Wohin das Hündchen will

 

 

Unsere Sympathie für Elefanten rührt daher, daß wir eine kleine, um ihre Existenz kämpfende Nation – instinktiv die Partei des Schwächeren ergreifen. Wir stellen dabei nur eine einzige Bedingung: der Schwächere muß zimmerrein sein.

 

Zwinji, ein Wechselbalg aus der mongolischen Steppe, wurde eines frostigen Morgens in meinem damals noch sehr gepflegten Garten von mir entdeckt. Es mochte etwa fünf Uhr sein, eine Zeit, zu der die meisten Menschen noch schlafen – mit Ausnahme der Politiker, die sehr früh aufstehen müssen, sonst dreht sich das Rad der Geschichte nicht weiter. Um diese trübe Morgenstunde also hörte ich draußen vor dem Fenster ein leises, verzweifeltes Winseln. Ich zog die Vorhänge beiseite und blinzelte mit schlafverhangenen Augen hinaus. In der Mitte meines – ich wiederhole: damals sehr gepflegten – Gartens sah ich ein sehr kleines Hündchen, das mit sehr kleinen Pfötchen den Garten umgrub und mit sehr großem Appetit das umstehende Gras verzehrte. Das Hündchen war nicht nur sehr klein und sehr weiß, es war auch von sehr unbestimmbarer Rasse und völlig außerstande, seine vier Beine miteinander zu koordinieren.

Ich wollte die Vorhänge wieder zuziehen, um mich ins warme Bettchen zurückzubegeben, aber da war die beste Ehefrau von allen schon aufgewacht und fragte:

»Was ist los?«

»Junges vom Hund«, antwortete ich mißmutig.

»Lebt es?«

»Ja.«

»Dann laß es herein.«

Ich öffnete die Tür zum Garten. Das sehr junge Hündchen trottete in unser Schlafzimmer und pinkelte auf den roten Teppich.

An dieser Stelle möchte ich bemerken, daß ich meine Teppiche nur ungern anpinkeln lasse. Deshalb ergriff ich das kleine weiße Bündel und setzte es im Garten wieder ab. Meine stille Hoffnung war, daß Er, der die Vögel des Waldes ernährt, sich auch um die Hündchen des Gartens kümmern würde.

Er kümmerte sich nicht. Vielmehr stimmte das Hündchen ein durchdringendes Jaulen und Jammern an, was zur Folge hatte, daß aus dem Nachbarhaus Frau Kaminski im Morgenrock herbeigeeilt kam. Nun ist Frau Kaminski im Morgenrock kein besonders schöner Anblick, und was sie uns zu sagen hatte, war auch nicht besonders schön. Das änderte sich jedoch, als ihr Blick auf die Ursache des morgendlichen Lärms gefallen war. In wohlgesetzter Rede versuchte Frau Kaminski uns zu überzeugen, daß wir die kleine Waise unbedingt adoptieren müßten. Sie versäumte nicht, auf die wenig bekannte Tatsache hinzuweisen, daß der Hund ein treues Tier sei, und nicht nur treu, sondern auch klug und reinlich. Man könnte, wie Frau Kaminski ruhig sagte, ruhig sagen: der Hund ist der beste Freund des Menschen; abgesehen, vielleicht, von der Regierung.

»Wenn das alles so ist, Frau Kaminski«, erlaubte ich mir einzuwerfen, »warum adoptieren Sie den kleinen Hund nicht selbst?«

»Bin ich meschugge?« replizierte die Hundeliebhaberin.

»Als ob ich nicht schon genug Sorgen hätte?«

So kam es, daß wir das sehr kleine, sehr junge Hündchen adoptierten. Ein sofort einberufener Familienrat beschloß nach lebhafter Debatte zwischen meiner Frau und mir, dem sehr jungen, sehr kleinen Hündchen den Namen Zwinji zu geben, wegen seiner gesprenkelten Ohren, oder weil es irgendwie nach mongolischer Steppe klang, oder vielleicht aus anderen Gründen, ich erinnere mich nicht mehr.

Zwinji fühlte sich bei uns alsbald wie zu Hause und stahl sich in unsere Herzen. Er war leicht zu verköstigen, weil er alles fraß, was in seine Reichweite kam, Knöpfe, Spagat, Armbanduhren, alles mögliche. Auch liebte er es, kleinere Kadaver aus Nachbars Garten in den unseren zu tragen. Er war uns in rührender Anhänglichkeit zugetan und wedelte mit seinem kurzen Schweifchen vor lauter Freude jedesmal, wenn wir ihn riefen, vorausgesetzt, daß er in unserer Hand eine ungarische Salami sah. In erstaunlich kurzer Zeit hatte ich ihm beigebracht, meinen Befehlen zu gehorchen. Dafür nur einige Beispiele:

»Sitz!« (Zwinji spitzt die Ohren und leckt mein Gesicht.)

»Spring!« (Zwinji kratzt sich den Bauch.)

»Gib’s Pfötchen!« (Zwinji rührt sich nicht.)

Ich könnte noch eine ganze Reihe weiterer Beispiele anführen, aber schon aus den bisherigen geht hervor, daß Zwinji kein blödsinnig dressierter, serviler, mechanisch gehorchender Hund war, sondern ein unabhängiges, selbständig denkendes Lebewesen.

Nur schade, daß er immer auf den Teppich pinkelte.

Er pinkelte immer, und nur auf den Teppich.

