FÜNFZEHN

Chas öffnete die Augen. Das Zimmer lag nur noch im Halbdunkel, denn draußen zog schon die Dämmerung herauf, ein blasser Lichtschimmer lag geisterhaft auf den Möbeln.

Er setzte sich auf, wobei er die Nachwirkungen vom Wein und dem Bier des Vorabends spürte. Auf dem Tisch stand der leere Krug, wo er ihn zuletzt abgesetzt hatte, und der Hopfengeruch hing im gesamten Zimmer.

Neben ihm schlief Narcise in dem Bett, warm und nahe und roch nach Schlaf, nach ihr. Vollständig bekleidet. Außer Reichweite.

Begehren erfasste ihn, urplötzlich und heftig, und er schloss wieder die Augen, versuchte, es von sich wegzuschieben. Er musste sich jeden Gedanken in dieser Richtung schlichtweg verbieten. Zu gefährlich, zu demütigend.

Sie war die geborene Verführerin. Abgesehen von der Tatsache, dass Erotik und Sinnlichkeit für Drakule Hand in Hand gingen, hatte er es mit eigenen Augen sehen dürfen, als er ihr kleines Tête-à-tête mit dem Burschen Philippe unterbrochen hatte.

Der arme Kerl war wie von Sinnen gewesen, vor Lust und Begierde ... und das Verteufelte daran war, dass er nicht einmal wusste, was mit ihm da geschah. Er hatte keine Kontrolle über sich selbst oder seine Handlungen.

Chas’ Mund wurde wieder verkniffen, und verzog sich dann schließlich zu einem Ausdruck des Ekels. Er würde derlei Lockungen nicht auf den Leim gehen. Niemals würde er es zulassen, dass man ihn zu so etwas missbrauchte, die Kontrolle über sich selbst zu verlieren. Er erinnerte sich noch an die unbändige Wut, tief in ihm, gestern, als er sie gegen die Wand gedrückt hatte und drohte, sie zu töten. Er würde es tun. Wenn sie je diese einlullenden, lockenden, brennenden Augen auf ihn richtete, würde er nicht zögern, es zu tun.

Er glitt von der Matratze herunter, er war einer jener wenigen Menschen, die auch bei übermäßigem Trinken tags drauf kaum eine Wirkung spürten. Da war ein leichtes, dumpfes Dröhnen in seinem Hinterkopf, aber abgesehen davon und dem Bedürfnis, ein Glas Wasser zu trinken, fühlte er sich, wie er sich morgens immer fühlte. Obschon es eigentlich für einen Gentleman viel zu früh war, um nicht nur wach, sondern auch noch auf den Beinen zu sein; normalerweise erblickte man erst gegen Mittag das erste Licht der Sonne.

Aber trotz der frühen Stunde und der riesigen Mengen an Wein und Bier, die er gestern gebechert hatte, war Chas’ Kopf sehr klar. Er erinnerte sich an alles vom Vorabend – darin eingeschlossen die Art und Weise, wie er Narcise fast von sich wegschleudern musste, nachdem er ihr in jenem Augenblick der Wut so nahe gekommen war. Zu nahe.

Insbesondere weil sich ihre Augen – nach der anfänglichen Überraschung – verengt hatten, interessiert und bewundernd.

Er machte von dem Nachttopf Gebrauch – der Grund seines frühen Erwachens – und dann von dem Waschtisch mit Krug und Schale, um sich das Gesicht zu waschen und sich die letzten Spuren des abgestandenen Alkohols aus dem Mund auszuspülen. Dann drehte er sich wieder zu dem Bett um.

Das Hemd, das Narcise mittlerweile als eine Art Nachhemdchen diente, stand ihr an Hals und Schultern etwas ab, was den Blick auf ein zartes Schlüsselbein und die Schatten von noch tiefer gelegenen Wonnen freigab.

Chas wirbelte herum und entschied sich, den Rest seiner Nachtruhe auf dem Stuhl zu verbringen. Nur zu gut erinnerte er sich noch an das Gefühl ihres Körpers, an seinen gepresst, als er sie gegen die Wand gedrängt hatte, sein Gesicht ganz nah an ihrem.

Das wäre fast sein Untergang gewesen ... sie war nur da, vor ihm. Er hatte sogar die Hände in ihren Kleidern vergraben, seine Finger rollten sich gegen das Fleisch über ihren Brüsten, kurz bevor sie ihn wegschob. Der Alkohol hatte seine Wachsamkeit schlicht etwas gemindert, und die Erinnerung an das, was sie kurz zuvor mit dem jungen Diener in dem Zimmer getrieben hatte, hing ihm noch nach. In seiner Phantasie ergänzte er noch die restlichen Details, was passiert war, bevor er sie unterbrochen hatte ... was passiert wäre, wenn er es nicht getan hätte.

Und egal wie entschlossen er auch versuchte, sich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken, er war sich restlos über die Reaktionen seines Körpers auf sie im Klaren, ihre Anziehungskraft auf ihn und seine Neugier, was sie betraf.

Warum musste sie ein Vampyr sein?

Das Dröhnen in seinem Kopf war lauter geworden, und er gab die Idee auf, zusammengesunken auf dem Stuhl weiterzuschlafen. Er war letzte Nacht auf ... in das Bett gefallen, bevor sie sich hingelegt hatte, und sie hatte offensichtlich keine Bedenken gehabt, sich zu ihm zu legen, warum also sollte er sich den Kopf darüber zerbrechen?

