15 Weshalb die Braut weinte
»Endlich«, flüsterte ich Martha zu, »nun bekommen wir den apostolischen Segen.« Die Braut mußte sich, weil größer als ich, ein wenig zu mir herabbeugen: »Erwarten Sie bloß nicht zuviel. Der hat es als Priester nicht leicht mit sich.«
»Das gehört zum Berufsrisiko.«
»Aber er leidet besonders.«
»Sieht man …« Sobald ich Bruno Matull, der uns
gegenüber saß und nun stand, voll anschaute, mich also weder von den Brauteltern noch von der hinlänglich hübschen Studentin ablenken ließ, erinnerten mich die körperlichen Ausmaße des Priesters, seine groben, rastlos ein Versteck suchenden Hände, sein massiger Schädel auf zu kurzem Hals und das wie eine Delle wirkende Grübchen im Kinn an die Qualen und Freuden meiner im thüringischen Eichsfeld verschütteten Kindheit – eine Gegend, in der es katholischer als sonstwo zuging, übrigens über die Staatsgrenze hinweg, denn das Eichsfeld war, wie Deutschland im Ganzen, geteilt, mehr noch: der Europa in Ost und West scheidende Schnitt verlief, aufwendig als Todesstreifen bewacht, mitten durch meine waldige Heimat. Und dort gab es einen Vikar, der ähnliche Schwierigkeiten mit seinen Händen und gleichfalls ein gedelltes Kinn hatte. Fast glaube ich, ihn kindlich geliebt zu haben, auch dann noch, als mir das rote Halstuch der Jungen Pioniere bedeutsamer wurde als die in unserer Familie traditionelle Meßdienerei.
Der Vikar hieß Konrad. Den Nachnamen weiß ich nicht mehr. Er hatte schwarzes Kraushaar und roch nach Rasierwasser. Bis zur Firmung hing ich ihm an; doch im Verlauf meiner anfangs steilen FDJ-Karriere, die erst an der Leipziger Universität ins Stocken geriet und bald nach Professor Mayers Fortgang ihren Knick mit Folgen weghatte – ich wurde in die Braunkohlenproduktion gesteckt –, verblaßte der letzte katholische Zauber; nur der Vikar Konrad, der sich inzwischen längst bei den Bergleuten in Bischofferode in Amt und Würden befand, ging mir nie ganz verloren; vielmehr blieb er hintergründig genug, um dem Bibliothekar in Cottbus und später dem Mitarbeiter im Potsdamer Archiv über die Schulter zu gucken, und nun saß er mir als Bruno Matull gegenüber. Nein, er stand mittlerweile, riesig und ungeschlacht, massierte sein Kinn und dessen Grübchen, hatte ans Glas geschlagen und sammelte sich zur Rede, indem er seinen weich gezeichneten Mund öffnete, schloß, öffnete, dann wieder preßte, als wollte er die Lippen kneten und für längeren Gebrauch gefügig machen. Ein Fisch, der sprechen übte. Jemand, der es, nach Marthas Worten, nicht leicht mit sich hatte. Dieser Anstrengung konnte ich nicht länger zusehen. Deshalb hielt ich mich an Fonty, dem des Priesters Mühe viel Neugierde wert war. Vielleicht erwartete er eine Teufelsaustreibung oder die Beschwörung wundertätiger Reliquien, denn alles »Altgläubige« galt ihm als exotisch und ähnlich geheimnisvoll anziehend wie etwa die aus Fernost stammenden Mitbringsel im Kopenhagener Haus der Kapitänswitwe Hansen oder das Grab des Chinesen im pommerschen Kessin, der nachhaltig spukend die arme Effi um den Schlaf gebracht hat. Und wie dem Unsterblichen war ihm Romanpersonal mit katholischem Unterfutter – ob die Titelfigur Grete Minde oder Nebenpersonen wie Effis Magd Roswitha – stets ins Zwielichtige gerückt-, deshalb war ich sicher, daß Fonty, ähnlich wie ich, doch aus Gründen ganz anders gebetteter Kindheit, aus dem Mund des Priesters, wenn nicht eine kleine Offenbarung, dann doch etwas »kolossal Ketzerisches« erwartete. Ach, wenn er doch endlich zu Wort kommen und aufhören wollte, nur übungshalber die Lippen zu kneten. Beide hofften wir, daß der Fisch anfinge, zu uns zu sprechen.
