Rochefort: Memoiren
Siebenunddreißig

Die Wachen in Heinrichs neuer Livree wurden hereingerufen. Sie schauten einander an und dann beklommen zu Robert Cecil und James Stuart. James lachte.

Robert Cecil, der sich inzwischen wieder ein wenig erholt hatte, schnippte mit den Fingern. »Schickt nach dem Rat, Northumberland und Raleigh! Bittet sie, in den Tower zu kommen. Und bringt den Prinzen mit. Achtet sorgfältig darauf, was ihr wie sagt. Sagt dem Prinzen, sein Vater, der König, lebe, und dass er nun sofort zu ihm kommen müsse, auf dass sie beide gemeinsam und im Triumph nach Whitehall reiten können.«

Die beiden Männer fielen sofort auf die Knie. König James winkte ihnen gnädig aufzustehen. »Wir freuen uns genauso sehr darauf, Unseren Sohn zu sehen, wie er sich darauf freuen wird, Uns begrüßen zu dürfen!«

Saburo und ich blickten einander über den Raum hinweg an. Die Einschätzung des Samurai hatte sich offenbar drastisch verbessert, wenn ich die Belustigung in seinen Augen sah.

Als wir die Straße erreichten, erhob sich Lärm. Offenbar hatten sich die Gerüchte rasch verbreitet. Menschen rannten herbei und drängten sich um das Pferd des Königs. Ich sah, dass James' Verlangen, in den Tower zurückzukehren, nicht nur daher rührte, dass er den Prinzen dazu zwingen wollte, auf seinen Befehl hin zu springen; James wollte auch einfach aus dieser überwältigenden Masse seiner Untertanen heraus.

Cecil ritt an der Seite des Königs. Ich dachte: Sobald er das königliche Siegel von Heinrich zurückerhalten hat, wird James Lord Cecil schicken, um erste Verhaftungen vorzunehmen. Lord Northumberland wird vermutlich direkt im Tower und von dort aus auf dem Richtblock landen. Aber Fludd … Wo ist Fludd?

Vor mir sah ich Dariole mit steifem Rücken auf ihrer Stute sitzen, und mir zog sich die Brust zusammen.

Ich drückte meinem Braunen die Sporen in die Flanken und ritt neben sie, als sie gerade die Leinenhaube abnahm und sich mit den Fingern durch die kurzen Haare fuhr. Einen jungen Mann mit Rapier und Dolch in diesem seltsamen Samuraigewand zu sehen, war schon ein lustiger Anblick.

Sie schnappte: »Euch kann wohl gar nichts rühren, oder?«

Verwirrt fragte ich mich, was für einen Ausdruck sie wohl auf meinem Gesicht gesehen hatte, doch bevor ich etwas darauf erwidern konnte, fuhr sie fort:

»Ich hätte wissen müssen, wie zynisch Ihr sein würdet! Aber andererseits würdet Ihr Loyalität auch nicht erkennen, wenn sie Euch in den Arsch beißt, nicht wahr, Rochefort?«

Der Schmerz war unerwartet groß. Ich verneigte mich knapp vor ihr. Ich wollte keinen Streit. »Da habt Ihr ohne Zweifel Recht, Mademoiselle.«

»Nein …« Sie funkelte mich an und korrigierte sich selbst: »Ihr wisst, wie man Loyalität benutzt. Ravaillac könnte uns das bestätigen, wenn er noch leben würde, nicht wahr?«

Das traf mich nicht nur tief, es war auch unklug gewesen, das zu erwähnen (obwohl sie Französisch sprach), wo jeder Mann uns hören konnte.

Allmählich wird mir klar, dass sie so lange Streit suchen wird, bis ihr ein Duell Erleichterung verschafft.

Ich bin ein erwachsener Mann. Selbst wenn sie männlich wäre, wäre sie immer noch ein Junge. Es ist an mir, mich nicht provozieren zu lassen.

Als die eigentlich von der Pest leergefegten Straßen sich derart mit jenen gefüllt hatten, die nicht über genügend Geld verfügten, um der Seuche zu entfliehen, entfernte ich mich von Mademoiselle Dariole, indem ich mich zurückfallen ließ.

In den darauffolgenden Tagen hielt ich ähnlich großen Abstand zu ihr – was sich als nicht allzu schwer erwies, da die Menschen überall die glückliche Rückkehr ihres Königs James in die Hauptstadt feierten (und dabei auch die Porträts von Heinrich IX. abhingen, die vereinzelt schon in den Fenstern gehangen hatten) und der Hof sich aus Furcht vor der Pest ein paar Meilen flussabwärts nach Greenwich verlegte.

Greenwich war mir vertraut: die Ansammlung von Prachtgemächern und Verwaltungsbüros entlang der Themse, östlich von Blackheath, und die prächtige Front aus roten Ziegeln, die direkt aus dem Wasser zu wachsen schien. 1603 hatte ich einige Zeit hier verbracht, als Messire de Sully damals eine Audienz beim König hatte. Dass ich nun wieder hier war, diesmal aber für König James und Minister Cecil arbeitete, fand ich ironisch.

Aber zumindest beschäftigte es mich.

London – eigentlich ganz England – sah die Rückkehr seines toten Monarchen, und nach einer jener öffentlichen Entscheidungen, die niemand vorherzusehen vermag, stellten die Menschen ihre Piken und Musketen wieder beiseite, und nichts deutete mehr darauf hin, dass es fast zu einem Bürgerkrieg gekommen wäre. Dass Northumberland und Raleigh wieder im Tower saßen, konnte natürlich etwas damit zu tun haben.

James und Cecil gestatteten mir, meinen Beruf auszuüben. Ich untersuchte jedes Schiff, jede Poststation und jedes Zolltor auf den Routen, die Doktor Fludd auf der Flucht hätte einschlagen können – ohne Erfolg. Ich wusste, dass Cecils Informanten London mitsamt seiner Vorstädte durchkämmten. Frustriert verschliss ich ein Pferd nach dem anderen, während ich von Richmond bis Tilbury nach dem Flüchtigen suchte, von Barnet bis zu den Grenzen von Kent. Sechs Tage lang ritt ich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Niemand, den ich fragte, hatte Robert Fludd gesehen.

Bei meinem Aufbruch von Greenwich am nächsten Morgen kam der Samurai keuchend über den Hof zu mir gelaufen.

