fluss gegangen, um ihren Prinzen willkommen zu heißen.
Überraschenderweise hörte ich festlichen Lärm aus dem Haus der Markhams: Stimmen, Frauen lachten, und eine Viola spielte im Konzert mit einer Flöte. Als ich an die Tür hämmerte, erschien keiner der Lakaien, die Mademoiselle Dariole hinausgeworfen hatten, sondern ein Mann mit haselnussbraun gefärbtem Bart, den ich als William Markham persönlich erkannte.
»Sir?« Seine Augen bewegten sich. Er schaute hinter mich, blickte die Straße rauf und runter und starrte den Nihonesen misstrauischer an, als angemessen gewesen wäre. Offensichtlich erkannte er keinen von uns.
Bevor ich etwas sagen konnte, wirbelte eine Frau in den sonnendurchfluteten Raum hinter ihm.
Sie schien mir nicht zu tanzen oder herumzutollen – jedenfalls nicht im üblichen Sinn. Sie hatte rostfarbenes Haar sowie ein Pferdegesicht und war vermutlich schon über fünfunddreißig Jahre alt. Das Strahlen ihres Lächelns, das sie uns zuwarf, ließ sie jedoch für den Augenblick wunderschön erscheinen.
»Sind das Gäste?«, fragte sie William Markham und blickte mich neugierig an. »Ich dachte, all unsere Freunde wären bereits hier.«
Ein jüngerer Mann erschien in der Tür, blond und Mitte Zwanzig. »Komm weg da!«, knurrte er und zog die Frau entschlossen am Arm fort.
»Was wollt Ihr?«, verlangte Markham in eisigem Tonfall von mir zu wissen.
Er war einst ein gutaussehender Mann gewesen – zumindest nach dem zu urteilen, was davon noch übrig war. Der Schweiß stand ihm auf der blassen Stirn. Vermutlich hatte das etwas mit seinem Alter zu tun; an der Hitze des Tages lag es jedenfalls nicht, glaubte ich, und auch nicht an dem Tanz, der offensichtlich drinnen stattfand.
Indem ich mein Gewicht verlagerte, konnte ich unauffällig einen genaueren Blick nach innen werfen. »Vor einiger Zeit war ein Junge hier. Eure Männer haben ihn hinausgeworfen.«
Markhams Misstrauen wich sichtlicher Überraschung. Ich musste mir ein enttäuschtes Seufzen verkneifen. Was auch immer ihm solches Kopfzerbrechen bereitet, mit Mademoiselle ›Arcadie‹ hat das nichts zu tun.
»Er hat Euch beraubt, nicht wahr?« William Markham blickte mich amüsiert an. »Die Betrüger und Abrahams Männer werden von Tag zu Tag jünger. Er hat das auch bei mir versucht, nur dass ich viel zu klug für ihn war.«
»Ich habe guten Grund, mit ihm sprechen zu wollen.« Und obwohl es sinnlos war, fügte ich die Frage hinzu: »Ihr habt ihn nicht zufällig noch einmal gesehen, oder?«
»Nein, Sir, sonst hätte ich auch den Büttel gerufen. Er gehört nicht zu meiner Familie, das versichere ich Euch. Er hat keinerlei Anrecht auf den Namen Markham. Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen würdet …«
Angemessen verneigten wir uns voreinander und sagten uns Lebewohl. Saburo ging schweigend neben mir die Straße hinunter.
»Hat er gelogen?«, fragte der Samurai plötzlich hoffnungsvoll.
»Nicht in Bezug auf Dariole, glaube ich.« Ich runzelte die Stirn. »Obwohl man es durchaus als seltsam betrachten könnte, an einem Tag wie diesem daheim zu feiern, da alle anderen Leute unten am Fluss sind. Andererseits …« Ich hatte das durch die geöffnete Tür hindurch gesehen. »Zu was für einem Fest lädt man einen Priester ein?«
»Einen Priester?«
»Einen Ketzerpriester«, korrigierte ich mich selbst. »Messire Saburo, das Ganze sah mir nach einer Hochzeitsfeier aus, und zwar nach einer, die nach Möglichkeit nicht bekannt werden soll … Warum sonst sollte jemand dafür ausgerechnet den Tag der Inthronisation des Prinzen wählen? Aber was die Frage betrifft, ob das etwas mit Mademoiselle Dariole zu tun hat …«
»Sie wollen keine Fremden.«
»Das stimmt wohl. Es sei denn, Fludd kennt Markham, hat ihm irgendetwas von Pflicht der Familie gegenüber erzählt und … Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Irgendetwas ist mir entgangen, aber nicht das.«
Während wir so durch die unheimlichen, leeren Straßen gingen – die mich an von der Pest leergefegte Städte erinnerten –, blieb ich unvermittelt stehen, packte Saburo am Arm und deutete über die Dächer hinweg.
