Ostern
Es hatte den Anschein, als ob dieses Jahr das Osterfest den Friedensvertrag besiegeln sollte, weil in der Gegend seit geraumer Zeit Ruhe war und niemand von Streiks, Unruhen und anderen fortschrittlichen Dingen unserer Gegenwart sprach, als ob das alles ein Zeug aus einer traurigen und weit zurückliegenden Zeit wäre.
«Es ist zu schön, so kann es nicht bleiben, es muß sich um ein Manöver handeln», sagten vorsichtige Leute zu Don Camillo.
Und Don Camillo lächelte.
«Wenn heute früh die Sonne scheint, müssen wir daran denken, daß es am Abend regnen oder hageln kann», antwortete er. «Und darum, wenn sich einer bei Sonnenschein auf Reisen begibt, tut er gut daran, einen Regenschirm mitzunehmen; solange aber die Sonne scheint, erfreuen wir uns der Sonne und gehen nicht mit offenem Regenschirm spazieren. Denken wir stets an das Schlechtere, vergeuden wir aber nicht das Bessere. Töricht ist der Mensch, der das Licht des Tages aufspeichern zu können glaubt, um damit die Nacht zu erhellen.»
Don Camillo war vorsichtig und trotzdem überzeugt, daß es diesmal ein wunderbares Osterfest geben würde. Und während er im Dorf herumging und die Häuser segnete, schlug sein Herz höher vor Freude.
Er fühlte schon, daß im allerletzten Augenblick etwas kommen werde, um diesen schönen Tag zu verderben, wies aber diese lästigen Gedanken von sich: «Solange die Sonne scheint, genießen wir die Sonne; den Regenschirm wollen wir erst aufspannen, wenn es zu regnen beginnt.»
Gegen Abend war er am Ende seines Rundganges und auf dem Weg zum Pfarrhof. Der lästige Gedanke kam wieder hoch, und diesmal konnte er ihn nicht unterdrücken. Und dies um so mehr, da er angerufen wurde, als er an Peppones Haus vorüberging. Es war die Frau des Bürgermeisters.
«Hochwürden», sagte Peppones Frau, «wenn Sie im Taufbuch nachschlagen, werden Sie sehen, daß auch wir im Verzeichnis der Christen stehen.»
«Ich werde nachschlagen», antwortete Don Camillo. «Ein mit Kirchenbann belegtes Haus darf ich allerdings nicht betreten.»
«Ich und meine Kinder haben damit nichts zu tun», erwiderte die Frau. «Ich und meine Kinder, wir befassen uns nicht mit Politik.»
«Schon gut», murmelte Don Camillo. «Ihr beschäftigt euch nicht mit Politik, deine Kinder kritzeln aber (Nieder mit dem Vatikan» auf die Wände des Pfarrhofes, und du spielst die Friedenskämpferin und erklärst dem Volk, daß die Priester mit Amerika unter einer Decke stecken und den Krieg wollen.»
«Politik oder nicht, das ist ein anständiges Haus», behauptete die Frau.
«Ich zweifle nicht daran», erwiderte Don Camillo. «Das Haus ist in Ordnung, nicht aber die Bewohner.»
Don Camillo wollte schon seiner Wege gehen, als unter der Tür ein altes, verrunzeltes und krummes Weiblein mit einem schwarzen Tuch auf dem Kopf erschien.
«Guten Abend, Hochwürden», sagte die Alte. «Kennen Sie mich nicht mehr?»
Don Camillo erkannte sie wieder; vor vielen Jahren hatte sie die Gegend verlassen, als Peppones jüngerer Bruder auf eigene Faust eine Werkstatt in Trecastelli aufgemacht hatte. Und seit jener Zeit war sie nicht mehr zurückgekehrt. Don Camillo dachte schon, daß sie dort vielleicht gestorben wäre, weil sie schon damals so alt wie Methusalem war, als sie Peppone verlassen hatte, um dem jüngeren Sohn zu folgen.
«Über sechsundachtzig Jahre, Hochwürden», erzählte die Alte. «Ich habe nicht mehr lange zu leben, und darum wollte ich noch einmal das alte Haus sehen, bevor ich die Augen für immer schließe. Ich bin schon eine ganze Woche da, und ich wäre bestimmt zu Ihnen gekommen, man behandelt mich aber hier wie ein dreijähriges Kind und will nicht, daß ich allein das Haus verlasse. Und da hab ich mir gedacht, daß Sie ohnedies wegen der Haussegnung vor Ostern kommen werden. Treten Sie nur ein, Hochwürden!»
Don Camillo drückte herum.
«Schon... Natürlich», murmelte er. «Ich sagte gerade zu Ihrer Schwiegertochter...»
Peppones gebieterische Stimme unterbrach ihn.
«Guten Abend, Hochwürden! Na, was sagen Sie? Ist mein Mütterlein nicht gut beisammen?»
«Wunderbar!» rief Don Camillo. «Als ob für sie die Jahre überhaupt nicht vergangen wären.»