Er kletterte wieder auf seine Ecke der Matratze und spürte, dass die Laken immer noch warm waren, dort wo er wenige Augenblicke zuvor noch gelegen hatte, aber dass ihre Hand von ihrer Wange weggekrochen war und jetzt einfach unter seinem Kopfkissen lag.

Jeder Gedanke an Schlaf verflog, kaum hatte er sich neben ihr hingelegt, sein Gesicht ganz nah an ihrem, aber noch weit genug entfernt, dass er ihre Gesichtszüge studieren konnte. Ein weicher, warmer Duft entströmte ihrem Haar und auch von ihrer Haut, und er wollte Chas nicht aus dem Sinn.

Sie ging ihm nicht aus dem Sinn.

Die Sonne schien sich heute Morgen reichlich Zeit damit zu lassen, aufzugehen, und das Zimmer war immer noch voller nur vage erkennbarer Formen, außer in einem kleinen Rechteck direkt vor dem Fenster. Aber Chas konnte irgendwie den sanften Schwung ihrer Wimpern ausmachen, und ebenso eine kleine Falte an ihrem Mundwinkel. Und ihm fiel auch zum ersten Mal ein winziger Schönheitsfleck ganz außen an ihrem linken Auge auf.

Bevor er sich davon abhalten konnte, streckte er die Hand aus und lege sie, geöffnet, auf den Wasserfall ihrer Haare, der ihr über die Schulter fiel. Langsam streichelte er den weichen Glanz von ihrem Kopf und über ihre Schulter und bis zu ihrem Arm, sachte, sachte ... kaum mehr als die Berührung einer Feder. Ihre Wärme strömte ihr aus der seidigen Fülle in seine Handfläche, und auch wenn sie im Schlaf leise erschauerte, wachte sie nicht auf.

Chas berührte sie erneut, glitt mit seinen Fingern um eine Locke ihrer Haare, die ihr vorne über die Schulter gefallen war, gleich einem Korkenzieher. Er wickelte sie um einen seiner Finger, und er rieb die Locke sanft zwischen zwei Fingerkuppen und ließ sie dann wieder gegen ihren Busen fallen.

Sein Herz war ihm jetzt irgendwie voll, und es hämmerte auch ganz schrecklich, denn er wusste, sie konnte ihren Bann nicht auf ihn anwenden, während sie schlief. Was bedeutete, dass das, was er fühlte echt war – dieses tiefe lockende Gefühl, dieses unbändige, begehrliche Ziehen. Und es war stark.

Er hoffte nur inbrünstig, dass es ihn nicht zerstören würde, denn er glaubte nicht, dass es hier jetzt noch einen Weg zurück gab.

Sie spürte auch diese brodelnde Anziehungskraft; denn er hatte es gestern gesehen, als er sie bei der Mahlzeit mit – von – diesem Diener, kaum ein Jüngling, unterbrochen hatte. Sie hatte den Jungen gehabt, aber ihn gewollt. Chas.

Das hatte er aus ihren Augen ablesen können, als sie ihn zur Tür hereinkommen sah.

Ein kleines Stechen verdrehte ihm den Magen. Ja, sie wollte ihn, aber er könnte es niemals zulassen, dass sie sich von ihm nahm, wie sie es mit dem Lakaien getan hatte. Diese Kontrolle würde er niemals aufgeben, er würde niemals in diesen Strudel von Hunger und Trieb hineingleiten, den er damals im Rubey’s erlebt hatte ... jene Nacht, in der er von Sinnen gewesen war, nur noch aus Lust bestanden hatte, mit dem wilden Verlangen, sein Blut erlöst zu bekommen, aufgeleckt und eingesaugt...

Chas schluckte den Kloß, der ihm im Hals steckte, herunter. Selbst jetzt noch, über einen Monat danach, überkamen ihn immer noch Scham und das Gefühl der Erniedrigung so stark, dass ihm übel wurde. Wie hatte er nur so entartet sein können, so verkommen, dass er einer Dienstmagd des Teufels gestattete, ihn zu beherrschen?

Aber hier gab es noch eine weitere Versuchung ... eine noch größere. Narcise war jenseits von schön ... sie war auch klug und stark. Und sie war bei ihm geblieben, als er fast gestorben wäre.

Um Himmels Willen, sie hatte ihn sogar missbraucht ... aber um ihm das Leben zu retten.

Was für eine Kehrtwende, für eine Drakule.

Ein tiefes, kleines Beben erfasste ihn, und er schloss die Augen. Nein. Nicht sie.

Und doch ... er konnte die Finger nicht von ihr lassen. Es war, als würde ein Magnet seine Hand führen, seine Finger und auch seine Aufmerksamkeit. Und immer hin zu ihr.

Erst, als er eine schwere Strähne ihres Haars aus dem Gesicht an der Schläfe nach hinten gelegt hatte, wachte Narcise auf. Sie öffnete die Augen, und sobald ihre Augen ihre Umgebung scharf wahrnahmen, war auch alle Schläfrigkeit dahin. Sie blitzten überrascht auf, und dann wurden sie misstrauisch, als sie mit einem kleinen Zucken hochschreckte ... und kurz darauf dann war ihr Gesichtsausdruck auch nur noch Verwirrung.