Bruno Matull war einer jener wenigen Gemeindehirten, der auf mildes Dauerlächeln, diese allen Zweifel wegschminkende Gewißheit der Pfaffen verzichtete, oder besser, dem es nicht gelang, diese Miene aufzusetzen. Wir sahen ihn als eher finster blickenden Mann von fast brutaler Gestalt, der stehend nach Worten suchte, einige fand und sogleich verwarf, neue als untauglich erprobte, ganze Sätze verschluckte, größere Brocken zerkaute, dabei bis über die Backenknochen rot anlief, um schließlich mit der Eröffnung »Liebe Brautleute, Trauzeugen und Hochzeitsgäste« überstürzt vom Brett zu springen, mitten hinein in die Wirrnisse des Zeitgeschehens, die draußen, außerhalb der Offenbach-Stuben, ihren Tages- und Tauschwert behaupteten. Indem Matull die Tischkante klammerte, als wollte er demnächst die Tafel umstürzen, sagte er: »Nichts ist von Dauer. Überall zerfällt, was gestern noch glaubte, von Bestand zu sein. Doch wie kam es zu diesem Mauersturz? O nein! Ein kurzes befreiendes Durchatmen genügte nicht, mehr war vonnöten. Aber nur wenige waren bereit, von innen an der Zwingburg zu rütteln. Und siehe da: Sie wankte, fiel, zerfiel, wurde sich selbst zum Spott. Jetzt erst kamen viele und sagten: Das Beben, das waren wir. Unser der Sieg! So legten sie falsches Zeugnis ab. In Wahrheit aber gab es unter den wenigen Rüttlern, die nicht lockergelassen hatten, etliche Hirten der anderen Glaubensgemeinschaft, während meine Kirche sich still verhielt, wohl meinend, sie sei nicht zuständig für die Zwänge dieser Welt. Auch ich blieb stumm, all die Jahre lang. Auch ich nahm hin, was nicht hinzunehmen war. Kein Mut war auf meiner Seite. So ging dem Hirten die Herde verloren, er aber tröstete sich und suchte Genüge in seinem Glauben. Da kam, verehrte Gäste, eine Frau zu mir, die nicht glaubte, doch Halt suchte. Ihr Glaube, der einst groß und von starker, jeden Zweifel überwindender Hoffnung gewesen sein muß, war ihr vergangen. Sie lästerte ihn, nannte ihn trügerisch und blindlings parteiisch. Von einem Glauben sprach sie, der sich nur nachäffe und so der Lüge Dauer verleihe. O ja, sie rechnete mir vor, um welchen Preis und auf wessen Kosten sie gläubig gewesen war. Beladen kam sie zu mir, bat um Entlastung; doch ich zweifelte, ob ihr mein Glaube, mein Stillhalteglaube, jenen Halt geben könnte, den sie suchte. War mir doch selber der Boden unter den Füßen schwankend geworden. Also geizte ich mit Tröstungen, sagte, auch mir sei die letzte Gewißheit abhanden gekommen, ein wüstes Feld, reich an Disteln, breite sich vor mir aus. Sie aber zwang mich, zu meinen verdorrten Glaubensresten zu stehen, und fragte dringlich: ›Priester, wo ist deine perspektive?‹ Ja, liebe Hochzeitsgäste, so sprach sie und ließ nicht von mir ab. So verlangend kam sie, daß ich heute der Braut Dank sagen muß, denn der eigentlich Bekehrte bin ich. Ihre Glaubenskraft, die nur umgepolt werden wollte und allzu leicht fällt es dem Hirten, einem verirrten Schaf das nächstliegende Gatter zu öffnen –, ihre im Grunde unbeirrbare Glaubensstärke hat mich zweifeln gelehrt. Mehr noch: ihr Hunger nach klarer, vom Glauben vorgezeichneter Perspektive hat mir Mut gemacht, des Glaubens Kehrseite, den unansehnlichen Zweifel, als Alltagskleid zu tragen, weshalb mir der Brautvater vorhin noch mit einem literarischen Gleichnis wahrgesprochen und so meine zweifelnde Seele gelabt hat. Wie jenem Pater Feßler in einem mir, wie ich gestehen muß, unbekannten Romanwerk, das ›Graf Petöfy‹ heißt, eine protestantische Lebensmaxime, das kategorische ›Entsage!‹, zu eigen ist, so hat mich des Brautvaters Tochter Martha mit ihrem Willen angestoßen. fortan dem Glauben zu entsagen. Ja, ich will ohne Glauben sein! Mehr noch: dieses ›Entsage!‹ befiehlt mir, wahrhaft nur noch dem Zweifel zu dienen und allerorts Zweifel zu säen. Denn. liebe Gäste, wurde nicht hierzulande zu viel und zu lange geglaubt? War Glaube nicht wohlfeil wie eine Hure? Und ist nicht wiederum neuer Glaube – diesmal der Glaube an die Allmacht des Geldes – billig zu haben und doch hoch im Kurs? Und sind uns nicht abermals Perspektiven vorgezeichnet, die jedermann, der ihnen gläubig folgt, in Kürze Gewinn und dort, wo das Graue obsiegt hat, das Trugbild blühende Landschaft verbeißen? Ich aber kann unseren lieben Brautleuten nur wenig auf den Weg geben, doch soviel immerhin: Glaubt nicht blindlings. Laßt endlich Gott aus dem Spiel. Gott existiert nur im Zweifel. Entsagt ihm! Müde aller Anbetung, lebt er vom Nein. Ihn dürstet nach nichts. Längst hätte der Glaube Gott abgetötet und in ein schwarzes Loch gestürzt, wenn nicht des Zweiflers Ruf – ›Es ist kein Gott!‹ -ihm Stachel und Ansporn, Labsal und Manna gewesen wäre …«