»Wir haben ihn!«, verkündete Saburo. »Furada!«

Vermutlich habe ich ihn missverstanden, dachte ich und blieb stolpernd stehen. Ich starrte den Samurai an und verlangte zu wissen: »Fludd? Ihr habt Robert Fludd"?«

»Hai!« Saburo grunzte und nickte knapp. »Roshfu-san, Dari-oru-sama wird bald davon erfahren. Wir sollten zuerst dort sein, sonst ist er tot.«

Ich legte die Hand auf das mit Draht umwickelte Heft meines sächsischen Rapiers; meine Finger fühlten sich taub an. »Wo? Lebt er? Was ist passiert?«

»Er lebt. Ihr werdet schon sehen, Roshfu-san. Kommt!«

Die Hufe des Braunen schleuderten den getrockneten Schlamm vor den Ställen des Palastes von Greenwich hoch. Ich trieb mein Pferd hinter Saburo in Richtung Westen, raus aus Greenwich und auf die Heide. Dabei fluchte ich unablässig vor mich hin – eine Flut von Französisch, wobei ich hoffte, dass der Samurai es noch immer nicht verstand.

Als wir jenseits der Heide wieder auf Häuser stießen, erkannte ich die Straße der Bettler und Abrahams Männer. Saburos Reitstil sah zwar seltsam aus, aber er hielt sich ständig vor mir. Als ich ihn schließlich doch einholte – und inzwischen war ich überzeugt davon, dass er kein schlechter Reiter war, zumal er keine Sporen trug –, griff ich in seine Zügel und brachte ihn in einer Staubwolke zum Stehen.

»Wo reiten wir hin?«

Saburo deutete weiter nach Westen. Er meinte vielleicht Long-Southwark oder London Bridge, aber davor …

»Sein Haus?«

Der Samurai nickte. »Hai, Roshfu-san. Prinz Heinrich-sama hat einen Boten zu Seso-sama geschickt, dass Furada heute dort sein wird.«

Staunend starrte ich den Nihonesen an. »Der Prinz hat Fludd an Cecil verraten?«

Saburo wendete sein Pferd und ritt im Schritt auf die Southwark Straße. »Es ist so, wie die yamabushi gesagt hat. Kata-rii-na.«

Ich ritt mit ihm Stiefel an Stiefel. Den Namen der alten Italienerin konnte ich gerade so eben verstehen; aber was das andere Wort zu bedeuten hatte … Ich schüttelte den Kopf.

»Das ist ein Priester. Bergkrieger. Yamabushi. Kata-rii-na, Priesterin der Höhlen. Sie hat gesagt, es würde eine Zeit kommen, da Furada sich wieder außerhalb seiner Weissagungen bewegen würde.«

Eine Zeit, die so weit von seinen Vorhersagen entfernt lag, dass selbst Fludd nicht mehr berechnen konnte, was geschehen würde.

»Nun, falls Ihr Recht habt und sie ihn gefangen genommen haben … Dann würde ich sagen, ja. Ja, Monsieur, dann ist Fludd ›außerhalb seiner Weissagungen‹.«

Bewaffnete in Cecils Wappenrock waren schon zu sehen, bevor wir das Haus an der Battle Bridge erreichten. Als ich abstieg entdeckte ich weitere von ihnen am Flussufer, im Hof und an den Lagerhäusern. Das große Eichentor zum Garten stand offen. Das Gras war niedergetrampelt worden – ich nahm an, dass in den vergangenen Tagen noch mehr Plünderer das Haus heimgesucht hatten –, doch die Sonnenuhr stand wieder auf ihrem Sockel.

Darioles haselnussbraunes Pferd war nirgends zu sehen, und die grimmig dreinblickenden Soldaten sahen nicht so aus, als hätten sie vor kurzem erst gekämpft.

»Sie ist noch nicht hier.«

»Hai.« Saburo grunzte und ging, um Cecils Musketieren ein paar Fragen zu stellen. Ich führte mein Pferd in den ziegelummauerten Garten und band die Zügel an der Sonnenuhr fest.

Robert Fludd.

Der Schatten des Gnomons ließ mich wissen, dass es noch nicht ganz zwölf Uhr mittags war. Me umbra regit vos lumen.

Ich schüttelte den Kopf. Nein, wir wurden beide vom Schatten beherrscht. Man musste sich nur einmal ansehen, was wir taten.

Der Samurai kam mit zwei Offizieren. Ich ging durch die Küchentür in das geplünderte Haus voraus. Die Räume rochen nach Asche und Urin.

Sechs weitere Musketiere befanden sich oben, wo sie Robert Fludd festhielten. Zuerst konnte ich ihn nicht sehen. Die Soldaten standen auf. Sie wirkten verlottert. Wäre ich ihr Offizier gewesen, ich hätte sie diszipliniert. Dann sah ich einen Mann auf einem Hocker am kalten Kamin.

»Habt Ihr etwa damit gerechnet, unerkannt zu entkommen?«, fragte ich.

Robert Fludd hob den Blick. Sein Haar war kurzgeschoren, die Farbe irgendetwas zwischen weiß und grau, und ich sah, dass er sich den Bart abgenommen hatte. Rasiert sah er nicht so viel anders aus, als man hätte erwarten können.

Ich lehnte mich an den Kamin, der in einem Stil verputzt war, wie er der englischen Mode vor einhundert Jahren entsprach. »Soll das Eure Verkleidung sein?«

Er schwieg. Er trug den Mantel eines Landmannes, kein Wams, an vier, fünf Stellen geschnürt anstatt geknöpft, und eine unförmige Hose aus rotbraunem Stoff, dazu ein Paar Holzschuhe. Hätte die Verkleidung funktioniert, hätte man ihn für einen Wanderarbeiter aus Kent oder Surrey halten können, der sich auf dem Weg zurück dorthin befand. Im Augenblick schien er sich jedoch vor allem unbehaglich zu fühlen.

»Wo ist der König?«, fragte Fludd schließlich mit dünner Stimme.

»Ich nehme an, er beschließt gerade, Euch in den Tower zu werfen.«

»Nein.« Fludd verzog ungeduldig das Gesicht. »Der König. Wo ist Heinrich?«

Ich hob die Augenbrauen. Ein Soldat lachte.

»Es gibt keinen verdammten König Heinrich«, sagte einer der anderen Soldaten.

Ein weiterer Mann murmelte: »Und ich sage, in ein paar Jahren wird es ihn geben, nachdem sein alter Vater ihm vergeben hat.«

Das Lachen im Raum klang zynisch, war aber nicht gänzlich unfreundlich. Ich frage mich, dachte ich, ob James weiß, dass die Leute verstehen, dass Heinrich, was auch immer da kommen mag, sein Sohn ist und bleibt.

Fludd zeigt ein beneidenswertes Maß an Loyalität.

Was James zu ihm sagen mag, ändert auch nichts daran … aber um das anschließende Verhör durch Robert Cecil beneide ich ihn sicherlich nicht.