Sein Herz hämmerte, und Begehren ließ ihm Magen und Eingeweide erschauern.

Ihre Augen waren jetzt farblos und dunkel in diesen Schatten, und er blickte ihr tief in die Augen, als er das einzige tat, woran er in dem Moment denken konnte ... er kam langsam näher, glitt mit seiner Hand hinter ihr Ohr und bedeckte dann ihren Mund mit seinem.

Obwohl Lust sich wie ein rasendes Feuer in ihm ausbreitete, explodierte, ließ sich Chas mit diesem Kuss viel Zeit ... er begegnete ihren Lippen ganz zart, bog sich sanft in sie hinein, bewegte seine in kleinen, erregenden Kreisen an ihren entlang.

Sie gab einen weichen Laut von sich und wollte ihren Kopf wegdrehen, aber er glitt mit seinen Fingern fester um ihren Nacken und zog sie an sich, ging tiefer in den Kuss hinein und lockte sie mehr. Er glitt mit seiner Zunge in ihren warmen, feuchten Mund, entzog sich ihr und kehrte zurück, indem er an ihren Lippen knabberte, wo er sie mit seiner Zunge in den Mundwinkeln neckte. Sie zitterte, und ... endlich küsste auch sie ihn, und legte ihre Hand auf seine Brust ... nicht um ihn wegzuschieben, wie sie es gestern Nacht getan hatte, als er sie gegen die Wand presste, nein, sondern um ihre Finger in dem Tuch dort zu vergraben.

Er wollte sie, aber er hatte es nicht eilig, und so ging dieser Kuss weiter und weiter und weiter ... tief und lang, und dann zärtlich und verführerisch, als sie Geschmack und Textur des anderen erkundeten.

Als sie ihm dann schließlich das Gesicht entwand, sah er, dass sie weinte. Dass eine kleine silbrige Spur, ihr aus dem Augenwinkel geglitten war und in dem Haar an ihrer Schläfe wieder verschwand.

Schmerz stach in ihn und Angst ergriff Besitz von ihm, und er löste sich sofort von ihr. „Was ist? Narcise?“

Gütiger Gott, das hier hatte er nun nicht gerade erwartet, von einer so starken, verführerischen Frau, wie sie es war.

Sie wischte sich die Tränen ab und wandte ihm nun ihre unglaublichen, blauvioletten Augen zu. Es war jetzt hell genug im Zimmer, so konnte er erkennen, wie sie vor Schmerz und Trauer fast überflossen, aber sie lächelte tapfer. „Es ist schon sehr lange her, dass ich jemanden geküsst habe.“

„Das tut mir Leid“, sagte er verunsichert und spürte, wie sich etwas Weiches in ihm entfaltete, aufblätterte. Es war nicht schwer gewesen, sie sich als eine harte, berechnende Frau vorzustellen, die jeden Mann haben – und auch beherrschen – wollte, der ihr nur über den Weg lief. Aber dieser Ausdruck hier jetzt in ihrem Gesicht, das war nichts anderes als ein gebrochenes Herz.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem trockenen Lächeln. „Es muss dir nicht Leid tun, dich trifft keine Schuld.“ Ihr Blick wanderte rasch weg, und Chas begann, sich langsam von ihr zu lösen, auf seine Seite des Bettes zurück.

Sie schaute ihn an und streckte die Hand aus, um ihn wieder zu sich zu ziehen. „Küss mich noch einmal.“

Er tat ihr den Gefallen, recht glücklich dabei, trotz dieser kleiner Sorge, die ihn irgendwo im Hinterkopf zwickte. Er war gerade dabei zu entdecken, dass es Dinge an ihr gab, die so gar nicht selbstverständlich waren.

Ihre Lippen, so voll und weich, bedeckten seine und fürs Erste hatte er alle Sorgen vergessen. Er zog sie näher an sich, um sie tiefer zu erkunden, schmeckte ein bisschen Salz von ihren Tränen an ihr, und tat, was auch immer in seiner Macht stand, um sie vergessen zu machen, was sie so traurig gestimmt hatte.

In der Zwischenzeit glitt seine freie Hand an die Vorderseite ihres Nachthemds und fand die kleine Schleife dort, die es zusammenhielt. Er löste sie und glitt mit seiner Hand dann vorne an dem offenen Hemd herunter, als er eine kleine Spur sanfter Küsse von ihrem Mund aus legte, bis nach hinten, entlang der zarten Linie von ihrem Kinn und ihrem Kiefer.

Ihr Atem verändert sich, als er eine ihrer Brüste fand, die Finger um sie schloss und das Gewicht davon in seiner Hand ruhen ließ. Ihre Brustwarze stupste ihm gegen den Daumen, und er verweilte dort, massierte sanft diese kleine Spitze, während sie erschauerte und seufzte und ihren Körper näher an seinen rollen ließ.

Seine Hose fühlte sich jetzt sehr eng an, und sein Hemd, heiß und verschwitzt, klebte an ihm, aber er wollte nicht von ihr ablassen, sie loslassen, um beides abzustreifen. Stattdessen löste er die Schleife bei ihr noch weiter und zog ihr das Hemd und auch ihr Mieder noch weiter auseinander, über die Schultern herab, so dass er nach unten frei wandern konnte, und seinen Mund ganz um sie legen. Sie schmeckte süß und warm, kleine Beigaben von Salz und Moschus, und er zog sie tief in seinen Mund, ließ seine Zunge um ihre erregten Brustwarze kreisen. Drum herum, und noch einmal, schnellte mit der Zunge vor und zurück, neckte sie.

