Teil Vier

Die Viper und ihre Brut

Fragmente, von Aemilia Lanier (?), ca. 1610 (?)

[Anm. des Übersetzers: Auch wenn sich in Philip Henslowes Tagebuch Hinweise auf Aufführungen von Die Viper und ihre Brut finden, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass wir hier Überreste dieser Version des Stückes haben. In jedem Fall hätte der Haushofmeister im Jahre 1610 ein Stück dieses Inhalts niemals zur öffentlichen Aufführung zugelassen.

Womöglich handelt es sich hier also um Rohentwürfe, die für die Endfassung der Viper wieder verworfen wurden, da es ihnen an direktem Bezug zu Heinrich IX. und seiner Thronbesteigung mangelt.

Falls es sich hier jedoch um einen jener ›Teile‹ handeln sollte, die Aemilia Lanier zeitgenössischen Berichten zufolge von Valentin Raoul Rochefort bekommen hat, dann stellt er geradezu die Antithese zu ihrer späteren, frommen Poesie dar, wie man sie zum Beispiel in Salve Deus Rex Judaorum findet. Einige der Themen würden allerdings zu dem passen, was Rochefort über seine Gespräche mit Elena Zorzi/Caterina berichtet. Aber auch wenn wir aus den Memoiren wissen, dass Aemilia Lanier einige Zeit in Wookey Hole verbracht hat – einen Teil davon auch ohne, dass Monsieur Rochefort dort gewesen wäre –, so gibt es doch keinerlei Hinweise darauf, dass die beiden Frauen Kontakt zueinander gehabt haben.

Ähnlichkeiten bestehen jedoch zur Tragödie des Atheisten, die mal Cyril Tourneur, mal Thomas Middleton zugeschrieben wird, und die vermutlich irgendwann zwischen 1608 und 1611 entstanden ist. Allerdings steht zu bezweifeln, dass selbst eine komplette Viper so komisch gewesen wäre, wenn auch unabsichtlich. Manfreda Visconti war im Übrigen die ›Päpstin‹ der Guglielmiten. Im Jahre 1300 wurde sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt und war angeblich das Vorbild für eine Tarotkarte.

[Lord HIPPOLYTO, der Unzufriedene, erscheint mit einem LORD, der neu bei Hofe ist, bevor die HERZOGIN von Mailand, VITTORIA VISCONTI, in einer Prozession den Raum betritt.]

HIPPOLYTO:

Unsere Herzogin?

Es heißt, sie habe sich mit ihrem Bruder gepaart,

woraus die Vipernbrut zu ihren Füßen entsprang.

Ein Hexensabbat mag wohl freundlicher sein.

LORD:

Warum solch Gram? Haben sie Euch ein Leid angetan?

HIPPOLYTO:

In mir, Sir, seht Ihr einen ruinierten Mann.

Einen Mann, der einst Länder hatte, Ehre, einen Namen, und nun habe ich nur mein Schwert.

Hippolyto, das bin ich, der Unglückliche.

LORD:

Eure Wunde?

HIPPOLYTO:

Diese Herzogin hatte eine Tochter, verliebt in einen Mann, welcher bereits in einer Ehe gebunden war.

Sie war seine Geliebte, und dann …

… dann hat sie selbst ein Kind empfangen.

Um ihren Namen zu retten, hat die Herzogin einen Mann gesucht, der bereit war, verdorbene Ware zu ehelichen;

und dieser ältliche Narr, (verliebt wie er war) heiratete die junge Hure.

Ein Hirsch war er, mit gewaltigem Geweih noch vor der Hochzeit.

Mein Weib gibt nun weiter die Geliebte,

verspielt die Juwelen meines Hauses,

treibt mich in den Schuldenturm, in Schande und sie Verzweiflung.

LORD:

Und niemand wagt es, ihr zu sagen: Nein?

HIPPOLYTO:

Vittoria, die Verdammte!

Die Viper ist ihr Muttertier.

Gebt dem Welpen nicht die Schuld! Sie ist das Kind der Hündin, deren hässliche Fratze sich in ihr zeigt.

LORD:

Bitte, verzeiht.

