Das Volk
Don Camillos neue Pfarre war ein armseliges Gebirgsdorf, das um diese Zeit nur von Frauen, alten Leuten und Kindern bewohnt war, weil die arbeitsfähigen Männer damals anderswo Arbeit suchten. Die Zurückgebliebenen mußten nicht nur für die Häuser, sondern auch für das Vieh und für die wenige Erde sorgen, aus der man nur mit größter Mühe irgend etwas herausholen konnte, was nicht wildes Gras oder Gestrüpp gewesen wäre.
Don Camillos donnernde Stimme war hier fehl am Platz; er merkte es sofort, schon am ersten Sonntag, als er während der Messe die Predigt hielt. Er sprach, als ob er immer noch dort unten gewesen wäre, in der Bassa, in der großen Kirche, voll von Leuten mit heißem Blut und leidenschaftlichen Herzen. Don Camillos Stimme explodierte unter dem niedrigen Gewölbe, und es schien, als ob sie es zum Einsturz brächte. Die alten Männlein und Weiblein und die Kinder sperrten erschrocken die Augen auf. Sie konnten nicht verstehen, warum dieser große Priester gerade auf sie, die weder etwas Böses getan hatten noch - auch wenn sie es gewollt hätten - hätten tun können, so böse war.
«Jesus», sagte Don Camillo zu Christus, «wenn ich den Hahn nicht zudrehe, werde ich zum Schluß alle erschrecken, und niemand wird mehr kommen.»
«Das glaube ich auch, Don Camillo», antwortete Christus lächelnd. «Es hat gar keinen Zweck, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Das sind alles Leute, die jemanden brauchen, der zu ihnen mit gütiger Stimme spricht und sie in ihrem Warten tröstet. Die Politik ist nicht bis hierherauf gelangt oder sie hat mit den Männern das Dorf verlassen und wird erst mit den Männern wieder zurückkehren, wenn ihnen überhaupt ihre entnervende Arbeit Zeit für Politik übrigläßt. Du aber spare deinen Donner und deine Blitze für die Zeit, wenn du wieder in die Ebene kommst.»
Don Camillo milderte hierauf den Ton seiner Stimme, doch schien er sich selbst ein anderer zu sein, denn Don Camillo war für den Kampf geboren, und da oben konnte man nur gegen die Schwermut kämpfen.
Er hatte seine Doppelflinte mitgenommen und versuchte, auf die Jagd zu gehen; an die Ebene gewöhnt, konnte er sich im Gebirge nicht zurechtfinden.
Ful seinerseits versuchte überhaupt nicht, den Jagdhund zu spielen; er gab sofort zu erkennen, daß das Gebirge in seinen Augen widersinnig sei, und benahm sich auf Don Camillos seltenen Jagdausflügen wie ein gewöhnlicher Promenadenhund.
Die Tage vergingen langsam; sie vergingen dennoch, weil es Don Camillo immer gelang, seine Zeit irgendwie nützlich zu verwenden, auch wenn er alten Leuten beim Holzhacken helfen, das Pflaster vor der Kirche ausbessern oder das Dach des Pfarrhauses notdürftig flicken mußte.
Der große Jammer kam mit dem Abend. Die wenigen Einwohner verkrochen sich in ihre Häuser, und die kleine, dunkle und stille Ortschaft glich einem Friedhof. Man fühlte sich völlig von der Welt abgeschnitten, konnte nicht einmal Radio hören, weil der elektrische Strom noch nicht bis hier heraufgekommen war. Und der Pfarrhof war so armselig und traurig, daß man, auch wenn man sich beim Lesen im Licht einer Öllampe zu zerstreuen suchte, die Schwermut der elenden Umgebung auf den Schultern lasten spürte.
Immer wieder suchte Don Camillo in der Kirche Zuflucht und unterhielt sich mit dem gekreuzigten Christus am Hochaltar.
Eines Abends vertraute er Christus seinen ganzen Schmerz an.
