Assimilation via Bildschirm

 

 

Der heiß ersehnte Friede in unseren Gegenden wird weder durch die vier Großmächte zustandegebracht werden noch durch den Generalsekretär der UNO, sondern durch die Sexbombe, die im jordanischen Fernsehen als Sprecherin tätig ist. Sie betreibt ihre Hetze gegen Israel so charmant, daß man der jungen Dame am liebsten um den Hals fallen möchte. Wenn wir ihre reizenden Grübchen öfter auf unseren Bildschirmen zu sehen bekämen, würden wir uns über kurz oder lang in die arabische Freiheitsbewegung eingliedern.

 

Wir haben für unser Kind einen Fernsehapparat gekauft.

Als wir vor ein paar Tagen die Stocklers besuchten, hatten sie gerade den Sender Kairo eingestellt, der einen von Katzenmusik nicht übermäßig weit entfernten Chorgesang in den Äther schickte. Die beste Ehefrau von allen setzte sich mit Amir auf den Knien vor den Bildschirm, und es gelang ihr, unserem gebannt zusehenden Liebling, einem der bewährtesten Veranstalter von Hungerstreiks, zwei Butterbrote in den offenen Mund zu stopfen.

»Na, Amirlein?« fragte sie nachher. »Möchtest du, daß Pappi dir auch so einen schönen Apparat kauft?«

»Nein«, antwortete Amir. »Ich will ein Fahrrad.«

Es ist kaum zu glauben. Dieser verzogene Bengel macht mir Vorschriften, was ich kaufen oder nicht kaufen soll. Fahrräder sind bekanntlich zur Förderung der Nahrungsaufnahme völlig ungeeignet. Der Bub würde stundenlang im Garten oder gar auf der Straße herumradeln und wir könnten ihn nur mit größter Mühe wieder ins Haus locken. Außerdem gibt es im Fernsehen das sogenannte »Erziehungs-Programm«. Aber wer hat je von erzieherischen Fahrrädern gehört?

Wir kauften dem Kind einen Fernsehapparat. Wir kauften das neueste und teuerste Modell, mit einer großen Zahl von Knöpfen, Tasten und Monatsraten. Dazu verlangte ich eine entsprechende Antenne und machte dem Verkäufer klar, daß ich ausschließlich das heimische Programm zu empfangen wünschte; an den arabischen Horror-Sendungen wäre ich nicht interessiert.

»Ausgezeichnet, mein Herr«, dienerte der Verkäufer. »Wie recht Sie doch haben. Dann brauchen Sie nur eine kleine einarmige Zimmerantenne.«

Ich entschied mich für eine große fünfarmige Dachantenne. Wer weiß, vielleicht besetzen wir eines Tages Kairo, und da möchte ich für unseren kleinen Liebling das Erziehungsprogramm empfangen können. Vorläufig sind wir auf die israelischen Versuchssendungen angewiesen, die den Fehler haben, sehr kurz zu sein. Am ersten Abend, als wir den Apparat einweihten, wurde im Erziehungsprogramm eine Szene aus einem Theaterstück übertragen. Kaum hatte sie begonnen, läutete draußen der Telegrammbote, und als ich nach Unterzeichnung des Empfangsscheins ins Zimmer zurückkam, war das Erziehungsprogramm vorbei.

Um die fünfarmige Dachantenne zu erproben, schalteten wir einen arabischen Sender ein. Auf dem Bildschirm erschien eine dunkelhäutige, leicht schielende Frauengestalt, die mit schriller Stimme in ihrer Muttersprache darauf loszeterte. In solchen Fällen macht es sich nachteilig bemerkbar, daß ich europäischer Herkunft und mit der führenden Sprache des Vorderen Orients nicht vertraut bin. Meine Sabra-Gattin hingegen lauschte der Sendung fasziniert bis zum Ende. Dann sagte sie: »Ich habe kein Wort verstanden. Es war leider Schriftarabisch.«