Narcise bog sich durch, in seinen Mund hinein, und er fühlte, wie ihre Beine sich an seinen entlang bewegten, eines seiner noch bekleideten Beine zwischen ihren Schenkeln gefangen nahm, und ihn erregte, mit einer gleitenden Bewegung gegen ihn. Er saugte fester an ihr, rhythmisch, jetzt, und sie seufzte, zitterte an ihm, als er ihre Hüften gegen seine zerrte.

Als er sich von ihr löste, um sich das Hemd vom Leib zu reißen, dort auf dem Bett hockte, sah er, dass ihre Augen brannten, rot und orange glühten, und dass die Spitzen ihrer Eckzähne an ihrer Unterlippe zu sehen waren. Lust stach tief in ihn hinein, als er sich vorstellte, wie diese scharfen Spitzen in sein Fleisch hineinglitten, an die explosionsartige Erlösung von brodelnder Lust. Kurz blitzte ein Bild auf, wie sie in ihn biss, schnell, tief, wild, die Zähne in seinen Arm oder seinen Hals schlug, gierig und erregend, wie sie es mit jenem armen Diener gemacht hatte, und er zwang sich wegzuschauen, kämpfte gegen die Versuchung an. Nein.

Lieber Gott, nein.

Ekel ließ seinen Magen wild flattern, Begierde und Lust schwächten ihn, und beinahe hätte er sie weggestoßen, als Narcise nach seinen nackten Schultern griff, ihre Finger dort fest zugreifen ließ. Aber stattdessen, folgte er ihr wieder hinab, sein Oberkörper warm auf ihren Brüsten.

Sie zog ihn wieder auf das Bett hinunter, und er kämpfte gegen die Erinnerung an jene Nacht, die er im Rubey’s verbracht hatte, wo er gebissen wurde, an ihm gesaugt wurde, und schiere rote Lust wirbelte um ihn herum. Sein Körper wollte diese Entladung, sein Schwanz war voll und bereit, das Gefühl von Blut, dass ihr ungehindert in ihren heißen Mund strömte, der Schmerz und die Lust ihres Mundes, erregend und fordernd.

Als Narcises Hand die Knöpfe an seinem Hosenschlitz fanden, spürte Chas, wie sein ganzer Körper sich anspannte, vor Erwartung und um sich noch zurückzuhalten. Sie schlüpfte mit ihrer Hand an dem gelockerten Hosenbund entlang, tiefer, und schloss ihre Finger um seine pochende Erektion, mit ihrem Daumen neckte sie die Spitze, genau wie er mit ihrer angeschwollenen Brustwarze gespielt hatte.

Irgendwie war ihr Hemd weggerutscht, und als nächstes verschwand seine Hose, und dann waren sie Haut an Haut. Seine dunkle Zigeunerhaut, hie und da bedeckt von Haaren, unter der sich kraftvolle Muskeln wölbten, glitt an ihren weichen Kurven aus Elfenbein entlang. Er spürte, sie war bereit, feucht und warm, und er dachte nicht mehr an das Brennen in ihren Augen, als er ihr die Beine auseinanderschob und sie auf sich drauf zog.

Sie ließ sich an die richtige Stelle gleiten, und seine Augen verdrehten sich fast nach hinten, als sie in einem heißen Schaft purer Lust zusammenkamen. Narcise bewegte die Hüften, wiegte sich ein wenig hin und her, und er spürte, wie er sich in sie hinein, nach oben schob, dort sammelte, kurz vor der Erlösung ... und dann beugte sie sich nach vorne, ihre Augen glühten, ihre Zähne lang und spitz.

Chas Herz hämmerte wie wild, sein Hals pulsierte, Hitze raste ihm durch den Körper, als sie sich über ihm bewegte, sich wiegte, entlangglitt und dann mit ihren Händen an seinem Oberkörper hochwanderte, als sie sich über ihn beugte. Seine Haut brannte, seine Finger umklammerten ihre Arme, zogen sie an sich, selbst als er wusste, er sollte sie wegschieben ... aber Lust war jetzt das Einzige hier, und rote Hitze hatte Besitz von ihm ergriffen, und alles, woran er jetzt noch denken konnte, war, wie sie an ihn gepresst war, ihre Brüste gegen seine Brust, ihr Gesicht in seinem Hals vergraben ... er wollte diesen scharfen, stechenden Schmerz.

Nein, dachte er, aber er wollte ihn trotzdem. Als sie sich gegeneinander streckten und aneinander bewegten, zogen sich seine Muskeln zusammen und das Blut pumpte wild durch ihn hindurch, ihr leises Keuchen war warm an seinem Hals, er stellte sich vor, wie sie in seine Haut hineinglitt, stellte sich die lustvolle Explosion vor, die Hitze, die ihr in den Mund strömte, so wie auch er in ihr explodieren würde.

„Narcise“, keuchte er auf, die Lust stieg weiter an, nahm ihm den Atem, das Bett schaukelte und ruckelte unter ihnen. Beiß mich. Nimm mich.