«Jesus», sagte Don Camillo, «wenn ich traurig bin, so ist das nicht, weil mir der Glaube fehlt. Tatsache ist, daß ich nicht vergessen kann, was ich dort unten alles tun könnte, während ich hier nichts zu tun habe. Jesus, ich komme mir hier wie ein Ozeandampfer in einem Teich vor.»
«Don Camillo, überall, wo Wasser ist, besteht die Gefahr, daß jemand ertrinkt. Und überall, wo die Gefahr besteht, daß jemand ertrinkt, muß man auf der Hut sein. Wenn ein Bruder, der hundert Meilen entfernt wohnt, dringend eine Arznei braucht, die du besitzest, und wenn du ihm diese Arznei, die nur ein Gramm schwer ist, nicht anders bringen kannst als mit einem riesigen achträdrigen Lastwagen, der imstande wäre, fünfhundert Zentner zu befördern, wirst du es vielleicht bedauern, daß du dieses Verkehrsmittel benützen mußt, das in gar keinem Verhältnis zur Ladung steht, oder wirst du vielmehr Gott danken, daß du ein solches Mittel zur Verfügung hast? Und außerdem, Don Camillo, bist du sicher, daß du ein in einen winzigen Bergsee gepferchtes Ozeanschiff bist? Ist das nicht eher eine häßliche Sünde der Hoffart? Bist du nicht vielmehr von tausenden und aber tausenden Booten eines, das auf hoher und stürmischer See segelt und mit Gottes Hilfe den Wellen entrinnt und nun glaubt, ein Ozeandampfer zu sein, und das wenige Wasser eines Bergsees geringschätzt?»
Don Camillo senkte demütig das Haupt.
«Jesus», seufzte er, «ich bin ein ganz bescheidenes Boot, das der stürmischen See nachweint. Darin liegt meine ganze Sünde, eine Sünde des Bedauerns. Ich denke an jene, die ich dort unten verlassen habe. Schon drei Monate weiß ich nichts mehr von ihnen, und der Gedanke macht mich rasend, daß sie mich vielleicht schon vergessen haben.»
Christus lächelte.
«Es ist schwer, einen so großen Priester zu vergessen.»
Don Camillo begab sich wieder in den Pfarrhof. Die Kammer war fast finster, weil der Docht plötzlich Mucken hatte. Don Camillo suchte die Schere, um ihn zurechtzuschneiden, als man jemanden ans Fenster klopfen hörte.
Don Camillo dachte unwillkürlich an den Alten, der neben dem Brunnen wohnte. «Sicherlich hat er mir nicht gefolgt», sagte er für sich, «und, anstatt ins Bett zu gehen, Holz gehackt. Jetzt braucht er die Letzte Ölung.»
Er machte die Läden auf und erblickte ein häßliches, fremdes Gesicht.
«Man kommt nicht um halb zwölf Uhr nachts, um einen Ehrenmann zu stören», rief Don Camillo mit schroffer Stimme. «Was wünschen Sie?»
«Hochwürden, machen Sie auf!» antwortete der andere. «Lassen Sie mich hinein.»
«Ich empfange nicht Leute, die nicht zu meiner Pfarre gehören», erwiderte Don Camillo und schloß das Fenster.
Dennoch ging er aufmachen. Der Mann kam herein und fiel erschöpft auf einen Sessel.
Don Camillo fand die Schere, brachte den Docht in Ordnung, und die Flamme der Öllampe brannte wieder heller.
«Na und?» fragte er, ohne den Mann mit einem einzigen Blick zu würdigen. «Darf man wissen, was los ist?»
«Ich habe eine große Dummheit gemacht!» antwortete Peppone mit dramatischem Gehaben.
Don Camillo begab sich in die Ecke und zog die Uhr auf.
«Nichts Neues also», murmelte Don Camillo. «Allerdings, wenn du entschlossen bist, mich jedesmal zu verständigen, wenn du eine Schweinerei machst, dann wird es besser sein, du richtest gleich eine Fernsprechleitung von deinem Haus bis hierher ein. Bleibst du lange hier?»
Peppone trocknete die Stirn.
«Hochwürden, ich bin in einer schweren Lage», rief er.
