New York ist nicht Amerika
Da wir schon in London sind, machen wir einen kleinen Sprung über den Ozean nach New York, dieser Brutstätte des israelischen Imperialismus. Die Gemeinsamkeiten, die Israel mit Amerika verbinden, sind ja wirklich nicht zu leugnen. Nur, daß die Juden dort viel mehr Einfluß haben.
Wenn irgendwo in unserer immer kleiner werdenden Welt ein Staat im Staate innerhalb eines Staates existiert, dann ist es die Stadt New York im Staat New York in den Vereinigten Staaten von Amerika. New York hat mehr Einwohner, mehr Verkehrsunfälle, mehr Ausstellungen, mehr Neubauten und mehr Laster als jede andre Stadt der Welt. Außerdem residieren dort die Vereinten Nationen, Barbara Streisand und der König von Saudi-Arabien. New York reicht bis an die Wolken und ist 24 Stunden am Tag geöffnet. Es gibt nur ein New York. Gott sei Dank.
Die Amerikaner sind auf New York sehr stolz. Kaum hat man es verlassen, um den Rest des Kontinents kennenzulernen, wird man von jedem Menschen, dem man unterwegs begegnet, sofort gefragt:
»Wie gefällt Ihnen Amerika? Und was halten Sie andererseits von New York?«
»Amerika ist reizend«, pflegte ich auf solche Fragen zu antworten, »und New York ist eine liebe, freundliche Stadt.«
Damit wäre das Thema erschöpft und meine amerikanische Karriere so gut wie ruiniert gewesen, hätte sich nicht in Washington, D. C., ein neuer Aspekt ergeben.
Ein gastfreundlicher Bürger dieser verhältnismäßig kleinen
und verhältnismäßig schönen Stadt hatte mich in ein Restaurant mit Klimaanlage eingeladen und stellte die unausbleibliche Frage nach meiner Meinung über Amerika und New York.
»New York ist lieb«, antwortete ich, »wenn auch für meinen Geschmack ein wenig zu lärmend.«
»Augenblick«, bremste mein Gastgeber. »Das muß ich meiner Frau erzählen.«
Er ließ sich das Telefon an den Tisch bringen und kam nach einigen Einleitungsphrasen auf mich zu sprechen: »Sehr nett«, hörte ich ihn sagen. »Und er kann New York nicht ausstehen. Der Lärm dort macht ihn wahnsinnig.« Dann, den Hörer abwartend in der Hand, wandte er sich an mich: »Jeanette will wissen, ob Ihnen nicht auch der Schmutz in New York aufgefallen ist?«
»Und wie! Er ist ekelerregend.«
»Und die nächtlichen Schießereien?«
»Erinnern Sie mich nicht.«
»Meine Frau möchte Sie zum Dinner einladen«, gab er mir nach wenigen Sekunden bekannt.
Das war der Augenblick der Erkenntnis. Sie wurde am Abend, im Hause meines neu gewonnenen Freundes Harry, von den vielen distinguierten Gästen bestätigt, die er mir zu Ehren eingeladen hatte und die mich lauernd umringten, Cocktailgläser in der Hand, stumme Gier in den Augen. »Sagen Sie uns etwas Häßliches über New York«, beschworen mich ihre Blicke. »Sie als Ausländer brauchen keine Rücksicht zu nehmen. Schimpfen Sie!«
Nun, das konnten sie haben. »New York geht einem entsetzlich auf die Nerven«, bemerkte ich leichthin. »Ich könnte es dort keine zwei Jahre aushalten.«
»Noch«, hauchte mit geschlossenen Augen eine der herandrängenden Damen, und »Weiter, weiter!« gurrte eine andere.
»Die New Yorker Männer sind unelegant, unrasiert und geizig. New York ist nicht Amerika.«
»Genial«, stöhnt ein junger Reporter. »Das wird meine Schlagzeile!« Und er enteilte.
Am nächsten Tag sah ich’s balkendick in der führenden Zeitung der Stadt neben meinem Bild prangen:
»ISRAELISCHER GELEHRTER VERABSCHEUT NEW YORKS HYSTERIE«, und als Untertitel: »BEWUNDERT EXQUISITE SCHÖNHEIT WASHINGTONS«.
Die Kunde verbreitete sich wie ein Lauffeuer von Küste zu Küste. Als ich in Houston, Texas, aus dem Flugzeug stieg, erwartete mich eine Schar von minderwertigkeitskomplexzerfressenen Cowboys. Der Führer der Delegation, 1.98 hoch, trat auch mich zu:
»Hey! Sind Sie der tolle Kerl, der überall auf New York schimpft?«
»Hängt davon ab«, antwortete ich. »Was wird hier geboten?«
Geboten wurde eine Suite im Hilton, eine Limousine mit Chauffeur und unbegrenzte Quantitäten von Whisky mit Eis. Dem Gala-Diner, das der Bürgermeister für mich gab, wohnten sämtliche Ölmagnaten der Gegend bei. Sie berührten kaum ihre Steaks. Sie hielten nur ihre Blicke auf mich gerichtet, wortlos, reglos, erwartungsvoll. Ich ließ die Spannung genüßlich ansteigen, ehe ich das Verfahren eröffnete:
»Meine Herren«, sagte ich, »ich möchte Sie keineswegs kränken aber mit New York stimmt etwas nicht. Es ist keine Stadt, sondern eine riesige, übelriechende Haschischkneipe. Es sollte polizeilich gesperrt werden.«
Der donnernde Applaus, der daraufhin losbrach, machte die Rinderherden ringsum erzittern. Und nach meinem Fernseh-Interview (»Der durchschnittliche New Yorker Riese ist 3 Inches kleiner als der durchschnittliche Zwerg in Texas«) konnte ich mich der Einladungen von allen Seiten nach allen Staaten kaum noch erwehren.
