Der große Tag

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Dem Provinzsekretär der Partei blieb der Mund vor Verwunderung offen, als er zur letzten Wahlversammlung ins Dorf kam. Eine so gut gedrillte Ortsgruppe wie die Peppones, sagte er, gäbe es in der ganzen Provinz nicht.

Als er die Rednertribüne bestieg, erhob sich auf dem überfüllten Platz ein solcher Donner von Zurufen und Händeklatschen, daß im ganzen Dorf die Fensterscheiben zitterten.

Als sich der Beifall gelegt hatte, stellte Peppone den Redner vor, dieser trat an das Mikrofon und begann:

«Genossen...»

Dann mußte er abbrechen, da die Menge zu murmeln begann und alles in die Luft schaute. Man hörte ein sich näherndes Surren, und gleich darauf erschien ein kleines rotes Flugzeug, überflog den Platz und ließ über ihn wohl eine halbe Tonne kleiner roter Flugzettel fallen.

Es entstand ein lautes Durcheinander, und alles dachte nur daran, wie man die Zettel im Flug fangen könnte. Auch Peppone erwischte einen und biß die Zähne zusammen.

Der Redner setzte auseinander, daß die Volksfeinde wirklich wenig Phantasie hätten und nur die üblichen alten Geschichten erzählten; so versuchte er der Propaganda der anderen tapfer entgegenzuwirken. Der Platz hatte sich beruhigt, als das verfluchte rote Flugzeug wieder erschien und grüne Flugzettel abwarf.

«Niemand rührt sich!» brüllte Peppone. «Anständige Demokraten beachten nicht die Herausforderung der Gegner, die sich an das Ausland verkaufen!»

Der Platz nahm mit Ruhe die Landung der grünen Flugblätter zur Kenntnis, die von den Lebensbedingungen des russischen Arbeiters sprachen, und dem Redner gelang es, gute fünf Minuten zu sprechen. Das Flugzeug machte sich aber wieder bemerkbar, und alle Nasen richteten sich zum Himmel.

Es wurde aber nichts abgeworfen.

«Es brennt!» schrien die Leute, als sie eine schwarze Rauchfahne aus dem Heck des Flugzeuges kommen sahen, und es ging ein Gewoge durch die Menge. Es war aber etwas anderes los: Das Flugzeug zog merkwürdige Kreise am Himmel, der schwarze Rauch in der Luft blieb stehen, und die Leute bemerkten auf einmal, daß das Flugzeug in riesigen Lettern geschrieben hatte: «W la DC!», «Es lebe die christliche Demokratie!»

Ein Wutschrei stieg aus den Abteilungen der Aktivisten empor, und erst als sich die Schrift in der Luft verflüchtigt hatte, beruhigte sich der Platz wieder, und der Redner konnte seine Ansprache von neuem beginnen.

Nach fünf Minuten war der fliegende Störenfried wieder da. Er warf nichts über dem Platz ab, sondern ließ, am Dorfrand angelangt, eine riesige Menge merkwürdiger Dinge fallen, die geräuschlos schaukelnd aus der Luft herunterkamen. Man sah, daß es kleine Fallschirme waren, an denen Säckchen hingen. Die Menge konnte nicht widerstehen, es entstand eine allgemeine Auflösung, und um die Tribüne verblieben nur die Aktivistenabteilungen.

Als die Leute kichernd zurückkamen, reichte jemand Peppone einen Fallschirm. Auf dem Säckchen stand gedruckt. «Von Rußland geschenktes Getreide», und drinnen war ein Häufchen Konfetti.

Peppone fing zu brüllen an, worauf die Menge zu kichern aufhörte und der Redner wieder zu sprechen begann. Wieder hörte man den Luftverbrecher kommen.

Dann spürte Peppone, wie sich seine Eingeweide vor Wut umdrehten. Er sprang auf das Podium hinauf, rief den «Stoßtrupp» zusammen und entfernte sich mit ihm im Laufschritt.