«Das ist klar, wer Dummheiten macht, kommt in Verlegenheit; du hast dich jedenfalls in der Adresse geirrt. Du mußt dich an das Zentralkomitee der Partei wenden. Hier ist außerdem Sperrstunde. Um halb zwölf Uhr nachts empfangen Ehrenmänner keine Besuche mehr.»
Peppone sprang auf. «Ich bin schon um neun Uhr gekommen!» behauptete er angriffslustig.
Es tut mir leid, daß du so lange warten mußtest», erklärte Don Camillo. «Ich versichere dir aber, daß ich dich erst jetzt gesehen habe. Wo warst du denn zwischen neun und halb zwölf Uhr?»
«Bei Ihnen», antwortete Peppone.
Don Camillo schaute ihn sehr besorgt an.
Im Dorf ging es nach Don Camillos Abreise so zu, wie es zugehen mußte. In seinem Bestreben, seine Nase ständig in alle politischen Verwicklungen zu stecken und überall persönlich einzuschreiten, war es nämlich Don Camillo gelungen, die Dinge so zu Ende zu bringen, daß er immer als unmittelbarer Gegenspieler der Roten dastand.
Mit einem Wort, jede Auseinandersetzung, die sich zwischen den Roten und ihren natürlichen Gegnern abspielte, wurde schließlich zu einer persönlichen Angelegenheit zwischen Don Camillo und Peppone. Und so war Don Camillo der Blitzableiter, an dem sich die Blitze der Roten entluden. Und weil Don Camillo zwei gewaltige Schultern hatte, gelang es ihm immer, die Dinge ohne allzu großen Schaden, weder für sich selbst noch für die andern, in Ordnung zu bringen.
Jetzt war der Puffer nicht mehr da, und die Roten und ihre Gegner kamen in unmittelbare Berührung. Es gab unter den andern harte Burschen, und am härtesten war Dario Cagniola, ein großer Landbesitzer, der sein Gut selbst führte, ein Mann, der sein Vermögen durch Arbeit erworben hatte und daher entschlossen war, es mit den Zähnen zu verteidigen.
Cagniola ließ sich durch Drohungen und Warnungen nicht einschüchtern. Wenn seine Arbeiter an Streiktagen keinen Mut hatten zu arbeiten, dann pflegte Cagniola vom anderen Flußufer Scharen von freien Arbeitern mit vertrauenerweckenden Gesichtern kommen zu lassen, die zu allem entschlossen und keine Streikposten in der Nähe des Hofes der Cagniola zu dulden bereit waren.
Dario Cagniola war Volksfeind Nummer eins, wie ihn die Roten nannten, und Cagniola war, um bei der Wahrheit zu bleiben, so vernünftig, sich möglichst wenig im Dorf zu zeigen. Manchmal mußte er aber hereinkommen, und er konnte die vernünftige Vorsicht nicht so weit treiben, daß er sich einen falschen Bart umhängte oder sich als Kapuziner verkleidete.
Das letzte Mal war es am Abend, und er konnte niemanden an seiner Stelle schicken, weil sich Dario Cagniola einen Stockzahn reißen lassen mußte. Sobald ihm aber der Zahnarzt den Mund in Ordnung gebracht hatte, ging Cagniola geradewegs zu dem kleinen Platz, wo er seinen Wagen gelassen hatte. Er beeilte sich, wurde aber gesehen.
Zwei oder drei Tage vorher gab es einen Zwischenfall mit einigen Stieren von der Jugendgruppe der Roten, die in den Hof des Cagniola eingedrungen und Cagniola selbst begegnet waren, dem sie die üblichen Friedenslisten und ähnliches Zeug zur Unterschrift vorgelegt hatten. Und Cagniola hatte vom Boden einen Pfahl aufgehoben und geantwortet, daß er bereit sei, zu unterschreiben, aber nur mit dieser Füllfeder. Hierauf machten die beiden Jungstiere ohne weitere Debatte kehrt.
Sie hatten natürlich auf ihre Art und Weise darüber Bericht erstattet, und so kam es, daß an jenem denkwürdigen Abend, als Cagniola von einem Roten im Dorf gesehen wurde, im Haus des Volkes Alarm gegeben wurde. Bigio und zwei andere rannten sofort heraus und holten Cagniola auf dem kleinen Platz ein, als er gerade seinen Wagen besteigen wollte.