Es wäre mir eine Freude gewesen, Fludd zu berichten, wer ihn verraten hatte. Ich verkniff mir dieses Vergnügen jedoch. Stattdessen trat ich an das Fenster, von wo aus ich die Straße überblicken konnte, und schaute nach unten. Eine Hand voll Einwohner von Southwark versammelte sich vor dem gegenüberliegenden Gebäude. Ich sah keine Spur von Dariole.

Gut … Das ist keine Begegnung, der ich mit Freuden entgegen blicke.

Lärm erregte meine Aufmerksamkeit. Ich öffnete das Fenster und lehnte mich hinaus. Eine Kutsche mit Cecils Wappen rumpelte die Straße entlang.

»Warum seid Ihr hier?«, verlangte Fludds Stimme hinter mir zu wissen.

»Wollt Ihr damit etwa sagen, dass Ihr es nicht bereits wisst?«

Ich drehte mich um. Fludd war kreideweiß.

Diese Befriedigung gönnte ich mir.

Mit einem weiteren Blick auf die Straße hinaus sagte ich nachdenklich: »Ich bin gekommen, um Euch das Leben zu retten. Aber sollte das dort Lord Salisbury sein, bin ich vermutlich nicht vonnöten.«

Auf dem Gesicht des Doktors und Astrologen zeigte sich Verwirrung. Auch wenn es ein wenig armselig war, genoss ich den Anblick eines Robert Fludd, der nicht wusste, woran er war.

»Wie – kein vorhergesagtes Duell, Monsieur le Docteur?«, erkundigte ich mich. »Kein gewahrsagter Mord?«

Fludd warf mir einen derart elenden Blick zu, dass ein Mann mit freundlichem Herzen hätte glauben können, er sei krank.

Solch ein Mann bin ich jedoch nicht und war es auch nie.

»Wird man nicht irgendwann abhängig von der Mathematik?«, theoretisierte ich. »Ist es ein seltsames Gefühl, die Zukunft nicht mehr vorhersagen zu können?«

Fludd ballte die Fäuste im Schoß. »Ich will den König sehen!«

Die Sturheit in seiner Stimme wird schon bald verschwinden, vermutete ich. Spätestens wenn ihm klar wird, was ohnehin schon jeder weiß: Dass er mit seiner Verschwörung gescheitert ist.

Sollte er sich den lebendigen James Stuart ruhig ansehen. Das würde ihn schon wieder in die Realität zurückholen.

Mit einem Schrei des Kutschers hielt Cecils Kutsche vor dem Haus. Reiter stiegen von ihren Pferden.

»Sie ist nicht gekommen«, sagte Saburo und trat neben mich.

»Nein. Wir sollten dabei sein, wenn man ihn in Gewahrsam nimmt.« Ich blickte zu Saburo hinunter. »Es wäre allerdings freundlicher, wenn sie es von einem von uns anstatt von einem Fremden erfahren würde. Wir sollten sie suchen gehen.«

Der Samurai nickte. »Ich hoffe, dass Ihr sie finden werdet, Roshfu-san.«

Schwarzer Humor ließ mich bemerken: »Es ist schon seltsam, Monsieur. Das Gleiche habe ich gerade von Euch gedacht.«

Es ist eine Sache zu akzeptieren, dass man den Mann, der einen missbraucht hat, nicht töten wird, weil er einfach nirgends zu finden ist. Es ist jedoch etwas vollkommen anderes, wenn man ihn fast jeden Tag sieht, wenn man weiß, wo er ist und wie nahe.

Robert Fludd verschwand, als die Soldaten sich um ihn herum sammelten, um ihm die Hände zu binden. Offiziere brüllten Befehle. Der Oberste Minister betrat den Raum, eine kleine, ruhige Mitte inmitten des Chaos. In der Hoffnung, unbemerkt hinauszugelangen, ging ich zur Tür.

Ein Blick und ein Wink der Hand in dem schwarzen Handschuh beraubte mich jedoch dieser Gelegenheit.

»Geht schon einmal vor.« Ich legte Saburo die Hand auf die Schulter. »Und versucht, ihr die Neuigkeit so schonend wie möglich beizubringen.«

Ich ging zu Robert Cecil. »Mylord?«

Er nickte mir freundlich zu und lenkte mich in eine Ecke des Raums, wo man uns nicht so leicht belauschen konnte. »Master Rochefort, das kommt mir sehr gelegen … Ich brauche Euch im Palast von Greenwich. So wie sich die Dinge in letzter Zeit entwickelt haben, will ich Euch wissen lassen: König James akzeptiert Euren Vertrag im Prinzip. Wir sollten uns überlegen, wer aus Frankreich hinüberkommen sollte, um die Einzelheiten auszuhandeln. Wer soll den Vertrag unterzeichnen, und wo könnte man eine entsprechende Konferenz abhalten? Begleitet mich zum König.«

Hin- und hergerissen dachte ich: Ich will Mademoiselle Dariole suchen und ihr berichten, was geschehen ist; aber ich muss auch an dem Vertrag mitarbeiten.

Wie viel Zeit bleibt mir noch, bevor die Ereignisse in Frankreich sich entscheiden werden?

Ich verneigte mich vor Cecil und folgte ihm zur Kutsche hinaus. Vielleicht werde ich es bereuen, aber Saburo muss sie finden.

Die nächsten zehn Stunden verbrachte ich in Gesellschaft von James, Cecil und mal ein, mal zwei ihrer vertrauenswürdigsten Ratgeber und Kuriere. Es waren Männer von einer Art, mit der ich vertraut war, da ihresgleichen auch schon in meinen Diensten gestanden hatten: anonyme Männer, die nicht besser gekleidet waren als der durchschnittliche englische Bürger; Männer, die unbemerkt ein Schiff nach Calais oder Le Havre besteigen und dann die Straße nach Paris oder Rouen nehmen konnten.

Als der Himmel sich verdunkelte, gegen neun Uhr, suchte ich Mademoiselle Dariole sowohl im Tower als auch am Dead Man's Place – wo sich unser Quartier befunden hatte, das seltsamerweise noch immer zu vermieten stand. Als ich sie nicht fand, und da es schon zu spät war, die Heide nach Greenwich zu überqueren, verbrachte ich dort die Nacht. Und die ganze Nacht über hörte ich die Bärenhunde jaulen und stöhnen.

Zehn Tage später erschien der Verhandlungsführer aus Paris.

Cecil und ich hatten darüber gesprochen, wen man wohl nach London schicken würde. Die Nachrichten, die wir von den Agenten erhielten, waren bestenfalls zweideutig zu nennen.

