Der Ring

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Wer die Geschichte nicht kennt, müßte sich wundern, daß es Gisa immer übel wurde, wenn sie ein bestimmtes Zimmer im Erdgeschoß betrat, das voll Staub und Unordnung war, eine Art Magazin, ein Durcheinander von Möbeln, Koffern, Kisten, Bildern usw. ; kennt man aber die Geschichte, so ist alles klar.

Es handelt sich um ein Bildnis in Farben, auf dem die Frau des Podestà in großer Aufmachung zu sehen war, wie eine Kaiserin, auf einem Stuhl mit hoher Lehne; ihre linke Hand hing lässig über die Seitenlehne herab, anscheinend zufällig, in Wirklichkeit aber absichtlich, um den berühmten Ring richtig zur Geltung zu bringen.

Immer, wenn Gisa dieses Porträt sah, wurde es ihr übel. Niemand zwang Gisa, diesen Raum zu betreten und das Bildnis zu betrachten. Und doch ging Gisa wenigstens einmal täglich gerade in dieses Zimmer und ausgerechnet, um das Bildnis anzuschauen, als ob sie einen Gefallen daran gefunden hätte, daß es ihr dabei übel werde.

Übrigens gab es auf dem Gut der Pilastri schon lange keine Torconi mehr; offensichtlich hatten diese auch gar nicht die Absicht, wieder einzuziehen, denn die Luft war ihnen dort zu schlecht. Und auch wenn sie zurückgekehrt wären, die Biolchi hätten sie mit einem regelrechten Gewehrfeuer empfangen, ehe sie die Villa verlassen hätten, und so war Gisa Biolchi praktisch die Herrin der Villa; tatsächlich herrschte aber dort drinnen noch immer die verhaßte Frau Mimi Torconi, die Gattin des Podestà.

Schuld an allem war der Ring, der berühmte Ring. Es ging nicht um Zauberei und andere Dummheiten, sondern um eine Prestigefrage; der berühmte Ring war wie ein Kommandostab.

Man merkt sofort, daß es sich hier um übliche philosophische Dummheiten handelt, wie man sie in den psychologischen Romanen lesen kann, eine Sache für Stadtleute mit einem Wort; obwohl Gisa Biolchi nicht einmal mit Hilfe eines Glases imstande wäre, ein O zu zeichnen, und nur die einfache Frau eines Halbpächters war, verstand sie sehr gut die Lage. Woraus man ersieht, daß Philosophie, Psychologie und das ganze derartige andere Zeug auch jenen die Köpfe verdrehen kann, die nicht einmal wissen, daß es so etwas gibt. Das ist eine Art Bazillus im Gehirn.

Das Gut der Torconi hieß Pilastri, weil am Eingang zwei Säulen ohne Gittertor standen, noch aus uralten Zeiten. Sie standen ungefähr in der Mitte der vierten Straße, auf der rechten Seite, wo man zum Fluß geht. Bei den Säulen begann ein langer Karrenweg, und am Ende des Weges war die Villa Torconi, umgeben von einem Garten; die Gartenmauer endete beim Wirtschaftsgebäude, dem Haus des Halbpächters Biolchi, der Behausung der Dienstboten, dem Stall und so weiter.

Wenn man heute von Villen spricht, denkt man sofort an jene Scheußlichkeiten, die wie Pilze in den Städten emporschießen und ganze Stadtviertel in Teile einer Mustermesse verwandeln. Jene Villen aber, die man dort bei uns sieht, sind etwas ernster: große viereckige Häuser mit einem Erdgeschoß, einem Stockwerk und einem Dachboden mit Luken, rund wie Melonen. Die

Fenster sind sauber symmetrisch und alle nach christlichem Maß gebaut, mit der kürzeren Seite unten, weil doch alle Christen die kürzere Seite waagrecht und die längere Seite lotrecht haben.

So war auch die Villa Torconi. Außerdem war sie voll schöner Sachen, mit einem Saal und einem Salon und sogar einem Boudoir der Frau Mimi. Da Frau Mimi die Gattin des Podestà war, brauchte sie selbstverständlich ein eigenes Boudoir mit Plüschsesseln, Tapeten und einer Glocke, um dem Dienstmädchen läuten zu können. «Maria, den Tee...» Kaffee war nicht nobel genug. Für Frau Mimi mußte es diese gelbe Brühe sein. Auch die entsprechenden besonderen Kekse, die man eigens aus der Stadt hatte kommen lassen.

