Das Mönchlein
Peppone und Genossen standen am Beginn des Sträßleins, das auf den Damm hinaufklettert, und unterhielten sich über die Niedertracht des Klerus im allgemeinen und Don Camillos im besonderen, als wie ein Täubchen in ein Falkennest ein Mönch daherkam.
Es war ein eingeschrumpftes und wackeliges Mönchlein, mit einem Sack auf der Schulter, und wenn man es so krumm daherkommen sah, mußte man unwillkürlich denken, daß es jeden Augenblick ausein andcrfallen oder unversehens in seiner Kutte verschwinden könnte. Es erschien, weiß Gott woher, auf der Straße am Damm, und als es die Gruppe Peppone und Genossen sah, kollerte es wie eine kleine Knochenlawine hinab.
Man schaute es finster an und ließ es eine Weile reden, bis Peppone höhnisch sagte:
«Es würde Ihnen wahrscheinlich bessergehen, wenn Sie, anstatt unnütz herumzuziehen, versuchen würden, eine kleine Arbeit von praktischem Wert auszuführen.»
Das Mönchlein lächelte.
«Wir bemühen uns gar nicht, daß es uns bessergeht, wir bemühen uns, daß es uns schlechter geht.»
«Das ist eure Sache!» murmelte Peppone.
Das Mönchlein war schüchtern und demütig.
«Es ist nicht unsere Sache. Das Kloster besitzt nichts und jeden Tag kommen hungrige Leute und klopfen an die Klosterpforte. Wir sammeln den Überfluß, um den Bedürftigen das Notwendige zu geben.»
Peppone grinste.
«Die Bedürftigen würden besser daran tun, nicht an die Klosterpforten zu klopfen, sondern sich zu vereinigen und jenen, denen es gutgeht, den Schädel einzuschlagen. Dann würde alles gleich in Ordnung sein.»
«Man muß auf die göttliche Vorsehung vertrauen», murmelte der Mönch. «Gewalt zeugt wieder nur Gewalt. Das Böse heilt man nicht durch Böses. Um das Gute zu haben, muß man Gutes tun.»
Peppone lachte höhnisch.
«Wir verstehen uns also. Auf Wiedersehen!»
Der Mönch gab es nicht auf.
«Könnten Sie mir nicht etwas geben? Wenigstens eine Kleinigkeit.»
«Nein!» brüllte Peppone heftig.
Das Mönchlein zuckte zusammen. Es suchte in seinen Ärmeln herum, fischte ein Blättchen heraus und reichte es Peppone.
«Seien Sie so gut und nehmen Sie wenigstens dieses Heiligenbildchen an», flüsterte es.
«Ich kann nichts damit anfangen», antwortete Peppone.
Das Mönchlein hatte anscheinend die Anwesenheit der anderen nicht beachtet und schaute nur Peppone an.
Er zog die Hand mit dem Heiligenbildchen zögernd zurück. Dann drehte er sich um, stieg mühsam wieder auf den Damm und setzte seinen Weg fort.
«Wir müssen Tafeln in der Gegend anschlagen», sagte Peppone. «Betteln, auch für Mönche und Nonnen, verboten.»
«Richtig!» sagte Smilzo beifällig. «Es ist an der Zeit, energisch einzugreifen. Diese Mönche sind zu fünfundneunzig Prozent Spione des Vatikans.»
Die Sitzung wurde aufgelöst, und jeder ging für sich heim.
Peppone entschied sich für den längsten Weg, die Dammstraße; er hatte das Bedürfnis, eine Weile allein zu bleiben, um die Galle zu verdauen, die ihm in den Magen geraten war. Vom Damm blickte er gegen Castelletto, und er konnte gerade noch das Mönchlein ausnehmen, das rasch in der Ferne verschwand.
«Verwünscht seist du und dein Heiligenbildchen!» murmelte er.
Zu Hause legte er den Rock ab, zog sein Arbeitsgewand an, begab sich in die Werkstatt und versuchte zu arbeiten; er war aber immer noch zu nervös, um etwas Ordentliches zustande zu bringen.
Er zog wieder den Rock an, holte das Fahrrad hervor und fuhr ein wenig in der Gegend umher.
Als er auf der Dammstraße war, stieg schon vom Fluß ein leichter Nebelschleier auf. Peppone trat fester in die Pedale; es war notwendig, sich zu beeilen, sonst hätte er nichts mehr finden können.
Er radelte eine Weile fort, und als er - etwas vor der Kreuzung bei Pioppetta - einem Alten begegnete, hielt er an.
«Hast du einen Mönch gesehen?»
«Mir scheint», antwortete der Alte.
«Was heißt, mir scheint? Hast du ihn gesehen oder hast du ihn nicht gesehen?»