An dieser Stelle seines Bekenntnisses wurde der Priester ums Wort gebracht. Der münsterländische Bräutigam, der als Bauunternehmer sein nahes und fernes Umfeld als Baugrund nach Gottes Willen wertete, und der pietistische Bruder der Braut, der als Verleger missionierende Schriften bis in die Dritte Welt hinein vertrieb und dabei irdischen und überirdischen Gewinn verbuchte, riefen gleichzeitig: »Das reicht, Hochwürden! Wir haben verstanden!« Und: »Das ist jesuitische Spiegelfechterei!« So viel Widerspruch warf den bekennenden Priester dennoch nicht um. Er blieb stehen und klammerte weiterhin bedrohlich die Tischplatte, war Fels in der Brandung. Inge Scherwinski, die von Herzen ganz unbeschadet katholisch war und deshalb, auf Wunsch der Braut, am rechten Kopfende der Hochzeitstafel saß, bekreuzigte sich immer wieder und rief: »Wo bin ich denn hier? Ehrlich, Martha, Frau Wuttke, wo sind wir denn hier?« Hingegen war Bettina von Bunsen sicher, »nichts als Geschmacklosigkeiten« und einen »verkappten Kommunisten« gehört zu haben. Grundmanns Tochter lachte bis ins Schrille hinein, wußte aber genau, was sie von den Aufgeregtheiten am Hochzeitstisch zu halten hatte: »Komisch, irrsinnig komisch find ich das.« Mir fiel nur »starker Tobak« ein. Und die Braut flüsterte: »Was ich geahnt habe. Nix läßt er aus. Für den zählt nur, was Fakt ist. O Gott, er hat es nicht leicht mit sich.« Als HeinzMartin Grundmann und Friedel Wuttke den immer noch standhaften Priester vergeblich aufforderten: »Nun setzen Sie sich endlich, Hochwürden!« -»Wir haben genug Peinlichkeiten gehört!« –, sagte Emmi Wuttke, weil Bruno Matull wie zu weiterer Rede bereit stand und seinen Doppelgriff nicht lockern wollte, zu ihrem Mann: »Nu sag doch was, Wuttke, nu sag endlich was.« Doch Fonty versteifte sich auf Schweigen, sooft seine Frau ihn anstieß. Der Priester mußte durch den Bräutigam und dessen Schwager genötigt, nein, handgreiflich gezwungen werden, sich zu setzen; sie lösten seine Hände nicht etwa behutsam, sondern Finger nach Finger von der Tischplatte, daß es knackte: zwei Männer mit Halbglatze, bemüht um einen dritten Mann, dessen Haar, wie meines, gleichfalls von schütterem Wuchs war. Nun saß der Priester, und Martha Grundmann, geborene Wuttke, begann zu weinen.
Wir hörten kein Schluchzen. Ein eher stiller Tränenfluß trat über die Ufer. Da die Braut, ihrem Vorleben entsprechend – zwei Verlöbnisse waren in die Brüche gegangen, das erste mit ihrem Schuldirektor, das letzte mit Zwoidrak, dem Oberleutnant der Volksarmee –, nur barhäuptig und in mausgrauem Kostüm, nicht etwa in Weiß und mit Schleier vor den Altar getreten war, hätte man die Tränen zählen können; und die Hochzeitsgesellschaft verstummte auch angesichts des so deutlich abtropfenden Überflusses, der wie ein Naturereignis bestaunt wurde. Grundmann, nun ganz besorgter Bräutigam, schob ihr sein Taschentuch zu. Aber sie wollte nichts trocknen, wollte fließen, nur fließen lassen. Also siegte das Bild der weinenden Braut, das wir stumm ansahen; und ich erlebte mich sogar ein wenig ergriffen. Was aber dem Schweigen der Hochzeitsgesellschaft Dauer verlieh, war Marthas Fähigkeit, unter Tränen zu lächeln. Eigentlich war ihre feuchte und an den Rändern verschwimmende Fröhlichkeit schön anzusehen. Glanz ging von ihr aus. Die Braut strahlte. Sie, die nur selten der Welt ein freundliches Gesicht geboten hatte und eher von alltäglich mürrischem Ernst geschlagen war, lächelte allen, die am Tisch saßen, ungeübt zu und bot uns ihr längst vergangenes Jungmädchenlächeln an: zuerst tränenreich ihrem angetrauten Heinz-Martin, dann Vater und Mutter, den Trauzeugen, dem Bruder, der Jugendfreundin, der vorhin noch amüsierten, nun verstörten Studentin, schließlich dem standhaften Priester, der sichtlich vertrotzt und nur gezwungenermaßen saß; wobei Bruno