»Da.«
Der Samurai zog die Augenbrauen zusammen. »Was?«
»Der Tower. Northumberland ist Gefangener im Tower.« Ich blickte zu Saburo hinunter. »Der Earl, der Fludds angeblicher Gönner ist … Nun, wer von beiden die Marionette ist, sei einmal dahingestellt, aber wie auch immer: Was gäbe es für einen besseren Ort, um eine Frau gefangen zu halten? Es heißt, die Diener des Earls könnten dort ein- und ausgehen, wie sie wollen. Wenn man Dariole irgendwie an den Wachen hat vorbeischmuggeln können …«
Saburo nickte knapp. »Vielleicht. Aber falls ja, wie sollen wir sie dann finden? Und wie sollen wir sie dort herausholen?«
Die Antwort darauf gefiel mir nicht. »Das würde weiteres Warten bedeuten, Messire, aber da offene Bestechungsversuche sie dazu bewegen könnten, Mademoiselle Dariole zu töten – falls sie denn überhaupt dort sein sollte – können wir nur noch eine Karte spielen: Cecil.«
Als wir eine belebtere Straße betraten, tauchte Saburo aus seinen Gedanken auf und schlug mir auf den Arm.
»Monsieur?«, fragte ich in höflichem Tonfall, nachdem ich mich mit einem raschen Blick vergewissert hatte, dass wir nicht angegriffen wurden.
»Ist der Tower nicht einfach nur ein Gefängnis?«
»Ah. Nein. Man kann dort auch die Menagerie besuchen oder sich die Kronjuwelen anschauen – aber sollten Northumberlands Luke oder John mich sehen, bin ich erkannt.«
Saburo verzog den Mund zu einem breiten Grinsen.
»Ich könnte gehen. Man nennt mich kami. ›König James Dämon‹. Roshfu-san, ich bin ein Freund der großen Damen am Hof. Vielleicht kann ich eine von ihnen dazu überreden, mich dorthin einzuführen.«
»Wenn Fludds Männer mich von Angesicht kennen, kennen sie auch Euch.« Ich zuckte mit den Schultern. »Und Ihr habt genauso wenig Grund für eine Besichtigungstour wie ich, Messire.«
Saburo grunzte frustriert. »Das ist nicht gut.«
Damit blieben uns drei Tage. Den ersten nutzte ich, um Schauspieler in Edward Alleynes – oder besser Robert Fludds – Rose Theatre zu befragen. Auch wenn ich glaubte, dass jeder, der Darioles Aufenthaltsort kannte, unter Fludds Kontrolle stand und deshalb nutzlos für mich war, durfte ich selbst eine vage Chance nicht ignorieren.
Der rothaarige, rotgesichtige und eigentlich schon längst im Ruhestand befindliche Schauspieler Alleyne, der ob des Plans des verrückten Fludds auf neuen Ruhm hoffte, erzählte aus der Regierungszeit des letzten Monarchen. Ich kaufte Bier und lauschte schier endlosen Geschichten über triumphale Auftritte und Intrigen hinter den Kulissen. Die anderen Schauspieler waren genauso wenig informativ. Nur Aemilia Lanier machte eine eisige Bemerkung zu Mademoiselle Dariole.
»Sie ist selbst schuld daran.« Lanier, die mit einer Schreibtafel auf dem Schoß am Bühnenrand saß, schaute mich nicht an, deutete aber mit der Federspitze auf mich.
Ich bemerkte einen jungen Mann auf der Bühne, der irgendetwas mit Ned Alleyne besprach – ein junger Mann, der genauso wenig ein junger Mann war wie Mademoiselle Dariole.