Wie ich sehe, liebt Ihr diese Dame noch.

HIPPOLYTO:

Das ist das Verdammenswerte. Ich muss bei Hofe leben – denn wo sonst soll ein Mann leben? –, und jeden Tag sehe ich ihre Untreue vor mir.

Doch schaut. Hier kommt der Hof.

[Einzug HERZOGIN VITTORIA; mit ihren TÖCHTERN und HÖFLINGEN bewegt sie sich in einer Prozession über die Bühne.]

HIPPOLYTO:

Ich werd' sie Euch benennen.

Merkt Euch die Vipern, ehe Ihr einen Fuß in Reichweite ihrer gift'gen Zähne setzt!

Zuerst ist da Vittoria, edle Fürstin und Hure, die Herzogin unseres Staates. Oh, merkt sie Euch gut!

Niemals werdet Ihr einen fauleren Anblick als diesen sehen.

Die weiße Viper, die sich um uns schlingt …

wie die Fäulnis um einen Leichnam,

oder Nebel, der tückisch den stinkenden Sumpf verbirgt.

Solch ein schönes Gesicht, doch welch ein faules Herz.

[…]

[Die HERZOGIN VITTORIA beschließt, ihre eigene Beerdigung vorzutäuschen, um die Verräter am Hofe von Mailand bloßzustellen.]

HERZOGIN:

So will ich denn all meine Feinde betören.

Ich werde die Neuigkeit von meinem Tod verbreiten

und sie so vor mein Grabmal bringen,

auf dass meine Rache sie unvorbereitet treffen möge.

Doch ach, ist es kein böses Omen, das zu spielen?

Nein – selbst die besten Omen vermögen diese Stunde nicht zu meiden.

Ein Leichentuch werd' ich benutzen, um mein Geheimnis vor allen unfreundlichen Augen zu verschleiern;

mein Grabmal, obwohl hohl wie ein fauler Zahn,

soll meine Zukunft bergen.

Und doch, was ist das? Ein Grab, so schlicht,

verschlingt die Zukunft und bewahrt sie,

macht Zweck mit Verderbnis ganz zunichte.

Doch ist nicht, was zählt, dass die Vipern an meinem Busen

einen leeren, hohlen Ort zu sehn bekommen?

Wenn ich Staub bin in eines Bettlers Grab,

so acht' ich nicht auf Pracht und nicht auf Armut.

Diese Geschichte zu erzählen, nimmt nur vorweg

in Jahren, vielleicht auch Tagen,

die Stunde, da der Tod muss kommen;

und aye, kommen muss er.

Die Viper muss die Haut abstreifen,

auf dass die eis'gen Knochen sichtbar werden.

Der Schlange Zahn fordert kein Blut mehr, keinen Atem, und Schönheit fällt der Fäulnis des Todes anheim!

[HIPPOLYTO, der Unzufriedene, gibt der HERZOGIN VITTORIA etwas, das sie für einen Schlaftrunk hält, um damit ihren eigenen Tod vorzutäuschen. Doch HIPPOLYTO hat insgeheim Gift beigemischt.]

HIPPOLYTO (ein wenig abseits):

Aye, schlaf. Und bete, bevor du dich zur Ruhe bettest.

Reinige deine Seele in der Beichte.

Du glaubst, dich niederzulegen,

um dich am Morgen wieder zu erheben.

Viele Kranke denken solchermaßen;

Menschen, die nicht wissen, wie tödlich ihre Krankheit ist.

HERZOGIN:

Gebt mir den Trank. Oh, er ist kalt! Kalt!

Tödliche Kälte strömt durch meine Adern.

Ich spüre des schwarzen Schlafes Flut,

wie sie der Seele Ufer überspült.

Diese Flut, sie zerrt an meinem Herzen.

Ein Schiff setzt Segel, wohin, das weiß ich nicht.

Ich bin das Schiff,

bin jenseits des Hafens, zum Segeln verflucht.

Mit eig'ner Hand hab ich die Segel gesetzt,

mein eigener Mörder …

Mörder? Nur drei Tage werd' ich schlafen;

drei Tage, drei Nächte, und mich dann erheben.