Matull, im Kontrast zur sich schönweinenden Braut, jenem Augustinermönch nicht unähnlich war, der einst vor versammeltem Reichstag sein »Ich kann nicht anders« zur Redensart gemacht hatte. Da sprach die Braut. Sitzend sagte sie: »Hört zu, Leute, du auch, Friedel. Und macht euch bloß keine Sorgen. Ich heul ja vor Glück. Das, kein frommes Gesums, genau das wollt ich hören. Ach, wie bin ich froh, daß nur sowas rauskam und keine Sprüche. Ich danke Ihnen, Pfarrer Matull. War mir schon vorher ziemlich klar im Prinzip, daß das nicht einfach glatt ablaufen kann, raus aus der Partei und rein in die Kirche. Dafür bin ich zu lange felsenfest überzeugt gewesen. Heinz-Martin weiß das, na, daß ich geglaubt hab, daß unsere Republik die bessere ist. Sogar an unsere revolutionären Ziele hab ich ziemlich lange … Ideologische Plattform, Disziplin … Parteilichkeit, war klar, daß die sein mußte. Kannst mir glauben, Friedel, da gab’s kein Zweifeln. Deshalb hab ich zu Heinz-Martin, als es ernst wurde mit uns, na, als wir uns wiedergesehen haben in Bulgarien und anderswo im Hotel, von Anfang an gesagt: Wenn ich das mach mit dem Konvertieren, dann nicht, weil deine Familie das unbedingt will, sondern nur, weil ich endlich lernen muß, positiv zu zweifeln. Denn das andere, na, diesen verdammten Glauben bis zum Gehtnichtmehr, der uns kaputtgemacht hat, bis unsere Republik nix mehr, nur noch ne Bewahranstalt war, den kenn ich. Diese Sorte Glauben hab ich intus. Da muß ich nix zulernen mehr. Genau! Sitzt wie das kleine und große Einmaleins, das ich den Gören beigebracht hab, jahrelang. Aber beim Zweifeln, da brauch ich Nachhilfe im Prinzip, da hapert es bei mir, immer noch … Und vielleicht bin ich deshalb so glücklich jetzt. Denn so klar, wie zu uns allen der Herr Pfarrer vorhin gesprochen hat, hab ich sowas noch tue gehört, auch nicht, als ich bei ihm noch Unterricht bekam. ›Gott existiert nur im Zweifel!‹ Leute, ich sag euch: Wenn wir hier rechtzeitig unserem Sozialismus sowas erlaubt hätten, na, ne gesunde Portion Zweifel, wär vielleicht doch was draus geworden. Was, Friedel? Du bist doch sonst scharf auf Wahrheit. Was, Vater? Hat er doch schön gesagt, unser Herr Pfarrer. Das hätten all deine Pastoren, Niemeyer, Pastor Petersen und Superintendent Schwarzkoppen, auch Pastor Lorenzen, der ja ein Sozi war angeblich, nicht besser hingekriegt und im Prinzip nicht schöner sagen können. Genau! Nicht mal Schleppegrell, der ja nicht ohne war – oder?«
Friedel saß mit geschlossenem Visier. Aber Fonty wird die genannten Pastoren vor sich gesehen haben. Er löste sie alle, zuletzt den Dänen Schleppegrell, der immerhin die Liebe dreier Prinzessinnen abgewiesen hatte, aus Romanen und Novellen, rief weitere Gemeindehirten herbei, ließ sie als mehr oder weniger protestantische Garde aufmarschieren, nahm sozusagen Parade ab und sagte: »Ob Domprediger oder Landpastor, die waren allesamt müdegepredigt, obwohl sie, gut lutherisch, beide Testamente und die Sprüche Salomonis auf ihrer Seite hatten. Allenfalls hätte Lorenzen so offen heraus wie dein Priester … Nein, der auch nicht … Respekt und nochmals Respekt! Kam alles furchtbar richtig raus und freiweg, wie ich es gern habe. Muß sagen – wenn der Vergleich erlaubt ist –, daß mich Hochwürden, dem Gott sei Dank alles Hochwürdige abgeht, kolossal an jenes verlorene Häuflein illegaler Nonnen erinnert, die den toten Liebsten meiner Grete Minde ordentlich unter die Erde gebracht haben, während der Prediger Roggenstroh hartherzig, wie nur ein Christenmensch hartherzig sein kann, der Leiche den Segen verweigert hat … Na, trinken wir auf Metes tränenreiches Glück und einen übrigen Schluck auf den Zweifel. Der möge bis zum Schluß unsere Schildwacht sein. Zweifel ist immer richtig!« Er hob das Glas, prostete seiner Tochter, dann dem ungeschlachten Priester zu, trank bis zur Neige und rief: »Herr Wirt! Nun soll aber schleunigst das Dessert auf den Tisch und die beim Glaubensstreit erhitzten Gemüter ein wenig abkühlen, sonst mißrät uns die Hochzeit zum Schlachtfest, bei dem am Ende doch noch ›Ritter Blaubart‹ auftischt.«