Warum? Ich weiß es nicht. Nach den Erkenntnissen der neueren Tiefenpsychologie wäre anzunehmen, daß diese unglückselige Gewohnheit auf ein traumatisches Kindheitserlebnis zurückginge oder auf etwas noch Früheres. Vielleicht ist Zwinji in einem Mohnfeld auf die Welt gekommen und muß deshalb pinkeln, sobald er einen roten Teppich sieht, für den ich ein Vermögen gezahlt habe. Im übrigen bleiben die Ursachen unwesentlich und die Flecken bleiben Flecken.

Ich wollte mich mit Zwinjis sonderbaren Pinkelgewohnheiten nicht abfinden und begann mein wohldurchdachtes Erziehungswerk:

»Es ist verboten, auf den Teppich zu pinkeln«, sagte ich ihm langsam und deutlich, mit lehrhaft erhobenem Finger. »Verboten, hörst du? Verboten! Pfui!« Und nach jedem Zuwiderhandeln wurde meine Stimme strenger und mein Finger erhobener. Andererseits überschüttete ich ihn mit Lob, Liebkosungen und Leckerbissen, wenn er sein Geschäft einmal irrtümlich im Ziergarten vollzog, der auch damals noch einigermaßen gepflegt aussah und erst nach und nach, unter der Einwirkung von Zwinjis kräftig wachsenden Zähnen, zu verwildern begann.

Wahrscheinlich zog Zwinji aus meinen abwechslungsreichen Verhalten den Schluß, daß diese zweibeinigen, bald wütenden und bald zärtlichen Geschöpfe, mit denen er’s zu tun hatte, sehr launenhaft sein müßten…

Wer kennt sich mit den Menschen schon aus.

Da Zwinji nicht imstande war, die primitivsten Gesetze der Hygiene zu begreifen und zu befolgen, mußte ich mir immer neue, immer raffiniertere Erziehungsmaßnahmen einfallen lassen. Ich legte mir eine Art Eskalation zurecht. Als erstes würde ich ihn daran gewöhnen, nicht auf rote Teppiche zu pinkeln, sondern auf andersfarbige, und dann würde ich ihn aus dem Haus locken, so daß er sein Bedürfnis im Freien verrichten könnte, vorzugsweise in den benachbarten Gärten.

Mit diesem Ziel vor Augen bedeckte ich unseren roten Teppich mit einem grauen und stellte für jedes graue Pipi eine Bratwurst als Prämie bereit.

Nach etwa zwei Wochen, in denen Zwinji sich an den grauen Teppich gewöhnt hatte, legte ich den roten wieder bloß. Zwinji, der sich gerade im Garten befand, kam freudig bellend herbeigesaust und pinkelte auf den roten Teppich. Hunde sind bekanntlich treu.

Natürlich war mein Vorrat an Pädagogik noch lange nicht erschöpft. Ich beschloß, in Zwinjis Herzen die Liebe zur Natur zu wecken, kaufte eine lange, grüne Leine und ging mit ihm allnächtlich nach Petach-Tikvah. Ein schöner Spaziergang durch eine schöne Gegend, zumal im Mondschein. Zwinji bewahrte während des ganzen Wegs bewundernswerte Zurückhaltung. Erst kurz vor unserem Haus wurde er unruhig, und kaum hatte ich die Tür geöffnet, machte er einen Satz auf den roten Teppich, wo er sofort in Aktion trat.

Mit der Zeit begann ich mich zu fragen, warum das alles denn sein müßte und warum ich’s mir eigentlich gefallen ließ.

Ich brachte das Problem auch meiner Frau gegenüber zur Sprache. Sie verwies mich auf den französischen Philosophen Rousseau, der bekanntlich die These aufgestellt hat, daß alles, was natürlich ist, auch schön sei. Mit anderen Worten: es war natürlich, daß Zwinji immer nur auf den Teppich pinkelte.

Was aber tat die Natur in ihrer grenzenlosen Weisheit?

Eines Morgens, als Frau Kaminski wieder einmal mit einigen Knochen für den Hund herüberkam, erzählte ich ihr von Zwinjis hygienischen Schwierigkeiten und bekam folgendes von ihr zu hören:

»Weil Sie ihn schlecht erzogen haben. Weil Sie nicht wissen, wie man mit Hunden umgeht. Weil Sie ihn falsch behandeln. Sie müssen jedesmal, wenn er den roten Teppich benützt, müssen Sie ihm jedesmal die Schnauze hineinstecken, dann müssen Sie ihm einen Klaps geben und ihn zum Fenster hinauswerfen. So macht man das.«

Obwohl ich kein Freund körperlicher Züchtigung bin, machte ich es so. Zwinji kam, sah und pinkelte – ich steckte seine Schnauze hinein, gab ihm einen Klaps und warf ihn zum Fenster hinaus. Die Prozedur wiederholte sich mehrmals am Tag, aber ich ließ nicht locker. Es war mein Lebensehrgeiz geworden, Zwinji seine schlechten Pinkelsitten abzugewöhnen.

Langsam, sehr langsam, begannen sich die Früchte meiner Geduld zu zeigen. Zwinji hat sich doch manches gemerkt und manches abgewöhnt. Ich stelle das nicht ohne Genugtuung fest.

Gewiß, er pinkelt noch immer auf den roten Teppich – aber nachher springt er ganz von selbst aus dem Fenster, ohne die geringste Hilfe von meiner Seite, und wartet draußen auf mein Lob und meine Leckerbissen.

Immerhin ein Teilerfolg.