Der Mann, der die Sache jetzt in die Hand nahm, hieß Charlie und stellte sich mir mit folgenden Worten vor: »Du bist Olympiaklasse. Höchster Himalaya! Deine New Yorker Masche kommt ganz groß an. Was du brauchst, ist ein Agent. Ich heiße Charlie.«
Wir schlossen einen Vertrag für die Dauer eines Jahres. Charlie ließ sofort einen Prospekt mit Preisliste drucken, der in übersichtlicher Form alles Wissenswerte über mich enthielt:
»Allgemeine Bemerkungen zur Übervölkerung New Yorks: Einladung zum Dinner (sechs Gänge).
Detaillierte Beschreibung des moralischen Zusammenbruchs: Wohnung und Verpflegung für zwei Tage in einem erstklassigen Hotel.
Ausgewählte Beispiele nächtlicher Verbrechen (mit Lichtbildern): sechs Tage in einem Hotel der Luxusklasse. Ermäßigte Gebühren für Vereine. Jeden Mittwoch Matinee. Anmeldung jetzt!«
Das städtische Baseball-Stadion in Los Angeles, wo Billy Graham seine Predigten hält, konnte die Menge kaum fassen. Um die Geduld der Leute nicht unnötig auf die Probe zu stellen, beschränkte sich der Gouverneur von Kalifornien zur Begrüßung auf zwei kurze Sätze: »Unser weltberühmter, weitgereister Freund ist erst vor wenigen Tagen der Hölle von New York entronnen. Hören wir, was er zu sagen hat.«
Ich trat ans Mikrofon:
»Liebe Freunde, beneidenswerte Bewohner der Westküste! Nicht einmal die unvergleichliche Schönheit Ihrer Stadt ist imstande, mich die Qualen vergessen zu lassen, die ich in New York zu erdulden hatte. Aber seit ich hier bei Ihnen bin, empfinde ich keinen Haß mehr gegen dieses moderne Sodom, nur noch Mitleid. Was ist denn New York in Wahrheit? Ein Wolkenkratzer-Slum, ein Asphalt-Dschungel, durchsetzt von stinkenden Sümpfen, in denen die wilden Alligatoren des Gelderwerbs skrupellos über den ahnungslosen Besucher herfallen und ihn zerfleischen, wenn er nicht schon vorher den Giftpflanzen der Korruption und Brutalität zum Opfer gefallen ist…«
So wurde ich zum Dichter. Und als ich noch einige leicht ins Ohr gehende Strophen über die New Yorker Lasterhöhlen und Perversitäten zugab, schloß die Elite von Los Angeles mich vollends ins Herz. Die vornehmsten Kreise rissen sich um mich und hörten mir so lange zu, bis sie meine Texte auswendig konnten und nach New York flogen, um sich ein paar Nächte gut zu unterhalten. Aber ich war längst nicht mehr auf sie angewiesen. Ich war auf Monate ausgebucht.
Eine Schallplattenfirma in San Francisco schlug mir vor, ein Album mit den markantesten Passagen meiner Vorträge herauszubringen, betitelt:
›Ich will New York begraben, nicht es preisen.‹
Charlie war dagegen. Unsere Tournee, so fand er, würde an einer Langspiel-Verfluchung New Yorks schweren Schaden nehmen, weil sich dann jeder Amerikaner für $ 2.99 zu Hause seinen Orgasmus verschaffen könnte. »Die sollen nur schön dafür zahlen«, sagte er.
Ich bereicherte meine Vortragsfolge durch Zitate aus Dantes ›Inferno‹ mit Orgelbegleitung und Schaum vor dem Mund (Technicolor). In Chicago gerieten sie außer Rand und Band über meine apokalyptischen Visionen.
»Die Hölle wird diese Gangsterbrut verschlingen«, jubelten sie. Eine fanatische religiöse Sekte, die sich »The Yorks« nannte, bat mich, die Ehrenpräsidentschaft zu übernehmen. Auch der »United Jewish Appeal« zeigte Interesse an einem Vortragszyklus. Und die Einladungen wollten nicht abreißen.
Bei alledem konnte ich mir im stillen Kämmerlein die Wahrheit nicht verhehlen. In Wahrheit finde ich nämlich New York sehr interessant und reizvoll. Eine wirkliche Weltstadt. Lustig und lebensfroh. Nicht so wie diese armseligen Provinznester, wo der Tag endet, wenn die Sonne untergeht. Wie bitte? Es gibt Gangster und Mörder in New York? Wo, wenn ich fragen darf, gibt es keine? Von einer Stadt mit 12 Millionen Einwohnern kann man nicht verlangen, daß sie ausschließlich von Heiligen und Nonnen bevölkert sei. Natürlich leben dort auch ein paar asoziale Elemente, Rechtsanwälte und Huren. Macht nichts. Sie gehören mit zur vitalen Atmosphäre dieser einmaligen Stadt. Um es rund heraus zu sagen: ich liebe New York.
»New York ist der Mittelpunkt der Welt!« rief ich laut und freudig zur Sonne hinauf. »New York ist großartig! New York ist nicht Amerika!«
»Augenblick«, sagte der freundliche Herr, der neben mir auf der Bank im Central Park saß. »Das muß ich meiner Frau erzählen.«
»Ein Musical am Broadway«, fuhr ich fort (und der herrliche Großstadtverkehr hinter uns auf der wunderbaren Fifth Avenue skandierte meine Worte), »ist mehr wert als sämtliche Rinderherden von Texas und Arizona zusammengenommen!«
»Unsere Frauen«, sagten die New Yorker, »möchten Sie zum Dinner einladen…«
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