»Kanzler Villeroi«, vermutete ich. »Oder vielleicht auch Ratspräsident Jeannin. Um ehrlich zu sein, Sir, hoffe ich, dass sie jeden schicken außer Concino Concini!«

Bei der Erwähnung des florentinischen Favoriten der Medici zeigte sich auf Robert Cecils Gesicht tatsächlich so etwas wie ein spöttisches Lächeln – ein Ausdruck, wie ich ihn noch nie bei ihm gesehen hatte.

Was Mademoiselle Dariole betraf, so sah ich sie weder, noch sprach ich mit ihr. Ein Aufeinandertreffen wäre wohl auch für beide von uns schmerzhaft gewesen.

Da die Existenz von Doktor Fludd der Geheimhaltung unterlag, ließ James ihn nicht in den Tower sperren. Während der König in Greenwich wohnte, ließ er Fludd in dessen Haus in Southwark, kaum dass die Türen wieder repariert und die Fenster vergittert worden waren, um ein glaubwürdiges Gefängnis daraus zu machen. Den Gerüchten, welche die Einwohner von Southwark verbreiteten, hörte ohnehin niemand zu; immerhin waren die Bewohner (jedenfalls für jene, die etwas zu sagen hatten) schlicht Huren und Schläger aus der Vorstadt.

Sir Robert Cecil war niemand, der unnötig Mühe verschwendete. Er ordnete an, dass in diesem Haus auch die Verhandlungen mit dem französischen Botschafter stattfinden sollten, sodass Doktor Fludd falls nötig sofort für ein Verhör zur Hand war.

Bevor ich Greenwich verließ, um nach Southwark zu reiten, sprach ich mit Monsieur Saburo über Mademoiselle Dariole und erkundigte mich, ob er sie rechtzeitig erreicht hatte, um sie als Freund von Fludds Gefangennahme in Kenntnis zu setzen. Er nickte und grunzte auf eine Art, die nicht so leicht zu übersetzen war wie üblich.

»Wo ist sie jetzt?«, fragte ich.

Er zuckte mit den Schultern. »Wenn Ihr wollt, komme ich mit nach Southwark, um sie vom Haus fernzuhalten.«

»Das könnte sich möglicherweise als klug erweisen.« Außerdem wäre er so rasch greifbar, sollte der französische Gesandte einen weiteren Zeugen für das verlangen, was in Somerset geschehen war.

In Southwark angekommen verbrachten wir den größten Teil des Morgens mit Warten. Ich nutzte die Gelegenheit, um Monsieur Saburo in die Grundzüge des Glücksspiels einzuführen, da ich einige Würfel bei mir hatte, und wir spielten um theoretische Summen. Als die Wachen schließlich meinen Namen riefen, glaube ich, hatte er bereits den gesamten Reisertrag zweier Provinzen von mir gewonnen. Saburo grunzte amüsiert, und ich ließ ihn noch ein wenig mit den Würfeln spielen.

Ich folgte der Wache die dunkle Treppe in den ersten Stock von Fludds Haus hinauf.

Hätte Robert Fludd, als er mich zum ersten Mal hierher hatte bringen lassen, gewusst, dass ich dereinst hier über ihn zu Gericht sitzen würde …

Offensichtlich hat er das für derart unwahrscheinlich gehalten, dass er sich nicht die Mühe gemacht hat, es auszurechnen. Das zeigt einmal mehr, wie viel Macht der Mensch kraft seiner Entscheidungen über das Schicksal besitzt.

Der Mann in James' Wappenrock führte mich an dem sicher verriegelten Raum vorbei, wo man Doktor Fludd gefangen hielt. Trotzdem standen zwei Musketiere vor der Tür. Ich wurde in den vorderen Raum gescheucht, verneigte mich vor König James und Minister Cecil und war ein wenig in meiner Sicht behindert durch das Sonnenlicht, das durch das Bleiglasfenster hereinfiel. Erst als ich mich wieder aufrichtete, sah ich den vertrauenswürdigen Gesandten, den Maria di Medici aus Frankreich geschickt hatte.

Rechts neben James, auf einem Stuhl, der an Pracht dem des Königs in nichts nachstand, saß keine andere als Maria höchstpersönlich, Königin und Regentin von Frankreich.

Ich starrte sie an.

Sie trug keinerlei Schmuck und war schlicht gewandet – was vermutlich nur der Verkleidung diente –, doch ihre Röcke und das Mieder waren derart gut geschnitten und perfekt genäht, dass jeder sofort sehen musste, dass nur jemand von edlem Blut sich solch eine Kleidung leisten konnte.

Oder gar von königlichem Blut.

Maria di Medici schob ihre perlmuttfarbene Seidenhaube ein wenig zurück.

»Monsieur Rochefort«, bemerkte sie. Sie schaute mich mit ihren sommerblauen Augen an. Diese und ihr goldenes Haar zusammen mit dem rundlichen Gesicht ließen sie engelhaft, aber zugleich auch nicht sonderlich klug wirken.

Als ob ich mich je davon täuschen lassen würde!

An meiner Seite hing ein blankpoliertes Stück Stahl, so scharf, dass es ein Haar zerteilen konnte, wenn man dieses nur darauf fallen ließ; doch sie hielt mir eine weit tödlichere Waffe an die Kehle.

Cecil strich sich über seinen kleinen Spitzbart und blickte von den Papieren auf, die vor ihm auf dem Tisch lagen. »Monsieur de Rochefort wird Euch über Doktor Fludds Aktivitäten informieren, Euer Majestät. Er wird Euch alles bestätigen, was bereits gesagt worden ist.«

Die Königin nickte gnädig, ohne auch nur eine Sekunde den Blick von mir abzuwenden.

›Ihr seid nicht de Rochefort‹, hatte sie einst zu mir in der schmuddeligen Taverne gesagt, wo man Maignan auf ihren Befehl hin ermordet hatte. Sie bemerkte jedoch nichts dazu, dass Cecil den Adelspartikel benutzte. Sie schaute mich einfach nur weiter an, und es schien, als hätte sie am liebsten gelächelt, hätte dieses Lächeln dem Beobachter nicht zu viel verraten.

»Natürlich, Eure Majestäten; Herr Minister«, willigte ich elegant ein.

Was würde mir eine offene Anklage nützen?

Meine Gedanken überschlugen sich geradezu, während ich die Hände hinter dem Rücken verschränkte und berichtete, was zwischen mir und Robert Fludd in den vergangenen drei Monaten geschehen war. Wenn ich sie anklage, wird man mich dann anhören? Ravaillac ist tot. Er ist gestorben, ohne ›Monsieur Belliard‹ auch nur mit einem Wort zu erwähnen, der ihm geholfen hat, Heinrich IV. zu ermorden. Ich bin allein; das Wort eines einzelnen Mannes … das Wort eines Spions.