«Vor einer Viertelstunde bin ich beim alten Abzugsgraben einem Fetzenbündel begegnet, das, nach der Farbe zu schließen, ein Mönch hätte sein können, aber ich konnte nicht gut ausnehmen, was in dem Bündel drin war.»
Peppone fuhr weiter.
Er radelte zwei Kilometer über den alten Abzugsgraben hinaus und machte dann kehrt, weil der verdammte Mönch nicht weitergegangen sein konnte, auch wenn er Siebenmeilenstiefel gehabt hätte. Sicherlich war er gleich nach dem alten Abzugsgraben abgebogen. Peppone stürzte sich auf diese neue Spur, fand aber nicht einmal den Schatten eines Mönches. Inzwischen war der Nebel immer dichter geworden.
Am Rückweg zum alten Abzugsgraben, etwas vor der Verbreiterung des Dammes, bemerkte er einen schmalen Feldweg, der über die Felder nach Torricella führte.
«Idiot!» murmelte er. «Zwischen Torricella und Gabiolo liegt ein Kloster. Das hätte mir einfallen können!»
Er schwitzte, wie nur er schwitzen konnte. Der Feldweg war abscheulich, und der Nebel wurde immer dichter. Peppone hatte aber einmal den Rossen die Zügel freigelassen, und niemand konnte ihn mehr aufhalten.
Plötzlich sah er am Grabenrand etwas Dunkles. Er zog die Bremse an, und siehe da, es war das Fetzenbünde] in der Farbe eines Mönches. Das Mönchlein hatte sich am Grabenrand niedergesetzt und erhob sich, als es diesen Riesen kommen sah.
Er erkannte ihn wieder.
«Ich habe mich im Nebel verirrt», murmelte Peppone. «Wissen Sie, ob ich hier recht nach Gabiolo bin?»
«Ja», sagte der Mönch. «Ich gehe ins Kloster zurück, das zwei Kilometer von Gabiolo liegt.»
Peppone war verblüfft. Dann riß er sich zusammen.
«Kommen Sie, ich bringe Sie auf der Stange bis zum Kloster.»
Der Mönch lächelte.
«Danke, Bruder. Wir trachten stets danach, daß es uns schlechter- und nicht bessergeht.»
Er machte sich mit seinem kleinen Sack auf der Schulter auf den Weg. Peppone stieg ab und ging an seiner Seite. Der Nebel wurde immer düsterer, und die beiden schienen Millionen von Kilometern von der Welt entfernt zu sein.
Plötzlich blieb Peppone stehen. Auch der Mönch blieb stehen.
«Für eure Armen», murmelte Peppone und reichte dem Mönch eine Fünfhundert-Lire-Note.
Das Mönchlein staunte fassungslos den Riesen an und konnte sich nicht entschließen, die Hand auszustrecken.
«Gott wird es Ihnen vergelten», murmelte es schließlich, nahm das Geld und ging weiter. Peppone rührte sich aber nicht. Da drehte sich der Mönch um und fragte:
«Was gibt’s?»
«Das Bildchen!» sagte Peppone.
Das Mönchlein suchte in seinem weiten Ärmel herum, fischte das Heiligenbildchen heraus und reichte es Peppone, der es in die Tasche steckte.
«Gute Nacht», murmelte Peppone, machte kehrt und fuhr davon.
Der Mönch sah ihn im Nebel verschwinden. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Hatte der große Mann nicht gesagt, er wolle nach Gabiolo fahren? Warum fuhr er jetzt zurück?
Er war ein einfacher Mönch, und wenn er etwas nicht verstand, zerbrach er sich nicht den Kopf, um es um jeden Preis zu verstehen. Er zuckte mit den Achseln und ging seines Weges.
Dann fühlte er, wie eine große Wärme in seinem Herzen aufstieg; er hob die Augen zum Himmel und murmelte:
«Es muß etwas Schönes sein, Jesus - ich danke Dir!»
Peppone fuhr mitten durch den Nebel, was das Zeug hielt. Als er beim alten Abzugsgraben wieder auf dem Damm war, hielt er das Rad an, holte das Heiligenbild aus der Tasche, legte es in seine Parteilegitimation hinein und schob sie in die Brieftasche.
Er dachte an das Mönchlein, das er auf dem Feldweg verlassen hatte, und er stellte sich vor, wie es am Flußufer stand, bereit, zu den Vögeln zu sprechen, die zu Hunderten aus dem Nebel herangeflogen kommen, sich auf seine Hände und Schultern setzen und zwitschern.
«Mittelalterliche Beschränktheit!» murmelte Peppone und trat in die Pedale. «Wir sind alle noch voll mittelalterlicher Beschränktheit! Wir müssen besser auf uns achtgeben!»
Er ließ sogleich eine Schildwache über seinen Gefühlen aufziehen, die bereit war, Alarm zu schlagen.
Im geheimen dachte er aber an das Mönchlein, das am Grabenrand sitzt und mit Spatzen und Zaunkönigen plaudert.