Rochefort: Memoiren
Sechsundzwanzig

Der Geruch verschwitzter Pferde lag in der Luft, gemischt mit den Gerüchen aus dem Zelt des Schmieds, wo ein Riese von Freisasse auf einem Amboss Hufeisen formte.

Glücklicherweise hatte mich niemand vermisst, und auch sonst hatte ich keinerlei Verdacht auf mich gelenkt. Ich setzte mich auf eine Eichentruhe, nicht weit vom Pavillon des Prinzen entfernt. Es würde eine Zeit lang dauern, bis die ersten Formalitäten absolviert sein würden. Viel zu viele lokale Würdenträger wollten dem Prinzen vorgestellt werden – und dass sie dafür aus Wells oder von den umliegenden Gütern herbei kommen mussten, hielt sie auch nicht davon ab.

Die Zeltstadt in Wookey wuchs erheblich nach Heinrichs Erscheinen: Große, königliche Pavillons in Heinrichs Farben wurden errichtet und daneben die Zelte junger Edelmänner, die allesamt der Fraktion des Prinzen angehörten.

Ein weißbärtiger Mann ging an mir vorüber und erregte meine Aufmerksamkeit.

Hariot.

Er ist als Fludds Stellvertreter hier, dachte ich und blickte dem älteren Mann mit dem wettergegerbten Gesicht hinterher. Offensichtlich beabsichtigte der gute Doktor, sein Versprechen einzuhalten und sich nicht in der Nähe blicken zu lassen, bevor nicht alles erledigt und James tot war.

Ich saß noch eine ganze Weile auf meiner Truhe, genoss die kühle Abendbrise und ging im Geiste noch einmal durch, wie ich Fludd hierher locken könnte.

Es ist wohl ihr Recht, ihn zu töten … Ich wünschte nur, es wäre das meine.

Schließlich wurde ich zum Prinzen gerufen. Im Zelt angelangt musste ich jedoch zunächst warten. Zwischen gepolsterten Stühlen, Kissen, Falkenstangen und Waffenhaltern fanden sich schwarz-goldene Rüstungsteile. Die Rüstung war ein wenig altmodisch, wie ich fand; seit mindestens einer Generation trug man so etwas nicht mehr. Seine Schwerter – alle drei hingen an einer Zeltstange – stellten eine Mischung aus englischem und italienischem Stil dar.

»Habt Ihr Master Silver gelesen?«, fragte der junge Mann mit den bernsteinfarbenen Haaren, der aus einem mit einem Vorhang abgetrennten Teil des Zeltes trat und sah, wie ich die Waffen musterte. »Silver schwört, dass ein Engländer mit einem Breitschwert genauso viel wert ist wie drei andere mit den feinsten italienischen Rapieren.«

Ich hätte all mein Geld darauf verwettet, dass diese ›drei anderen‹ im Buch des Master Silver entweder Spanier oder Franzosen waren.

»Das Führen einer jeden Klinge hat zu großen Teilen auch etwas mit Glück zu tun, mein Prinz«, bemerkte ich. Selbst mit seinen sechzehn Jahren sollte er meinen Wink verstanden haben, dachte ich – ›besonders bei jeder Klinge, die sich gegen Euren Vater richtet‹ –, doch nichts in seinem Gesicht deutete daraufhin, dass dem wirklich so war.

Nun, da ich ihn zum ersten Mal aus der Nähe sah, fiel mir auf, wie wenig Heinrich Stuarts Gesicht dem seines Vaters ähnelte. Er war gutaussehend, besaß eine ungewöhnlich weiße Haut, und sein Haar war dunkelrot. Außerdem war er ausgesprochen gut gebaut für einen Sechzehnjährigen, und ich sah sofort, warum er bei den Untertanen seines Vaters so populär war.