Und egal wie viel Respekt ich mir auch am Stuarthof verdient haben mag, das Letzte, was der Herr Minister und Seine Majestät jetzt hören wollen, ist, wie eine andere Herrscherin öffentlich des Mordes an ihrem Ehegatten beschuldigt wird.

Sully. Ich beobachtete Maria di Medicis weiches Gesicht, während ich von den Ereignissen in Somerset berichtete und kurz erklärte, wie Doktor Fludds Pläne durch die Anwesenheit eines weiteren Studenten von Giordano Bruno zunichte gemacht worden waren. Habt Ihr immer noch Eure Hände am Hals von Seiner Gnaden? Laut Cecils Berichten, saß der Herzog noch immer im Ministerrat, aber …

Als ich zum Schluss kam, vermochte ich nicht zu sagen, ob Maria di Medici an den Tod von Suor Caterina glaubte oder nicht. Allerdings witterte sie die Gelegenheit, an das Wissen von Monsieur le Docteur zu gelangen – das sah ich ihr deutlich an.

»Wir sind Unserem Freund sehr dankbar.« Hier lächelte sie mich gnädig an, nannte mich aber nicht beim Namen, egal ob mit oder ohne ›de‹. »Er hat Uns hervorragend gedient. Mit Hilfe dieses Philosophen Monsieur Fludd werden Frankreich und England eine neue Ära des Friedens einleiten.«

Oder wenn sie in den Krieg ziehen, werden sie sicher sein können, ihn zu gewinnen. Mir war durchaus bewusst, dass Robert Fludd ein zweischneidiges Schwert war. Ich riskierte alles, indem ich mich voll und ganz auf meine persönliche Einschätzung dieser beiden Charaktere verließ: dass diese, ein weibischer Mann und ein weibisches Weib, tatsächlich nicht wollten, dass ihre Länder in einen Krieg verwickelt wurden. James musste sich an Schottland erinnern, Maria an die Kriege in Frankreich …

Als ich so am Fuß des langen Tisches stand und zu James Stuart und Maria di Medici am anderen Ende blickte, kam mir der Gedanke, dass es für alle Beteiligten vielleicht besser gewesen wäre, wenn ich Mademoiselle Dariole vor vierzehn Tagen in dieses Haus gebracht hätte, damit sie mit ihrem Schwert die Welt von Robert Fludd hätte befreien können. Aber wie auch immer … Niemand konnte sicher sein, dass es nicht vielleicht doch noch andere wie Fludd und Caterina gab.

Maria di Medici deutete auf die Papiere vor Minister Cecil. »Wir müssen noch immer ein paar Einzelheiten besprechen. Messires, dürften Wir wohl mit Unserem Untertanen Rochefort unter vier Augen sprechen? In einem Privatgemach vielleicht …?«

Ihr sanfter Tonfall mochte viele ja täuschen, doch ich bezweifelte, dass das auch für den König und Cecil galt, James Stuart reagierte mit einem angemessenen, blumigen Kompliment, willigte aber dennoch ein.

Maria di Medici stand auf und ging elegant in eine benachbarte kleine Kammer, die – das sah ich beim Eintreten – einst Fludds Arbeitszimmer gewesen sein musste. Der Schreibtisch war vom Feuer ein wenig mitgenommen. Er stand an einer Wand, von der man die Paneele heruntergerissen hatte.

Die Königin setzte sich auf einen Hocker und ließ mich stehen. Ich verschränkte die Hände wieder hinter dem Rücken und blickte auf sie hinunter. Die Tür hinter uns stand offen. Der König von England und Schottland verließ den Raum und rief seinem Minister jovial zu, sie sollten sich ein paar Erfrischungen besorgen. Bisweilen ist eine offene Tür das einzig sichere Mittel gegen Lauscher.

Mit leidenschaftslosem Gesichtsausdruck schaute ich weiter auf die Königin hinunter. Wegen dir hat man Maignan die Kehle durchgeschnitten, sinnierte ich, und in der Normandie sind zwölf Mann für dich gestorben. Vielleicht hatten sie es nicht besser verdient, aber sie waren Menschen, und so hätte man ihnen im Tod mit ein wenig mehr Mitgefühl begegnen können. Das ist selbst in meinem Beruf üblich. Und Messire de Sully …

»Glaubt Ihr, mich mattgesetzt zu haben?«, fragte die Königin nach wie vor in sanftem Tonfall.

»Monsieur le Duc de Sully ist ein Minister, um den Euch jeder Monarch in Europa beneiden müsste.« Ich hielt ihrem Blick stand. »Es war sehr klug von Euch, Euer Majestät, ihn weiter in Euren Diensten zu belassen.«

Kurz schürzte sie die rosafarbenen Lippen.

»Der verstorbene König, Euer Gemahl, kannte Messire de Sully als offen, herausfordernd und ehrlich«, fügte ich hinzu. »Er verstand, seine Talente zu nutzen, und mit seinem Mangel an höfischen Manieren kam er gut zurecht. Ein kluger Herrscher würde fortfahren, diese Talente zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen, Euer Majestät.«

Die Düfte von Southwark drangen in den kleinen Raum, und die Turmuhr der Pfarrkirche schlug die Stunde. Ich sah Sorge in den Augen der Königin, und ich vermutete, dass das etwas mit der Sommerhitze und der Angst vor der Pest zu tun hatte. In Frankreich hatte der Hof Paris sicher längst verlassen und war in kühlere Gefilde gezogen.

Marias Tonfall änderte sich, als sie erwiderte: »Ist das Euer Bild von Monsieur de Sully? Mit dem wahren Leben hat das ehrlich gesagt recht wenig zu tun.«

»Euer Majestät …«

»Diese Rechtschaffenheit? Diese Ehrlichkeit? Und das, obwohl er gerade erst zu Monsieur Concini gekrochen ist und ihn angefleht hat, um seine Position bei Hofe zu retten?«

Ich ließ die Hände sinken und bemühte mich, mir das Entsetzen nicht anmerken zu lassen, das ich empfand.