Wenn Gisa mit den Dienstboten über diese Dinge sprach, wurde sie jedesmal blau vor Wut. Um die Wahrheit zu sagen, bis zu einem gewissen Punkt hatte sie nicht einmal unrecht, denn die Torconi waren nur zu zweit, wozu noch ein Dienstmädchen kam, und hatten zehn und mehr Zimmer zur Verfügung, während die Biolchi ein ganzes Regiment Kinder besaßen und mit vier Kämmerchen auskommen mußten.

Was aber Gisa Biolchi noch mehr in Wut versetzte, waren die kaiserlichen Allüren der Frau Mimi. Sie war ein schönes Weibsstück, etwa fünfundvierzig Jahre alt, mit einem stattlichen Busen (was keineswegs ihr Verdienst war, da sie keine Kinder gehabt hatte), sie war immer dunkel gekleidet, weil sie blond war und ihr das Dunkle gut stand, und trug weder Armbänder noch Broschen oder anderes Geschmeide. Sie hatte einzig und allein einen Ring, der sehr kunstvoll aus Gold und Brillanten gearbeitet war. Es war ein solches Ding, daß man Lust bekam, niederzuknien, um den Ring zu küssen.

Das ganze Geheimnis war dieser Ring. Gisa erinnerte sich, Frau Mimi einmal ganz unordentlich gesehen zu haben, in einem alten, unscheinbaren Kleid und mit einem Tuch auf dem Kopf, als sie beim Großreinemachen mithalf. Sie war sogar schlechter angezogen als das Dienstmädchen, das Gesicht schmutzig von Staub. Am Finger aber trug sie den berühmten Ring und flößte dieselbe Achtung ein wie sonst in großer Aufmachung. Er war eigentlich nicht einmal so sehr kostbar, es handelte sich um ein wenig Gold und kleine Brillanten, aber er wirkte majestätisch, er hatte die Würde eines Kommandostabes.

Torconi, der Podestà (so hieß in faschistischer Zeit der Bürgermeister), machte sich wichtig, wo er nur konnte. Man kann aber nichts Böses über ihn sagen; er machte keine Geschichten, weil er reich war, und er tat niemandem Schlechtes an, weil er keine politischen Ambitionen hatte. Er war höchstens ein unsympathischer Podestà, so wie man heute von jemandem sagen würde, er sei ein unsympathischer Bürgermeister. Aber das hatte niemand gemerkt.

Als der Umsturz kam, merkte natürlich sofort eine Menge Leute, daß der Podestà unsympathisch war, und in solchen Fällen sind solche Erkenntnisse meistens nur ein Beginn. Es gab aber in Norditalien überraschenderweise noch eine fast zweijährige zweite faschistische Welle, und so blieb Torconi länger Podestà, als man dachte; er tat nicht mehr und nicht weniger als früher, der Haß um ihn aber steigerte sich von Tag zu Tag.

Es ist immer so gewesen in der Geschichte: Eines Tages beginnt sich die Lage zu ändern, und dann entdecken die Leute, daß sie schon immer furchtbar unterdrückt waren, und dann geraten sie außer sich, weil sie das Bedürfnis haben, jemanden zu verprügeln und mit einer Schießerei den endgültigen Umsturz herbeizuführen. Und der Haß, den es früher gar nicht gab, entsteht und wächst; und alle betrachten im Vorbeigehen das vorbestimmte Opfer und denken: «Warte nur, du Hund, es kommt der Tag!»

Und so suchte eines Tages Don Camillo den Podestà in seinem Haus auf; das war Anfang 1945, als es schon überall zu knistern begann.

«Es wird besser sein, Sie machen sich aus dem Staub, solange es noch Zeit ist», sagte Don Camillo zu dem Podestà, «passen Sie auf!»

«Hochwürden», antwortete Torconi, «Sie wissen zu gut, daß ich niemandem etwas getan habe.»

«Das zählt nicht. Es zählt vor Gott, nicht aber vor einer entsicherten Maschinenpistole. Sie haben die Möglichkeit, zu gehen. Ich habe meine Gründe, wenn ich Ihnen das sage.»

Torconi konnte sich nicht mit Fluchtgedanken abfmden.

«Nur wer ein schlechtes Gewissen hat, flieht», erwiderte er.