Sie waren drei starke Männer, Cagniola war aber der Peppone des andern Lagers, und wenn er eine Ohrfeige austeilte, pfiff es nur so durch die Luft.
Das Gespräch wurde sehr lebhaft; als er Bigio und die beiden andern vor sich sah, lehnte sich Cagniola mit dem Rücken an die Wagentür und preßte die Zähne zusammen.
«Ich möchte gerne die Füllfedermarke sehen, die Sie unlängst unseren Burschen gezeigt haben», sagte Bigio drohend.
«Ich habe sie nicht bei mir, ich habe aber eine andere Marke», antwortete Cagniola und fischte mit der rechten Hand einen großen Schraubenschlüssel aus dem Wagen. «Das neueste Modell», erklärte er.
Einer von den beiden Anfängern holte einen Stock hervor, den er bisher hinter seinem Rücken versteckt hatte, kam aber nicht dazu, ihn zu benützen, weil er von Cagniola einen Fußtritt gegen das Schienbein erhielt, der ihn zu Boden streckte.
Bigio fiel über Cagniola her, kam aber nicht weit, denn der Schraubenschlüssel der Reaktion sauste auf seinen Kürbiskopf nieder.
Als die zwei Anfänger Bigio mit blutigem Kopf zu Boden fallen sahen, rannten sie davon.
Gerade in diesem Augenblick fuhr Peppone, der aus der Stadt kam, mit dem Motorrad und Smilzo als Sozius vorbei.
Peppone stieg nicht vom Motorrad, sondern er sprang mit einem Satz ab. Cagniola hatte nicht einmal Zeit, Verteidigungsstellung einzunehmen, als ihn schon Peppones Faust wie ein Blitz traf. Am Kinn getroffen, fiel Cagniola nach hinten um und schlug im Fallen mit dem Kopf gegen die Stoßstange seines Wagens.
«Als ich ihn so fallen sah und er mit blutigem Kopf unbeweglich am Boden liegenblieb, begriff ich sofort, eine große Dummheit gemacht zu haben», sagte Peppone am Ende seiner Erzählung.
«Du warst schon immer sehr intelligent», bemerkte Don Camillo. «Und dann?»
«Na, und dann, der Platz war leer, und da ich hörte, daß jemand kam, bestieg ich wieder das Motorrad und machte mich zusammen mit Smilzo aus dem Staub. Niemand hat uns gesehen, weil es schon neun Uhr war und regnete. Als wir zur Einmündung des Maultierweges kamen, fuhr Smilzo mit dem Motorrad weiter, und ich bin heraufgekommen.»
«Gut», sagte Don Camillo. «Und wie kommst du jetzt nach Hause, wenn Smilzo weggefahren ist?»
«Er kommt mich morgen früh abholen. Ich werde sagen, daß ich zu Ihnen gekommen bin, weil ich Sie bitten wollte, in der Streitfrage wegen der Tagelöhner zu vermitteln. So wird mir niemand nachsagen können, daß ich Cagniola niedergeschlagen habe. Wenn ich um neun Uhr hier war, wie konnte ich um neun Uhr auch im Dorf gewesen sein?»
«Um neun Uhr warst du nicht hier, und ich werde vor Gericht nicht lügen. Ich werde nichts davon sagen, was du mir gesagt hast, aber ich werde auch nicht sagen, daß du um neun Uhr hier warst. Ich kann nicht einen Mörder schützen.»
«Ich habe ihm einen Faustschlag versetzt, weil ich Bigio blutend am Boden liegen gesehen hatte», stellte Peppone fest. «Um so schlimmer für ihn, wenn es schlecht ausgegangen ist. Schließlich hat Cagniola einen harten Kopf, und er muß nicht gerade tot sein. Tatsache ist, daß ich Bürgermeister bin und meine angegriffenen Freunde nicht so verteidigen darf und daß Sie diesen Zwischenfall dazu benützen werden, einen Mordsskandal zu schlagen, um mich aus dem Amt zu verjagen.»
