Alltag eines Berufshumoristen

 

 

Die abschließende Geschichte verlangt eine juristische Klarstellung: »Jede Ähnlichkeit mit einer tatsächlich lebenden Person und mit tatsächlich erfolgten Geschehnissen ist beabsichtigt.« Vielen Dank.

 

Der Berufshumorist erwachte wie gewöhnlich in übler Laune. Er hatte im Traum eine traumhaft humorvolle Geschichte geschrieben und gerade als es zur Pointe kam, war er aufgewacht.

Mit einem bitteren Geschmack im Mund erhob er sich vom Lager. In der letzten Zeit wollte nichts mehr klappen. Vergangene Woche zum Beispiel, während er auf der Couch lag und vor sich hindöste, hatte er eine wirklich lustige Szene zu konstruieren begonnen – und gerade als es zur Pointe kam, war er eingeschlafen.

Kein Zweifel, es ging bergab mit ihm. Auch die Vitamintabletten, die er seit einem Monat einnahm, halfen nichts. Erst vor wenigen Tagen hatte ihm der Feuilletonredakteur der Zeitung, die seine Beiträge bisher unbesehen zu drucken pflegte, ein Manuskript zurückgeschickt, eine ausgezeichnete Satire über einen Steuerträger, der sich genau an den statistisch errechneten Lebenskostenindex seiner Einkommensklasse hielt und dessen Skelett noch immer nicht identifiziert war. Der Redakteur fand, das sei keine Satire, sondern eine Reportage und in keiner Weise komisch.

Das wagte man ihm zu sagen! Ihm! Nach zwanzigjähriger Tätigkeit in der Humorindustrie!

Er begann, sich anzukleiden. Selbstverständlich machte der Gummizug seiner Unterhose schlapp, und der Knopf seines Hemdkragens blieb ihm in der Hand.

Nun, so etwas muß man ausnützen. Er wird sofort eine Serie über die Tücken der Unterwäsche schreiben, betitelt: ›Neues aus der Unterwelt‹. Jetzt gleich. Er setzt sich hin und greift nach dem Notizbuch, in dem er – streng nach Sachbegriffen geordnet – seine Einfälle festhält. Unterwäsche und Oberhemd. Die obere Unterwäsche. Wäre kein schlechter Reklameslogan für eine Modefirma. Vormerken. Welch ein Beruf…

Es ist nicht seine Schuld. Der Miniatur-Computer in seinem Gehirn arbeitet ohne Unterlaß, registriert Eindrücke und Einfälle zu Geschichten und Gedichten und Witzen und Spitzen, verarbeitet sie sogar im Schlaf und in mehreren Sprachen und läßt sich nicht abstellen.

Der Berufshumorist setzt sich an den Frühstückstisch und dreht das Radio an. Er nimmt den Kaffee ohne Zucker, aber dafür mit drei verschiedenen Pillen, einer braunen, einer blauen und einer gelbrotgestreiften, die es ihm ganz besonders angetan hat. Ein vorzügliches Medikament. Höchste Zeit, daß man eine passende Krankheit dafür findet.

Er macht sich daran, diesen witzigen Einfall in der Rubrik »Heilmittel« seines Notizbuchs zu vermerken, und entdeckt, daß er ihn bereits vor Jahresfrist in der Rubrik »Krankheiten« notiert hat. Wieder einmal zeigt sich, wie stark er unter seinem eigenen Einfluß steht.

Im Rundfunk wird gerade eine antiisraelische Erklärung von Präsident Pompidou verlautbart. Der Berufshumorist nimmt sie erleichtert zur Kenntnis. Er hat im Vertrauen darauf, daß Herr Pompidou eine komische Figur ist, erst gestern abend ein satirisches Telefongespräch zwischen dem Franzosen und Kossygin an sein Blatt geschickt und war von großer Angst geplagt, daß Herr Pompidou über Nacht seine Haltung ändern und proisraelisch werden könnte. Dann wäre die ganze Geschichte in der Luft hängen geblieben.

Und nicht zum erstenmal. Dergleichen passiert ihm immer wieder. Die Kerle schwenken um und demissionieren und putschen vollkommen planlos. Niemand nimmt Rücksicht auf ihn.