Die Eisvariationen namens »Pariser Leben« taten, was Fonty von ihnen erwartet hatte. Der Blutdruck sank. Harte Worte oder gar Abrechnungen wurden verschluckt oder auf später verschoben. Die Tischgespräche fanden andere, weniger abschüssige Bahnen. Sogar Schwager und Bräutigam kühlten sich ab. Endlich kam Grundmann dazu, sein bauwirtschaftliches Fachwissen auszubreiten. Auf »solidem Fundament« wollte er in Schwerin eine Filiale, wie er sagte, »zum Stützpunkt« ausbauen. »Der mecklenburgische Grundstücksmarkt ist total unterentwickelt. Verstehe ja, daß man nach dem großen Kladderadatsch nicht weiß, wie es weitergehen soll, aber da werden wir helfen, da müssen wir helfen. Liegt ja völlig brach alles seit dem Ende der Kommandowirtschaft. Doch ist es uns immerhin gelungen, mit Hilfe einiger ortskundiger Kräfte ersten Durchblick zu gewinnen. Bin allerdings der Meinung, daß bei der vordringlichen Lösung der Eigentumsfrage unkonventionell gehandelt werden muß, sonst läuft gar nichts. Funkstille bei Investoren. Stagnation. Der alte Schlendrian …« Dem konnte Friedel Wuttke nur zustimmen: »Du ahnst nicht, lieber Schwager, in welchen Schwierigkeiten wir stecken. Mein Verlag, dessen Stammhaus früher in Magdeburg seinen Sitz hatte, kann sich zwar dort auf Eigentumsrechte berufen, aber die will man nicht akzeptieren. Noch verhandeln wir ziemlich geduldig, doch irgendwann muß das Theater mit dem sogenannten Volkseigentum aufhören. Auf jeden Fall müßten wir mit der Ausdünnung im Personalbereich jetzt schon beginnen, ganz einfach, um konkurrenzfähig zu bleiben, der Markt für theologische Schriften ist eng. Deshalb wollen wir unsere Reihe ›Mission heute‹ in Richtung Osteuropa öffnen und bei den verdienstvollen Tätigkeiten der Herrnhuter anknüpfen …« Nun wollte auch Frau von Bunsen der Eigentumsfrage nachgehen. Sie erwähnte »völlig heruntergewirtschaftete Liegenschaften« der Familie ihres Mannes im östlichen Teil der Altmark, sprach von »seit Generationen rechtmäßigem Besitz« in der Gegend von Rathenow, den man auf keinen Fall den »Kolchosen und sonstigen Seilschaften« überlassen dürfe. »Das bin ich meinem verstorbenen Mann schuldig!« Dann wollte sie auf den Altbesitz der Familie von Wangenheim kommen, wurde aber durch eine Frage, die unvermittelt Fonty stellte, von rund tausendzweihundert Hektar enteignetem Junkerland abgelenkt. Der Brautvater wollte wissen, ob ihr verstorbener Mann mit Karl Josias von Bunsen, jenem preußischen Botschaftsrat, verwandt sei, der während der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, »vor Graf Berristorff«, in London tätig gewesen wäre: »Wurde erst siebenundfünfzig geadelt. Galt als Liberaler und war ein erklärter Manteuffel-Fresser.« Außerdem war Fonty an der Familie von Wangenheim interessiert: »Gaben sich zugespitzt altgläubig. Waren ausgesprochen antipreußisch. Die alte Frau von Wangenheim ging so weit, mir mit dem allerkatholischsten Gesicht zu versichern: ›PreußenDeutschland birgt keine Verheißung …‹« Frau von Bunsen verneinte, was ihren Mann betraf, direkte Verwandtschaft mit irgendwelchen Liberalen und wollte keinesfalls mit Fonty über die Verästelungen des preußischen Adels plaudern, sondern wie Grundmann und Friedel Wuttke bei »berechtigten Eigentumsforderungen« bleiben; doch nun verhielt sich Inge Scherwinski, die bis dahin dem Priester ihre Nöte mit ihren »drei Jungs« ausgebreitet hatte – »Ehrlich, die schaffen einen!« –, ganz und gar unpassend, indem sie die verschieden lokalisierten Kämpfe um Besitztitel durch eine Frage an die Braut beendete: »Weißte noch, Marthchen, wir zwei beide auf Ernteeinsatz? All die riesengroßen LPGs! War doch manchmal ganz schön -oder? Wir als Junge Pioniere mittem Halstuch … Und später mit Blauhemd … Du hast manchmal auffem Klavier … Und als wir zwei beide in einer Singgruppe … Ehrlich, das fehlt mir manchmal …« Und schon sang Marthas Jugendfreundin mit feinem Stimmchen: »Du hast Ja ein Ziel vor Augen …«, und die Braut sang mit: »Damit du in der Welt dich nicht irrst …«