«Wenn ein wütender Stier die Ketten sprengt und Ihnen nachsetzt, werden Sie ihm nicht ausweichen? Auch wenn Sie ein reines Gewissen haben, schlitzt Ihnen der Stier den Bauch auf.»

«Hier verhält es sich anders, Flucht wäre hier erniedrigend.»

«Es ist erniedrigend, sich umbringen zu lassen, wenn man nichts angestellt hat. Man muß Ehrenmänner in Schutz nehmen; ich nehme Sie in Schutz, und Sie schauen nun, daß Sie selber sich jetzt weiter in Schutz nehmen.»

Torconi hatte verflucht wenig Lust, sein schönes Haus zu verlassen. Er sah aber ein, daß es notwendig wäre, es zu verlassen. Er wartete bis in die ersten Apriltage und besuchte dann Don Camillo, um von ihm Abschied zu nehmen.

«Ich gehe, Hochwürden. Für den Fall, daß lange Zeit verstreichen könnte, ehe die Luft hier wieder rein ist, hinterlasse ich ihnen diesen Brief für den Halbpächter Biolchi. Er enthält Weisungen über alles, was er tun soll, über Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte, Einzahlung des Gewinnes usw. Schauen Sie ein wenig nach. Ich werde versuchen, mit meiner Frau in die Schweiz zu kommen. Ich habe eine Menge anonymer Drohbriefe erhalten. Sie hatten recht.»

«Machen Sie es nur ohne Krach», warnte ihn Don Camillo. «Ich habe mein Verschwinden genauestem vorbereitet. Sie sind der einzige, der etwas davon weiß. Es kann nichts passieren.» Torconi machte die Sache wirklich gut, man bemerkte seine Flucht erst drei Tage später. «Wie konnten wir ihn nur entkommen lassen», sagten die Leute wütend. «Er war eine schwarze Seele, sonst hätte er sich nicht aus dem Staub gemacht!»

Dann geschah es, daß eines schönen Tages die mit den roten Halstüchern die Gegend unsicher zu machen begannen.

Die Biolchi ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen; beide, Mann und Frau, banden sich ein rotes Tuch um den Hals, luden auf einen Karren zwei Säcke voll Weinflaschen, begaben sich zum Sitz des Ausschusses für die Widerstandsbewegung, packten die Flaschen aus und fragten:

«Wir und unsere Kinder verkommen in vier Kämmerchen, eng wie Hühnerställe, in die es hineinregnet, während nur zwanzig Meter von uns eine Villa leer steht, weil dieses Schwein von Podestà geflüchtet ist, um sich der Gerechtigkeit des Volkes zu entziehen. Ist das in Ordnung?»

«Nehmt die Villa und gebt euer Haus den Feldarbeitern», antwortete der Ausschuß, der bereits mit dem Entkorken der Flaschen beschäftigt war.

Die Biolchi brachen das Türschloß auf und nahmen die Villa in Besitz. Nun aber begann die Tragödie:

Sie brachten Bilder, Koffer, Möbel, Leibwäsche und Küchengeräte der Torconi in das Eckzimmer im Erdgeschoß, weil sie nicht am Privateigentum, sondern am Wohnraum interessiert waren. Gisa fühlte sich jedoch von Anfang an als die gnädige Frau Gisa und bestand darauf, daß das Boudoir unberührt und die Vorhänge an den Fenstern blieben, daß man die Blumenvasen und in vielen Zimmern auch die Tapeten beließ, weil das seit Jahren ihr Traum war und außerdem alles so gut und vornehm eingerichtet war, daß es ein Verbrechen gewesen wäre, diese Harmonie, die sie nicht verstand, aber spürte, zu zerstören.

Und so wurde nach und nach alles wieder hervorgeholt und aufgestellt, wie es gewesen war, mit Ausnahme der minderwertigen Sachen, der Bildnisse, der Leibwäsche und der Küchengeräte der Torconi. Gisa wurde zu einem wilden Tier, wenn jemand eine Tapete befleckte, und setzte sich jemand auf einen Plüschsessel, ging sie wie eine Löwin los. Sie begann alle bedeutenden Zimmer abzusperren. Schließlich lebte die ganze Familie in der Küche und in den Dienstbotenkammern. Die Geschäfte gingen gut, weil der Pächter nicht mehr mit dem Gutsbesitzer abrechnen mußte, sondern neunzig Prozent für sich behielt und nur den Rest auf einem Bankkonto hinterlegte, wie es im Brief stand, den ihm Don Camillo gegeben hatte. Dazu kamen der schwarze Markt und die anderen Nachkriegserscheinungen, so daß die Biolchi in Geld schwammen. Gisa ließ sich schwarze Kleider von gleicher Art wie die der Frau Mimi machen, und von Zeit zu Zeit warf sie sich in Staat, schloß sich allein in den für die Dienstleute verbotenen Zimmern ein, berührte dies und das und setzte sich auf die Plüschsessel. Eines Nachmittags versuchte sie sogar, Tee zu machen, ließ ihn aber kochen, und so entstand ein ungenießbares Gebräu, das sie aber lächelnd trank.