»Das ist Mistress Mary Frith«, erklärte Lanier. »›Hauptmann‹ Moll Cutpurse. Sie haben Moll nach Paul's Cross geschleppt, wo sie dann öffentlich Buße dafür getan hat, Männerkleider getragen zu haben. Ich habe allerdings den Eindruck, Monsieur, dass Eure Mistress Dariole sich nicht ganz so reumütig zeigen würde.«
Sie betonte das Wort ›Mistress‹ nicht so stark, als dass ich es nicht weltmännisch hätte ignorieren können.
Wie sich herausstellte, hatte auch Mary Frith nichts von einem jungen, französischen Mannweib gehört. Sie nahm die Pfeife aus dem Mund, blies einen stinkenden Rauchring und wünschte mir viel Glück bei der Suche. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als ärgere sie die Vorstellung, dass es noch jemanden gab wie sie.
Am darauffolgenden Tag machten wir uns erneut auf die Suche. Wieder wurde ich zunächst in Whitehall vorstellig. Wie es jedoch aussah, musste Minister Cecil sich auch noch um die Hochzeit seiner Tochter kümmern, welche in der dritten Juniwoche stattfinden sollte. Da der König überdies seinen Aufbruch vorbereitete und sich auch alle gutbetuchten Bürger einschließlich des Bürgermeisters anschickten, in seinem Gefolge die Stadt und ihre Sommerhitze den Armen und der Pest zu überlassen, herrschte reges Treiben bei Hof.
So verließ ich Whitehall wieder und beobachtete aus sicherer Entfernung, wie der frisch gekrönte Prince of Wales den Tower besuchte. Heinrich Stuart suchte nach wie vor die Gesellschaft von Sir Walter Raleigh – was ihm die Bewunderung der jüngeren und die Abscheu der älteren Höflinge einbrachte. Mir kam die Galle bei dem Gedanken hoch, dass dieser englische Prinz einfach dorthineinging, während ich … während ich am Fluss entlang gehen und den Tower nur vom Ufer her betrachten konnte. Ich wagte nicht, einfach dorthin zu gehen. Tollkühnheit ließ mich hundert Pläne schmieden, und die Vorsicht sagte mir, dass keiner davon praktikabel war; schließlich hing das Leben eines Anderen davon ab.
Falls sie überhaupt dort ist … falls sie überhaupt noch lebt. Vielleicht haben sie sie ja auch nach Wookey gebracht … oder sonst wohin in England!
In den folgenden zwei Tagen brach ich in beide Häuser ein, die Robert Fludd gehörten, während Monsieur Saburo Schmiere stand: in das in Knight-Rider-by-Paul's und in das an der Tooley Street. In beiden fand ich nicht die geringste Spur.
»Und? Was gefunden?«, verlangte Saburo zu wissen, nachdem ich über die Mauer des Lagerhauses gesprungen war und wieder neben ihm her Long-Southwark hinunterging.
»Nichts. Wie zuvor.« Meine Ungeduld hatte mich nicht davon abgehalten, mir die dreißig Bücher einmal genauer anzusehen, die Fludd in seinem Haus in Southwark aufbewahrte. Doch bei den von ihm hinzugefügten Anmerkungen handelte es sich fast nur um Zahlen; das war Mathematik, keine Chiffre, wie ich sie gewohnt war. Meine Augen schmerzten vom Lesen seiner winzigkleinen Handschrift. Nicht die kleinste Kleinigkeit hatte darauf hingewiesen, dass Mademoiselle Dariole in eines der beiden Häuser gebracht worden war.
Saburo schnüffelte die Luft. Ich hatte mich bei meinem Einbruch für die vierte Nachmittagsstunde entschieden, da wir zu dieser Zeit am wenigsten auffallen würden. Büttel verteilten Fleisch und Getränke auf der London Bridge. Ob des Bratendufts verzog der Samurai angewidert das Gesicht.
