Die Technik des Staatsstreiches

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An einem Mittwoch um zehn Uhr abends goß es in Strömen, und ein heftiger Wind blies. Dennoch war der Platz voll Menschen, die schon seit drei oder vier Stunden dort standen und einem Lautsprecher lauschten, der Wahlmeldungen brachte.

Plötzlich ging das Licht aus, und alles versank im Dunkel. Einer ging in das Transformatorenhäuschen, kam aber bald heraus und erklärte, es sei da nichts zu machen, weil die Panne irgendwo in der Fernleitung oder im Kraftwerk liege.

Die Menge wartete eine gute halbe Stunde. Da aber der Regen unvermindert anhielt, ging man nach Hause, und das Dorf lag verlassen und ruhig da.

Peppone schloß sich im Haus des Volkes ein, zusammen mit Bigio, Brusco, Straziami und Gigio, dem Hinkenden, dem Anführer der «Fliegenden Roten Brigade» von Molinetto. So standen sie jetzt alle dort und vergingen beim Licht eines Kerzenstumpfes vor Ungeduld; sie fluchten auf die Elektriker, die das Volk boykottierten, als um halb zwölf Smilzo kam, der mit dem Motorrad weggefahren war, um nachzufragen, ob man in Roc-caverde etwas wüßte.

Mit funkelnden Augen winkte er mit einem Papierblatt.

«Die Volksfront hat gesiegt!» rief er atemlos. «Zweiundfünfzig im Senat und einundfünfzig in der Kammer! Die anderen haben ausgespielt! Wir müssen gleich eine Kundgebung aufziehen! Wenn es kein Licht gibt, zünden wir einfach zwei oder drei Strohschuppen in der Nähe an!»

«Gut!» brüllte Peppone. Aber Gigio, der Hinkende, faßte Smilzo am Rockzipfel.

«Halt’s Maul und rühr dich nicht», sagte er ruhig. «Bis jetzt kann noch niemand etwas wissen. Bringen wir vor allem die Sache mit der Liste in Ordnung!»

Peppone schaute ihn erstaunt an.

«Liste? Welche Liste?»

«Von den Reaktionären, die sofort zu beseitigen sind. Wir müssen das gut überlegen...»

Peppone stotterte, man habe gar keine Listen angelegt. Der Hinkende grinste.

«Macht nichts, ich hab schon eine fertig, und sie ist vollständig. Wir sehen sie rasch durch, und dann geht es los, wenn wir uns im klaren sind.»

Der Hinkende zog einen Wisch mit etwa zwanzig Namen aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.

«Ich glaube, da stehen alle reaktionären Schweine des Dorfes drauf», erklärte er. «Ich habe nur die wichtigsten aufgeschrieben. Wegen der anderen werden wir schon noch sehen.»

Peppone überflog die Namen und kratzte sich hinterm Ohr.

«Was sagst du dazu?» fragte der Hinkende.

«Na», erwiderte Peppone, «im großen und ganzen sind wir einverstanden. Ich finde aber, es eilt nicht so. Wir haben genug Zeit, um die Sache schön in Ordnung zu bringen.»

Der Hinkende schlug mit der Faust auf den Tisch.

«Wir haben keine Minute zu verlieren», rief er mit harter Stimme. «Jetzt ahnen sie noch nichts, und wir können sie fassen. Wenn wir nur bis morgen warten, sind sie schon längst dahin!»

Da mischte sich Brusco ein.

«Du bist verrückt! Bevor man Leute beseitigt, muß man es siebenmal überlegen!»

«Ich bin nicht verrückt, und du bist kein guter Kommunist!» schrie der Hinkende. «Das sind alles reaktionäre Schweine, das kann niemand bestreiten, und wenn du schon Gelegenheit hast, mit ihnen Schluß zu machen, und sie nicht beseitigst, dann bist du ein Verräter an unserer Sache und der Partei!»

Brusco schüttelte den Kopf.

«Nicht einmal im Traum! Wenn man Schweinereien macht, verrät man die Partei! Und wenn einer so vorgeht, wie du willst, dann läuft er Gefahr, ganz tolle Schweinereien zu machen, weil er sich irren und unschuldige Leute beseitigen kann.»

Der Hinkende hob drohend den Finger.

«Es ist immer noch besser, zehn harmlose Personen auszuschalten, als nur eine einzige Person laufen zu lassen, die der Partei schaden könnte. Tote können der Partei nicht schaden, nur Lebende! Ich habe schon gesagt, du bist ein schlechter Kommunist! Und wenn du es wissen willst, du warst es auch immer! Du bist ein weicher, ein sentimentaler, ein getarnter Bürgerlicher!»

Brusco erbleichte, und Peppone schaltete sich ein.

«Genug! Der Plan des Genossen Gigio ist richtig, und es gibt darüber nichts zu sagen, weil das eben eine der grundlegenden Lehren des Kommunismus ist. Der Kommunismus zeigt uns das Ziel, das wir erreichen sollen, die demokratische Diskussion darf sich nur auf die Wahl der sichersten und schnellsten Weise beziehen, es zu erreichen!»