Als sie den Stall Lungos erreichten, blieben sie vor dem Strohschuppen stehen.

«Vorwärts, los!» schrie Peppone.

Die Männer zogen ein großes, mit Säcken bedecktes Ding aus dem Stroh, und als sie die Säcke weggenommen hatten, zeigte sich ein Zwanzig-Millimeter-Maschinengewehr, glänzend von Schmieröl.

Sie stellten es in Feuerstellung, und Brusco versuchte etwas einzuwenden. Aber Peppone schnitt ihm das Wort ab.

«Wir sind im Krieg! Wenn diese Gauner das Recht haben, die Luftwaffe zu verwenden, dürfen wir auch die Flak einsetzen!»

Glücklicherweise war das Flugzeug mit seiner Arbeit fertig und abgezogen. So trat die Flak nicht in Aktion. Inzwischen hatte sich aber die Wählerversammlung aufgelöst, weil das Flugzeug im letzten Abwurf eine halbe Tonne Zeitungsblätter gestreut hatte, und zwar eine Sonderausgabe der Glocke mit einem großartigen Artikel von Don Camillo. Und alle hatten sofort angefangen zu lesen, die Aktivisten ausgenommen, die die Zeitungen in die Tasche gesteckt hatten.

Der Provinzsekretär blickte düster drein. Auf die Entschuldigungen Peppones antwortete er nicht einmal.

«Genosse», sagte Peppone bestürzt, «wenn ich das hätte ahnen können, wäre das Maschinengewehr schon vorher aufgestellt worden, und wir hätten ihm gleich nach dem ersten Abwurf den Garaus gemacht. Als wir es in Stellung gebracht hatten, war es schon zu spät.»

Der Provinzsekretär ließ sich die Geschichte mit dem Maschinengewehr erklären. Er wurde blaß, und seine Stirn bedeckte sich mit Schweiß.

«Alles in allem sind wir noch gut davongekommen», murmelte er, hastig das Auto besteigend.

Inzwischen betete Don Camillo, der, hoch vom Turm durch eine Luke spähend, die ganze Sache verfolgt hatte, mit gefalteten Händen:

«Jesus, gib mir die Kraft, der Versuchung zu widerstehen und kein Festgeläute anzuheben.»

Und Jesus gab ihm die Kraft, der Versuchung zu widerstehen. Das war sehr gut so, weil Peppone eine unheimliche Wut im Bauche hatte; hätte er noch die Glocken läuten gehört, er hätte keinen Augenblick mehr gezaudert, er wäre im Laufschritt zum Stall zurückgerannt, hätte das Maschinengewehr hervorgeholt und das Feuer gegen den Turm eröffnet.

Dann kam der Wahlsonntag.

Peppone legte Festkleidung an, warf sich in die Brust und verließ das Haus, um sich zur Wahl zu begeben. Als er sich vor dem Wahllokal anstellte, sagten alle zu ihm:

«Aber bitte, Herr Bürgermeister, gehen Sie nur vor!» Er aber lehnte dankend ab und erklärte, daß in der Demokratie alle gleich seien.

In Wahrheit aber dachte er, es sei ungerecht, daß seine Stimme nicht mehr wog als die von Pinola, dem Rastelbinder, der sieben Tage in der Woche betrunken war und dann nicht einmal wußte, wo die Sonne aufgeht.

Peppone fühlte sich stark wie eine Büffelherde. Bevor er sein Haus verließ, hatte er mit einem Bleistift ein Dutzend Kreuzchen auf ein Papier gezeichnet.

«Es muß die entscheidendste Stimme der ganzen Gemeinde sein», erklärte er seiner Frau. «So, zack, zack, und Garibaldi siegt vor der Nase der Ausbeuter und der verkauften Seelen.» (Für diese Wahl hatten die Kommunisten den Garibaldi-Kopf als Wahlzeichen genommen.)