»Mein Prinz«, sagte ich und warf einen Blick zu Hariot, als dieser ins Zelt schlüpfte. »Könnte es sein, dass Doktor Fludd Euch nicht vollständig darüber in Kenntnis gesetzt hat, was hier geschehen soll? Was hier geplant ist, ist keine Entführung oder dergleichen …«

Heinrich Stuart unterbrach mich mit der Leichtigkeit eines jungen Mannes, der überhaupt nicht auf den Gedanken kommt, dass man so etwas als ›rüde‹ oder ›unmanierlich‹ betrachten könnte. Gleichzeitig war seine Direktheit geradezu charmant, wären da nicht seine Worte gewesen …

»Mein Vater soll beseitigt werden«, sagte er und blickte mir dabei in die Augen. »Beseitigt, getötet, ermordet, umgebracht … wie auch immer Ihr es bezeichnen wollt, Monsieur Rochefort. Sind alle Teilnehmer des Maskenspiels auf ihre Rolle vorbereitet?«

Auch wenn er in freundlichem Tonfall sprach, war offensichtlich, dass er nur ein Ja akzeptieren würde.

»Der Konstrukteur der Schatten ist gelernt; nur hier und da hapert es vielleicht noch an ein paar Zeilen. Madame Lanier hat mir gesagt, dass Die Viper und ihre Brut in London wie geplant läuft. Allerdings besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass man die Theater wegen der Pest schließen wird.«

Ich verschränkte die Hände hinter dem Rücken und starrte Prinz Heinrich an. Solch harte, junge Männer sieht man nicht oft. Der letzte dieser Art, an den ich mich erinnerte, war der jüngste der Valois-Brüder, der Herzog von Anjou. Auch er konnte charmant sein – und gleichzeitig morden. Daher bezieht Darioles Master Webster wohl seine wilden Ideen über die italienischen Höfe, dachte ich. In England gab es offenbar genauso viele Vipern wie in Frankreich.

Respektvoll fügte ich hinzu: »Die Maschinerie für das Maskenspiel bedarf allerdings noch einiger Reparaturen. Wir werden sie in ein paar Tagen fertig gestellt haben.«

»Ich wünsche, mit meinen Proben zu beginnen.« Der junge Mann nahm ein Glas Wein von Hariot entgegen. »Wenn es so weit ist, werde ich meine Rolle perfekt spielen.«

Irgendetwas an dem Jungen jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich lenkte das Gespräch auf das Wesentliche.

»Wissen wir, wann Seine Majestät hier eintreffen wird, mein Prinz?«

Heinrich Stuart nickte ernst. Kurz sah ich vor meinem geistigen Auge das angenehme Bild des jungen Prinzen in Ketten vor Hauptmann Spofforth. Heinrich mochte ja genug Höflinge bei sich haben, um eine Galeone zum Sinken zu bringen, doch Höflinge sind keine Soldaten, und das machte den entscheidenden Unterschied.

»Mein Vater wird bald hier sein«, sagte Prinz Heinrich, »in einer, vielleicht zwei Wochen. Ich habe ihm erzählt, dass man in den Mendip Hills hervorragend Hirsche jagen kann. Vor der zweiten Juliwoche habe ich ihn mit Sicherheit hier.«

»Und Doktor Fludd?« Ich begegnete seinem Blick mit unterwürfiger Sorge, jedenfalls so gut es mir möglich war. »Wäre es nicht am Besten, wenn Ihr ihn hierher rufen windet, Sire, für den Fall, dass Ihr seines mathematischen Rats bedürft?«

»Doktor Fludd ist kein Mann der Tat.« Prinz Heinrich straffte die Schultern, als er das sagte, und ich vermutete, dass die Rüstung im Zelt nicht ausschließlich Schauzwecken diente. »Außerdem ist das mein Königreich, Rochefort, und ich bedarf niemandes Hilfe, wenn es darum geht, mir zu holen, was mir gehört.«

»Und was ist, wenn Euer Vater, der König, nicht kommt? Dann wird Doktor Fludd den nächsten …« Ich bemühte mich, einen ernsten Gesichtsausdruck zu bewahren, »… den nächsten günstigen Tag berechnen müssen.«

»Darüber werde ich mir schon meine eigenen Gedanken machen.«

Die Kälte in der Stimme des Prinzen hatte nichts, aber auch gar nichts Jungenhaftes mehr an sich. Abermals lief mir ein Schauder über den Rücken.

»Schickt einen der Schauspieler zu mir«, fügte er hinzu und wandte sich von mir ab, »damit ich mit dem Lernen beginnen kann.«

Da ich nichts mehr tun konnte, verneigte ich mich und ging.

Vor dem Zelt schaute ich mich um. Mademoiselle Dariole blickte zu mir hinüber. Sie saß neben dem Schmied, der gerade einen der Hengste des Prinzen beschlug. Ich schüttelte den Kopf.