Sir, warum schaut Ihr mich so seltsam an?

Warum so düster?

HIPPOLYTO:

Schaut her, Ihr Viper,

da windet Ihr Euch zum letzten Mal!

Ihr seid gefangen; Ihr gehört mir.

Aye, mir! Ich habe Euren Leib, nicht Eure Seele.

Eure Seele schicke ich zu Jahwe, Euer schönes Fleisch

verbleibt hier unten mit nur noch einem Hauch von Wärme.

Ich will mein eig'nes Fleisch drauflegen, Lippe auf Lippe …

[Küsst sie.]

Wie, Ihr beißt mich, Weib? Die Schlange hat noch Zähne?

Dann nimm das.

[Schlägt sie.]

HERZOGIN:

Schlagt zu, schlagt zu, Ihr Kröte!

Einen Schlag will ich eher von Euch ertragen als einen Kuss.

Und ich werde zurückschlagen …

doch meine Kraft verlässt mich.

Welch Narretei ist das? Welch ein Verrat?

Ich sinke.

Die Last des Todes drückt mich nieder,

beugt meine Schultern, presst mich zur Erde.

Die Erde, in der ich ruhen werde?

Nein, ruhen werde ich nicht!

Ich werde auferstehen, um Euch zu jagen.

Wie ein Hund werde ich Euch auf Schritt und Tritt verfolgen.

Zum Morgen, zum Mittag, zum Abend und auch im Ehebett!

Wo Ihr auch seid, Schurke, sehet mein Gesicht,

und höret meine Stimme, wie sie der Welt verkündet:

Verrat!

HIPPOLYTO:

Nun möge sanfter Schlaf Euch zu sich nehmen,

Und nach dem Schlaf der Tod.

Werdet kalt, ihr Arme schön wie Alabaster.

Verglüht, ihr Augen, die ihr den Hof habt strahlen lassen.

Liegt still, ihr Hände, die ihr zur Sünde oft gelockt.

Ihr kleinen Hände rührt euch nicht.

Schweig, du Stimme, die mich in tausend Sprachen

hat verzaubert, auf dass ich dir in allem

zu meiner Verdammnis folgen mochte.

Oh, schweig, schweig!

Seid Ihr noch nicht tot?

HERZOGIN:

Euer Wunsch sei Euch erfüllt: Ich sterbe.

HIPPOLYTO:

Ich werde diesen Leib zu seiner Ruhestätte tragen,

in die Gesellschaft aller Toten der Visconti.

Ach, Herzogin!

Heute sollten wir Eure Hochzeit feiern …

Die Kirche ist bescheiden, und es mangelt Ihr ein wenig

an Bequemlichkeit.

Madame, ernst und feierlich ist es hier, ja gar ein wenig düster.

Die Gemeinde ist klein, und alle schweigen.

Die Braut trägt schwarz – ach, welch ein böser Scherz!

Der Bräutigam, den Ihr erwartet, ist ein Fremder,

zu alt und kalt für so ein junges Leben.

Es ist der Tod, der kommt. Ach, welch Feierlichkeiten.

Eulen spielen Euch den Hochzeitsmarsch, und Euer Ring

ist die sich um Euch schließende Dunkelheit.

Vom Tageslicht wird sie Euch trennen – trennen für alle Zeit.

ECHO:

Für alle Zeit!

HIPPOLYTO:

Ein Echo gibt mir Antwort?

Oder ist das der Teufel, der hier versucht, mich zu verspotten?

Was sagt Ihr, Satan? Ist sie bei Euch dort drunten?

Diese Verdammte der Verdammten, diese Viper in Menschengestalt?

Ich bekomme keine Antwort? Nun, Herr Teufel, es ist ja auch egal.

Ob nun der Himmel oder die Hölle sie zu sich gebeten hat,

sie kann nicht zurückkehren.

ECHO:

Zurückkehren!

HIPPOLYTO:

Dies Geräusch lässt mir mein schlagend Herz gefrieren.

Herzogin, reicht mir kurz Eure Hand …

Nein, kein Schlagen, kein Pochen Eures lüsternen Blutes. Die Viper ist tot.