Sie machte eine Bewegung, und für einen kurzen Moment dachte er, sie würde sich von ihm lösen, aber dann waren ihre Lippen wieder an seinem Hals, warm und feucht. Begierde brannte lichterloh in ihm ... ja, ja ... ihre Zunge, glatt und heiß, fuhr an der Sehne entlang, da, an seinem Hals.

Er stieß jetzt schneller zu, hielt sie fest an sich gepackt, kippte den Kopf zu Seite, entblößte seinen Hals und seine Schulter. Bitte.

Nicht. Nein.

Bitte.

Und dann bewegte sie sich, und er fühlte wie ihre Lippen sich weit an ihm öffneten und dann das scharfe Stechen des Schmerzes, kurz und hitzig, und dann die Explosion, als sein Blut hervorsprudelte. Erlösung.

Er schrie leise und gequält auf, als Schauer auf Schauer von Lust über ihn hinwegrollte.

Er explodierte zweimal in ihr drin: in ihren Mund, in den tiefsten Teil ihres Zentrums, als sie noch einmal hinunterstieß und an ihm erschauerte, ihr Gesicht noch immer in seinem Hals vergraben.

Dann ... noch als er gerade wieder irgendwie von dieser Klippe über einem Nichts in die Gegenwart zurückfand, als die Lust in ihm noch immer nachbebte, spürte Chas wie eine Gegenströmung aus Hässlichkeit brodelnd nach oben gelangte. Kleine Stiche, wie von Nadeln an den Bisswunden in seinem Hals, dienten ihm als Erinnerung an seine eigene Verkommenheit, wie er sich der Lust Satans hingegeben hatte.

 

Narcise glitt von ihm herunter, ließ sich wieder auf ihrer Seite des Bettes nieder, wohlig erschöpft. Sie schloss ihre Augen, konnte Chas immer noch auf ihren Lippen und auf ihrer Zunge schmecken, und in ihr zitterte immer noch ein bisschen Lust nach.

Ihr Körper fühlte sich genüsslich gelöst, auf eine Art und Weise, wie sie es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Schon sehr lange. Ihre Vereinigung war leidenschaftlich gewesen, und doch langsam und zärtlich, die Begierde wurde aus ihr herausgelockt, von tief in ihr drin, wo Narcise sie so lange weggesperrt hatte, bis sie jetzt aus ihr hervorgesprudelt war, einer wundervollen Erfüllung entgegen.

Es war so lange her, dass sie wahre, echte Lust empfunden hatte ... und dennoch, trotz der Wahrhaftigkeit darin, ihre Vereinigung mit Chas hinterließ ein Gefühl von Leere in ihr. Verwirrung stritt sich mit Befriedigung, und als sie merkte, wie er sich neben ihr zu rühren begann, war Narcise dankbar für die Ablenkung und öffnete ihre Augen.

Er hatte sich von ihr weggeschoben, lag flach auf seinem Rücken, seinen Unterarm hatte er sich über die Augen gelegt. Seine Brust – glatte Muskeln und dunkle, verschwitzte Haut – hob und senkte sich immer noch, sein Atem rauh. Und ein kleines Rinnsal von Blut rann ihm am Hals hinab und die kleine Kuhle dort unten.

Narcise stellte da fest, dass sie – als Leidenschaft und Erlösung jeden Gedanken in ihr hinweggefegt hatten – sich noch nicht um die Wunde gekümmert hatte. Der Mund wurde ihr wieder trocken in Vorfreude darauf, wieder seine glatte, dunkle Haut zu berühren, das letzte bisschen Salz und Moschus, vermischt mit dem warmen Blut.

Sie stützte sich auf einem Ellbogen ab, näher an ihm dran, und beugte sich über das matt funkelnde Rinnsal. Er erstarrte, spürte wohl ihre Nähe, und sie fasste ihm sacht an die kantige Schulter, als sie sich herabbeugte, um die Bisswunden mit ihrem Mund zu bedecken. Kaum hatte sie begonnen, die Überreste an Blut aufzulecken, als er sich abrupt bewegte. Sein Arm hob sich, und zuerst dachte sie, er würde sie wieder packen und näher zu sich ziehen, aber dann sah sie sein Gesicht. Angespannt und finster und feucht.

Und dann war er auf einmal mit einem Satz aus dem Bett und sprang auf den Tisch zu. Er griff hastig nach der Waschschüssel und übergab sich, wobei sein ganzer Oberkörper sich schüttelte, als er über den Tisch gebeugt dastand. Während sie zusah, neugierig und besorgt, hob er das Gesicht, wischte sich den Mund an seinem nackten Arm ab, und dann – ein einziges Paket von Finsternis und Nacktheit und Muskeln – schritt er zum Fenster und warf den Schüsselinhalt in hohem Bogen hinaus.

Sie zuckte zusammen und hoffte, es war gerade niemand unter dem Fenster, und schwieg einfach weiterhin, während er die Schüssel mit Wasser aus dem Waschkrug ausschwenkte und auch das aus dem Fenster kippte.

Als er mit seiner eigenen Wäsche in der sauberen Schüssel fertig war, drehte Chas sich wieder zu ihr um. Er bemühte sich um einen nichtssagenden Gesichtsausdruck, aber Narcise wurde von der glänzenden Stelle abgelenkt, die sie gerade noch vor einem Moment gekostet hatte.

„Anscheinend habe ich gestern einen Wein oder ein Bier über den Durst getrunken“, sagte er kühl.