»Euer Eid hätte lauten sollen, nicht zu essen, bevor Ihr nicht zu James gelassen werdet«, sagte ich und lenkte mich mit dieser Spöttelei ein wenig von meinen Problemen ab. »Das wäre leichter gewesen, Messire. Dabei fällt mir auf … Ich will verdammt sein, wenn ich Euch bis jetzt etwas anderes habe essen sehen als Brot und Wurzeln.«
Saburo deutete auf die Kirche von St Mary Overy in der Nähe der London Bridge. »Besser als wie ein Kannibale in Tempeln zu fressen!«
»Wie ein Kannibale?«
»Man hat es mir bei Hof erzählt. Euer Großer Kami verwandelt sich in Fleisch. Dann esst ihr ihn. Barbaren!«
Selbst nach einem Blick in seine mandelförmigen Augen vermochte ich nicht zu sagen, ob der stämmige Mann das ernst meinte oder nicht. Wie auch immer, dachte ich, sollte doch irgendein unglücklicher Priester an James Hof ihm erklären, was es mit der Wandlung auf sich hatte. Ich lachte … und sofort begann ich wieder zu rechnen.
Jetzt haben wir den Neunten dieses Monats, und wie lange wird sie nun schon vermisst? Fünfzehn Tage insgesamt.
Falls sie denn überhaupt noch lebt. Vielleicht hat irgendjemand ihr ja schon am ersten Tag den Schädel eingeschlagen und ihre Leiche in den Fluss geworfen.
Von Zeit zu Zeit entfaltete ich immer wieder das Papier, das der Gemeindepfarrer mir gegeben hatte, und las in Fludds Handschrift: ›Sie ist verletzt worden …‹ Es war so zerknittert, dass das Wort ›verletzt‹ kaum noch zu lesen war. Aus Erfahrung weiß ich, dass es nicht leicht ist, einen Mann unter Kontrolle zu bringen, wenn man ihn dabei nicht töten oder verletzen will, und Northumberlands Männer, Luke und John, waren mir nie wie professionelle Entführer vorgekommen.
Fünfzehn Tage … Das war Zeit genug, um sich von ein wenig Prügel zu erholen, aber auch Zeit genug, um am Stich eines Rapiers zu sterben.
Ich bemerkte, dass ich beim Gehen die Hand um die Scheide gelegt hatte, als wolle ich jeden Augenblick blankziehen. Kein Duell mit stumpfen Waffen könnte diese Ungeduld befriedigen.
»Ich bin für Whitehall«, sagte ich knapp. »Dort dürften wir am leichtesten eine Audienz erhalten.«
Saburo ging zu den Stufen neben der Brücke, hob die Hand und winkte herrisch nach einem Boot. »Wir gehen zu Seso-sama?«
Ich nickte. »Dort werdet Ihr herausfinden, warum man Hofschranzen hierzulande ›gentlemen-in-waiting‹ nennt, ›wartende Herren‹ …«
»Bitte, verzeiht, Herr«, sagte der Bootsmann, der uns schon die ganze Überfahrt über beäugt hatte, und fummelte in seinem Lederwams herum. »Falls Ihr ein Herr Rochefort seid …«
»… dann habt Ihr einen Brief für mich«, vervollständigte ich den Satz in scharfem Ton. Ich nahm dem Schiffer einen gefalteten, mit Wachs versiegelten Brief aus der Hand und trat wieder ans Ufer, nachdem ich ihm einen Schilling gegeben hatte.
»Was schreibt Furada?«, verlangte Saburo zu wissen.
»›Ihr könnt Euch nicht den Luxus gönnen zu warten; bei Sonnenaufgang müsst Ihr auf dem Weg nach Somerset sein.‹« Ich zerknüllte das Papier und steckte es in meine Börse. »Mich dünkt, unser lieber Monsieur Doktor Fludd geht mir allmählich auf die Nerven …«
Wir betraten den Whitehall-Palast. In einem großen Hof drängten sich Bittsteller, Sekretäre sowie die Anhänger verschiedener Hofparteien. Das bewegte mich zu dem Gedanken, dass wir unsere Zeit nicht mit Warten verschwenden sollten. Als einige Zeit später schließlich Bewegung in die Menge kam, gelang es mir, aufgrund meiner ungewöhnlichen Körpergröße Minister Cecil über die Köpfe hinweg zu sehen. Er befand sich gerade auf der Durchreise von oder nach Hatfield.
