[Anmerkung des Übersetzers: Dieses Dokument ist das kürzeste derjenigen, die nicht in Rocheforts Handschrift verfasst und den Memoiren beigelegt worden sind. Es ist auch dasjenige, das vom Feuer am meisten beschädigt worden ist und damit auch das, für das die Rekonstruktionsmaßnahmen per Computer besonders aufwendig gewesen sind. Jene Stellen, wo eine Rekonstruktion unmöglich war, habe ich mit Klammern markiert, […], und jene, die aus dem Zusammenhang wiederhergestellt worden sind, in Fettdruck hervorgehoben.]

Es ist schwer, sich zu erinnern, jetzt, da alles schmerzt und meine Hände nur noch arthritische Knoten sind, die noch nicht einmal mehr eine Feder zu halten vermögen, obwohl ich mit ihnen einst Rapier und Dolch gezogen habe, um mich damit in den Kampf zu stürzen. Aber es ist wahr. Das konnte ich, und das habe ich getan.

Schreibt alles nieder, so wie ich es Euch erzähle.

Schreibt alles nieder, so wie ich es sage.

Ja.

Es ist die Sünde des Stolzes, Vater. Für eine Frau, wenn sie genießt […]

[…] Das ist schon besser. So wie Ihr es dort auf dem Papier habt.

Wenn ich damit leben kann, was mit mir geschieht, Priester, dann könnt Ihr auch damit leben, es niederzuschreiben.

[Zwei weitere Zeilen sind vollkommen verbrannt.]

[…] Ich war jung damals. Paris und Zatons Speisehaus lagen schon lange hinter mir. Ich aß im Silver Martlet, dem ›Silbernen Hämmerchen‹, mit jenen der Schauspieltruppe, die man als ›Prinz Henry's Men‹ kannte. Alles Männer und ich die einzige Frau. Mein Schutz war, dass ich jeden von ihnen hätte töten können.

Der Samurai bat mich um Hilfe, um an den Hof von König James zu kommen. Nähen ist eine Kunst für Frauen, die einem jungen Mann nicht geziemt. Dann war ich verwirrt, denn tatsächlich schien die Aufgabe keinerlei Können zu erfordern! Keines der Kleidungsstücke des Samurai war zurechtgeschnitten; sie bestanden schlicht aus langen Stoffstreifen, so breit wie mein Unterarm vom Ellbogen bis zum Handgelenk. Können war nur am Kragen und an den Schultern vonnöten. Ich saß auf dem Boden des Mietshauses am Dead Man's Place, fluchte vor mich hin, stach mir in die Finger und machte das, was der Samurai kimono, kosode und kagashina nannte.

Monsieur Saburo besorgte sich Holzschuhe und trug sie an den nackten Füßen, nicht über den eigentlichen Schuhen wie ein guter Christ. Seine Gewänder bestanden aus mehreren Schichten und wirkten wahrhaft prächtig, wenn er sie alle anlegte. Ich beneidete ihn um seine Kattanklingen, doch er wollte mich kein Duell mit ihnen ausfechten lassen. Er ging wieder nach Whitehall, um sich dort mit dem Herrn Minister zu treffen, und überließ es mir, den Helm zu bewachen, den er kabuto nannte – manchmal nannte er ihn allerdings auch akoda-nari; auf jeden Fall wollte er ihn nicht unbewacht lassen, und an den Hof konnte er ihn noch nicht mitnehmen.

An jenem Tag fühlte ich mich am ganzen Leibe hundeelend. Ich hatte bis tief in die Nacht hinein gewürfelt. Ich zog das mit Pelz abgesetzte Gewand eines alten Mannes übers Hemd, zitterte, trank Dünnbier und saß auf dem Bett, wo ich mein Rapier reinigte und schärfte.

Damals war ich schon seit über zwei Jahren allein gereist, Vater. Und vergesst nicht, dass ich mit fünf Brüdern aufgewachsen bin! Ich habe nie vergessen, wie stark Männer sind, wenn ich keine tödlichen Waffen habe, selbst jetzt nicht, da ich alt bin und es egal ist. Die Hälfte meiner Freude am Demütigen und Töten rührte von dem Wissen her, wie ich mich dank meiner Fähigkeiten dem Zugriff der Männer entziehen konnte.

So manch ein junger Mann könnte Euch das Gleiche sagen. Das Schwert ist der große Gleichmacher.

Ich säuberte, polierte und schärfte mein Rapier, das ich nach drei Nächten Würfeln von einem Italiener gewonnen hatte. Ich hatte es unbedingt haben wollen, nachdem ich gespürt hatte, dass es schlicht perfekt ausbalanciert gewesen war. Ich baute alles auseinander, das ganze Wehrgehänge, um das Leder mit Öl geschmeidig zu machen. Wenn Euer Leben an den Waffen hängen würde, die Ihr führt, würdet Ihr deren Pflege auch niemand anderem überlassen, Vater.

Daheim wäre es bereits Juni und heißer gewesen; doch selbst in England musste ich ungeachtet des Gestanks, der mit der kühlen Brise von den Hundezwingern ins Zimmer wehte, um diese Jahreszeit die Fenster zum Hof hin öffnen.

