Wie Don Camillo und Peppone geboren wurden und wie sie weiterleben
Wie mich die Gescheitheit dieser «Bürokraten» reizt: Überall nisten sie sich ein, auch an den unmöglichsten Orten, hinter jeder Ecke lauern sie auf einen. Sie schauen mich mit gelangweiltem und mitleidsvollem Gesicht an, wenn sie mich mit einem maschinengetippten Manuskript oder mit Tusche gezeichnetem Gekritzel im letzten Augenblick daherkommen sehen.
«Immer im letzten Augenblick, immer mit Verspätung, dieser unglückliche Guareschi», sagen sie auch dann, wenn ihre Lippen stumm bleiben.
Ich habe jetzt den Kaffee, das Speisesoda, das Nikotin, die Müdigkeit und die Schläfrigkeit satt. Die Kleider kleben mir am Leibe, weil ich mich seit zwei oder drei Tagen nicht mehr ausgezogen habe. Der Bart ist mir gewachsen, die Hände sind schmutzig. Alles tut mir weh, der Kopf, der Magen, das Herz, die Leber, der Mund. Das zerzauste Haar hängt mir über die Nase herab, vor den Augen kreisen Schwärme von schwarzen Punkten. Jene «Bürokraten» schauen mich an und schütteln den Kopf, voll dummer Weisheit, und sagen zu mir:
«Warum läßt du es immer auf die letzte Minute ankommen? Warum arbeitest du dann nicht jedesmal ein wenig, wenn du gerade Zeit hast?»
Ich habe es nie in meinem Leben bereut, morgen getan zu haben, was ich hätte heute tun können.
Wenn ich auf die «Fachleute» des gesunden Hausverstandes gehört hätte, dann hätte ich heute nicht einmal das Wenige, das ich jetzt habe.
Ich erinnere mich an jenen Heiligen Abend Weihnachten 1946. Der Feiertage wegen mußte die Arbeit früher als gewöhnlich erledigt werden. Man mußte «Vorarbeiten», wie die «Bürokraten» sagen. Damals hatte ich nicht nur den Candido zu redigieren, ich pflegte auch kleine Erzählungen für Oggi, ein anderes Wochenblatt meines Verlegers, zu schreiben, und so befand ich mich an jenem Vorabend wie immer in scheußlicher Verlegenheit. Es war schon Abend, und die Geschichte, die die letzte Seite meiner Zeitung ausfüllen sollte, war noch immer nicht geschrieben. Am Nachmittag war es mir gerade gelungen, eine kleine Sache für das andere Wochenblatt zu schreiben, und sie war bereits gesetzt und umbrochen. «Wir müssen sofort den Umbruch für den Candido abschließen!» erklärte der Faktor. Daraufhin ließ ich die kleine Sache aus Oggi herausnehmen, in größeren Buchstaben neu setzen und stellte sie auf die noch leere Seite des Candido.
«Gottes Wille geschehe!» rief ich. Dann stotterte ich irgendeine kleine Erzählung für das andere Blatt zusammen, wofür ich gerade noch eine halbe Stunde Zeit hatte, und füllte so auch dieses Loch aus.
«Gottes Wille geschehe!» sagte ich.
Und es war Gottes Wille, daß gerade das geschehen war, was geschah. Gott ist kein «Bürokrat».
Ich will damit sagen: Wenn ich auf die «Bürokraten» gehört und meine Arbeit rechtzeitig abgeliefert hätte, so wären Don Camillo, Peppone und die anderen Dinge der Kleinen Welt an jenem Heiligen Abend 1946 zwar geboren worden, aber auch gleich gestorben.
In der Tat, die allererste Erzählung der Kleinen Welt, Die Beichte, war jene kleine Geschichte, die ich für das andere Wochenblatt bestimmt hatte. Und wenn sie dort erschienen wäre, wäre es dabei geblieben, wie im Falle aller anderen kleinen Geschichten, und die Sache hätte keine weiteren Folgen gehabt.