Sie schwieg. Dann ging sie zu den jüngeren Schauspielern, um mit ihnen zu würfeln, doch ich vermutete, dass sich ihre Gedanken genauso überschlugen wie meine.

Als hätte sich selbst der Kalender mit dem Stuartprinzen verschworen, traf König James am 14. in Somerset ein. Da Könige größer als Prinzen sind, wartet man auch entsprechend länger, wenn man sie sehen will. James Stuart kam am Morgen an, und ich sah ihn nicht vor Mittag. Ich wartete so lange, dass mein Hemd in der Julisonne durchschwitzte.

»Monsieur de Rochefort?«

Bei dem ungewöhnlichen Partikel ›de‹ hob ich den Kopf. Ein Gentlemandiener verneigte sich vor mir. »Der König wird Euch nun empfangen.«

Als ich den königlichen Pavillon betrat, wo Teppiche das Bodenstroh bedeckten, verneigte ich mich vor James Stuart. Saburos ›kabuto‹-Helm, der in all seiner Pracht vor dem Thron lag, deutete daraufhin, dass der nihonesische Gesandte vor mir empfangen worden war, was ich keineswegs irgendwem verübelte. Ned Alleyne und seine Schauspieler waren bereits anwesend. Der fette, hellhäutige und rotbärtige Engländer wirkte wie in Panik, doch ich konnte ihn nicht befragen, da ich sofort nach vorn geführt wurde, um dem Monarchen die Hand zu küssen.

Ich verneigte mich mit so viel Eleganz und Schwung, wie – so vermutete ich – der König es von einem Franzosen erwartete. »Euer Majestät.«

König James, der erste seines Namens von England und der sechste von Schottland, saß auf einem reich geschnitzten Stuhl. Er sah missgelaunt aus. »Monsieur de Rochefort.«

Auch er benutzte das unverdiente ›de‹, doch ich hielt es nicht für angeraten, ihn zu korrigieren.

Der König verschwendete nur wenig Zeit mit beiläufigem Geplauder. »Wie es scheint, ist das Maskenspiel vorüber, noch bevor es begonnen hat, hm?«

Ich warf einen raschen Blick zu Alleyne und zählte die restlichen Schauspieler durch. Acht. Acht, und es hätten neun sein sollen. Wenn wir jemanden vermissten, wer … Ah.

»Master Alleyne wird Euch das Problem erklären«, grunzte James. Er hatte offensichtlich gut zu Mittag gegessen; selbst auf die Entfernung roch ich den Wein in seinem Atem.

Alleyne warf theatralisch die Hände in die Höhe. »Wir haben unseren Clio verloren!«

Die Muse der Geschichte war die Hauptrolle im Maskenspiel (abgesehen von James als ›Brutus, König von Troja‹ natürlich), und hatte dementsprechend viele Zeilen – unendlich viele sogar. Jedenfalls war mir das im letzten Monat so erschienen, als ich mit ihm geprobt hatte. Das Maskenspiel kann unmöglich ohne jemanden in dieser Rolle funktionieren.

»Haben wir Clio wirklich ›verloren‹«, fragte ich nach, »oder haben wir ihn schlicht ›verlegt‹? Euer Majestät, Clio ist ein Jüngling in jenem Alter, da sie gewöhnlich den Wein und die Frauen für sich entdecken …«

»In diesem Fall hat es wohl eher mit dem Wein denn mit einem Weib zu tun«, unterbrach mich der Herrscher von England und Schottland. »Master Alleyne hier hat mir berichtet, dass der gute Junge sich nach seiner Mahlzeit kontinuierlich übergeben hat und überdies an einem schlimmen Ausfluss leidet.«

Das Wort Gift blieb unausgesprochen, doch ich hätte einen Louisdor darauf verwettet, dass James genau daran dachte. Könige denken stets zuerst an Gift.

»Ich vermag mir nicht vorzustellen, dass irgendjemand hier Euer Majestät die Unterhaltung missgönnen würde«, erwiderte ich ruhig.

Selbst jene, die nicht hier waren – Fludd, Cecil, Northumberland, Lanier –, alle wünschten sie sich nichts sehnlicher als die Aufführung des Konstrukteurs der Schatten!

»Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand etwas isst, das ihn krank macht«, fügte ich hinzu. »Die Frage ist: Wird er sich heute Abend wieder wohl genug fühlen, dass er die Rolle spielen kann? Wenn es hier nur um ein, zwei Stunden geht …«

»Das wird er nicht.« Alleyne schüttelte den Kopf. »Jedenfalls nicht in der geplanten Zeit. Der Arzt des Prinzen hat ihn untersucht. Es ist unmöglich!«

Gütiger Gott im Himmel!, dachte ich und bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen. Sollte Fludds großer, universeller Plan tatsächlich an etwas so Belanglosem und Zufälligem wie einem unvorhergesehenen Fall von Bauchschmerzen scheitern?

James stützte sich mit dem Ellbogen auf die Stuhllehne und verzog mürrisch das Gesicht. »Master Alleyne, dann müsst Ihr eben einem anderen Mitglied Eurer Truppe die Rolle der Muse geben.«

Alleyne und seine Männer fingen aufgeregt an zu plappern, was sie sich im Whitehall-Palast wohl kaum erlaubt hätten. Da aber auch Heinrich von Navarra der Jagd sehr zugetan gewesen war, wusste ich, welche Freiheiten Könige bei solchen Gelegenheiten gewährten.

»Wie soll denn ein anderer Junge das noch lernen?«, beschwerte sich Alleyne, nachdem er die anderen zum Schweigen gebracht hatte. »Außerdem spielen die meisten unserer Schauspieler bereits zwei Rollen, manche sogar drei. Sieben Tugenden und sieben Laster, und wir sind nur neun! Wie soll ich selbst oder irgendjemand anderer bis heute Abend tausend Zeilen lernen?«

James schnaufte. Ich an seiner Stelle hätte das Gleiche getan. Wenn Messire de Sully Schauspieler im Arsenal gehabt hatte, hatte ich mich stets bemüht, woanders zu sein. Und das war verdammt klug von mir!, dachte ich.

Ich packte Alleyne am Arm, damit er aufhörte, mit den Händen herumzuwedeln. »Monsieur, Eure gesamte Truppe hat einen Monat lang ›Clio‹ immer wieder ›ihre‹ Zeilen vortragen hören. Außerdem ist es ja nicht so, als wenn diese Rolle ungewöhnlich schwierig wäre.«

»Dann macht ihr es doch, wenn Ihr glaubt, das sei so einfach!«, knurrte Alleyne.

Ich lächelte düster. »Ich denke, ›Clio‹ ist keine Frau meines reifen Alters, Monsieur, auch wenn die Geschichtsschreibung eine der ältesten Künste ist.«

König James Stuart bemerkte etwas auf Griechisch und lachte so laut, dass er sabberte und sich den Mund abwischen musste. Sein Schweißgeruch lag in der Luft.

»Wir werden eine neue Clio für Euch finden, Euer Majestät«, sagte ich in überzeugtem Ton, weil man so in der Gegenwart von Königen spricht. In Wahrheit hatte Alleyne jedoch Recht; nur das war nichts, was wir James hätten sagen können.

Falls Fludd in der Nähe ist, überlegte ich, könnte ich den Vorfall dann nutzen, um ihn hierher zu locken?

»Aber …!«, protestierte Alleyne.

Ohne auf ihn zu achten, fuhr ich fort: »Die Schauspieler Euer Majestät werden Euch nicht enttäuschen. Darf ich davon ausgehen, dass sie Euer Majestät bereits gezeigt haben, welche Rolle man Euch in dem Maskenspiel zugedacht hat?«

Nicht dass er sie wirklich spielen würde, aber man kann einen König (oder auch jeden Normalsterblichen) stets ablenken, indem man ihn auffordert, über sich selbst zu reden. Es ist wahr, dass man die Dinge am Hof Heinrichs IV. weit offener besprochen hat als an den anderen europäischen Höfen. Dennoch hat mich auch dort die Erfahrung die beiden wichtigsten Attribute eines Höflings gelehrt: den Anschein von Ehrlichkeit und schamlose Schmeichelei. Auch James war offenbar nicht immun dagegen.

Während Seine Majestät uns mit der Geschichte Clios, der Tugenden und Laster sowie mit diversen anderen abstrusen Themen beglückte, bemühte ich mich, aufmerksam zu wirken, und versprach mir gleichzeitig das Vergnügen, mir den ohnehin schon übernervösen Edward Alleyne vorzuknöpfen und all den Frust auf ihm abzuladen, den ich als Aufseher seiner Schauspieltruppe hatte ertragen müssen.