Und niemand kommt, Euch zu betrauern, auch wenn sie glauben,

dass Euer Tod die Wirklichkeit und nicht ein Trick ist.

Vittoria, habt Ihr Zeit zu trauern,

nun da der gespielte Tod zur Wahrheit wurde?

Der Hauch von Wärme, der noch bleibt in Eurer Hand,

wird bald der Kälte weichen,

und die Wange zu Marmor soll erstarren.

Verfall wird über Eure trägen Glieder kriechen,

bis schließlich das Fleisch von gelben Knochen fällt.

Nur Euer Schädel wird noch knöchern grinsen.

Wo ist da Euer Fürstentum? Wo Eure Macht?

ECHO:

Wo Eure Macht?

HIPPOLYTO:

Und das ist wahr.

Sagt: Wo bin ich besser als sie?

Mein Verderben steht nicht länger kurz bevor,

sondern ist in weiter Feine.

Doch der Tag wird kommen,

der Tag, da ich bin wie sie.

ECHO:

Bin wie sie!

HIPPOLYTO:

Unfreundliches Echo, willst du mich tot sehen?

Ich schließ die Gruft und höre das Geräusch nicht mehr.

Lebt wohl, Herzogin.

Unser Sieg ist nur von kurzer Dauer.

In der Dunkelheit sind an Schatten wir gebunden.

Alles in diesem kleinen Knochenkäfig,

den wir unsren Schädel nennen, draußen nur die Ignoranz.

Wir, die wir Wissen sammeln, Gold und Liebe …

Wir gewinnen nur Verstand, um zu erkennen,

dass blind durch diese Welt wir wandern.

[Die sterbende HERZOGIN VITTORIA erwacht noch einmal, um sich eingesperrt in ihrem Grab wiederzufinden.]

HERZOGIN:

Ich glaubte, meinen Tod gespielt zu haben, und nun sterbe ich.

Dies marmorne Grab soll mein letzter Thronsaal sein.

O Erinnerungen, lasst mich euch heraufbeschwören!

Denn Erinnerungen muss ich euch fortan nennen, nicht Hoffnungen wie einst.

Auch Träume nicht, nicht stolzen Ehrgeiz,

denn alle sind sie eingegangen.

Als Gefangene liege ich in diesem Grab.

In Träumen baue ich ein noch größres Mailand …

eine Stadt, wo keine Frau mehr Angst haben muss;

eine Stadt, wo kein Mann für Brot tötet,

kein Räuber gedeiht und auch kein Mörder;

eine Stadt, wo kein Dieb sich an den Armen gütlich tut.

In unseren Kirchen würden Frau und Mann mit gleichen Rechten predigen.

Ach! Genug davon.

Und dann, Paulina.

Philosophin jenseits allen weltlichen Wissens.

Ihr, die Ihr in den Sternen lest …

Warum habt Ihr das hier nicht gelesen?

Ihr habt mir gesagt, ich müsse meinen Tod nicht fürchten! In all den Jahren, da wir miteinander lebten,

habt Ihr nur in diesem einen Punkt versagt.

Denn nun fürchte ich ihn, den Tod.

Die Zeit vergeht langsam.

In meinen Adern rinnt das Blut kaum noch.

Zäh und kalt. Der Trank hat fast sein Werk vollbracht.

Immer finstrer wird die Dunkelheit des Grabes.

Meine Augen versagen.

Oh, gib mir Licht, Licht, Licht!

Ganz Mailand für das Licht der Sonne,

meine Juwelen für einen Stern!

Oder für den Mond, den unbeständgen Mond,

würd' gar mein Fürstentum ich geben.

Oh, gib mir Licht!

In dieser Finsternis ist der Tod eine Qual!

Gib mir die Sonne!

Einst, in den Höhlen tief unter Mailand,

feierten ich und mein Hof ein großes Fest,

und plötzlich, als ich einen Schacht hinaufschaute,

wurden meine Augen der Sterne gewahr.

Sie strahlten bereits zu Mittag.