«Oh, sie vergehen, sie vergehen!» sagte lachend das alte Weiblein. «Ich bin schon krumm wie ein Rebmesser. Wenn ich gehe, muß ich aufpassen, daß ich nicht vornüberfalle! Kommen Sie doch nur herein!»
«Und Giacomino, wie geht es ihm?» fragte Don Camillo.
«Aus Giacomino ist ein wahrhaftiger Giacomone geworden, wie dieser Flegel von seinem Bruder. Er hat seine Werkstatt, und die geht gut. Er hat geheiratet und hat zwei Kinder. Er wollte mich nicht gehenlassen, weil auch er die fixe Idee hat, daß ich einfältig geworden bin, so daß ich nicht einmal die Nase aus dem Haus stecken darf. Ich habe ihm aber schön aufgespielt. <Seit dreißig Jahren hab ich meine Hand nicht mehr gegen dich erhoben, aber wenn du mich nicht sofort zu deinem Bruder bringst, bekommst du so viel Hiebe, wie du Haare am Kopfe hast!> habe ich ihm gesagt. Da hat er mich mit dem Auto hergebracht. Er hat ein schönes Taxi und macht auch mit dem ein gutes Geschäft. Kommen Sie doch herein, Hochwürden, hier läßt es sich bequemer plaudern. Es freut mich, gerade in meiner alten Behausung gesegnet zu werden. Nur herein, Hochwürden!»
Don Camillo wischte sich den Schweiß von der Stirn.
«Wie ich schon Ihrer Schwiegertochter sagte, muß ich wirklich ...»
Er unterbrach sich, weil er unerwartet und blitzartig - wie eine Garbe aus einer Maschinenpistole - einen Tritt mit dem Absatz am linken Knöchel erhielt. Als er aufschaute, begegnete er Peppones Augen.
Noch nie hatte Don Camillo zwei solche Augen gesehen. Diese beiden Augen sprachen mit furchterregender Klarheit: «Passen Sie auf, was Sie reden - oder ich schlage Ihnen mit diesem Hammer den Schädel ein!»
Tatsächlich umklammerte Peppones rechte Hand einen großen schweren Hammer. Merkwürdig aber war, daß diese Hand zitterte.
Man weiß nicht, ob dieser feste Blick oder diese zitternde Hand Don Camillo mehr aufregten. Tatsache ist, daß er aus der Tasche ein weißgelbes Tuch hervorholte und sich nochmals den Schweiß von der Stirn wischte.
«Was wollte ich nur sagen?» meinte Don Camillo, wie um Zeit zu gewinnen. «Ich bin so lange in der Sonne herumgegangen und bin jetzt ganz benommen.»
«Sie sagten, daß Sie, wie Sie meiner Schwiegertochter erklärt haben, nicht können», kam ihm die Alte zu Hilfe.
«Ach ja», rief Don Camillo. «Wie ich Ihrer Schwiegertochter schon sagte, kann ich nicht hereinkommen, wegen... wegen... des Rundganges.»
«Rundgang? Was soll das sein?» fragte die Alte verwundert.
«Rundgang, im Sinne einer gewissen Ordnung, die man dabei einhalten muß. Es gibt so eine Reihenfolge, zuerst das Haus und dann jenes und dann wieder eines und so weiter. Ja, das geht nach Hausnummern, damit es keine Eifersucht gibt, wenn der Priester zuerst dem einen und erst später dem andern das Haus segnen geht. Ist das klar?»
«Richtig», stimmte das alte Weiblein bei. «Wir sind also noch nicht an der Reihe?»
Einer von den beiden kleinen Ministranten, der sich genähert und die letzten Worte gehört hatte, mischte sich ein.
«Ja, Hochwürden, jetzt ist gerade dieses Haus an der Reihe, mit allen andern sind wir schon fertig.»
Don Camillo hatte Hände, breit wie Schaufeln und dick wie Ziegel; da er aber aus bekannten Gründen von Zeit zu Zeit seine Ministranten mit diesen Händen behandeln mußte, war er gezwungen, die sogenannte «Streichtechnik» der Züchtigung anzuwenden, die darin besteht, daß die Hand nicht auf den Betroffenen schlägt, sondern darüberstreicht. Die Züchtigung verlief daher geräuschlos und erträglich. Dank der Schlauheit Don Camillos merkte die gute Alte nichts von der Züchtigung, die sich auf dem Schädel des Ministranten entlud.
«Wenn unser Haus das letzte ist, dann ist auch der Rundgang nach den Nummern beendet, und Sie können daher hereinkommen, Hochwürden!» So sprach sie und ging zur Tür.
Don Camillo schickte die kleinen Ministranten in den Pfarrhof. Dann blickte er mit wütenden Augen Peppone an, und als er mit der Alten den Hausflur betrat, bedeutete er Peppone, draußen zu bleiben.
Als sie aber im Hausflur waren, schaute sich die Alte um und schrie:
«He, du verdammte Seele, worauf wartest du? Komm sofort herein!»
Peppone breitete die Arme aus, als wollte er sagen, daß es nicht seine Schuld wäre, und kam herein.