»Ave, Master Alleyne, Ihr und Eure Männer dürft Uns jetzt verlassen«, sagte James in gereiztem Tonfall. Ich verneigte mich und ging. Auf halbem Weg zum Zelteingang fügte der König jedoch hinzu: »Monsieur Rochefort, Ihr wisst viel über dieses Maskenspiel. Wir würden Euch gerne ein, zwei Fragen stellen. Bitte, wartet da hinten.«

Die verbliebenen Höflinge fertigte James rasch ab, wobei er immer mehr in den breiten Akzent seiner schottischen Heimat verfiel. Knapp eine Viertelstunde später war das Zelt leer. Ich stand ein Stück neben dem Eingang, während Diener Kerzen entzündeten und das Zelt neu unterteilten, um dem König möglichst viel Privatsphäre zu bieten.

Entweder stellt er mir jetzt irgendeine obskure poetische Frage auf Griechisch oder Latein, dachte ich, – was ich im Übrigen beides nicht mehr sprechen kann –, oder aber er ist äußerst geübt darin, Vorwände zu finden, um mit einem Mann allein zu sprechen.

Wenigstens weiß James nichts von irgendeiner Verschwörung, sinnierte ich beim Warten. Wahrscheinlich will er einfach nur mit mir über seine Rolle im Konstrukteur der Schatten sprechen. Ob ich wohl Cecil benachrichtigen sollte, dass er ohne Clio weder ein Maskenspiel noch Robert Fludd bekommt? Nein, jetzt ist keine Zeit mehr, um irgendeine Nachricht nach London zu schicken …

Der letzte Leibdiener verneigte sich, verließ rückwärts das Zelt und sprach draußen vor dem Zelteingang leise mit den Wachen. James schlurfte von der Empore hinunter, auf der sein Stuhl stand, die Hände zwei hübschen Pagen auf die Schultern gelegt.

»Würdet Ihr jetzt wohl mit Uns kommen, Sir?« Das war keine Bitte.

Der König führte mich zu der Zeltwand, die den Schlafbereich abtrennte. Die Pagen teilten den Vorhang für ihn. James ging hindurch und winkte mir, ihm zu folgen.

Nehmen wir einmal an, ich hätte einen Dolch im Gewand … dachte ich, Seiner Majestät dicht auf den Fersen.

Die Pagen zogen ihren König aus und kleideten ihn anschließend in eine reich bestickte Tagesrobe. Ein Himmelbett nahm den größten Teil des Raumes ein. Am Fußende stand eine Truhe, und daneben schlief ein Hund. Obwohl noch genügend Sonnenlicht durch die gefärbte Zeltwand fiel, brannten Kerzen auf dem Tisch.

Eine kleine, dunkle, buckelige Gestalt erhob sich vom Tisch und verneigte sich vor dem König.

»Aye, Robbie«, sagte James Stuart offensichtlich gut gelaunt.

»Mylord Minister.« Ich verneigte mich. Robert Cecil hier in Wookey?

Mir blieb nur wenig Zeit zum Nachdenken.

»Der Herr Minister hat Uns über diesen Unsinn von wegen einer Verschwörung informiert«, bemerkte James, stapfte durch den Raum und setzte sich aufs Bett. »Wir schweben in Lebensgefahr … Ha!«

Er winkte uns, uns zu setzen. Ich nahm mir einen Hocker neben Cecil und versuchte, im Zwielicht den Gesichtsausdruck des Ministers zu deuten – ohne Erfolg.

»Es mag ja verrückt klingen, Euer Majestät«, wagte ich mich vor, »nur ändert das unglücklicherweise nichts an der Tatsache, dass es der Wahrheit entspricht. Der Herr Minister hat durchaus Recht, wenn er sagt, dass Gefahr für das Leben Euer Majestät besteht.«

»Aye?« James Blick wanderte zu seinem Obersten Minister. Ich sah einen Hauch von freundlicher Ironie in seinem Gesichtsausdruck. »Dann habt Ihr also Recht. Tatsächlich bezweifeln Wir auch, dass alles andere, ihn dazu bewogen haben könnte, uns die Angelegenheit vorzutragen. Er mag seine Geheimnisse, nicht wahr, Robbie?«

Cecil versteifte den buckeligen Rücken. »Euer Majestät … vor einem abgehalfterten Spion und Abenteurer …!«

Ich dachte, was ich schon einmal sechs Jahre zuvor gedacht hatte: Der schottische König und der englische Höfling, der ihn auf den Thron gesetzt hatte, hatten etwas von einem alten Ehepaar. Monsieur de Sully hatte damals große Freude gehabt, darüber zu spekulieren, wer der Mann und wer die Frau dabei war.