Peppone fühlte sich selbstsicher wie nie zuvor, und als er den Stimmzettel bekam, ging er mit wildem Jubel in die Wahlzelle: «Wenn ich schon nur eine Stimme abgeben kann», dachte er, «dann werde ich sie mit einer solchen Wut abgeben, daß sie für zwei gelten muß!»

Nun befand er sich im Halbdunkel der Zelle, vor sich den ausgebreiteten Stimmzettel, den Bleistift fest in den Fingern.

«In der Heimlichkeit der Wahlzelle sieht dich Gott, Stalin aber nicht», dachte er, sich an einen Satz erinnernd, den er im Flugblatt gelesen hatte, das von dem verfluchten Flugzeug über der Wahlversammlung abgeworfen worden war. Er drehte sich instinktiv um, weil es ihm schien, als ob ihn jemand von hinten beobachtete.

«Die Pfaffen sind die schlimmste Brut auf der Welt», überlegte er. «Den armen Menschen machen sie das Hirn mit dummen Geschichten voll. Vorwärts, ein Kreuz für Garibaldi!»

Der Bleistift rührte sich aber nicht. Und da Peppone nicht wußte, was er tun sollte, mußte er an die alte Lehrerin denken. «Du warst immer schon ein schlechter Mensch», flüsterte ihm die Stimme der verstorbenen Lehrerin ins Ohr. Peppone schüttelte seinen Schädel. «Es ist nicht wahr!» stöhnte er.

Eine große rote Fahne entfaltete sich vor seinen Augen, und Peppone richtete den Bleistift auf den Stern mit Garibaldi. Aber da erschien auf dem weißen Papierblatt Straziamis Sohn mit bleichem Gesicht. «Wenn die Volksfront siegt, gibt uns Amerika nichts mehr», flüsterte ihm die Stimme Don Camillos ins Ohr.

«Schufte!» antwortete Peppone zähneknirschend.

«Hunderttausend italienische Kriegsgefangene sind aus Rußland nicht mehr zurückgekehrt!» flüsterte ihm die hinterlistige Stimme Don Camillos weiter ins Ohr.

«Was haben sie dort zu suchen gehabt!» antwortete Peppone wütend. Da erschien ihm aber die alte Bacchini, die für niemanden stimmen wollte, weil keine Partei die Rückkehr ihres Sohnes aus Rußland durchsetzen konnte, und Peppone biß sich in die Lippe.

«Genosse», flüsterte ihm jetzt die harte Stimme des Provinzsekretärs ins Ohr, «Kommunismus ist Disziplin.»

Peppone richtete den Bleistift entschieden auf den Stern bei Garibaldi, als die perfide Stimme Don Camillos wieder da war.

«Wer hat die Gräber von Katyn gefüllt?»

«Infame Erfindung!» erwiderte Peppone. «Du bist ein Schwein, ein Söldling des Auslandes!»

Aber gerade in diesem Augenblick mußte er an Don Camillos silberne Tapferkeitsmedaille denken und an seine eigene. Als ob sie aufeinanderstießen, hörte er sie klingen, und es war derselbe Klang.

«Und Pizzi? Wer hat ihn umgebracht?» flüsterte wieder Don Camillos Stimme.

«Ich nicht», stotterte Peppone. «Sie wissen schon, wer es war!»

«Ich weiß», erwiderte die listige Stimme Don Camillos, «jener Schnurrbart war es, der da unter dem Stern bei Garibaldi verborgen ist. Einmal habt ihr ihn schon getötet, den Pizzi, warum wollt ihr ihn noch einmal umbringen?»

Peppone rückte die Spitze des Bleistiftes an das Viereck mit dem Stern und Garibaldi.

«Ich stimme für alle, die uns die anderen umgebracht haben», sagte er. Dann hörte er plötzlich die Stimme seines ehemaligen Partisanenführers, des Rechtssozialisten und Saragat-Anhängers, den man von der Rednertribüne heruntergeholt und verprügelt hatte.

«Selig, die dort oben in den Bergen verblieben, Genosse Peppone.»