„Du musst mir keine Erklärung für deine Unpässlichkeiten abgeben“, antwortete sie und fragte sich, warum er den Eindruck hatte, genau dies tun zu müssen. Und dann gab auch sie eine Entschuldigung in eigener Sache für das Vorgefallene. „Ich hoffe, du hast nicht den Eindruck, dass ich dich mit meinem Bann belegt habe.“

Sein Mund verdrehte sich, als ob er entweder einen Scherz gemacht hätte oder gleich loslachen müsste, und er drehte sich weg, was ihr wieder einen hervorragenden Blick auf seinen langen, schlanken Rücken und die festen, runden Pobacken gab. Sein zerwühltes Haar bedeckte fast seinen ganzen Nacken und bog sich allenthalben frech nach oben, an den Ohren, an seinem Kopf. Ihr fiel natürlich auch auf, was auf seiner Schulter nicht zu sehen war: Das Luziferzeichen.

„Nein, den Eindruck hatte ich nicht“, antwortete er. Sein Blick glitt an ihr hinunter, und Narcise sah, dass auch sie noch splitterfasernackt war, denn während sie sich geliebt hatten, war ihr Hemdchen den Bettdecken und anderen Dingen gefolgt. Überrascht merkte sie auch da erst, dass zum ersten Mal nach einem Koitus, solange sie überhaupt zurückdenken konnte, ihr Körper unversehrt geblieben war und keine Bissspuren oder andere Verletzungen davongetragen hatte.

Chas bewegte sich auf sie zu, seine Augen heiß und dunkel. Und entschlossen. „Aber vielleicht sollten wir es noch einmal probieren“, sagte er, „um uns sicher zu sein.“

Narcise hämmerte das Herz plötzlich, und sie fühlte wie ihr Körper sich in freudiger Erwartung anspannte. „Vielleicht sollten wir das“, erwiderte sie, wobei sie sich fragte, ob sie diesmal diese Leere nicht mehr verspüren würde.

Sie sah, dass er schon bereit für sie war, denn sein Schwanz füllte und hob sich schon, und seine Augen brannten auf ihre eigene sterbliche Weise. Aber sie war nicht darauf gefasst, dass er sie umdrehte, so dass sie von ihm wegsah. Er schob sie langsam Richtung Bett, sanft aber bestimmt, bis die Vorderseiten ihrer Schenkel dagegen stießen.

„Mein Gott“, sagte er, als er ihr das Haar von den Schultern und aus dem Nacken zog. Seine Finger huschten sachte über die schwachen Erhebungen von Luzifers Zeichen.

Es entsprang auf der rechten Seite unter ihrem Haar und wanderte dann hinten an ihrer Schulter herunter, bis knapp über das Schulterblatt: gekräuselte, wurzelähnliche Ranken. Ihres war weicher von Gestalt und von hellerer Farbe als andere, die sie gesehen hatte; von denen die meisten wie zersprungenes Glas aussahen.

„Tut es weh?“, fragte er und strich immer noch sanft über das Mal. Seine Stimme in ihrem Ohr zu hören, zauberte tiefere, zärtlichere Schauer an ihrem Hals herunter.

„Jetzt nicht“, sagte sie ihm, wobei sie ihre Arme nach oben bog und nach hinten, um ihn am Hinterkopf zu fassen. Seine Haare flossen ihr um die Finger, warm und schwer, und als sie mit ihren Fingern durch seine Locken fuhr, strömte eine neue Wolke von seinem Duft durch das Zimmer.

„Ich habe Dimitris Mal gesehen“, bemerkte Chas, der jetzt mit seinen Händen an den Kurven ihres Oberkörpers entlangglitt, während er sich direkt hinter ihr positionierte. „Es ist dick und schwarz und wütend, als wäre es mit dem puren Bösen gefüllt.“

Narcise hätte ihm vielleicht etwas geantwortet, wenn er da nicht gerade mit den Händen nach vorne gegriffen, ihre Brüste umfasst hätte, und wenn er dann nicht begonnen hätte, ihre Gedanken etwas aus der Bahn zu werfen, indem er seine Daumen über ihre Brustwarzen spielen ließ.

Er liebkoste sie zu einer Seite an ihrem Hals, seine Lippen voll und die Spitze seiner Zunge ein zärtliches, feuchtes Necken, das ihr wieder und wieder sanfte Schauer durch den Körper sandte. Narcise fiel noch verschwommen ein, dass es diesmal keinen scharfen Schmerz, kein rasches Hineingleiten von Zähnen, kein erlösend sprudelndes Blut aus ihren Venen geben würde, und das war seltsam ... aber auch willkommen.

Aber als er sie sanft auf das Bett schob und dann nach vorne griff, seine Hand dort auf sie legte, seine Finger die Tiefen ihrer Scham erkundeten, um auch sicher zu sein, sie war ebenso bereit für ihn, wie er es für sie zu sein schien, da ging ihr auf, was er mit ihr so wollte. Ihr Gesicht – und damit auch ihren Blick – von sich weg.

Narcise hätte verletzt sein können, oder auch verärgert, aber als er sich tief hineinschob, hieß ihr Körper ihn willkommen, und all ihre Gedanken kreisten nur noch um diesen köstlichen Rhythmus der Lust zwischen ihnen.