Inständig wünschte ich mir, ich könnte die Zeit wieder zurückdrehen und würde nicht dort stehen, wo ich nun stand.

»Der Herr Minister wird Euer Majestät keine unnötigen Sorgen bereiten wollen«, sagte ich so geschmeidig wie möglich. Das war nicht Heinrich von Navarra, der das Kind beim Namen nannte; das war James Stuart, der den Namen des Kindes gar nicht wissen wollte. Sollten andere sich darum kümmern.

Gereizt sagte James: »Dieser Gelehrte, dieser Arzt mit Namen Fludd … Wir könnten ihn für schuldig befinden. Tatsächlich sind Wir von Verschwörungen geradezu umringt! Gott streckt Uns jedoch seine Hand entgegen, um Uns zu retten – wie auch nicht anders zu erwarten ist. Aber diesen Unsinn, dieses Geschwätz, dass Unser Sohn etwas damit zu tun hat … Das werden wir nicht glauben!«

Ich stand auf und ging zum Bett, um vor dem König zu knien. Was auf mich hinabblickte, war ein halb ausgekleideter Mann mittleren Alters, der in seinen Decken zu frieren schien und seine Furcht nicht ganz verbergen konnte.

»Bitte, verzeiht, mein Herr und König. Es ist wahr. Falls die Beweise nicht ausreichen sollten, die der Herr Minister Euch vorlegt, dann … Prinz Heinrich hat wörtlich zu mir gesagt, dass er sich den Thron nehmen wird.«

»Ihr habt ihn missverstanden.«

Ich hob den Kopf, blieb aber knien, wohlwissend, dass ich den König bei weitem überragen würde, sollte ich aufstehen. »Sire, ich wünschte, dem wäre so, doch das ist nicht der Fall. Euer Majestät wird es sehen, wenn Ihr die Verschwörer verhaften lasst, wenn sie sich alle vor dem Maskenspiel versammeln … Mein Rat ist, es so aussehen zu lassen, als würde es stattfinden, auch wenn das jetzt unmöglich ist, und sie dann alle gemeinsam zu verhaften. Dann, Sire, werdet Ihr sehen, dass der Prinz einen Dolch im Gewand trägt.«

»Wir glauben nicht, dass er diesen aus böser Absicht mit sich führt! Jeder Mann kann einen Dolch tragen.«

Es gelang mir, unauffällig zu Minister Cecil zu blicken. Der Politiker hatte einen Gesichtsausdruck, der mich denken ließ, dass ich über bereits breit ausgetretene Pfade wandelte.

»Wir werden es nicht glauben!« James schlug leidenschaftlich auf die Matratze. »Wir werden es nicht glauben, bis wir ihn nicht den Dolch heben und zustoßen sehen! Monsieur de Rochefort, das ist Unser Prinz, Unser Sohn, Unser Erbe … Wir können das nicht von ihm glauben!«

Mit Königen zu diskutieren, ist zumeist sinnlos. Ich verneigte mich wie ein Mann, der sich dem Willen seines Monarchen unterwirft, und fragte mich kurz, warum ich mir überhaupt die Mühe machte, diesen starrköpfigen und verblendeten Vater am Leben zu erhalten.

Dariole. Um Robert Fludd aus seinem Versteck zu locken, damit sie wieder gesunden konnte, indem sie ihn erschlug. Und weil der junge Heinrich eine kleine Schlange ist.