Als nächstes bekamen wir einen gutaussehenden Herrn vorgesetzt, der zur Begleitung eines vielköpfigen Orchesters und unter leichtem Schielen unausgesetzt schluchzte, immer auf dem gleichen Ton, nur mit gelegentlichem Wechsel der Lautstärke. Ich kam mir allmählich ein wenig idiotisch vor. Was trieb mich denn, mich, einen von abendländischer Kultur geprägten Intellektuellen, meine kostbare Zeit an kreischende Eingeborene zu verschwenden? Ich verließ den Apparat und den Raum, zog mich in mein Arbeitszimmer zurück und kam erst zur Nachrichtensendung wieder. Jetzt zeigte sich, daß wir eine Sendung aus Amman, der Hauptstadt des haschemitischen Königreichs, erwischt hatten. Wir erkannten das daran, daß der Sprecher mehrmals mit devotem Aufschlag seiner schielenden Augen den Namen König Husseins erwähnte. Dann schien er sich an uns zu wenden, denn er gebrauchte häufig das Wort »Yezrailin« und bei jedem Gebrauch sprühten Flammen des Hasses aus seinen Augen. Dabei sah er mir direkt ins Gesicht, oder vielleicht jemandem hinter mir, es war schwer zu entscheiden.

»Was sagt er denn?« fragte ich meine Frau.

»Keine Ahnung«, erklärte sie. »Ich verstehe ihn nicht. Er spricht Schriftarabisch.«

Rätselhaft, warum sie unter solchen Umständen nun schon stundenlang vor dem Bildschirm saß. Wahrscheinlich war der weiche, bequeme Armstuhl daran schuld. Der meinige hatte auf mich die Wirkung, daß ich einschlief.

Ich erwachte mitten in eine Burleske hinein, die ebenso primitiv wie langweilig war. Sie zeigte einen als Frau verkleideten Mann und einen nicht verkleideten im Pyjama, dessen Gattin bald darauf nach Hause kam, worauf der Verkleidete etwas sagte und der im Pyjama auf den Mann, der in Begleitung der Frau gekommen war, heftig einschrie, worauf die beiden – der mit der Frau und der im Pyjama – zusammen abgingen; dann erschien eine ungemein beleibte Dame und rief dem als Frau verkleideten Mann etwas zu, dann kam der Mann im Pyjama zurück, umkreiste die dicke Dame und verfluchte sie fäusteschüttelnd, dann sagte sie etwas, was den als Frau Verkleideten zu einem Sprung aus dem Fenster veranlaßte, und dann verlor ich den Überblick.

Nach zwei Stunden war die Qual ausgestanden. Der Sender Amman entließ mich zu den Klängen der jordanischen Hymne und zeigte mir noch rasch ein überlebensgroßes Portrait von König Hussein. Da es mittlerweile recht spät geworden war, ging ich zu Bett. Im Traum hörte ich das gutturale Schluchzen des schielenden Sängers und sah mich selbst in einer ganz kurzen Sequenz, wie ich die dunkelhaarige Sexbombe verfolgte und immer wieder »Abadan, Abadan!« rief, ich weiß nicht warum, denn ich kenne kein solches Wort.

Am nächsten Tag stellte ich versuchsweise denselben Kanal ein, um meinem Söhnchen die dunkelhaarige Sprecherin zu zeigen. Zu meiner Enttäuschung kam eine andere Dame, die nicht annähernd so überzeugend wirkte, zumal auf ein kleines Kind. Auch sie sprach allerlei unverständliches Zeug und wurde von einer jungen, kaum merklich schielenden Sängerin abgelöst, die mit einschmeichelnder Stimme anti-israelische Wiegenlieder sang, wobei sie auf einer Art plastischer Landkarte stand und das als Israel kenntliche Gebiet mit Füßen trat. Jedes ihrer Wiegenlieder endete mit dem sogar mir verständlichen Ausruf: »Inschallah, töte sie alle!« der von einem unsichtbaren Männerchor lautstark wiederholt wurde:

»Töte sie alle, töte sie alle!«

Zugegeben, der Text war nicht besonders einfallsreich, aber die Melodie ging ins Ohr. Ich versank in tiefen Schlummer, aus dem ich von meiner Frau geweckt wurde. Sie wollte wissen, warum ich im Schlaf immer wieder »Töte sie alle!« gerufen und nachher die Melodie eines Kinderliedes gesummt hätte.