Und als sie sich nach hinten wölbte und erbebte, als sie sich hart rückwärts in seine Hüften hineinstieß, ihre Hände ausgestreckt vor sich zur Stütze auf dem Bett, entrang sich ihm ein tiefes Stöhnen, leise an ihrem Ohr, und er stieß ein letztes Mal kraftvoll zu. Sie spürte, wie er sich entlud, Erlösung fand, und gestattete dann ihren Armen loszulassen, so dass sie mit dem Gesicht nach vorne auf der Matratze zusammenbrach.

Chas folgte ihr, und als er sich aus ihr herauszog, glitt er mit der Hand an ihrem Rücken entlang, nach unten, streichelte ihren Hintern und kam neben ihr zu liegen.

Narcise lag einen Moment lang da, und als die letzten Wonneschauer der Lust abgeebbt waren, dachte sie darüber nach, was zwischen ihnen vorgefallen war ... an jede Einzelheit.

Er hatte sie geküsst. Er hatte diesen ganzen Zwischenfall ausgelöst, indem er sie geküsst hatte ... so intim, so zärtlich, so lange und so umfassend und so ganz ohne ein Bedürfnis nach Kontrolle oder Herrschaft über sie ... und sie hatte ihn gewähren lassen. Sie hatte ihn Dinge tun lassen, die sie vor ihm nur Giordan gestattet hatte. Tat sie das, weil sie die Erinnerungen daran und ihren Kummer vergessen wollte?

Aber sie wollte jetzt nicht an Giordan denken. Er hatte keinen Platz in ihren Gedanken, in ihrem Leben, hier an diesem Ort mit Chas Woodmore.

Und doch... „Gehen wir nach London?“, fragte sie. Hatte Cezar nicht erwähnt, dass Giordan in London war? Das Herz zog sich ihr zusammen, und sie zwang sich, an nichts zu denken.

„Sobald ich die nötigen Vorkehrungen getroffen habe“, antwortete Chas.

Sie schaute ihn an und ihr fiel auf, dass sein Gesicht im Vergleich zu vorher fast genauso angespannt aussah – trotz zweier Runden Koitus. „Ist etwas nicht in Ordnung? Warst du diesmal denn nicht glücklich, dass ich dich nicht mit meinem Bann belegt habe?“

Der Kummer – und vielleicht auch Scham – stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich ficke nicht mit Vampiren“, sagte er ihr rundheraus. „Weil ich nicht gerne kontrolliert werde.“

Narcise schob sich von ihm weg, als die Wut in ihr hochkochte. Das war ihr ein willkommenes Gefühl, denn es trat an die Stelle dieses weicheren, verwirrten Gefühls von vorhin. „Aber anscheinend fickst du Vampire doch, Chas, denn genau das hast du gerade getan. Zweimal.“

„Ich weiß“, sagte er, und ein hundelender Ausdruck huschte ihm kurz über das Gesicht. Dann war es wieder kalt und ausdruckslos. „Es war ... unglaublich. Du bist unglaublich, Narcise, und wenn ich dafür auch in der Hölle schmoren werde, ich kann dir nicht fernbleiben.“ Er stand von dem Bett auf, seine Bewegungen abgehackt und hastig. „Ich kann die Finger nicht von dir lassen und auch nicht aufhören, an dich zu denken.“

Und während sie ihm zusah, verwirrt und wütend, zerrte er sich die Hose über die Hüften, zerriss fast den Stoff, zwängte sich in seine Stiefel und hob das Hemd auf, das er vorher irgendwohin geworfen hatte. „Egal, wie sehr ich es auch versuche“, sagte er, die Lippen fest zusammengepresst, „ich kann aus dir nicht den bösen, manipulativen Dämon machen, als den ich dich gerne hätte.“

„Aber warum würdest du so etwas wollen?“, fragte sie, verletzt, aber wider Willen auch fasziniert. Sie fing an zu begreifen, dass sich seine Wut nicht gegen sie, sondern gegen ihn selbst richtete.

„Dann könnte ich dich töten, verflucht noch mal.“ Er war nur noch rasende Wut, als Chas aus dem Zimmer schritt, in der Hand immer noch das zerknitterte Hemd.

*

Er kehrte erst eine ganze Weile nach Sonnenuntergang zurück, und diesmal stank er nicht nach Alkohol. Sie hatte den Tag damit zugebracht, die Aussicht vor ihrem Fenster zu malen, und verwendete hierzu die Stifte und das Papier, die sie arglosen Ladeninhabern abgeluchst hatte – oder sich über Philippe verschafft hatte – während Chas noch im Fieberwahn darniederlag.

Als er in das Zimmer kam, schaute sie kurz hoch und wandte sich dann wieder ihrer Zeichnung zu. Der größte Teil von Notre-Dames Türmen waren von ihrem Fenster aus zu sehen, und trotz der feinen Ironie, dass ein Vampyr, eine böse, verlorene Seele, einen so heiligen Ort malte, hatte Narcise sich bei der Zeichnung viel Mühe gegeben. Jetzt, da es schon dunkelte, zeichnete sie aus dem Gedächtnis weiter.