Er sah mich und flüsterte einem Mann aus seinem Gefolge etwas ins Ohr. Monsieur Saburo und ich wurden daraufhin genauso diskret hineingebracht, wie es die Sekretäre des Duc de Sully stets im Arsenal zu tun pflegten.
Drinnen angelangt warteten wir wieder.
Es war schon spät. Das Sonnenlicht wurde schwächer, und Diener entzündeten Hunderte von Wachskerzen. Der Whitehall-Palast war ein mittelalterliches Labyrinth aus Gängen, Räumen, Hallen und Treppenhäusern. Das machte es mir nicht gerade leicht, mich zu orientieren. Schließlich erschien der Herr Minister und winkte mir und Monsieur Saburo, ihn zu begleiten.
Auch in meiner Heimat habe ich schon Adelige gesehen, die ihre Geschäfte auf diese Art erledigen und es so aussehen lassen, als würden sie im Gehen nur ein beiläufiges Schwätzchen halten. Ich konnte mir jedoch nicht vorstellen, dass Cecil überhaupt irgendetwas ›beiläufig‹ machte.
Ich nahm den Hut ab und sagte: »Bitte, verzeiht, dass ich mich Euch so aufdränge, Mylord. Doktor Fludd hat mir eine weitere Nachricht zukommen lassen. Er will mich so bald wie möglich in Somerset sehen.«
Cecil wirkte ungerührt. Ich nahm an, dass seine Agenten ihm bereits berichtet hatten, dass der von uns angeheuerte Bootsmann mir eine Botschaft übergeben hatte.
»Dann werdet Ihr wohl gehen müssen – obwohl ich Euch lieber vorher mit König James zusammengebracht hätte … Habt Ihr die Örtlichkeiten ausgekundschaftet?«, fragte Cecil und legte den Kopf in den Nacken, um zu mir hinaufzusehen.
»Ja, Mylord. Gut acht Meilen nördlich von diesem Wookey gibt es Höhlen, groß genug, um einen Trupp Eurer Bewaffneten dort zu verbergen. Bei Bedarf kann man sie dann jederzeit nach Süden holen. Was die Höhle von Wookey selbst betrifft, so gibt es dort zwei Ausgänge, und solltet Ihr die Zahl derer kontrollieren wollen, die dort ein- und ausgehen, so könnt Ihr ja einen dieser Ausgänge versperren. Die erste, große Kammer ist dabei wie geschaffen, um dort zu feiern.«
»Master Robert Fludd wird sehr zufrieden mit Euch sein«, bemerkte Cecil. Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, fuhr er fort: »Denkt Ihr, dass dieser Plan fortgeführt werden sollte, Master Rochefort?«
Lässig zuckte ich im Gehen mit den Schultern. Ich mag es nicht, mich festzulegen. »Wenn Ihr die Loyalität Eures Prinzen seinem Vater gegenüber auf die Probe stellen wollt: Ja. Wenn Ihr Beweise haben wollt, um Lord Northumberland endgültig zu Fall zu bringen: Ja.«
»Und die Sicherheit des Königs ist garantiert?«
»Nicht ganz.« Ich blickte zu dem kleinen Mann hinunter. Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, ihm meine professionelle Meinung kundzutun. »Wir reden davon, jemanden mit einem Dolch an den Wachen vorüberzulassen. Zwar werdet Ihr überall Bewaffnete haben, aber man könnte natürlich sagen, dass für den König jede noch so kleine Gefahr zu groß sei.«
Er blickte mich hämisch an.
Ich ließ mich ein Stück zurückfallen, sodass der englische Minister vor mir durch eine prachtvolle Tür gehen konnte. Saburo tat es mir nach. Mit einem Schritt war ich jedoch sofort wieder an Cecils Seite.