«Was habe ich damit zu tun?» fragte Don Camillo.
«Na, Sie, im Interesse der Reaktion, der Gutsbesitzer und der ganzen sauberen Gesellschaft... Ich will aber keinen Skandal, ich habe kein Verbrechen begangen!»
Don Camillo zündete sich seine gewohnte Zigarre an.
«Genosse, und wenn Cagniola verreckt ist?»
«Um so besser! Wieder ein Schwein weniger!» brüllte Peppone.
«Und ein Mörder mehr!» stellte Don Camillo ruhig fest. Peppone verbarg das Gesicht in den Händen.
«Was soll ich nur tun?» rief er plötzlich voller Angst.
«Warten wir nur ruhig ab, was geschieht», sagte Don Camillo. «Bleib hier, bis man dich suchen kommt; ich brauche ohnedies einen Mesner.»
Peppone schaute plötzlich auf und zeigte auf das Fenster. Sie warteten einen Augenblick in der Stille. Es klopfte jemand.
«Wo soll ich mich verstecken?» fragte Peppone höchst erregt. «Geh in das nächste Zimmer, dort ist eine Hängematte. Leg dich hinein und stell dich schlafend.»
Peppone warf sich in die Hängematte, und Don Camillo ging aufmachen. Er sah vor sich einen großen, sehr aufgeregten Mann mit zerzaustem Haar, es war Dario Cagniola.
«Hochwürden, ich bin in einer schwierigen Lage», keuchte der starke Mann. «Ich habe eine große Dummheit begangen.»
«Dummheit, in welcher Hinsicht?»
«Ich glaube, ich habe Bigio umgebracht. Ich habe mir einen Zahn reißen lassen, dann haben sie mich zu dritt bei meinem Wagen angegriffen, ich habe mich mit einem Schraubenschlüssel verteidigt, und Bigio bekam ihn auf den Kopf und stürzte in einer Blutlache zu Boden. Die beiden andern sind entwischt. In diesem Augenblick kam Peppone auf dem Motorrrad vorbei. Er hat mich überrascht und mir einen Faustschlag versetzt. Im Fallen habe ich mir den Kopf an der Stoßstange angeschlagen. Eine Kleinigkeit. Ich bin sofort wieder zu mir gekommen. Ich hörte Leute kommen. Da sprang ich sofort in den Wagen und fuhr los. Das Auto hab ich im Gebüsch gelassen, etwas vor dem Maultierweg. Das ist eine schlimme Sache, Hochwürden. Sie kennen meine Stellung im Dorf. Sie müssen mir helfen, die Roten werden auf jeden Fall daraus eine große Sache machen.»
Don Camillo breitete die Arme aus.
«Beruhigen Sie sich. Wir sprechen noch davon.»
Don Camillo erhob sich und ging in das Nebenzimmer, wo Peppone mit außergewöhnlicher Begeisterung so tat, als ob er schnarchte.
«Komm nur», sagte zu ihm Don Camillo. «Es besteht keine Gefahr.»
Peppone stand auf und folgte Don Camillo. Als er das beleuchtete Zimmer betrat und vor Cagniola stand, blieb er einen Augenblick fassungslos. Auch Cagniola stand eine Weile mit offenem Mund da und blickte wütend auf Peppone, stand dann auf und ballte die Fäuste. Don Camillo fuhr dazwischen.
«Darf ich die Herren bitten, Platz zu nehmen», sagte er gebieterisch. «Das ist mein Haus.»
Der Priester setzte sich zwischen den beiden an den Tisch.
«Die äußerste Rechte», erklärte er, «die äußerste Linke und das Zentrum. Nicht das Zentrum im politischen, sondern im christlichen Sinn.»
Don Camillo zündete nochmals seine Zigarre an und machte einige kräftige Züge.