Der Kaiser hatte befohlen, das Gebiet um die berühmte Kirche von alten Gebäuden zu befreien, und auch von den Müllbergen und dem Abfall, die sich dort während der Revolutionsjahre und der damit einhergehenden Verwahrlosung angesammelt hatten. Alles natürlich für seine bevorstehende Krönung. Er bestand darauf, dass die Straßen um die Kathedrale herum gesäubert und verbreitert wurden, denn seine Krönung würde in dieser Kirche stattfinden. Soldaten und Arbeiter von der Stadt hatten schon den ganzen letzten Monat für dieses Ereignis geschuftet, und man rechnete damit, sie würden noch gut bis in den August brauchen, bevor sie damit fertig waren ... oder Narcise hatte zumindest gehört, wie er sich darüber bei Cezar beschwerte. Deswegen hatte man die Krönung auf den frühen November verschieben müssen.

„Wir verlassen morgen Paris“, sagte Chas und ließ sich schwer auf das Bett fallen. „Ich habe alle Vorkehrungen getroffen.“

Sie nickte kurz, aber versenkte sich weiterhin in ihre Arbeit, wobei sie versuchte den Stachel Angst in ihrem Bauch zu ignorieren.

„Dein Bruder lässt die ganze Stadt nach uns absuchen“, fuhr er fort. „Aber er ist sich nicht einmal sicher, ob wir überhaupt noch zusammen sind. Das können wir zu unserem Vorteil nutzen. Wir müssen tagsüber aufbrechen, also habe ich Vorsichtsmaßnahmen für dich getroffen. Du wirst einen Karren fahren, mit einem Sarg hinten drauf ... in dem ich liegen werde – ein Opfer der Pest. Ich werde den Sarg mit altem Fleisch auslegen, um viele Fliegen anzulocken, und damit er auch stinkt, und werde auch deine Taschen damit füllen. Du wirst dich als eine alte Frau verkleiden, mit einem großen Hut und Handschuhen, um dich vor der Sonne zu schützen, und du wirst deinen verstorbenen Ehemann zur Beerdigung aufs Land fahren.“

Schweigen senkte sich über beide, nur unterbrochen von den entfernten Schreien von der Straße unten her und vom Tosen rauhen Gelächters von der Schenke unter ihnen. Ihr Bleistift kratzte leise über das Papier, als sie einen der viereckigen Türme schattierte.

„Ist es immer noch dein Wunsch, nach London zu gehen?“

Da legte sie ihren Bleistift auf dem Papier ab und drehte sich, um ihn anzusehen. „Nur wenn du meine manipulative, böse Gesellschaft erträgst“, sagte sie steif.

Sein Gesicht verzog sich angespannt. „Narcise, es tut mir Leid, wenn ich dich verletzt habe, aber bitte versteh, ich verbringe mein Leben damit, Drakule zu jagen und zu töten. Ich finde nicht oft einen, der es wert ist, gerettet zu werden.“

Sie warf den Kopf zurück und schaute wieder auf ihre Arbeit, die von einer Lampe neben ihr erleuchtet wurde. Zu ihrem Entsetzten merkte sie, wie es vor ihren Augen verschwamm, und wütend blinzelte sie, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie hatte seit Jahrzehnten nicht mehr geweint, und in dieser letzten Woche waren ihr gleich dreimal die Tränen gekommen. Wurde sie allmählich schwach und sentimental?

„Narcise“, sagte er, seine Stimme war jetzt sanfter. Er stand auf und kam hinter ihr zum Stehen, seine Finger streichelten ihr sachte über das Haar. „Du hast mein Leben gerettet. Du bist bei mir geblieben, als du hättest gehen können. Ich war ein Idiot, als ich dir jene Dinge heute sagte. Es ist nur ... ich fange an, Gefühle für dich zu entwickeln, und es ist nicht das, was ich erwartet habe.“

Sie drehte sich um, um ihn anschauen zu können, und konnte da die Trostlosigkeit in seinem Gesicht sehen. „Es tut mir Leid, dass dir das so schwer fällt“, sagte sie, keinerlei Emotion in der Stimme.

Er zuckte mit den Schultern, ein reumütiges Lächeln um seine Lippen. „Mir tut es auch Leid. Narcise, verzeih mir.“ Er holte tief Luft und sagte, „ich werde dafür sorgen, dass du sicher bist. Ich habe einen geheimen Ort, einen kleinen Landsitz in Wales, wo du dich verstecken kannst... Wo niemand dich finden wird.“

Sie schaute ihn an, und das Herz hüpfte ihr etwas. Wales war weit weg von London, so viel wusste sie. „Ja“, sagte sie und wusste, man konnte ihr die Gefühle, ihr Herz, jetzt an den Augen ablesen. „Ich danke dir, Chas.“

Er zuckte wieder leicht mit den Schultern und sagte, „und vielleicht wirst du mir erlauben, für eine Weile bei dir zu bleiben.“ Sein Grinsen saß etwas schief.

„Natürlich“, sagte sie und lächelte zurück.

Sein Blick verdunkelte sich und seine Lippen öffneten sich leicht. „Du bist eine so wunder-, wunderschöne Frau“, flüsterte er. „Möge Gott mir beistehen.“

Er griff nach ihrer Hand, und sie stand von ihrem Stuhl auf, und zum ersten Mal verspürte sie Trost und Sicherheit überall um sich. Sie vertraute ihm und, irgendwie, vertraute er ihr jetzt auch.

Und wenn ihnen die Flucht aus Paris gelang, dann würde sie die Chance haben, für immer frei von Cezar zu sein.