Ich atmete tief durch. »Mylord, es gibt da etwas, das Ihr vielleicht noch nicht wisst. Der Grund, warum Monsieur Dariole vermisst wird, ist der, dass er entführt wurde. Die Verschwörer versuchen nun, mein Handeln zu beeinflussen, indem sie drohen, ihn zu töten. Neben den anderen Gründen, aus denen ich zu Euch gekommen bin, möchte ich Euch auch um Eure Hilfe bei der Suche nach ihm bitten.«
Minister Cecil schaute mich ernst an. »›Ihm‹? Meines Wissens nach handelt es sich bei dem jungen Mann um eine junge Frau. Oder ist das vielleicht neu für Euch, Master Rochefort?«
Ich seufzte. Mir war durchaus bewusst, dass Saburo sich insgeheim amüsierte. »Nein, Mylord, das ist mir nicht neu.«
Auf Cecils von Sorgen gezeichnetem Hundegesicht zeigte sich kurz ein Anflug von Grausamkeit – oder vielleicht war es auch nur Entschlossenheit. »Das hätte mich auch gewundert.«
»Sie ist nicht meine Hure, Mylord.«
Wir gingen durch einen kleinen Vorraum, wo Cecil verärgert in die Richtung von ein paar Höflingen winkte. Sie verneigten sich und verschwanden.
»Wollt Ihr mir etwa sagen, dass sie … dass sie Eure kleine Schwester ist, vielleicht? Oder Eure leibliche Tochter?«
Ich ermahnte mich, dass Robert Cecil nicht nur der englische Außenminister war, sondern auch gut anderthalb Köpfe kleiner als ich. Somit wäre es nicht gerade ehrenhaft gewesen, ihn mit dem Kopf voran durch die Gänge von Whitehall zu werfen.
»Weder Tochter noch Schwester, Mylord.« Ich bemühte mich, so sachlich wie möglich zu klingen. »Sie ist meine Gefährtin, Zeugin von Ereignissen in Paris und … und ich habe die Verantwortung für sie.«
Es ärgerte mich, respektvoll und ohne Hut neben König James' zynischem Zwerg entlanggehen zu müssen. Und ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie sehr ihn das Ganze amüsierte, auch wenn er es sich nicht anmerken ließ.
»Verzeiht mir, Mylord«, fuhr ich fort und schluckte meine Wut hinunter. »Es ist nur … Da komme ich aus Somerset zurück, muss feststellen, dass Fludd verschwunden ist, sein Haus verriegelt und verrammelt, und Dariole ist entführt worden, und jetzt weist mich dieser Brief auch noch an …«
»Und dann seid Ihr hierher gekommen? Zu mir?«
»Fludd weiß, dass wir uns getroffen haben, Mylord. Er wird nicht von mir erwarten, die Verbindung abzubrechen.« Stumm betete ich, wie ein Mann es beim Spiel zu tun pflegt, dass das wahr sein möge. Sonst ist Dariole schon so gut wie tot.
Cecil wechselte ein paar Worte mit einer Wache an der nächsten Tür, dann wandte er sich wieder unserem Gespräch zu und legte nachdenklich die Stirn in Falten.
»Das Haus ist einen Tag, nachdem Ihr London verlassen habt, verlassen und verriegelt worden, Master Rochefort. Das an sich ist nichts Ungewöhnliches. Die Pest breitet sich immer weiter aus. Wir werden einen schlimmen Sommer bekommen. Viele, die Eigentum in der Provinz haben, fliehen aufs Land, weg von der Krankheit.«
»Gilt das auch für Fludd, Mylord?« Sollte er ein drittes Haus in der Provinz besitzen …
»Soweit ich das sagen kann, ist Doktor Robert Fludd einfach verschwunden.« Eine Mischung aus Häme und verletztem Stolz zeigte sich auf Cecils Gesicht … schlicht verschwunden … Damit meinte er, dass seine Agenten Fludd aus den Augen verloren hatten. Es gefällt niemandem, so etwas zugeben zu müssen.
Ich stellte eine wilde Vermutung auf. »Hat er die Insel vielleicht verlassen? Mit Mademoiselle Dariole womöglich?«
»Möglicherweise. Aber bis jetzt hat sich niemand gefunden, der gesehen hätte, wie sie an Bord eines Schiffes gegangen sind.« Der Herr Minister schlang die dünnen Arme um die Brust und ging weiter den Gang hinunter. Gedankenverloren nickte er in Richtung von Monsieur Saburo, als ein paar Wachen den Nihonesen misstrauisch beäugten.