Ich schlief über meinen Waffen in der Morgensonne ein.

Ich empfinde keine Schuld. Jeder Mensch begeht Fehler. Und ich erröte nicht, wenn ich daran denke. Einige Zeit danach habe ich es jedoch getan. Dann riss ich mir das Herz aus der Brust. Ich glaubte nicht, dass dieser Astrologendoktor exakt wissen würde, wann ich etwas Dummes tat … Warum sollte er auch? Er war Rocheforts Problem.

Sie müssen die Hunde betäubt oder die Hundeführer bestochen haben. Auf jeden Fall kamen Männer durch das Fenster herein, traten meine Waffen beiseite und schlugen meinen Kopf gegen die Wand, bevor ich richtig aufwachen und nach meinem Dolch greifen konnte.

Ein Mann warf mich gegen einen Eichenbalken. Ich glaubte, mein Rückgrat würde brechen. Vielleicht übergab ich mich. Ich bin nicht sicher. Ich muss wie ein Betrunkener vom Dead Man's Place geschleift worden sein, gestützt von meinen ›Freunden‹.

Da waren hohe Steinmauern. Ich weiß nicht, ob es lange oder kurze Zeit später war. Die Männer hielten mich fest, und meine Füße schleiften durch den Dreck. Zwischen den Türmen hindurch konnte man den Himmel erkennen. Ich konnte nicht sehen, wann wir durch eine dunkle Tür gingen. Ihre Laterne blendete mich, und zum ersten Mal kam mir das Wort Folter in den Sinn.

Ein Mann zog mein Hemd aus der Hose, schob seine Hand hinein und kniff mich in den Busen. Meine nackten Füße froren auf dem Steinfußboden. Ich wusste, dass jeder denken würde, dies sei meine Schuld. Ich war noch Jungfrau; ich hatte schon bei Männern gelegen, doch stets den Hintereingang benutzt, um nicht schwanger zu werden. Vater, Ihr wisst aus der Beichte, dass mir das besser gefällt. Würde ich in meinem fortgeschrittenen Alter noch zu fleischlichem Vergnügen neigen, wage ich zu behaupten, es noch genauso haben zu wollen – obwohl alte Leute in diesem Teil des Körpers für gewöhnlich andere Sorgen haben.

In einem Gang des Turms zog ein Mann eine Tür auf, und ein anderer warf mich in den Raum dahinter. Das war der Augenblick, da ich erkannte, dass es nicht mehr als zwei waren. Vater, ich hätte sie innerhalb von Sekunden töten können, hätte ich denn ein Schwert gehabt. Doch sie waren genau in dem Moment gekommen, da ich keines hatte, und da ich zu benommen gewesen war, um wegzulaufen.

Da wusste ich, dass ich alles verdiente, was mit mir geschehen würde. Mein Vater und unser Priester hatten mir von Kindesbeinen an gesagt, dass dies eines Tages mit mir geschehen würde … dass man mich auf meinen Platz als Frau verweisen würde.

Ja, aber deshalb seid Ihr ja mein Beichtvater.

Ich fiel mit dem Gesicht nach unten auf nasses, beißend riechendes Stroh. Urin. Licht aus einem hochgelegenen Fenster.

Nichts außer Stroh: kein Feuer, keine Ketten, keine Daumenschrauben.

Die Tür knarrte. Ein Mann kniete sich daneben und hielt sie zu, das Auge am Spalt, um hinauszuspähen. Der andere kam zu mir, drückte mir das Knie in den Rücken und zog mein Gewand hoch. Ich erinnere mich bis zum heutigen Tage daran. Er war ein blonder Mann, der Bart kurzgeschnitten. Sein Fleisch roch nach frischer Luft und Pferden.

Der andere Mann hatte einen dunklen Bart und ungewöhnlich strahlende Augen in dem trüben Licht. Ich erinnere mich daran, dass er geflüstert hat: »Was, wenn er es herausfindet, Luke?«

Und der Mann mit Namen Luke hat geantwortet: »Er weiß es, sonst hätte er uns befohlen, es nicht zu tun.«

Ich schrie. Mit bloßen Händen kämpfte ich, als hätte ich einen Dolch. Der Mann mit Namen Luke legte die Hand auf meinen Hinterkopf und schlug mein Gesicht auf den Steinfußboden. Einer meiner Zähne brach ab und fiel mir aus dem Mund.

Luke hatte angekaute schwarze Fingernägel, mit denen er über meinen Busen kratzte. Auch zerkratzte er damit die Innenseiten meiner Schenkel, als er sie auseinander zwang, um sich dann auf mich zu legen und mir die Luft aus dem Leib zu pressen. Meine Beine hielt er mit den Knien weiter auseinander.

Vater, als Frau war ich noch Jungfrau. Ich war sehr eng.

Er zwang eine seiner Hände in mich hinein, und seine schartigen Fingernägel schnitten mich, sodass ich zu bluten begann.

Das machte mich schlüpfrig genug, dass er bei mir liegen konnte.