»Wer summt? Ich summe?« antwortete ich in begreiflichem Ärger. »Daschrini, ya hamra!« Das ist arabisch und heißt »Halt den Mund!«

Die arabischen Sender beginnen ihr Programm um 9 Uhr. Am nächsten Tag erschien um diese Zeit der jordanische Ministerpräsident – ein eleganter Mann, ungeachtet seines Schielens –, der mit gutturaler Stimme eine Ansprache an die Beduinengewerkschaft hielt. Er sprach ungefähr eine Stunde, und zwar gegen den Feind, also gegen uns; jedesmal, wenn er »Falastin biladna, vaal Yachud kiladna!« ausrief (was soviel heißt wie »Palästina gehört uns, Tod den Juden!«), fiel ich begeistert in den Applaus ein. Anschließend nahm ich mit großer Freude die Darbietungen eines Streichorchesters entgegen. Jeder dieser Geiger ist ein Virtuose seines Fachs. Und sie alle – einige von ihnen schielen – sind wunderbar aufeinander abgestimmt. Keiner fällt aus dem Rhythmus, der für ungeübte Hörer ohne Dachantenne vielleicht etwas eintönig klingt, aber für Zwecke der Einschläferung geradezu ideal ist. Mit halb offenem Mund und halb geschlossenen Augen saß ich da und merkte gar nicht, daß meine Frau vor mir stand:

»Ephraim«, flüsterte sie angsterfüllt. »Um Himmels willen, Ephraim! Was machst du da?«

Was mache ich da? Ich hielt ein Perlenhalsband in der Hand und ließ die einzelnen Perlen durch meine Finger gleiten, eine nach der andern. Wann ich es meiner Frau vom Hals gerissen hatte, wußte ich nicht mehr. Aber es beruhigt die Nerven…

Seit neuestem ertappe ich mich dabei, wie ich etwas Gutturales vor mich hinsumme. Mein Gewicht nimmt zu. Gestern, während der Rede von Nasser, verzehrte ich mehrere Portionen Humuss mit Burgul und einen Korb Pistazien. Die Rede gefiel mir. Auch Nasser gefällt mir. Mir ist, als wäre er mein Bruder. Dennoch sehnte ich mich nach dem Anblick der Dunkelhaarigen mit den Grübchen, schon um sie endlich meinem kleinen Sohn zu zeigen. Leider erschien an ihrer Stelle abermals die schielende Sprecherin, die ein lustiges Lustspiel ankündigte. Ich lachte mich krank und wollte auch meine Frau an dem Vergnügen teilhaben lassen.

»Weib«, rief ich. »Yah, Weib! Schlabi ktir!«

Ihre Antwort lautete:

»Aiuah!«

In der letzten Zeit schielt sie ein wenig, die Süße. Mich stört es nicht. Wir kommen besser miteinander aus als je zuvor. Vor ein paar Tagen allerdings schrie sie mich zornig an, als ich meine Wasserpfeife auf den neuen Teppich ausleerte. Macht nichts. Dafür beherrscht sie die schwierigsten arabischen Brettspiele. Gestern abend, als wir uns mangels eines arabischen Programms vom Bildschirm abwandten, wo ein dummer amerikanischer Krimi lief, besiegte sie mich dreimal hintereinander.

Ich gehe nur noch in Pantoffeln und sitze mit Vorliebe auf bunten, weichen Kissen.

Meine europäische Herkunft macht es mir schwer, mich richtig und rasch zu assimilieren. Aber mit Allahs Hilfe

 

Ich hoffe es.