Beide sangen nun kräftiger, wie von Erinnerungen fortgespült. Wer hätte Martha diesen dunklen und zugleich warmen Ton zugetraut? Gleich anschließend sangen sie das Solidaritätslied »Vorwärts, und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht …« und hätten wohl gerne alle Strophen gesungen, wenn Friedel Wuttke nicht mit lautem Einwurf »Aufhören!« dagegen gewesen wäre. Doch weder seine Schwester noch ihre Freundin wollten auf Befehl schweigen. Sie stimmten ein Lied an, das zu Herzen ging, weshalb ich versucht war, mitzusingen: »Spaniens Himmel breitet seine Sterne«, und ich summte wohl auch leise: »Die Heimat ist weit, doch wir sind bereit«, als sich Martha und Inge so wohlklingend entschlossen zeigten, für die Freiheit zu kämpfen und zu siegen. Jadoch, verdammt, ich sang mit. Auch mir war jede Strophe eingehämmert. Ich hörte mich singen und erstaunte darüber, daß mein Gedächtnis all das gespeichert hatte, was uns von Jugend an gläubig hat werden lassen. Als aber die beiden Freundinnen wie zwei in die Jahre gekommene FDJlerinnen nun auch noch »Bau auf, bau auf! Bau auf, bau auf!« zu singen begannen, dabei einander fest anblickten und mit wiederholtem Appell die »Freie Deutsche Jugend« zum Aufbau des mittlerweile auf Abbruch stehenden Arbeiter- und Bauern-Staates aufriefen, war von der abkühlenden Wirkung der Eisvariationen namens »Pariser Leben« nichts mehr zu spüren. Friedel Wuttke erlebte sich jenseits aller pietistischen Geduld. Kein Herrnhuter, ein Wüterich sprang auf und schlug auf den Tisch, daß es klirrte. Er rief nicht, er brüllte: »Schluß! Das ist vorbei! ›Für eine bessere Zukunft‹, da kann ich nur lachen. Nichts, absolut nichts will ich davon je wieder hören. Diese Verbrecher. Versaut haben sie euch. Endgültig vorbei ist das, hört ihr!«
Aber der Gesang der Freundinnen war nicht abzustellen. »Weiß gar nicht, was du willst«, rief Martha zwischen Strophe und Strophe. »Du bist doch früher mal, hab ich gehört, ein ziemlich rabiater Achtundsechziger gewesen … Na. mit Mao-Bibel und so … Hast sogar, bevor du auf fromm gemacht hast, Che-Guevara-Poster verhökert … Was habt ihr denn damals gesungen?«
Dann ging es weiter im aufbaufreudigen Liedtext. Friedels Ausbruch verpuffte. Martina Grundmann fand so viel lautstarken Zorn ohnehin übertrieben: »Ist doch lustig!« Und schon versuchte sie mitzusingen: »Bau auf, bau auf …« Als Frau von Bunsen als Ziehmutter und Grundmann als Vater die Studentin ermahnten: »Laß das bitte, Martina« -»Nun hat der Spaß aber ein Ende«, bat Emmi Wuttke beide und besonders ihren Schwiegersohn um Nachsicht: »So war das bei uns all die Jahre. Fast jeder hat mitgesungen, auch unser Friedel und seine Brüder beide, als Martha noch klein war und bevor sie alle drei drüben geblieben sind. War ja gut gemeint, damals, das mit dem ewigen ›Bau auf‹, auch wenn es trotzdem nich richtig voranging. Aber die Jungs sangen das und dachten so, jedenfalls anfangs noch. Und du, Friedel, warst ein ganz Scharfer, bevor du … Immer so fanatisch … Richtig aufpassen mußt man bei jedem Wort … Aber das is ja nu alles vorbei, seitdem wir die Einheit kriegen sollen, damit es besser, immer besser wird. Soll ja auch, soll ja! Aber sich erinnern, wie es gewesen is früher, als wir noch unter uns waren, das darf man … Was, Wuttke?« Kein Gesang mehr. Um den Tisch saßen wir fremd. Friedel suchte die Zimmerdecke weiß nicht wonach ab, vielleicht nach seinen achtundsechziger Thesenanschlägen. Zwischen Braut und Bräutigam war ein Loch. Inge Scherwinski sah plötzlich nicht mehr munter aufgekratzt, nur noch abgearbeitet aus. Ich wünschte mich ins Archiv, die Studentin vielleicht nach Amsterdam und Frau von Bunsen in die Toskana, von der sie bei Tisch geschwärmt hatte. Nur Pfarrer Matull hatte ein passendes Wort übrig: »Wir kennen uns nicht. Wir erkennen einander nicht.« Und Fonty? Er saß in korrekter Haltung, aber wie abwesend. Nur einmal, als noch Streit die Hochzeitsgesellschaft belebte, hörte man ihn sagen: »Schade, daß der Professor nicht dabei ist. Freundlich würde das alles kolossal apart finden. Hätte zweifelsohne Anekdoten auf Lager. Zum Beispiel, was die Emigranten gesungen haben, in Mexiko damals …« Dann schwieg er wieder, doch war zu vermuten, daß sich Fonty zu längerer Rede sammelte. Emmi sah das mit Unruhe. Aber bevor er seine allzeit rückläufigen Gedanken ausbreiten, die Zeit der Sozialistengesetze beklagen, aus Bebels Reichstagsreden zitieren, das preußische Spitzelwesen verdammen und die Hoffnung des Unsterblichen auf die Arbeiterklasse – »Alle Zukunft liegt beim vierten Stand« – beschwören konnte, trat die Erinnerung in Person auf; und sogleich sahen wir uns in anderem Licht.