Cecil setzte sich an den Tisch und sagte: »Es gibt eine Möglichkeit, die Wahrheit zu enthüllen, Euer Majestät, aber dazu müsst Ihr ihn in der Tat zuschlagen lassen. Monsieur Rochefort war Soldat. Er kann Euch einen Halsschutz sowie ein Kettenhemd geben und es dann unter dem Kostüm verbergen.«

James Stuart hob den Kopf wie ein Hund, der einen Hirsch wittert. »Na schön. Also gut. Wenn sich seine Unschuld nur so beweisen lässt, dann werde ich es tun!«

Dass der König mit einem Mal so viel Rückgrat bewies, überraschte mich – und offenbar auch Cecil, wie mir ein rascher Blick in seine Richtung zeigte. Wie es aussieht, hat der Herr Minister sich selbst überlistet.

»Das ist durchaus möglich«, sagte ich vorsichtig. »Ihr dürft jedoch nicht vergessen, Sire, dass man ein Kettenhemd zwar unter dem Wams und einen Halsschutz unter dem Kragen verbergen kann, doch wenn der Mörder auf das Gesicht zielt … Dann wäre Euer Majestät keinesfalls in Sicherheit.«

Cecil war zwar so schwer einzuschätzen wie eh und je; doch als ich das sagte, wirkte er erleichtert.

»Er wird seinen Vater nicht ins Gesicht schlagen«, sagte James Stuart mit ruhiger Würde, die in deutlichem Gegensatz zu seiner üblichen Steifheit stand. »Was das betrifft, könnt Ihr Uns ruhig glauben, Minister Cecil.«

Ich hatte den Eindruck, als würde der kleine Mann sich gleich in die Hose machen, und das konnte ich ihm auch nicht verdenken. Hier saß er, Erster Minister eines Königs, mit einem ganzen Netz von Informanten, um seinen Herrn vor Spionen und Meuchelmördern zu schützen, und ihm gegenüber hockte jener König bereit, wie ein Lamm zur Schlachtbank zu gehen.

»Bevor das nicht getan ist, werden wir keinerlei Haftbefehle ausstellen«, sagte James.

Cecil schlug mit der Faust auf den Tisch. »Euer Majestät tut dies gegen meinen ausdrücklichen Rat!«

»Euer Majestät ist nicht an Euren Rat gebunden, mein Herr Minister!« James schottischer Akzent kam wieder deutlich zum Vorschein. Wütend redete er auf Cecil ein. Zwar verstand ich das Schottische nicht, aber wie ein ›Ich tue, was ich für richtig halte!‹ aus dem Mund eines Königs klingt, das weiß ich, unabhängig von Dialekt oder Sprache.

Es könnte nicht schaden, Cecil glauben zu machen, dass ich ihm zur Seite stehe, dachte ich. »Aber, Sire«, wandte ich mich an den König, »das Maskenspiel kann gar nicht stattfinden. Es ist, wie Master Alleyne gesagt hat: Wir haben keine Clio und keine Zeit, bis heute Abend einen Ersatz anzulernen.«

James Stuart schnaufte vernehmlich. Er wuchtete seinen ungelenken Leib aus dem Bett und rief den Dienern zu, sie sollten trotz der Sommerhitze ein Kohlebecken hereinbringen. Dann stapfte er auf und ab, während Cecil und ich darauf warteten, von ihm gehört zu werden.

Unvermittelt blieb James vor mir stehen und musterte mich von Kopf bis Fuß.

»Wenn Wir richtig verstanden haben, habt Ihr den Text doch häufig genug gehört, Monsieur de Rochefort, hm?«

»Ich habe die Proben häufig verfolgt, Euer Majestät«, erwiderte ich.

Der König legte den Kopf zur Seite. Die meisten anderen Menschen hätte sein Blick wohl nervös gemacht. »Und würdet Ihr Uns wohl sagen, ob Ihr glaubt, Euch weitgehend exakt an die Zeilen der Muse erinnern zu können?«

»Das würde uns auch nichts nützen, Sire«, antwortete ich. »In der uns noch zur Verfügung stehenden Zeit könnte ich sie keinem anderen Jungen mehr beibringen, selbst wenn Master Alleyne noch einen Lehrling hätte.«

James Stuart drehte sich um und ging zum Tisch, wo Minister Cecil inzwischen aufgestanden war. Der König murmelte etwas in seinem unverständlichen Dialekt, was den kleinen Mann die Augenbrauen heben ließ. Dann drehte sich James wieder zu mir um.

»Nun denn …« Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, und ein zufriedener Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Monsieur de Rochefort, Wir haben den Eindruck, dass Ihr eine gar fidele Maid abgeben würdet.«

Ich schnappte nach Luft.