«Das ist eine von Grund auf lehrreiche Geschichte», fuhr Don Camillo fort. «Die äußerste Linke und die äußerste Rechte geben zu, einen großen Irrtum begangen zu haben, und nehmen bei der ewigen Weisheit der Kirche Zuflucht. Und die ewige Weisheit der Kirche antwortet: Brüder, wenn ihr euch an mich gewendet hättet, bevor ihr diese große Dummheit gemacht habt, und wenn ihr eure Handlungsweise meinen Geboten angepaßt hättet, dann hättet ihr keine solchen Dummheiten begangen. Ihr seid beide nicht würdig, mit Fußtritten von hier verjagt zu werden, weil ihr nur dann an die Kirche denkt, wenn ihr in ihr eine sichere Zuflucht vor eurer Angst seht.»
Peppone brachte stockend einen Einwand vor:
«Immer dasselbe. Bevor man etwas macht, müßte man immer den Priester um sein <nihil obstat> bitten!»
«Nein, Bruder Bürgermeister», erwiderte ruhig Don Camillo, «wenn ich Kirche sage, sage ich nicht Priester, ich sage nicht Klerus, ich sage Christus. Denn Christus hat verkündet: Jeder tue seine Pflicht! Täte jeder Mensch seine Pflicht, dann wären die Rechte der anderen geschützt. Revolutionen macht man nicht mit Gewalt, hat Christus gelehrt. Den Reichtum verteidigt man nicht mit Gewalt, den Reichtum schützt man, indem man ihn als gerechtfertigt hinstellt.»
Don Camillo breitete die Arme aus und seufzte.
«Weise Worte, aber Worte. Außerdem ist es jetzt zu spät. Zu viele Leute haben ihre Pflicht nicht getan, und der Haß hat das Blut der Leute vergiftet. Das Spiel ist nunmehr so, wie es ist, man muß sich fügen. Ich lasse euch jetzt allein. Ich lasse die äußerste Linke allein mit der äußersten Rechten. Ihr seid beide gleich starke Kampfhähne. Rauft, rauft, solang ihr wollt. Und wenn ihr genug gerauft habt, dann sagt mir, was ihr damit Positives geleistet habt.»
Don Camillo erhob sich, Cagniola zog ihn aber am Ärmel.
«Bleiben Sie», flüsterte er.
Sie blieben alle drei, die Rechte, die Linke und das Zentrum, und blickten auf das Flämmchen der Öllampe. Dann schlief die Rechte ein, den Kopf auf den Tisch gestützt. Dann fiel die Linke um. Zum Schluß fiel auch das Zentrum. So verbrachten sie die Nacht, und so überraschte sie die Morgensonne.
Die äußerste Linke betätigte sich als Glöckner und die äußerste Rechte als Ministrant.
Als sie nach der Messe ihren Milchkaffe tranken, kam Smilzo.
«Cagniola ist auf geheimnisvolle Weise verschwunden», erklärte Smilzo, der beim Betreten des Zimmers Cagniola nur von hinten sehen konnte. «Er scheint in die Schweiz geflüchtet zu sein.»
«Richtig», antwortete Don Camillo. «Und Bigio?»
«Der Schraubenschlüssel hat seine Schläfe gestreift, das Blut kam vom Ohr, das ein wenig verletzt worden ist.»
Don Camillo schüttelte den Kopf.
«Was erzählst du da von einem Schraubenschlüssel?» fragte er. «Ich glaube, Bigio wurde von Cagniolas Wagen erfaßt und zu Boden geworfen. Was sagt er selbst und was sagen die andern dazu?»
Don Camillo schaute Peppone und Cagniola fragend an und wandte sich an Smilzo.
«Geh und teile Bigio mit, daß er vom Wagen des Herrn Cagniola erwischt wurde, als er über die Straße ging.»
Cagniola schaute auf.
«Von einem nicht erkannten Auto!» fügte er hinzu. «Wenn nicht, dann sage ich, wie es wirklich war.»
Die äußerste Linke ballte die Fäuste, und das Zentrum sagte:
«Je rascher ihr das Haus räumt, desto mehr Freude macht ihr mir.»
Sie gingen nacheinander fort, zuerst die äußerste Linke und dann die äußerste Rechte. Don Camillo blieb allein und dachte traurig an das Volk, das unterdessen mit verbundenem Kopf auf Befehle für die vergangene und für die zukünftige Aktion wartete.
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