Mit einem Wort, sie war die Herrin; alles gehörte ihr, weil an eine Rückkehr der Torconi nicht mehr zu denken war. Außerdem waren, wie gesagt, die Biolchi bereit, zu den Gewehren oder zu noch Schlimmerem zu greifen, wenn jemand versuchen sollte, sie aus der Villa zu verjagen. Gisa war also die Herrin, spürte aber, daß in Wirklichkeit immer noch Frau Mimi herrschte.

Das ging so weit, daß Gisa es nicht wagte, etwas umzustellen, eine Vase oder eine Nippsache. Nach jedem Versuch fühlte sie sich genötigt, die alte Ordnung wiederherzustellen.

Dann mußte Gisa in das Eckzimmer im Parterre, damit ihr übel werde. Sie betrachtete das große Porträt der Frau Mimi und gelangte immer mehr zu der Überzeugung, daß das ganze Geheimnis im Ring lag. Wenn sie einmal selbst einen solchen Ring am Finger hätte, dann wäre sie wirklich die Frau Gisa, die Herrin. Sie begann, ihren Mann wegen des Ringes zu quälen. Der Ring, der Ring, immer wieder der Ring. Sie wollte den Ring, ohne diesen Ring konnte sie nicht mehr leben.

Geld hatten sie genug; Gold und Diamanten sind außerdem immer noch die beste Vermögensanlage.

«Ich kaufe dir ein Armband», wehrte sich der Mann. «Ich kaufe dir eine Brosche, ich kaufe dir Ohrringe.»

Gisa aber wollte den Ring, nur den Ring.

Eines Nachts war die Widerstandskraft des Pächters zu Ende, er war diese Geschichte mit dem Ring satt.

«Halt schon einmal dein verfluchtes Maul», sagte er, «du sollst meinetwegen den Ring haben, und der Blitz soll dich treffen.»

Sie stiegen in das Erdgeschoß hinab, begaben sich in den Abstellraum, schoben eine Kiste beiseite, nahmen zwei Reihen Fliesen des Marmorbodens heraus und begannen dann ganz langsam zu graben. Zuerst den Mörtel, dann die Schotterfüllung der Beschüttung, dann die Erde. Hier begannen sie mit den Nägeln weiterzugraben; sie fanden den linken Arm der Frau Mimi, spreizten die Finger auseinander und zogen den Ring ab. Dann schütteten sie wieder alles zu und brachten die Fliesen in Ordnung.

Gisa fühlte sich mit dem Ring am Finger endlich als Herrin. Sie verlor aber die Selbstbeherrschung, und zwei Tage später sahen sie die Dienstleute mit dem Ring der Frau Mimi am Finger. Es war ein Ring, den das ganze Dorf kannte, und so verbreitete sich die Kunde schnell und weit.

An einem Nachmittag erschienen auf dem Karrenweg die Carabinieri, der Pächter und seine Frau sahen sie kommen, liefen in den Oberstock hinauf und begannen mit den Gewehren zu schießen. Beide, Biolchi und Gisa.

Auch die Carabinieri schossen, und so ging es weiter, bis eine Salve die beiden Unglückseligen niederstreckte.

Man fand Gisa tot am Boden, mit dem Gewehr in der Hand, neben der Leiche ihres Mannes. Sie war in großer Aufmachung und trug am Finger den Ring der Frau Mimi.

Man fand Frau Mimi zusammen mit dem Gatten im Abstellraum begraben; die beiden Biolchi hatten die beiden mit Axthieben auf den Kopf in jener Nacht erledigt, in der sie flüchten wollten.

Don Camillo steckte Frau Mimi den Ring wieder an den Finger, und Frau Mimi kam mit ihrem Ring am Finger in geweihter Erde zur Ruhe und wurde so wieder die Herrin.