Der Hinkende nickte befriedigt und zustimmend.

«Da nun», fuhr Peppone fort, «einmal feststeht, daß diese Personen der Partei schädlich sind oder sein können und sie daher beseitigt gehören, müssen wir uns ausdenken, wie wir unser Ziel erreichen. Wenn wir nämlich aus Leichtsinn so vorgehen, daß es auch nur einem dieser Reaktionäre gelingt, mit heiler Haut davonzukommen, dann machen wir uns gegenüber der Partei schuldig. Ist das klar?»

«Recht so», sagten alle. «Ganz recht.»

«Wir sind hier unser sechs», erklärte Peppone, «und auszuschalten sind zwanzig Personen, darunter Leute wie Filotti, der ein halbes Regiment Leute im Haus hat und bis zu den Zähnen bewaffnet ist. Fallen wir nun von diesen Personen eine nach der anderen an, so suchen schon beim ersten Gewehrschuß die anderen das Weite. Darum müssen wir den Plan vorziehen, auf einmal loszuschlagen. Wir müssen unsere Leute einberufen und zwanzig Abteilungen aufstellen, von denen jede ihre eigene Aufgabe haben soll.»

«Ausgezeichnet», rief der Hinkende beifällig.

«Was heißt ausgezeichnet!» brüllte Peppone. «Das ist nämlich noch nicht alles! Wir brauchen auch eine einundzwanzigste Abteilung, also die stärkste, welche die Carabinieri ausschaltet, wenn diese eingreifen. Außerdem brauchen wir weitere Abteilungen zur Sicherung der Straßen und der Dämme. Und wenn jemand handeln will, wie du handeln wolltest, ohne jede Vorsichtsmaßregel, dann ist er kein guter Kommunist, sondern ein Idiot, weil er unsere ganze Aktion einem Mißerfolg aussetzt!» Der Hinkende wurde blaß, es würgte ihn im Hals, und Peppone erteilte seine Weisungen: Smilzo hat die einzelnen Parteizellen in den Ortsteilen zu verständigen, diese haben, sobald eine grüne Rakete emporsteigt, ihre Leute an bestimmten Stellen zusammenzuziehen; Bigio, Brusco und Straziami übernehmen den Befehl und führen die Aufgaben durch, sobald ein rotes Raketensignal das Zeichen gibt. Smilzo fuhr mit dem Motorrad fort, und Bigio, Brusco, Straziami und Gigio, der Hinkende, schickten sich an, die Stoßtrupps zusammenzustellen.

«Alles muß gründlich gemacht werden», sagte Peppone. «Ihr seid persönlich für den Erfolg verantwortlich. Ich schaue inzwischen nach, was mit den Carabinieri los ist.»

Don Camillo, der eine Weile gewartet hatte, bis das Licht wiederkäme und der Rundfunk die Sendungen wieder aufnähme, wollte schon schlafen gehen, als es an der Tür klopfte. Er machte auf und sah Peppone vor sich.

«Weg!» keuchte Peppone ganz außer sich. «Sofort weg! Schauen Sie, daß Sie weiterkommen! Packen Sie Ihr Bündel und laufen Sie! Ziehen Sie sich Zivilkleider an, nehmen Sie ein Boot und dann, zum Teufel, machen Sie, was Sie wollen!»

Don Camillo schaute ihn neugierig an.

«Hast du getrunken, Genosse Bürgermeister?»

«Fort!» rief Peppone. «Die Volksfront hat gesiegt, Stoßtrupps werden aufgestellt. Die Liquidierungslisten sind heraus, und Ihr Name steht an erster Stelle drauf!»

Don Camillo machte eine höfliche Verbeugung.

«Welch unerwartete Ehre, Herr Bürgermeister! Ich hätte nie gedacht, daß Sie ein solcher Gauner sind, der Listen von anständigen Leuten zusammenstellt, die man beseitigen will.»

Peppone wurde ungeduldig. «Reden Sie keinen Unsinn, Hochwürden! Ich will niemanden umbringen!»

«Na und...?»

«Dieser verfluchte Hinkende hat die Liste und die Weisungen der Partei in der Tasche.»

«Du, Peppone, bist der Führer. Du hättest ihm sagen können, daß er und seine Liste sich zum Teufel scheren sollen.»

Peppone schwitzte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.

«Sie verstehen nichts davon! Führend ist immer die Partei, und es befiehlt stets, wer im Namen der Partei spricht. Wenn er darauf bestanden hätte, dieser Verfluchte hätte er noch vor Ihnen auch mich auf die Liste setzen können!»

«Herrlich! Genosse Peppone und der Reaktionär Don Camillo am selben Baum aufgehängt!»