»Dieser Fludd ist ein äußerst schwer zu fassender Mann«, bemerkte Cecil. »Ich traue ihm nicht. Aber wie auch immer … Wenn er Euch weiter Briefe zukommen lässt, werden wir ihn bald gefunden haben.«
»Ein Brief vermag in der Tat den Aufenthaltsort eines Mannes zu verraten.« Nur mit Mühe gelang es mir, den Zynismus in meiner Stimme zu verbergen. »Aber wie auch immer …«, ahmte ich den Minister nach. »Wenn jemand sieht, dass ich beobachtet werde, ist Mademoiselle Dariole tot.«
Cecil kümmerte es offensichtlich nicht, dass Dariole als Frau in Männerkleidern herumlief. Auch schien sie ihm nicht wichtig genug, als dass er sich um ihr Leben gesorgt hätte. Etwas anderes erwartete ich aber auch nicht von ihm.
»Falls das geschieht … falls sie stirbt«, erklärte ich, »habe ich keinerlei Interesse mehr an dieser Verschwörung und werde somit auch nicht länger bereit sein, mich an ihr zu beteiligen.« Für den Augenblick schob ich die Frage beiseite, woher ich dann Informationen aus Paris bekommen sollte. In jedem Fall würde ich mich nicht vom Herrn Minister wie ein Sklave halten lassen. »Monsieur, für mich ist das Überleben von Mademoiselle Dariole eine Frage der Ehre.«
Cecil missfiel die einfache Anrede ›Monsieur‹. Auch war das Gesicht ein wahrhaft göttlicher Anblick, das Robert Cecil angesichts der Vorstellung zog, einen Verschwörer darum bitten zu müssen, weiter an einer Verschwörung zur Ermordung von König James mitzuwirken.
Er blickte zu mir hoch, scheinbar ohne sich bewusst zu sein, wie sehr ich ihn überragte. »Vielleicht hätte ich Monsieur Herault wirklich unter Bewachung nach Paris zurückschicken sollen, wie ich es mir zuerst überlegt habe. Tatsächlich könnte ich das immer noch tun.«
Ich habe das vollkommen falsch angefangen. Ich wollte ihn zwar reizen, aber nicht so weit, dass er sich in seiner Würde verletzt fühlt und dementsprechend reagiert.
Hinter mir meldete Saburo sich zum ersten Mal zu Wort.
»Sollte Dari-oru-sama getötet werden, werde ich das König-Kaiser James berichten. Und meinem Shogun.« Saburo blieb stehen und verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust. »Ich bin ihr verpflichtet. Giri. Pflicht. Gleiches gilt für Roshfu-san. Ich werde König-Kaiser James in meiner Eigenschaft als Abgesandter Nihons um Hilfe für sie bitten.«
Cecil blinzelte und blieb ebenfalls stehen. Ich bemerkte, dass ich den Mund geöffnet hatte, und schloss ihn wieder. Master Saburos Selbstbeschreibung als unwissender Hauptmann der Fußtruppen war in mindestens einer Hinsicht falsch: Offenbar hatte er die diplomatischen Ränkespiele seines einstigen Herrn sehr genau verfolgt und daraus gelernt.
Wäre Dariole an meiner Seite gewesen, ich hätte lauthals aufgelacht; wohin sich Mylord Cecils Würde verflüchtigte, war mir egal.