Nun wünschte ich, dieser Mittag würde die Dunkelheit vertreiben,

die Sonne zur Mitternacht scheinen

und die Finsternis in meinem Geist erhellen.

Gib mir Licht!

Hilfe, so helft doch!

O Tod und Dunkelheit, habt Mitleid mit mir.

Ich ersticke …

Dieser Tod ist bitter, doch bittrer noch

ist der Verlust der großen Stadt und meiner Freunde.

Die Viper windet sich in ihrem Grab aus Marmor,

zeigt jedermann, dass ihr Ehrgeiz keine Früchte trägt.

Ich betraure meinen Tod.

Durch Verrat bin ich gefallen;

doch mehr noch beklag' ich den Verlust von Mailand.

[Am Hof der HERZOGIN, welcher vom PÄPSTLICHEN GESANDTEN übernommen worden ist, erscheint die Magierin PAULINA mit einer Statue der verstorbenen HERZOGIN VITTORIA VISCONTI.]

PAULINA:

Sehet das Bildnis der Verratenen!

Diese Statue der Viper haben wir errichtet

ihr zum Gedenken, denn wir sind stolz,

sagen zu können, dass sie unsre Herzogin war.

[An HIPPOLYTO:]

Schaut! Schaut auf dieses Gesicht, o gottloser Mann!

Hier ist die Frau, die Ihr zum Tode verdammt habt,

als sie doch nur hat schlafen wollen.

[An den PÄPSTLICHEN GESANDTEN:]

Und Ihr, Gesandter Roms,

warum sitzt Ihr auf ihrem Thron?

Wäre sie hier, welch Rache würde Euch erwarten?

GESANDTER:

Diese Statue ist Ketzerei! Götzendienst!

Aus Elfenbein gehauen und mit Gold verziert,

so lebensecht, dass man schwören könnt, sie würde atmen.

HIPPOLYTO:

Oh, ich könnte weinen! Zeigt mir nicht dies Gesicht.

Ich stieß sie den Hang des Avernus hinunter,

und seitdem ist nicht eine Nacht vergangen,

da ich nicht geträumt hätte, sie wäre zu mir gekommen.

Gänzlich in Höllenfeuer gehüllt ruft sie mir zu:

›Ihr habt mich nicht gewarnt, sodass ich beichten konnte! Ihr habt mich verdammt, verdammter Hippolyto!‹

Und dann erwache ich und weine und träume wieder.

So verbringe ich meine Nächte voller Qual,

voller Reumut und in tiefem Elend.

GESANDTER:

Ihr habt das Bildnis wohl geformt. Dort auf ihrer Wange

ein Diamant wie eine Träne.

Der Lippen Farbe Rubine täuschen vor.

Oh, sie ist still jetzt, ernst und fromm!

Im Leben war sie anders, und das zu zeigen,

ist Euch nicht gelungen.

HIPPOLYTO:

Beherrscht Ihr keine Kunst, Paulina, kein Handwerk,

um zu zeigen, ob es Wahrheit oder Lüge ist,

dass unter den Verdammten wir sie suchen müssen?

Ich sehne mich danach, die Wahrheit zu erfahren.

Ist sie verdammt, so will ich in ein Hause Gottes gehen

und auf meinen Knien Buße tun,

will Reue zeigen für all das Leid, das unsre Fürstin durch meine Hand erlitten hat.

PAULINA:

Meine Kunst vermag, Euch mit ihr sprechen zu lassen.

Von ihren Lippen sollt Ihr erfahren,

ob sie nun verdammt oder nicht.

Ihr sollt alles von ihr hören.

Sagt: Soll ich sie sprechen lassen?

GESANDTER:

Eine Statue? Sprechen? Das ist Hexerei, o Häresie!

HIPPOLYTO:

Ich werde es auf mich nehmen.

Sollte es nun Wahnsinn oder Verdammnis bedeuten,

wenn wir uns in dieser Kunst versuchen,

lasst mich die Strafe dafür auf mich nehmen.

Wenn Ihr sie sprechen lassen könnt – auch noch hören –, so lasst mich vor ihr auf die Erde fallen,

auf dass ich sie um Vergebung bitten kann.

