Ein Vorschlag, Vorschläge zu machen

 

 

Vermutlich wird die folgende paramedizinische Abhandlung nur von jenen verstanden werden, die mit unserer Wesensart intim vertraut sind. Die Diagnose der in Rede stehenden Krankheit lauteta: »Pathologische Neigungen des durchschnittlichen israelischen Bürgers zur Erzeugung wuchernder Abmachungen ohne Substanz«. Es scheint, daß die Keime dieser Krankheit noch im vorigen Jahrhundert von den ersten Siedlern eingeschleppt wurden, und sie haben sich seither prächtig entwickelt.

 

Wenn ich nicht irre, geschah es während einer Theaterpremiere der Saison 1954/55. Ich stand während der Pause am Büffet, als Stockler auf mich zukam:

»Hören Sie«, sagte er. »Wir müssen uns unbedingt treffen. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Wenn’s Ihnen recht ist, rufe ich Sie morgen an. Oder besser Dienstag. Okay?«

»Okay«, gab ich gelassen zurück, ohne ernsthaft damit zu rechnen, daß er mich anrufen würde. Ich kenne Stockler nur flüchtig, eigentlich nur dem Namen nach. Er steht im Ruf, ein Schnittlauch auf allen möglichen Suppen zu sein, alle möglichen Leute zu kennen und alle möglichen Geschäfte zu machen. Mehr weiß ich nicht von ihm. Wenn er mir etwas vorschlagen will und wenn’s ein guter Vorschlag ist – warum nicht.

Aber es kam kein Anruf von Stockler.

Einen Monat später sahen wir einander durch Zufall auf der Straße. Sofort hielt er mich fest:

»Für Sie habe ich etwas sehr Interessantes. Wir müssen zusammenkommen und die Sache in Ruhe besprechen. Stehen Sie im Telefonbuch?«

»Ja.«

»Fein. Dann rufen Sie mich Mitte nächster Woche an.«

Daß ich ihn Mitte nächster Woche nicht anrief, lag an technischen Ursachen, deren Schilderung hier zu weit führen würde. Hier ist lediglich zu vermerken, daß ich Stockler mitsamt seinen Vorschlägen längst vergessen hatte, als er, im August 1956, unvermutet bei mir anrief:

»Ich wollte Sie schon die ganze Zeit anrufen, um Ihnen etwas vorzuschlagen. Sind Sie um die Mittagszeit erreichbar?«

»Immer.«

»Gut, dann werde ich Sie anrufen.«

Da ich am nächsten Tag für eine Woche verreiste, weiß ich nicht, ob er mich wirklich angerufen hat. Jedenfalls war es erst gegen Ende 1957, daß er sich auf einer Cocktailparty bei Zieglers an mich heranpirschte.

»Ich bin soeben aus Frankreich zurückgekommen«, raunte er, während er mich in eine stille Ecke zog. »Ich habe einen interessanten Vorschlag für Sie. Wir müssen irgendwo eine stille Ecke ausfindig machen und über die Details sprechen.«

»Wie Sie meinen.«

»Einverstanden. Wir telefonieren noch miteinander.«

Es folgte eine Zeit völliger Kontaktlosigkeit. Sie dauerte bis zum Herbst 1959. Dann meldete sich plötzlich Stockler am Telefon und wollte meine Telefonnummer wissen, weil er etwas Wichtiges mit mir zu besprechen hätte. Ich stimmte zu. Wir vereinbarten, daß an einem der nächsten Tage entweder er mich oder ich ihn anrufen würde, um eine Zusammenkunft zu verabreden. Damit verlor sich seine Spur aufs neue.

Um die Mitte des Jahres 1963 sah ich Stockler auf einer Kaffeehausterrasse sitzen, offenbar in Gedanken versunken und den vor ihm stehenden Tee pausenlos umrührend. Ich trat auf ihn zu und stellte mich vor. Er freute sich, meine Bekanntschaft zu machen und gab mir zu verstehen, daß er mich ohnedies hätte anrufen wollen, um mir eine sehr interessante Sache vorzuschlagen. Am besten, sagte er nach kurzer Überlegung, am besten wäre es wohl, wenn wir uns auf einer Kaffeehausterrasse zusammensetzen und die Angelegenheit in Ruhe besprechen könnten. Wir müßten nur noch einen geeigneten Zeitpunkt fixieren. Zum Schluß verblieben wir so, daß er mich am Freitag anrufen würde. Bis dahin war er beschäftigt und hatte keine Zeit.

Im Mai 1966 begegneten wir einander in einem Philharmonischen Konzert, konnten aber nur wenige Worte wechseln, weil die Musik zu laut war.

Einigen Andeutungen, die er mir voriges Jahr machte, entnahm ich, daß er mich mehrmals angerufen hätte, aber meine Nummer sei immer besetzt gewesen. Ich empfahl ihm, es in den frühen Abendstunden zu versuchen, womöglich zwischen 6 und 7. Er versprach, sich diesen Zeitpunkt zu merken und fügte hinzu, daß sein Vorschlag mich bestimmt interessieren würde.

Das ist eigentlich das Ende der Geschichte. Kurz nach unserem letzten Gespräch wurde Stockler krank, und etwas später starb er. Ich erhielt die traurige Nachricht durch einen Brief seiner Witwe. Sie berichtete, daß ihr verstorbener Mann noch auf dem Totenbett an mich gedacht und immer wieder von den großen Plänen gesprochen hätte, die er mit mir und nur mit mir verwirklichen wollte.

Gestern nacht, zu ungewohnter Stunde, ging mein Telefon. Ein Fernruf. Es war Stockler.

»Ich habe jetzt etwas mehr freie Zeit«, sagte er mit Grabesstimme. »Und ich möchte Ihnen einen sehr interessanten Vorschlag machen.«

»Ausgezeichnet«, antwortete ich. »Rufen Sie mich bald einmal an.«