»Also gut.« Cecil nickte. »Ich werde meine Männer nach Mistress Dariole suchen lassen. Sobald sie gefunden ist, werde ich Euch Bescheid geben. Mehr kann ich nicht für Euch tun. Master Rochefort, ich erwarte, dass Ihr mich ausführlich über alles informiert, was in Somerset vor sich geht.«
»Ich werde Euch Pläne der Höhlen schicken«, sagte ich. »Mylord … Ist es möglich, Euch zu bitten …?«
»Ich wünsche nicht, dass Earl Henry Percy gewarnt wird.« Cecil schaute mich mit dem Blick eines Mannes an, der anderen stets einen Schritt voraus ist. Das flackernde Kerzenlicht im Raum betonte seinen weißen Kragen, seine weißen Hände, sein weißes Gesicht und tauchte den Rest von ihm in samtene Dunkelheit. Er fuhr fort: »Ja, es ist durchaus möglich, dass man die junge Frau in sein Quartier im Tower gebracht hat. Ihr habt jedoch keine Entschuldigung, dorthin zu gehen, Master Rochefort. Solltet Ihr es dennoch tun, wird das Lord Northumberland nur alarmieren. Diese Verschwörung wird erst enden, wenn ich es will.«
»Mylord, Ihr müsst doch Agenten haben, die nicht von Fludd und Northumberland erkannt würden.«
»Dessen kann ich nicht sicher sein.« Cecil runzelte die Stirn. »Aber … Mir missfällt die Vorstellung in der Tat, dass man eine junge Frau entführt und sie dann in einer königlichen Feste versteckt … und das auch noch, um dadurch Seiner Majestät zu schaden. Sir William Waad, der Lord Lieutenant des Towers, schuldet mir noch einen Gefallen. Ich werde Sir William eine Suche durchführen lassen … jedenfalls so weit er das verdeckt bewerkstelligen kann.«
Ich verneigte mich und machte dabei eine weit ausholende, elegante Bewegung mit meinem Hut. Saburo verneigte sich ebenfalls, tief und würdevoll.
»Ich brauche noch immer eine Audienz«, bemerkte der Samurai mit kehliger Stimme, als er sich wieder aufrichtete. »Werde ich König-Kaiser James bald sehen, großer daimyo?«
Der englische Außenminister blickte vor sich, wo sich zwei Gänge kreuzten. Ich vermutete, er wollte, dass wir den nahmen, der aus dem Palast hinaus führte. »Ich bedauere, aber ich fürchte, ›bald‹ wird das noch nicht der Fall sein. Seine Majestät ist nach Norden gereist, nach Newmarket, um sich dort die Pferderennen anzusehen. Aber das nutzt wiederum unserem Master Rochefort, nicht wahr? So wird er den Anschein erwecken können, das Maskenspiel zu proben und gleichzeitig Fludds Instruktionen zu folgen.«
Geh nach Wookey. Tu, was man dir sagt. Das kam von Cecil wie auch von Fludd. Deutlicher hätte es nicht sein können. Und ich muss es tun. Und Fludds Männer werden mich ständig im Auge behalten.
Abermals verneigte ich mich zum Zeichen, dass ich verstanden hatte, und blickte zu dem kleinen Mann hinunter.
Es hätte mich nicht wirklich überrascht – zumal Mademoiselle Darioles Abwesenheit mich in England und damit in dieser Verschwörung festhielt –, wenn Cecil ihren Aufenthaltsort in Wahrheit kannte, ihn nur für sich behielt. Doch an diesem Punkt konnte ich nichts dagegen tun.
»Ich werde Euch aus Somerset berichten«, sagte ich. »Mylord, eines noch: Falls es keine Neuigkeiten aus Frankreich gibt, dürfte ich Euer Gnaden dann bitten, eine Nachricht in die andere Richtung zu schicken? Eine Nachricht an Monseigneur de Sully?«
Cecils Gesichtsausdruck blieb so trübselig wie stets. »Ich sehe keinen Grund, warum ich Euch das verweigern sollte, Master Rochefort. Der englische Gesandte am Hof der Königin ist es gewohnt, derartige Dinge zu erledigen. Ich könnte ihn bitten, mit Monsieur de Rosny zu sprechen.«
Cecil von meinen Angelegenheiten zu erzählen, gefiel mir ganz und gar nicht; aber ich wusste nicht, wie ich meinem Herrn sonst eine verschlüsselte Botschaft hätte zukommen lassen sollen. Und er muss gewarnt werden.
Als ich mich zustimmend verneigte und mich anschickte zu gehen, stieß Saburo ein leises Grunzen aus und deutete auf sich selbst – nicht auf die Brust wie ein Europäer, sondern auf sein Gesicht. »Roshfu-san kann nach Wookey gehen. Ich werde hier warten. Ich werde den König-Kaiser sehen, wann immer er es wünscht, großer daimyo Seso. Und sollte ich etwas von Dari-oru-sama hören, Roshfu-san, dann werde ich es Euch sagen.«