Lasst sie mir antworten.

Ja oder nein, mich kümmert's nicht, solange sie mich hört.

PAULINA:

An des Winters Ende die Schlange ihre Haut abstreift,

An des Winters Ende der Frühling seinen Anfang nimmt. Viper, komm hervor! So die Sonne steigt,

soll sie dich aus der Erde holen.

Ihr seid die Sonne, Vittoria, Eure eigene Sonne,

Euer eigener Frühling. Ihr seid Euer eigener Erlöser!

Aus kaltem Stein, komm heraus! Sei warm, lebe, atme.

Die Schönheit soll den Verfall des Todes von sich werfen.

GESANDTER:

Ihre Hand zittert … Seht, Hippolyto!

HIPPOLYTO:

Die Brust bewegt sich, das Herz darinnen schlägt.

Nun seht, sie hebt den Kopf aus Stein,

gekrönt mit der Medusa Schlangen.

Und sehet nur ihr güldnes Haar, ihre Haut so rot wie die der Rose!

Vittoria! Herzogin! Geliebte!

Auf den Knien bitte ich Euch um Vergebung für meine furchtbar' Tat!

Und lebt Ihr ehrlich, wirklich?

Eure Hand ist warm, und Euer Herz schlägt wie das des Vogels, der im Licht des Frühlings erwacht.

Oh, ich flehe Euch an: Vergebt mir!

GESANDTER:

Hexerei!

HIPPOLYTO:

Nein, es ist ein Wunder.

PAULINA:

Viper, erhebe dich aus deinem Grab! Steh auf, steh auf!

Die Sonne scheint zur Mitternacht, die Sterne schon am Mittag.

Wirf die Haut des Todes ab, und komm hervor.

Steig aus dem Grab; nun komm zu uns.

Heil! Wir grüßen Euch, stolze Vittoria!

HERZOGIN:

Stolze Sonne, die du unzählige Male Morgen und Abend hast dämmern sehen.

Heil! Ich grüße dich. Ihr, Paulina, Schwester,

empfangt diesen Kuss von meinen Lippen,

durch die neues Leben strömt.

Gesandter, macht Euch fort.

Master Hippolyto, blickt nicht so düster drein;

habt nicht solche Angst. Steht auf, Mann!

Habt Ihr geglaubt, ich wäre anders? Ihr kennt mich:

Ich bin nach wie vor Vittoria, die Selbe.

HIPPOLYTO:

Nein, nicht die Selbe, denn Ihr seid gestorben und lebt wieder.

HERZOGIN:

Das könnt ihr alle: Sterben, um wieder zu leben.

Ich habe nur getan, was jeder Mann vermag …

und jede Frau.

GESANDTER:

Hexe! Verdammter Sukkubus!

Die heil'ge Inquisition soll alle Beweise in diesem Staate sammeln und die Ketzerei ausrotten, die hier wuchert.

Mit Feuer soll sie ausgetrieben werden …

HERZOGIN:

Bringt mir diese Plage zum Schweigen, Master Hippolyto. Es ist mein Wille.

HIPPOLYTO:

Madame, ich gehorche.

GESANDTER:

Lasst mich los, Ihr gottloser Hund!

Eure Seele soll im Höllenfeuer schmoren,

und auch Euren Leib will ich verbrennen.

HIPPOLYTO:

Sir, Ihr ermüdet mich. Wollt Ihr getötet werden?

Mein Stahl hat schon weit bessere Männer ihres Lebens beraubt.

Spürt ihn an Eurer Kehle, und schweigt,

wenn Ihr nicht wollt, dass Euer Herz zu schlagen aufhört.

GESANDTER:

Ihr wagt es nicht, des Papstes Gesandten so zu behandeln!

Roms Kardinäle werden davon hören!

HIPPOLYTO:

Vielleicht, aber nicht von Euch.

Ihr habt keine Stimme mehr. Ich nehme sie Euch – so.

[Sticht ihn nieder.]

GESANDTER:

Ketzer! Oh …!

[stirbt]

HERZOGIN:

Kühn gehandelt, doch mein Beifall ist Euch sicher, Sir.