»›Anflehen‹?« Ich war viel zu ungläubig, als dass ich ihr noch mit dem Respekt hätte begegnen können, der einer Königin gebührt. »Concini? Diesen florentinischen Hurensohn? Um was? Nein! Messire de Sully würde so etwas niemals tun!«

Die Königin hob die Augenbrauen und zeigte sich entsetzt ob meines mangelnden Respekts. Sie wäre allerdings überzeugender gewesen, hätte sie sich das Lächeln verkneifen können. »Aber ja, Monsieur. Es ist jetzt ein, zwei Wochen her, seit das geschehen ist … dass Monsieur de Sully Monsieur Concini um dessen Freundschaft und Gunst angebettelt hat. So rasch hat Euer Herr meinen Gemahl nach dessen Tod im Stich gelassen …«

Ich wandte den Blick ab in der Hoffnung, dass sie nichts in meinem Gesicht würde lesen können. Jenseits des Fensters legte sich die staubige Sommerluft auf die Dächer und Kamine von Southwark.

»Ich kann eine Königin nicht als Lügnerin bezeichnen.« Ich drehte mich wieder zu ihr um. Wir sind allein, und schon will sie mich umbringen lassen. »Aber Euch werde ich so nennen. Messire de Sully würde höchstens zu Eurem fetten, kleinen, italienischen Abenteurer gehen, um ihm ins Gesicht zu spucken!«

Maria di Medici lächelte. Nachdenklich legte sie den Finger an die Unterlippe und schaute zu mir hinauf. »Wie ich sehe, vermag Sullys Schwarzer Hund noch immer zu beißen … Aber legt Euch erst einmal einen Maulkorb an, Monsieur, und hört mir zu. Ich will einräumen, dass es seine Familie und sein Haushalt gewesen sind, die auf dieser Geste bestanden haben. Auch ich habe schon einmal solch eine Erfahrung gemacht, als zu befürchten stand, dass jemandem all sein politischer Einfluss genommen wurde.«

Ihr war deutlich anzuhören, wie viel Freude es ihr bereitete, mich zu provozieren. Sie ist eine Frau, schwach, schutzbedürftig, und hier steht Monsieur Rochefort vor ihr und kann all seine überlegene Kraft nicht gegen sie verwenden.

Sie genießt das, sinnierte ich und nahm mich zusammen.

Sie spielte mit ihren Fingern. »Man hat mir erzählt, der Herzog habe von einer Verschwörung Villerois, d'Epernons, Concinis und des päpstlichen Nuntius Ubaldini erfahren, die Regierung untereinander aufzuteilen … die üblichen Intrigen: eine Allianz zwischen dem Papst und Spanien, eine österreichische Braut für meinen Sohn Ludwig … Der große Plan meines Gemahls wäre damit so gut wie aufgegeben …«

»Um so weniger Grund für Messire de Sully, zu Concini zu gehen!«

Die Königin strich ihren Rock glatt. Sie lächelte noch immer. »Wie es scheint, hat Monsieur de Sullys Familie kein Wort von dieser Verschwörung geglaubt. Er hat mit seiner Frau, seinem Sohn und seinen Freunden darüber gesprochen.« Sie blickte unter ihren langen goldenen Wimpern zu mir auf. »Sie konnten sich das alles nur als Lüge erklären, und so haben sie beschlossen, dass ihr Gemahl, ihr Vater, ihr Freund, cospetto!, versuchen solle, sich mit Monsieur Concini zu verbünden … zumal Monsieur Concini mein engster Freund und Favorit ist.«

Lächelnd schüttelte sie den Kopf.

»Schließlich ist es ihnen gelungen, Sully zu überreden. ›Da ihr mich zwingt, will ich es tun‹, hat er seiner Familie und seinen Freunden gesagt, ›aber dieses Zugeständnis wird euch keinerlei Vorteil bringen.‹Für mich bedeutet es jedoch Ärger, Verlust, gar Schande …‹«

Ihre Stimme hallte sanft in den leeren Räumen von Robert Fludds Haus wider, und im Geiste hörte ich Messire de Sullys wahre Stimme so klar und deutlich, dass ich unwillkürlich husten und mich räuspern musste, bevor ich etwas darauf erwidern konnte.

»Das hat er daheim gesagt? Madame, wäre ich noch im Arsenal, wäre es Euch weitaus schwerer gefallen, an die Einzelheiten dieser Konversation zu gelangen!«

Sie wedelte mit den Fingern und blickte mir in die Augen. »Ihr habt nicht so großen Erfolg gehabt, Euch meiner Agenten zu entledigen, wie Ihr Euch vielleicht gewünscht hättet, Monsieur Rochefort. Schon eine Stunde später war ich darüber informiert – dass der Herzog einen Mann namens Arnaud zu Monsieur Concini schicken wolle. Die Botschaft lautete, dass er, Sully, keinerlei Groll gegen ihn, Concini, hege, weil er bei mir die gleiche Stellung innehabe, die er früher bei meinem Gemahl bekleidete … und er hat Monsieur Concini seine Freundschaft angeboten.« Sie hielt kurz inne. »Man hat mir ebenfalls berichtet, dass es einige Zeit gedauert habe, bis Monsieur Arnaud wieder zum Herzog zurückgekehrt ist – und dass er Concinis Antwort zunächst nicht habe wiederholen wollen.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte ich so trocken wie möglich. »Nun, Madame, Ihr werdet es mir jetzt wohl sagen, denke ich. Und? Welche Frechheit hat der Florentiner sich erlaubt?«

»Monsieur Arnaud hat Monsieur Concinis Antwort äußerst präzise wiedergegeben«, sagte die Königin. »Seine Gnaden solle nicht glauben, Frankreich unter meiner Herrschaft genauso regieren zu können, wie er es unter der meines Gemahls getan habe. Und weder er, Concini, noch seine Verbündeten brauchten irgendjemandes Freundschaft, da es in niemandes Macht stünde, ihn meiner Liebe und Gunst zu berauben.«

Ihre Augen funkelten. »Und dem ist auch so.«

Falls das wirklich jemand gesagt haben sollte, bin ich froh, nicht in einem Raum mit meinem Herrn gewesen zu sein, als ihm davon berichtet wurde. Ich fragte mich, wie es Arnaud wohl ergangen war. Messire de Sully war für gewöhnlich äußerst beherrscht, doch das machte einen Wutausbruch nur umso schlimmer.

Ich richtete mich zu voller Größe auf, um mir nicht mehr so sehr wie ein Schuljunge vor seinem Lehrer vorzukommen. »Kommt auf den Punkt, Madame. Was Ihr mir erzählt – so es denn stimmt – ist, dass Ihr keine Angst mehr vor Messire de Sully haben müsst, da sein Einfluss gebrochen ist. Und genau deshalb braucht Ihr auch nicht zu zögern, den Vertrag mit Seiner Majestät König James zu unterzeichnen, da es Euch egal sein kann, ob der Duc de Sully nun lebt oder nicht.«

Dass Messire de Sully tatsächlich so kurz davor stand, all seine Ämter zu verlieren, darüber wollte ich zunächst einmal gar nicht nachdenken. Später wäre noch genug Zeit dafür.