So aber kamen, kaum daß sie im Candido erschienen war, noch und noch Briefe von meinen vierundzwanzig Lesern, so daß ich mich veranlaßt sah, eine zweite Episode aus dem Leben des starken Priesters und des starken roten Bürgermeisters der Bassa zu schreiben.
Und so, im gleichen Scherz wie damals, überreichte ich vor zwei Stunden (im letzten Augenblick und zum Mißvergnügen der Druckfachleute) die zweihundertste Fortsetzung der Kleinen Welt.
Und vor drei Stunden erfuhr ich durch einen Brief aus Paris, daß in Frankreich das erste Buch mit den Erzählungen der Kleinen Welt eine Auflage von achthunderttausend Exemplaren erreicht hat.
Ich habe es nie in meinem Leben bereut, morgen getan zu haben, was ich hätte heute oder vor einem Monat tun sollen.
Oft werde ich traurig, wenn ich die Sachen lese, die ich geschrieben habe; im Grunde genommen kränke ich mich aber doch nicht so sehr, weil ich mit ruhigem Gewissen sagen kann, daß ich mich immer bis aufs äußerste widersetzt habe, sie zu schreiben. Ich habe mich immer bemüht, es auf morgen zu verschieben.
Nun habe ich euch erzählt, meine Freunde, wie mein großer Priester und mein starker Bürgermeister aus der Bassa geboren wurden.
Mehr als zweihundertmal habe ich sie schon in Händel verwickelt und gezwungen, die unmöglichsten Dinge der Welt zu tun; so sehr unmöglich, daß sie am Ende geradezu wahr sein können.
Es ist schon ein Jammer. Andererseits, was soll ich mit ihnen machen, da sie nun einmal auf der Welt sind? Soll ich sie umbringen?
Nicht daß ich auf mich das Loblied eines «Schöpfers» gesungen haben möchte, ich will gar nicht sagen, daß ich sie geschaffen habe. Ich habe ihnen nur eine Stimme gegeben.
Wer sie geschaffen hat, ist die Bassa!
Ich bin ihnen begegnet, ich habe sie unter den Arm genommen, und ich habe sie einfach durch das Alphabet auf und ab gehen lassen.
Gegen Ende 1951, als der große Strom die Dämme zerstört und die glücklichen Felder der Bassa überschwemmt hatte, bekam ich von ausländischen Lesern Pakete mit Decken und Kleidern «für Don Camillos und Peppones Leute». Das rührte mich ungemein, und ich kam mir vor, nicht irgendein Idiot zu sein, sondern ein wichtiger Idiot.
Was ich damals über die Bassa und die Kleine Welt zu sagen hatte, habe ich im ersten Band festgehalten. Heute, nach fünf Jahren, erkenne ich, daß meine damals erfundenen Gestalten Wirklichkeit geworden sind, ich befinde mich nach wie vor in voller Übereinstimmung mit meiner Person.
Ich kenne nicht das Schicksal, das dieser zweiten Welle von Erzählungen widerfahren wird, und ich kümmere mich auch nicht darum. Ich erinnere mich, daß ich als Bub oft am Ufer des großen Stromes gesessen bin und mich gefragt habe: «Wer weiß, ob ich - wenn ich einmal groß bin - das andere Ufer erreichen werde!»
Ich träumte davon, einmal ein Fahrrad zu besitzen.
Jetzt bin ich fünfundvierzig Jahre alt und habe das Fahrrad erworben. Und oft setze ich mich wie früher am Ufer des großen Flusses nieder, kaue an einem Strohhalm und denke: «Wieviel besser ist es hier an diesem Ufer.»
Und ich höre den Geschichten zu, die mir der große Strom erzählt, und die Menschen sagen von mir: «Mit dem Alter wird er eitel.» Es ist aber nicht wahr, weil ich immer eitel war.
Gott sei Dank!
Roncole bei Parma, im Mai 1953. Der Verfasser