«Verfluchtes Geschlecht», flüsterte die Stimme Don Camillos. «Wenn sie nicht dort oben gefallen wären, ihr hättet auch sie verprügelt.»

Er dachte an den Kommissar, der dem Sohn Straziamis sein Essen entriß. Und er dachte an seinen eigenen Sohn.

Peppone sah, wie die Bleistiftspitze zitterte, aber eine große rote Fahne wehte vor seinen Augen und ermutigte ihn.

«Gegen alle Ausbeuter des Volkes, die sich mit unserem Schweiß bereichern!» sagte er voll Wut und drückte die Bleistiftspitze auf das Viereck mit dem Stern und Garibaldi.

«Es ist nicht deine Farbe», flüsterte die perfide Stimme Don Camillos, und das Tuch einer Trikolore flatterte vor Peppones Augen.

«Nein, ich bin kein Verräter! Es ist vergeblich, ihr Gauner!» sagte Peppone stöhnend und beugte sich über den Zettel.

Kurz darauf kam er aus der Wahlzelle heraus. Als er den Wahlzettel abgab, fürchtete er, man werde ihn fragen, was er denn so lange getan hätte. Dann sah er aber, daß nur vier Minuten vergangen waren, und er fühlte sich wieder ermutigt.

Don Camillo saß allein beim Abendessen. Es war schon dunkel, als Peppone kam.

«Seit wann klopft man nicht mehr an, wenn man das Haus anderer Leute betritt?» erkundigte sich Don Camillo.

«Unverschämt!» rief Peppone außer sich. «Ihr seid das Unglück der armen Leute!»

«Gelungen», bemerkte Don Camillo. «Kommst du etwa, eine Wahlversammlung abzuhalten?»

«Sie machen den armen Leuten den Kopf voll mit Ihren Lügen!»

Don Camillo nickte.

«Schon gut. Warum kommst du aber gerade jetzt, mir das zu sagen?»

Peppone warf sich in einen Stuhl und nahm den Kopf in beide Hände.

«Sie haben mich zugrunde gerichtet», sagte er dann niedergeschlagen.

Don Camillo schaute ihn an.

«Bist du verrückt?»

«Nein», sagte Peppone. «Jetzt nicht mehr, aber heute früh war ich verrückt und hab ein Verbrechen begangen!»

«Ein Verbrechen?»

«Ja, ich, Peppone, ich, der Führer des arbeitenden Volkes, ich, der Bürgermeister, ich habe einen weißen Stimmzettel in die Urne geworfen.»

Peppone barg sein Gesicht in seinen Händen. Don Camillo schenkte ihm ein Glas Wein ein und stellte es vor ihn hin.

«Wenn wir aber verlieren, ziehe ich Ihnen die Haut ab, weil es Ihre Schuld sein wird!» schrie Peppone und erhob plötzlich den Kopf.

«Geht in Ordnung», antwortete Don Camillo. «Wenn die Volksfront mit einer einzigen Stimme verliert, dann kannst du mir die Haut abziehen. Wenn sie aber mit zwei oder drei Millionen Stimmen verliert, dann hat dein Verhalten bei der Wahl keine Bedeutung mehr.»

Peppone schien etwas beruhigt.

«Dann werde ich Ihnen die Haut wegen der Sache mit dem Flugzeug gerben», erwiderte er.

«Gut so, aber inzwischen trinken wir darauf.»

Peppone hob sein Glas und Don Camillo das seinige. Und beide tranken einander zu. Als Peppone ging, blieb er einen Augenblick unter der Tür stehen.

«Das sind Dinge, die nur wir zwei wissen sollen», sagte er drohend.

«In Ordnung», antwortete Don Camillo.

Und doch ging er gleich zum Hochaltar, um es Christus zu erzählen.

Dann zündete er vor ihm zwei große Kerzen an.

«Die eine», erklärte Don Camillo, «weil Du ihm die Gewissensbisse erspart hast, für Garibaldi gestimmt zu haben, die andere, weil Du ihm erspart hast, für eine Partei zu stimmen, die nicht die seine ist.»