Als gerade der Kaffee serviert wurde, stand unberufen Hoftaller im Musikzimmer der Offenbach-Stuben. Nein, in der Tür stand er und lächelte. Zum taubengrauen Anzug mußte eine sehr gelbe Krawatte passen. Er brachte keine Blumen, hielt aber ein mit rotem Seidenband zum Geschenk gebundenes Päckchen, dessen kunstvoll geknüpfte Schleife auf Konfekt schließen ließ. Warum er uneingeladen dennoch gekommen sei, begründete er nur Fonty gegenüber: »Ich gehöre nun mal dazu.« Also wurde auch ihm Kaffee serviert. Cognac und Liköre gab es, sogar Pralinen. Ein wenig erschöpft von den drei Gängen und dem zu vielen Gerede bei Tisch, nahm man den Fremden mit nur halbem Interesse auf; einzig Friedel sagte zu seinem Vater: »Ließ sich denn diese Peinlichkeit nicht verhindern? Kenne den Typ. Der hat sich ein paarmal bei Teddy und mir blicken lassen, Ende der siebziger Jahre schon. Und von Georg weiß ich … Verstehe dich nicht, Vater, daß du dieses Gesocks …« Fonty sagte: »Mit seinesgleichen haben wir leben müssen«, mehr nicht. Hoftaller wechselte zwanglos von Gast zu Gast und stellte sich mit aufgesetztem Lächeln als Freund der Familie vor. Als er sein Päckchen zu den anderen Geschenken und Blumenbuketts auf einen Nebentisch legte, sagte er mit leichter Verbeugung der Braut gegenüber: »Möchte auf keinen Fall versäumen, nen Glückwunsch auszusprechen, und zwar zum neuen Lebensabschnitt, falls es sowas gibt. Ist nur ne kleine Aufmerksamkeit …« Marthas Glück war verbraucht, ihre momentane Schönheit dahin. Verkniffen wirkte sie, schaute mürrisch drein, zupfte kurz an der seidig schimmernden Schleife, widerstand aber der Versuchung, das rote Band zu lösen, brachte gerade noch ein »Danke« über die Lippen und zerrte dann am Ringfinger ihrer rechten Hand, als wäre ihr der neuglänzende Schmuck schon jetzt lästig. Hoftaller mischte sich wieder unter die Gäste, nahm deren Geplauder auf und sprach sogar einige Worte mit Friedel Wuttke, der gerade begonnen hatte, den ungeschlachten Priester zu missionieren. Einmal nahm mich Fonty beiseite: »Schreibt, was ihr wollt, aber stutzt mir den Grundmann nicht zur Karikatur. Immerhin ist er bis zum Schwarzen Meer gelaufen, um sich meine Mete zu angeln …« So ermahnt, antwortete ich mit des Bräutigams »Verstehe!« Später unterhielt mich die Studentin Martina, die an einem Gläschen Amaretto nippte und dabei amüsant von Amsterdams speziellen Freiheiten erzählte.
Wir vom Archiv haben gerätselt. Hoftallers viereckiges Mitbringsel regte Vermutungen an. Einer der Mitarbeiter tippte auf den »Schott«, jenes katholische Meßbuch, das mir zur ersten Kommunion auf den Geschenktisch gelegt worden war. Ein anderer traute Hoftaller die Geschmacklosigkeit zu, der Braut ein Buch mit dem Titel »Troika« zugemutet zu haben, dessen Autor zur Spitze der Staatssicherheit gehört hatte und nun mit »Erinnerungen« auf den Markt ging. Eine der Kolleginnen frotzelte: »Vielleicht hat er ihr ein Paar rote Socken verehrt.« Ich blieb bei meinem Verdacht: »Ach was, das Päckchen war flach. Mit einer harmlosen Pralinenschachtel wird er sich in Unkosten gestürzt haben«, bis Fonty uns, anläßlich eines Archivbesuchs, fast übertrieben gutgelaunt aufklärte. Gegen Schluß der Hochzeitsfeier habe er einem dringlichen Bedürfnis nachgeben müssen. Sofort sei ihm Hoftaller hinterdrein gewesen, offenbar dem gleichen Drang folgend. Beim Wasserlassen, das bei alten Männern naturgemäß Zeit benötige, habe ein Gespräch begonnen, das von Hoftaller, den man sich vorm benachbarten Toilettenbecken vorstellen möge, gleich zu Beginn der gemeinsamen Erleichterung eröffnet worden sei; wie bekannt, komme sein Tagundnachtschatten ja immer ohne Umstände zur Sache, diesmal sein ominöses Päckchen betreffend: »Habe mir erlaubt, der verehelichten Frau Grundmann das Relikt ihrer Parteizugehörigkeit, nämlich ne abgeschlossene Kaderakte, zu schenken, mit nein kleinen Anhang übrigens, ihre lange Verlobungszeit betreffend. Ne Menge Hotelgeflüster … Zwischendurch Peinlichkeiten … Sowas darf nicht in falsche Hände kommen.« Daraufhin will Fonty gesagt haben: »Furchtbar rücksichtsvoll. Wird meiner Mete ein zwiespältiges Vergnügen sein, diese gewiß nicht erbauliche Lektüre.« Hoftaller, von dem wir vermuten dürfen, daß ihm nicht nur die überfüllte Blase befohlen hatte, schnurstracks nach Fonty die Toilette aufzusuchen, sagte beschwichtigend: »Nur das Übliche. Sie kennen ja Ihre Tochter. Hat nun mal nen Hang zum Prinzipiellen, mal links, mal rechts abweichend. Dennoch, halb so schlimm alles. Einige revisionistische Extratouren. Doch jedesmal hinterher Selbstkritik. Nur auf ihren einstigen Verlobten, den Genossen Zwoidrak, wollte sie nichts kommen lassen. Und sogar im Hotelbett hat sie den Sozialismus ne im Prinzip gute Sache genannt. Habe übrigens, um die Nüchternheit der Akte ein wenig aufzuhellen, einen Buchbinder bemüht. Sieht jetzt ganz hübsch aus, in Halbleder, mit marmoriertem Vorsatzpapier.« Fonty will gelacht haben: »Kolossal feinfühlend! Mete wird beim Auspacken ein Poesiealbum vermuten und dann erst am Inhalt, der gleichfalls ledern ist, zu beißen haben. Potz Blitz! Es ist der Chablis, der so treibt.« Nun schon am Waschbecken, soll Hoftaller geseufzt haben: »Noch spotten Sie, Fonty. Dabei sollte Ihnen an nein ähnlich inhaltsreichen Geschenk gelegen sein.