Die Nachrichten werden von einer weiblichen Stimme durchgegeben, in deren Besitzerin er seit langem verliebt ist. Er hat sie nie gesehen. Aber eine so miserable Sprecherin wie sie muß über aufregende Vorzüge verfügen, sonst würde man sie nicht im Rundfunk beschäftigen. Vielleicht gibt das eine Kurzgeschichte. Oder sogar einen Film. Da müßte sich herausstellen, daß sie zwar eine schlechte Sprecherin und eine häßliche Ziege ist, aber die Nichte des Intendanten. Beißende Gesellschaftskritik. Kenntwort »Establishment«.

Der Berufshumorist begibt sich auf den ärztlich vorgeschriebenen Spaziergang, ein kranker Geist in einem kranken Körper. Die Sonne brennt ihm auf den Schädel. Das macht sie mit Absicht. Trägt die Sonne eigentlich Sonnenbrillen? Der Computer scheint einen Hitzschlag erlitten zu haben, anders läßt sich dieser Einfall nicht erklären.

Der Griff nach dem Notizbuch erstirbt auf halbem Weg.

Ein beleibter Passant stößt mit dem Humoristen zusammen, tritt ihm aufs Hühnerauge und entschuldigt sich nicht. »Asesponem!« zischt der Humorist hinter ihm her. Er liebt jiddische Schimpfwörter. In seinem Notizbuch stehen sie in einer eigenen Rubrik: Ganef, Miesnik, Schlemihl… Ist Asesponem eine Figur aus Peer Gynt? Der Computer scheint noch immer nicht in Ordnung zu sein. Dafür schmerzt das Hühnerauge.

Während er die Straße überquert, betrachtet der Humorist seine Schuhe und überlegt, ob sie gelegentlich miteinander sprechen:

»Was ist Ihr Beruf, mein Herr?«

»Ich bin Sämischlederschuh.«

»Und Ihre politische Überzeugung?«

»Ich war immer links.«

Aufschreiben, rasch aufschreiben –

Zu spät. Auch für das Auto, das unter ohrenbetäubendem Kreischen seiner Bremsen versucht, ihn im letzten Augenblick nicht zu überfahren, war es zu spät. Während er fällt, flitzt ihm noch ein witziges Wortspiel über die Wechselbeziehung zwischen Fahrzeug und Gehzeug durch den Kopf – dann liegt er da.

Ein Knabe, sommersprossig und borstigen Haars, hüpft über ihn hinweg und grinst ihm unverfroren ins Gesicht, der kleine Sadist. Man müßte eine der vielen überflüssigen Jugendzeitschriften um eine Beilage »Der kleine Sadist« bereichern. So ähnlich wie »Der kleine Laubsägen-Ingenieur«, »Der kleine Hausarzt« und was einem sonst noch einfällt.

Aber es fällt ihm sonst nichts mehr ein. Er ist bewußtlos geworden.

Auf der Erste-Hilfe-Station kommt er wieder zu sich und denkt vergebens darüber nach, warum es keine Zweite- und keine Dritte-Hilfe-Station gibt. Sein Kopf schmerzt. Seine Glieder schmerzen. Und was das schmerzlichste ist: all die brillanten Einfälle, die er während des Unfalls hatte, sind vergessen, all seine Unfallseinfallsquellen versiegt.

Übrigens ein ausgezeichneter Stoff für eine Humoreske: Jemand wird überfahren, die Sinne schwinden ihm, und während er ohnmächtig daliegt, träumt er ein komplettes dreiaktiges Drama, an das er sich aber nach dem Erwachen nicht mehr erinnern kann. Als er vor Schmerzen neuerlich in Ohnmacht fällt, ist auch das Drama sofort wieder da, komplett mit sämtlichen Aktschlüssen, und nachher ist es wieder weg. In seiner Verzweiflung kehrt er an die Unfallstelle zurück, läßt sich nochmals überfahren, wird ohnmächtig…

»Stöhnen Sie nicht so jämmerlich, Mann«, sagt der Doktor.

»Ist ja alles nur halb so schlimm.«

 

Tatsächlich wurde er nach wenigen Stunden in häusliche Pflege entlassen, und am nächsten Tag war er bereits so weit, daß er eine kleine Geschichte über den Alltag eines Berufshumoristen schreiben konnte.