Ich konzentrierte mich darauf, Maria di Medici weiter unverwandt in die Augen zu blicken, um zu sehen, ob sie mit unklugen Worten darauf reagieren würde, dass ich ihre Autorität derart in Frage stellte.

»Ich frage mich …« Sie klang nachdenklich. »Wie lange wird König James' Dankbarkeit wohl noch anhalten? Wie hartnäckig wird er wohl noch darauf bestehen, dass solch eine Klausel in den Vertrag aufgenommen wird, wenn ich ihm erkläre, dass ich nur unterzeichne, wenn sie verschwindet? Ja, das frage ich mich, Monsieur Rochefort. Ich bin Monsieur de Sully nämlich leid, seine Tiraden, seine Hand auf dem Geld, das mir gehören sollte, und ständig dieses lange Gesicht seit dem Tod meines Gemahls! Und ich sage Euch: Da alle Menschen eine verräterische Ader haben, beabsichtige ich, seine zu finden, und bei meiner Rückkehr nach Frankreich werde ich ihn dann so rasch wie möglich aufhängen lassen!«

Besonders beklagenswert war, dass ich das dringende Bedürfnis verspürte, mit Mademoiselle Dariole zu sprechen.

Am Ende eines Tages voller nicht öffentlicher Verhandlungen – Cecils Sekretär war wie benommen, als sein Herr ihm erklärte, was niedergeschrieben werden durfte und was nicht – wurden die Gespräche erst einmal ergebnislos und mit aller königlichen Bonhomie abgebrochen. James Stuart lud Maria di Medici für den kommenden Tag nach Greenwich und zu weiteren Gesprächen ein. Er, sie und eine Kompanie Musketiere ritten über die Heide, und ich ließ mich zurückfallen, bis ich Knie an Knie mit Monsieur Saburo ritt.

»Ihr habt eine meiner Fragen noch nicht beantwortet«, sagte ich.

»Hai.«

»Was sich vermutlich dadurch erklären lässt, das man Euch gebeten hat, es nicht zu tun, korrekt? Hat Dariole Euch gesagt, wo man sie finden kann?«

Der Samurai zuckte mit den breiten Schultern und nickte in Richtung des Palastes von Greenwich. »Dort. In irgendeinem Zimmer. Es ist ein großer Palast, Roshfu-san.«

»Und sie will mich nicht sehen?«

»Sie will Furada tot sehen.«

Und immer wieder läuft das Schiff auf diesen Fels. Als wir uns den roten Tortürmen des Palastes näherten, fragte ich mich, ob es die Sache wohl wert wäre, einen Diener zu bestechen, damit er mir den Aufenthaltsort von Mademoiselle Dariole verriet. Sie jetzt zu finden, wäre nicht allzu schwer. Aber wie sollte man diesen kalten, rechtschaffenen Zorn durchbrechen …?

James Stuarts Reiter verteilten sich vor uns.

Als wir dem Palasttor näher kamen, sah ich weitere Pferde, die sich auf der Straße und im Gras drängten. Sie schienen sich weder von den Torwachen noch von den Musketieren vertreiben zu lassen. Ich hörte im Zorn erhobene Stimmen.

Ungeduldig ritt ich James, Cecil und der unter einem Kapuzenmantel verborgenen Königin voraus, um zu sehen, ob nicht vielleicht ein Franzose Platz für den englischen König schaffen konnte. Eine tiefe Stimme hat den Vorteil, dass sie weit trägt. »Macht Platz! Macht Platz für Seine Majestät!«

Männer zu Fuß drängten sich im Tor, wie ich sah, nachdem ich mir meinen Weg durch die Menge gebahnt hatte: Höflinge, Gentlemen, Diener. Wachen versperrten den Weg – offenbar hatten die Neuankömmlinge versucht, sich Zutritt zu verschaffen.

Ich wendete das Pferd, um zu protestieren, und wurde mir des rauen Lärms bewusst, der von dem englischen Mob ausging. Zunächst wusste ich nicht warum.

Ein Stein oder Erdbrocken flog über die Hüte und Köpfe hinweg und landete zu Füßen von gut einem Dutzend Neuankömmlingen. Ich betrachtete ihre Kleidung mit den Augen eines Engländers, nicht eines Franzosen.

Jesuiten.

Ich schaute zur Medici auf ihrer Stute, daneben der König und der Minister. Falls sie wirklich so dumm gewesen sein sollte, ihre persönlichen Priester mitzubringen …

Ein Funkeln in ihren Augen ließ all meine Instinkte, die ich in den Jahren als Messire de Sullys Agent entwickelt hatte, entsetzt aufschreien: Du bist in Gefahr!

Bevor ich in der Menge untertauchen konnte, stieg Cecil mit Hilfe eines Soldaten vom Pferd und kam zu mir. Einen der Männer hinter der Gruppe in den Soutanen erkannte ich als den spanischen Gesandten. Offensichtlich sollen wir glauben, dass er sie in dieses Land gebracht hat, welches ihnen normalerweise verboten ist. Der älteste der Jesuiten deutete mit dem Finger auf mich.

»Das ist er!« Der Priester fixierte mich mit seinen dunklen Augen. »Das ist Messire Valentin Rochefort, der den Mord an Heinrich von Frankreich in Auftrag gegeben hat!«

So glatt, als hätte er sich auf diesen Augenblick vorbereitet – was wohl auch der Fall war –, sagte Robert Cecil: »Wie könnt Ihr Euch dessen so sicher sein, Mann? Das ist keine Anschuldigung, die man leichtfertig macht! Ist es nicht mehr als unwahrscheinlich, dass Ihr den Mörder des französischen Königs ausgerechnet in England findet?«

Letzteres war eine Warnung, die sich über die Köpfe der Priester hinweg an den spanischen Gesandten richtete. Deutlich sagte sie: Ich weiß, dass Ihr hierher gekommen seid, um Ärger zu machen. Vergesst es!

Dieses eine Mal hast du dir das falsche Ziel ausgesucht, dachte ich und hielt der Königin den Rücken zugewandt. Der spanische Gesandte mochte ja die unmittelbare Ursache für das Auftauchen dieser Priester sein, doch ich hätte alles darauf verwettet, dass er auf Bitten Maria di Medicis gehandelt hatte. Aber warum?

Bosheit. Ja. Aber … Ich bin die letzte Verteidigungslinie zwischen Sully und ihr.