Don Camillo nahm den Weihwasserwedel mit der Behutsamkeit, die bei einer dicken Eisenstange angebracht gewesen wäre, und segnete den Hausflur, ging in die Küche, dann in das Speisezimmer, und zum Schluß mußte er in den ersten Stock hinaufsteigen, um die Schlafzimmer zu segnen. Er kam mit höchstem Kesseldruck wieder herunter; das alte Weiblein hatte aber einen klaren Kopf und ließ nicht nach.
«Und die Werkstatt? Man muß auch die Werkstatt segnen», sagte sie. «Nirgendwo ist Gottes Segen so notwendig wie dort, wo man arbeitet.»
Die Tür, die aus dem Haus in die Werkstatt führte, war im Hausflur, gegenüber der Küchentür.
«Großmutter, bereitet mir inzwischen ein großes Glas Limonade», sagte Don Camillo zu dem alten Weiblein. «Ihr seid genug die Stiegen hinauf- und hinabgelaufen, jetzt geh ich allein.»
«Worauf wartest du, du Unglücksmensch? Geh mit Hochwürden!» befahl die Alte Peppone.
Don Camillo und Peppone standen allein in der leeren und stillen Werkstatt.
«Sie weiß nichts, die arme Alte», erklärte Peppone. «Deshalb wollen wir nicht, daß sie herumgeht und den Tratsch hört. Sie hat keine Ahnung, wie die Dinge stehen. Wenn sie wüßte, daß ich zu jenen gehöre, die aus der Kirche ausgeschlossen sind, wäre das für sie ein schwerer Schlag.»
«Ich aber weiß es!» schrie Don Camillo. «Ich habe es gewußt. Und obwohl ich es gewußt habe, tat ich, was ich getan habe. Das ist eine Gotteslästerung!»
Peppone zuckte mit den Achseln. «Bitte, Hochwürden, nur keine großen Worte! Bringen wir die Sache nicht auf die Politik. Ich glaube nicht, daß der liebe Gott beleidigt ist, wenn sich ein Priester von Zeit zu Zeit wie ein Ehrenmann benimmt. Und außerdem, so etwas geschieht selten!»
Don Camillo erhob die Faust, um sie auf Peppones Schädel niedersausen zu lassen. Dann merkte er aber, daß die Faust noch immer den Weihwasserwedel hielt.
«Gott vergebe dir und erleuchte die Finsternis, die in diesem Holzkopf wohnt», sagte Don Camillo und verwandelte die drohende Geste in eine segnende Bewegung.
«Amen», murmelte Peppone und senkte das Haupt.
In der Küche wartete schon das alte Weiblein mit der fertigen Limonade.
«Wollen Sie sie gerne süß, Hochwürden?» erkundigte sie sich.
«Süß, sehr süß», antwortete Don Camillo. «Im Mund hab ich einen bitteren Geschmack, als ob ich Teer gefressen hätte.»
«Schlechte Verdauung», belehrte ihn Peppone schamlos.
Während Don Camillo die Limonade hinunterstürzte, stöberte die Alte in der Kredenz und holte ein Körbchen mit Eiern hervor.
«Nein, danke schön, es ist nicht notwendig!» wehrte lebhaft Don Camillo ab.
Peppone trat heran.
«Meine Hühner sind nicht Parteimitglieder», sagte er leise.
«Wenn Sie es nicht annehmen, beleidigen Sie mich», behauptete die Alte.
Don Camillo steckte sechs Eier in die Tasche und schritt entschieden zum Ausgang.
Vor dem Haustor hielt Peppones Frau Wache.
«Einen Augenblick!» sagte die Frau zu Don Camillo und hinderte ihn daran, die Schwelle zu überschreiten. Dann trat sie zurück. «Er ist schon vorbei. Es war Barchini zu Rad. Jetzt können Sie ruhig hinaus, es ist niemand zu sehen.»
«Niemand, außer Gott!» murmelte finster Don Camillo.
«Das macht nichts», sagte die Frau ganz natürlich. «Gott ist kein Schwätzer, er wird Sie nicht in Verlegenheit bringen.»
Als am Abend Don Camillo vor dem Hochaltar kniete, fragte ihn der gekreuzigte Christus, ob alles gutgegangen wäre. «Alles», antwortete Don Camillo.
«Und wenn alles so gut gegangen ist, wie es gehen sollte, warum bist du dann nicht zufrieden, Don Camillo?»
«Ich bin nicht zufrieden, weil ich über eine Sache zufrieden bin, derentwegen ich gar nicht zufrieden sein sollte.»
Don Camillo seufzte; dann hob er die Augen und fragte: «Jesus, wäre es nicht besser, wenn ich anstatt eines Priesters ein Hufschmied geworden wäre?»
«Nein», antwortete lächelnd Christus. «Die Pferde brauchen keine geistige Betreuung. Die Menschen hingegen brauchen sie immer.»
«Jesus, wenn ich Dir sagen würde, was ich getan habe, würdest Du anderer Meinung sein.»
«Nein, Don Camillo. Ich würde nur dann anderer Meinung sein, wenn Peppone kein Mensch mehr, sondern ein Pferd geworden wäre.»