Dieser Schurke hat solch Übel über meinen Staat gebracht,

dass ich ihn zum Henkersblock hätt' schicken müssen,

wäre er denn vor Gericht gekommen.

Verbergt den Leichnam.

PAULINA:

Nun müssen wir unsere Gedanken auf den zorn'gen Mars richten, denn Krieg bedeutet diese rote Tat.

Ich fürchte, Mailand droht der Untergang,

es sei denn, es gelänge uns, die Welt davon zu überzeugen, dass Ihr nicht tot und wahrhaft auferstanden seid.

Man soll Euch nicht für einen Schwindler halten.

HERZOGIN:

Ach, Paulina, nein.

Ich hatte einen Traum:

Ihr habt ihn mir in den Kopf gepflanzt, in meinen dummen Kopf.

Im Traume hab' ich eine schöne, freie Stadt gesehen,

und ich glaubte, sie hier zu finden.

Doch gestorben sind alle Träume in diesem düstren Grab, und nun weiß ich, dass der Fürsten Weg nicht zu diesem Ziele führt.

PAULINA:

Ich verstehe Euch nicht.

HIPPOLYTO:

Ich begreife es jedoch.

Was auch immer wir nun tun,

Mailand ist dem Untergang geweiht.

Rom kann uns nicht stehen lassen.

Sollen sie den größten Ketzer seit Manfreda nicht verbrennen?

Nur eines sehe ich noch nicht:

Wie sollen wir dieser Gefahr mit unsrem Leben entrinnen?

HERZOGIN:

Wir wachsen nicht nur, indem wir groß werden.

Ihr hättet unsere Stadt erhoben, Paulina,

als Banner, Standarte dieser Welt.

Das große Mailand! Heim des neuen Schismas.

Hättet wir dann unsren eignen Papst gehabt?

Unsre Inquisition? Ein Spiegelbild der ihren?

So beschwört man nur den eignen Untergang.

PAULINA:

Ihr wollt doch jetzt nicht Euer Ziel aus den Augen verlieren!

HIPPOLYTO:

Ich glaube, ich erkenne ihren großen Plan.

Fürstin, darf ich sprechen?

Verdammt mich, sollte ich mich irren.

HERZOGIN:

Mein schlauer Unzufriedener, was ist mein Plan?

HIPPOLYTO:

Einst haben wir miteinander gesprochen, o Fürstin,

vor dem Grabe Manfredas, die schon vor langer Zeit gestorben ist, und Ihr habt mir gesagt, dass sie ersonnen hätte, sich kühn als Ziel für jedermann zu zeigen.

Da vermag es nicht zu überraschen, wenn von tausend Narren einer siegt.

Ihr Irrtum war jedoch zu denken, dass Größe

sich aus Staub erheben muss.

Es sei besser, habt Ihr gesagt, vorsichtig durch die Schatten zu gehen und mit leiser Stimmen zu sprechen.

So habt Ihr überlebt und Eure Botschaft weit verbreitet.

HERZOGIN:

Seht Ihr die einfachen Blumen auf dem Felde?

Sie verbreiten sich nicht, indem sie groß wie Eichen werden.

Aber sie geben dem Wind tausend Samenkörner mit auf die Reise, auf dass er sie dorthin tragen möge, wo auch immer er sie hinbringen will.

Oder um es finstrer auszudrücken:

Sehet, wie die Pest von einem Kontinent zum andren wandert.

Wir müssen Samen sein, Staubflocken und Sporen.

Aye, und wir müssen Ratten sein, uns durchzubeißen,

tief zu graben.

Nach langen, langen Jahren bringen wir so das Haus zum Einsturz.

PAULINA:

Nun ist die Bedeutung Eurer Worte dargelegt.

Ihr könnt der Fürsten Weg doch nicht verlassen wollen!

HIPPOLYTO:

Große Astrologin, Ihr solltet weiser sein!

Die Herzogin meint, dass wir aus Mailand fliehen müssen.

HERZOGIN:

Das ist keine Niederlage … und auch kein Sieg für sie.

[Hier endet das Manuskript unvermittelt.]