Ein wenig heiser wandte ich mich an Lord Cecil. »Mylord, Ihr wisst, dass ich das nicht getan habe.«

»Das weiß ich sehr gut. Sehr gut, Monsieur de Rochefort.« Cecils Blick zuckte kurz an mir vorbei zu James Stuart, als wolle er sich vergewissern, dass der Mann noch gesund und lebendig war. »Das ist irgendeine Bösartigkeit, die man in Spanien ausgeheckt hat.«

Der Jesuit versteifte sich. Die kleine Gruppe seiner Gefährten – zwei weitere Priester, der spanische Gesandte und dessen Diener – rückte näher zusammen, als könnten sie sich so vor der Feindseligkeit der Menge verstecken.

»Selbst wenn dem so wäre«, sagte der Priester, »ist dieser Mann trotzdem ein Mörder. Wir haben Beweise dafür.«

Er winkte, ohne hinter sich zu schauen. Der jüngste der Jesuiten drehte sich daraufhin um und zog einen Mann nach vorn.

Ich riss die Augen auf, und ich glaube, mir klappte die Kinnlade herunter.

Gabriel Santon blickte mir in die Augen.

Der ältere Jesuit sagte: »Dieser Mann hier war bis vor ein, zwei Monaten der Diener von Valentin Rochefort. Er hat Beweise dafür, dass Valentin Rochefort ein Mörder ist.«

Gabriels Gesicht war schmaler als bei unserer letzten Begegnung, doch er humpelte nicht, stand auch nicht unbeholfen da, und auch hatte er noch Hände und Augen.

Trotz des Sonnenscheins der letzten Wochen war seine Haut weiß. Gefängnisblässe.

»Gabriel!«, sagte ich.

Er funkelte mich an. Angst, Wut und Verachtung, all das lag in diesem einen Blick. Auf Französisch sagte er zu dem Jesuiten: »Ja, Vater, das ist der Mann.« Und auf Soldatenenglisch an Cecil gewandt: »Das ist er, Mylord.«

Der Jesuit klang selbstgefällig. »Sein Diener kennt ihn.«

Robert Cecil reagierte nicht im Mindesten auf Santon. An den Priester gewandt erkundigte er sich – rhetorisch, wie ich glaubte: »Warum sollte ich den Worten eines Dieners Glauben schenken?«

Gabriel Santon blickte zu dem Priester, als suche er dessen Zustimmung, dann deutete er auf mich. »Zieht ihm das Wams aus«, sagte er mit rauer Stimme und auf Französisch, wovon ich sicher war, dass die Menge es nicht verstand. »Schneidet sein Hemd auf – an der Schulter.«

»Gabriel!« Ich konnte nichts anderes tun, als stehen zu bleiben, wo ich war.

Ich weiß nicht, warum ich über den Verrat so überrascht war – nur dass mir aufgefallen ist, dass die Leute stets überrascht sind, wenn es sie selbst betrifft. Warum sollte ich also in dieser Hinsicht anders sein?

Überdies war es in diesem Fall ja noch nicht einmal Verrat. Ich hatte ihn verjagt. Ich hatte ihn geschlagen. Ich war verantwortlich dafür, dass man ihn im Chatelet eingesperrt hatte. Zwar hatte ich nicht die Absicht gehabt – ich hatte ihm seine Freiheit geben wollen –, doch das war egal: Ich hatte trotzdem all das getan.

Gabriel Santon trat vor. »Sire, lasst mich es tun.«

Seine Stimme, so heiser sie auch war, brachte die Erinnerung an all das zurück, was ich einst als mein wirkliches Leben betrachtet hatte – mein Leben, wie es vor drei Monaten gewesen war: Paris, Duelle, Messire le Duc, und Gabriel, der sich um mein Essen kümmerte, meine Kleider und all die anderen leiblichen Bedürfnisse. Gabriel Santon, der mich nun mit kaltem Hass anstarrte und mich weder Sieur noch Raoul nannte, wie er es seit unserer gemeinsamen Zeit in den Vereinigten Provinzen getan hatte.

Widerstandslos ließ ich ihn den Ärmel von meinem Wams knöpfen. Ich blickte über seinen Kopf hinweg zu Cecil.

»Wird er etwas finden, Monsieur?«, fragte Cecil.

Hinter ihm runzelte der König die Stirn. Ich wagte es gar nicht erst, zu Maria di Medici zu blicken … ganz zu schweigen davon, dass ich nach Mademoiselle Dariole Ausschau gehalten hätte.

»Ja«, gab ich zu.

Gabriels grobes Gesicht zeigte keinerlei Spuren; die Folgen meiner Schläge waren längst verheilt. Allerdings vermutete ich, dass er mir die Zeit im Chatelet weitaus übler nahm als die Prügel. Er atmete schwer und packte mit der einen Hand den Ärmel, mit der anderen mein Wams an der Schulter.

»Das war nicht nötig«, sagte ich und schaute zu ihm hinunter.

Zur Antwort zerriss er den Stoff. Das Geräusch durchbrach die Stille, die um uns herum herrschte. Erfahren, wie sie waren, blickten Robert Cecil und der Jesuitenpriester dorthin, wo ich erwartet hatte.

Das Brandzeichen war alt, die Narbe weiß auf weißer Haut, aber noch immer gut zu sehen.

Unnötigerweise sagte der triumphierende Jesuit: »Er muss nicht extra vor Gericht gestellt werden. Er ist schon einmal wegen eines Kapitalverbrechens mit der Lilie gebrandmarkt worden. Nun hat er ein zweites Vergehen begangen. Legt ihm den Strick um den Hals. Noch diese Stunde kann er im Namen des Gesetzes gehängt werden.«

Auf Gabriel Santons Gesicht zeigte sich nichts außer boshafter Befriedigung. Ich fragte mich, wie die Zeit im Chatelet wohl gewesen war.

Ich wagte es nicht, zu den Engländern zu blicken, die noch immer aus dem Palast herbeiströmten, aus Furcht, Mademoiselle de Montargis de la Roncière unter ihnen zu sehen: eine junge Adelstochter, die nicht gewusst hatte, dass sie in Begleitung eines verurteilten Mörders gereist war. Ich wartete auf Cecil und den König.

James Stuart lenkte sein Pferd heran. Sein Gesicht war düster. »Ein ›Verbrecher‹ ist er also, ja? Nun, nach französischem Gesetz vielleicht, aber hier gilt das Gesetz Englands!«

Die Jesuiten schickten sich an, im Chor zu protestieren.

Cecil kam ihnen zuvor.

»Was auch immer er sein mag, meine Herren – Mörder, Verbrecher, Gebrandmarkter –, es ist, wie Seine Majestät gesagt hat: Unser englisches Gesetz weiß sich in solchen Fällen durchaus zu behelfen. Sergeant! Verhaftet diesen Mann!«