Fürchte, der Buchbinder wird mir mehrere Bände in Rechnung stellen müssen. Ist ne Menge zusammengekommen, angefangen beim Herwegh-Club, Dresden nicht zu vergessen, später die Londoner Jahre …«
»Sparen Sie sich die Kosten!« will Fonty bei laufendem Wasserhahn gerufen haben. Aber beim Händetrocknen hat er sich dann doch noch die Adresse des Buchbinders erbeten: »Will schon lange meinen Marwitz nachbinden lassen, auch die ›Effi Briest‹-Erstausgabe, die Friedel anno 95 verlegt hat … Sehen schlimm aus, die Buchrücken … Hätte die Tagebücher gerne, besonders die Londoner Kladde … Nun aber los, Tallhover! Trödeln Sie nicht so lange. Die Gäste warten auf uns.«
Zum Schluß der Hochzeitsfeier hätte es beinahe doch noch Streit gegeben. Heinz-Martin Grundmann, der mehrere Cognac gekippt hatte, wurde laut und wollte unbedingt zahlen: »Sofort und für alles!« Schon wedelte er mit der Kreditkarte und nahm den Wirt in Beschlag: »Und zwar die gesamte Rechnung, mit Datum und Stempel!« Als der Brautvater Einspruch erhob – »Das hier ist meine Sache!« –, gab sich der Bräutigam beleidigt: »Also, mein lieber Schwiegervater, was soll das? Verstehe ja, daß Sie gerne … Aber für mich ist das ein Klacks sozusagen …«
»Der Brautvater zahlt!«
»Machen wir doch bitte keine Affäre daraus …« »Abgemacht ist
abgemacht.«
»Aber in schweren Zeiten wie diesen sollten die alten Spielregeln nicht …«
»Schwere Zeiten gibt’s immer, meine Mete jedoch
heiratet nur einmal …«
»Nun bin ich aber beleidigt. Drei Gänge, was ist das schon. Trifft
ja keinen Armen …« Fonty, der nun bestimmt, aber nicht laut wurde,
beendete den prinzipiellen Handel: »Das hier ist Ehrensache. Oder
will sich mein Schwiegersohn etwa mit mir duellieren?« Nachdem er
dem Wirt, der fein lächelnd zuhörte, einen Wink gegeben hatte, war
ihm die Rechnung sicher. Schnell versöhnt legte er den Arm um des
rundlichen Bauunternehmers Schulter und erklärte ihm, ein wenig von
oben herab, daß er nach längerer Krankheit wieder den Bleistift
habe spielen lassen und nun seine wie des Unsterblichen Kinderjahre
auf gut dreißig Blatt stünden: »Mit Hilfe meiner Emilie natürlich,
die seit jeher alles in Reinschrift bringt. Trug mir ein
ordentliches Werkhonorar ein. Bin wieder flüssig. Soll noch mehr
werden, wenn es zum Vortrag kommt. Außerdem wird Friedel, obgleich
sein Verlagsprogramm mehr zu Traktaten hin tendiert, demnächst ein
Bändchen herausbringen, in dem auch dieser Vortrag leicht gekürzt
Platz finden könnte. Das Ganze ist zwar mehr hingeplaudert als für
den Druck geschrieben, dennoch, sowas findet Leser. Nichts Großes,
nur was von uns bleibt: Erinnerungen, einige Narben, Gerüche, bunt
kolorierte Bildchen. Dann wieder Fox tönende Wochenschau. Auch
Tränen. Der Mutter strafende Hand, des Vaters Reden bei Tisch.
Später gehts um Schweine- und Karnickelzucht. Und immer wieder der
See, die Schinkelkirche, die brennenden Scheunen vorm Rheinsberger
Tor. Das Denkmal, die sitzende Bronze. Fängt übrigens alles in
Neuruppin an.«