»Vielleicht seid Ihr ein wenig zu alt, wie Ihr gesagt habt, aber die Muse der Geschichtsschreibung begleitet uns ja auch schon das ein oder andere Jahr.«

Ich starrte ihn an. Hatte ich das jetzt gerade wirklich gehört?

»Aber ja!« Robert Cecil trat vor. »Auf der Bühne wäre Master Rochefort in der idealen Position, Eure Majestät zu beschützen. Direkt neben Euch! Sire, wenn Ihr schon fest entschlossen seid, derart überstürzt zu handeln, dann flehe ich Euch an, tut es mit diesem Mann als Leibwächter!«

Der König beschwerte sich nicht über das Wort ›überstürzt‹. Er lächelte. Mehr und mehr von Entsetzen erfüllt kam mir dieses Lächeln selbstgefällig vor.

»Wohlan, Robbie. Wir haben uns schon gedacht, dass Euch das gefällt.« James schlurfte unbeholfen zum Bett zurück, setzte sich und blickte zu mir hinauf. »Wir hatten schon darüber nachgedacht, Euch neben uns an dem Maskenspiel teilnehmen zu lassen, in einer kleineren Rolle, Master de Rochefort; aber Schauspieler machen immer solch einen Aufstand darum. In diesem Fall können sie jedoch nicht mehr widersprechen. Ihr füllt eine Rolle aus, die sie nicht ausfüllen können, und ohne Euch kann das Maskenspiel nicht stattfinden.«

Ich bin nicht wirklich sicher, was ich in diesem Augenblick gesagt habe. Ich plapperte irgendetwas auf Französisch, doch nicht auf Hochfranzösisch, sodass der König es nicht verstand.

»Das kann ich nicht!«, protestierte ich, nachdem ich meine Fassung ein wenig zurückgewonnen hatte. Ich blickte zum König und seinem Minister. »Ich bin kein Schauspieler!«

»Ihr seid ein Spion. Das kommt dem schon sehr nahe.« Cecil humpelte über den Teppich und sah mich an. »Und Ihr kennt die Rolle.«

Unglücklicherweise ist es zu spät, das zu leugnen.

»Den größten Teil davon, ja«, gab ich widerwillig zu. »Ich könnte sie zwischen jetzt und dem Bankett noch einmal durchgehen und mir den Text weitestgehend einprägen. Aber …« Ich appellierte an James Stuart. »Euer Majestät, ich weiß nicht, wie man sich auf der Bühne verhält! Ich werde in die anderen Schauspieler stolpern. In die Tänzer. Die Kulisse.«

Ich weiß nicht, warum kleinere Menschen eine derartige Befriedigung empfinden, einen Mann von meiner Körpergröße in äußerste Verwirrung zu stürzen. In jedem Fall rieb sich Robert Cecil die eleganten, kleinen Hände, und sein König strahlte amüsiert.

»Wir werden Euch jetzt von Unserer Gesellschaft erlösen, damit Ihr auf der Bühne proben könnt. Wir planen, Uns vor dem Bankett erst einmal auszuruhen. Es bleibt noch genügend Zeit.«

Da brauche ich gar nicht weiter zu diskutieren, erkannte ich.

Die bittere Wahrheit war jedoch, dass James das Maskenspiel mit seinem mörderischen Sohn nur überleben konnte, wenn ein Bewaffneter an seiner Seite stand …

Ich auf der Bühne, Cecils Soldaten, James' Leibgarde … Ja, damit hätte James vermutlich die nötige Übermacht, um lebend zu entkommen. Ich muss dringend nach Hauptmann Spofforth schicken.

»Ihr werdet die Clio für uns spielen.« Der König legte sich die Bettdecke über die Beine. »Und die gute, alte Muse wird wohl ein klitzekleines bisschen kriegerischer gespielt werden als für gewöhnlich, nicht wahr?«

»Ja, Euer Majestät«, antwortete ich. Nur mit Mühe gelang es mir, ruhig zu klingen.

Gütiger Gott! Caterina wollte ja Unvorhergesehenes … jetzt hat sie es!

Erst als ich nach dem Ende der Audienz in die Nachmittagssonne hinaustrat und zwischen den Zelten hindurchging, kam mir der Gedanke:

Was wird Dariole wohl sagen, wenn sie davon erfährt?