«Don Camillo, schauen Sie, daß Sie weiterkommen!» keuchte Peppone. «Ihnen kann es gleich sein, Sie sind allein, aber ich habe einen Sohn, eine Frau, eine Mutter und einen Haufen anderer Leute, für die ich sorgen muß! Schauen Sie, daß Sie weiterkommen, wenn Sie Ihre Haut retten wollen!»

Don Camillo schüttelte das Haupt.

«Und warum nur ich? Und die anderen?»

«Ich kann ja nicht auch die anderen warnen gehen! Die sind keine Priester!» rief Peppone. «Das müssen Sie machen. Während Sie zum Fluß gehen, können Sie zwei oder drei verständigen, und die sollen die Nachricht weitergeben. Sie sollen laufen! Schreiben Sie schnell die Liste ab!»

«Gut», sagte Don Camillo, als er mit dem Abschreiben fertig war. «Den Sohn des Mesners schicke ich zu Filotti, und Filotti hat fünfzig Leute, die können die anderen verständigen. Was mich betrifft, ich rühre mich nicht von hier.»

«Sie müssen weg!» brüllte Peppone.

«Mein Platz ist hier», erwiderte ruhig Don Camillo, «und ich rühre mich nicht, auch wenn Stalin persönlich kommt.»

«Sie sind verrückt!» brüllte Peppone. In diesem Augenblick hörte man Klopfen, und Peppone mußte sich im Nebenzimmer verstecken.

Nun war Brusco da. Er hatte aber kaum Zeit, Don Camillo zu sagen, er solle schauen, daß er weiterkomme, als wieder jemand an die Tür klopfte. Brusco versteckte sich dort, wo bereits Peppone verschwunden war, und gleich darauf betrat Bigio das Zimmer.

«Don Camillo», sagte Bigio, «ich konnte mich erst jetzt freimachen. Hier beginnt es zu stinken, und Sie müssen sich davonmachen. Da ist die Liste der Leute, die zu verständigen wären.»

Dann mußte auch er im Nebenzimmer Zuflucht nehmen, weil es schon wieder an der Tür klopfte. Es war Straziami, mürrisch und grob wie immer. Er konnte nicht einmal anfangen, da kamen Peppone und Brusco und Bigio schon wieder herein.

«Wie in einem alten Lustspiel, das ich im Seminar einmal gesehen habe», grinste Don Camillo. «Jetzt warten wir noch auf den Hinkenden, und dann sind wir vollzählig.»

«Der kommt nicht», murmelte Peppone. Dann seufzte er. Mit einer Hand schlug er Brusco auf die Schulter, mit der anderen tätschelte er Bigio die Wange, und Straziami gab er einen Stoß in den Rücken.

«Himmeldonnerwetter!» rief er. «Da sind wir wieder alle beisammen, wie in der guten alten Zeit. Und verstehen uns so gut wie einst.»

Die anderen nickten zustimmend.

«Schade», seufzte Peppone, «wäre auch Smilzo hier, so hätten wir die ganze alte Garde beisammen!»

«Er ist da», erklärte ruhig Don Camillo. «Smilzo ist als erster gekommen.»

«Ausgezeichnet!» rief Peppone. «Und jetzt schauen Sie, daß Sie weiterkommen!»

Don Camillo war ein Dickkopf.

«Nein, ich habe dir schon gesagt, daß mein Platz hier ist. Mir genügt schon zu wissen, daß keiner von euch auf mich schießen will!»

Peppone verlor die Geduld und zog den Hut mit beiden Händen tief über die Ohren herab, wobei er ihn leicht um den Kopf drehte, wie er es zu machen pflegte, bevor er auf jemanden losging.

«Ihr zwei faßt ihn an den Schultern, damit ich ihn an den Füßen packen kann. Dann tragen wir ihn weg und binden ihn an einem Karren fest. Du, Straziami, spannst die Stute ein.»

Sie kamen nicht dazu, anzufassen, als das elektrische Licht wieder aufflammte und sie geblendet dastanden.

Nach einigen Sekunden ertönte auch wieder das Radio.

«Die neuesten Wahlergebnisse für die Abgeordnetenkammer, 41 000 Wahlsprengel von insgesamt 41 168, davon für die Democrazia Cristiana 12 000 257 Stimmen, für die Volksfront 7 547 468...»

Sie schwiegen alle und hörten zu, bis die Stimme im Radioapparat verstummte. Dann blickte Peppone finster auf Don Camillo.

«Unkraut vergeht nicht», sagte er wütend. «Ihr seid noch einmal davongekommen!»

«Auch ihr seid davongekommen», erwiderte ruhig Don Camillo. «Gelobt sei Gott.»

Wer nicht davonkam, war Gigio, der Hinkende, der noch immer begierig auf den Befehl wartete, die grüne Rakete steigen zu lassen, und der anstatt dessen so viele Fußtritte bekam, daß er nun auch mit dem Hinterteil hinkte.

Sic transit gloria mundi.