Silberstreifen am Horizont
Das Ergebnis der Sitzung des Provisorischen Dorfrates wurde den Einwohnern von Kimmelquell nur verschwommen bekannt. Die Repräsentanten der kommunalen Elemente erinnerten sich an nichts von der Sitzung über den Zeitpunkt hinaus, als sich der Ingenieur erhob, seine Uhr vor sich auf den Tisch legte und zu sprechen begann. Was nachher geschah, war in den Köpfen der Teilnehmer ein völlig unbeschriebenes Blatt.
An jenem Nachmittag kam der Lastwagen der Tnuva — diesmal unaufgefordert —, und der Chauffeur brachte so überraschende Nachrichten, daß sie den bürgermeisterlichen Wettkampf überschatteten. Der Chauffeur sagte nicht mehr und nicht weniger, als daß Gula, die Gattin des Staatsmannes, am folgenden Tag an der Spitze einer Delegation von Würdenträgern ins Dorf kommen würde, um Amitz Dulnikker und seinen Sekretär heimzuholen. Er, der Chauffeur, war persönlich vom Manager Schultheiß entsandt worden, um sie sowohl von dem Ereignis in Kenntnis zu setzen, als auch den Wagen der Würdenträger an der Kreuzung vor dem Höhlentunnel zu treffen, damit sie sich nicht verirrten.
»Mein Herr«, sagte der Chauffeur zu Dulnikker, dessen Gesicht von einem riesigen Tuch fast versteckt wurde, »Sie werden mit einem Schwups heimfahren. Ich wäre nicht überrascht, wenn man eine Siegesparade für Sie abhielte …«
»Eh?« Dulnikker wurde neugierig. »Was ist los?«
Der Chauffeur war verblüfft.
»Herr Dulnikker! Wollen Sie sagen, daß Sie wirklich nicht wissen, was sich tut?«
Nach dem, wie es der Tnuva-Chauffeur erzählte, beschwor der Staatsmann ein äußerst interessantes Bild von sich herauf. Es schien, daß sich knapp nach Dulnikkers Verschwinden an jenem Morgen seltsame Geschichten über seine Abdankung zu verbreiten begannen, und in mehreren von ihnen wurde auch angedeutet, daß eine Unterschlagung mit im Spiel sei. Nachdem jedoch Manager Schultheiß enthüllt hatte, was geschehen war, wuchs die Bewunderung der Öffentlichkeit ins Grenzenlose. Das Image des Staatsmannes, der auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn auf seine Stellung verzichtet hatte, damit die rückständigen Bewohner eines winzigen, unwichtigen Dorfes aus seiner Anwesenheit Nutzen ziehen konnten, hatte die Öffentlichkeit im Sturm gewonnen. Selbst die scharfzüngigen Zeitungen der Opposition mußten zugeben, daß der Erfahrungsschatz des Staatsmannes ihn dazu geführt hatte, sich über den Alltagskram zu erheben und wie ein Stern am Firmament auf die Zwerge hinunterzublicken.
Dulnikkers Parteiorgan quetschte die letzte Möglichkeit aus dem Ereignis und krönte die glorreiche Begebenheit in ihren Glossen und Leitartikeln mit einer eigenen Wortschöpfung: »Dulnikkerismus«. Dieses lehrreiche persönliche Beispiel hatte auch auf die Hierarchie selbst eine wohltätige Wirkung. Einige Regierungsfunktionäre reichten ihre Rücktrittsgesuche ein, übersiedelten in irgendeinen Außenposten und entsagten im echten Geist des Dulnikkerismus den Bequemlichkeiten und der Ehre, an die sie gewöhnt waren.
»Einen Augenblick, Genossen!« unterbrach Dulnikker den Chauffeur und fragte gierig: »Haben Sie vielleicht einige Zeitungen, die meine Leistungen beschreiben?«
Der Chauffeur entschuldigte sich, daß er keine einzige Zeitung mitgebracht hatte, aber er hatte gedacht, daß Herr Dulnikker nichts mehr daran lag, wie die Zeitungen über ihn schwätzten, weil er hoch über solchen Sachen stand, wie ein Stern. Den Anforderungen des Augenblicks entsprechend, versuchte Dulnikker, die Miene eines allwissenden chinesischen Weisen aufzusetzen; es gelang ihm jedoch nicht, weil er tief in seiner Seele den »taktlosen Idioten« verfluchte. Außerdem vermochte ihn selbst die Neuigkeit seiner bevorstehenden Rettung durchaus nicht aufzuheitern. Tatsächlich hatte er sich gerade in den letzten, von Handlung erfüllten Tagen bei den Dorfleuten behaglich zu fühlen begonnen. Außerdem quälte ihn ein Problem sehr: Wie konnte eine so dumme Kreatur wie eine Taube von so weit her die richtige Adresse finden?
Zev andererseits war eitel Glück und Sonnenschein.
»Juchhe!« heulte der Sekretär vor Freude. »Schön, ich gehe sofort heim, packen!«
»Höre, mein Freund!« sagte Dulnikker verärgert. »Wie oft mußt du noch packen? Wo brennt’s?«
»Entschuldigen Sie, Dulnikker«, sagte der Sekretär verwundert, »Sie selbst haben mich dazu angespornt, die Taube abzuschicken, damit wir so schnell wie möglich aus diesem stinkenden Loch entfliehen können!«
»Ich habe dich angespornt?« Der Staatsmann kochte vor Wut. »Ich habe diesen Ort ein ›stinkendes Loch‹ genannt? Zev, mein Freund, ich bin Gott sei Dank mit einem bemerkenswerten Gedächtnis gesegnet! Du warst es, der mich dazu überredete, meinen angenehmen Aufenthalt in diesem stillen, friedlichen Dorf abzubrechen. Ich habe nur einen einzigen Fehler gemacht: auf dich zu hören …«
»Lieber Herr Ingenieur«, jammerte die kleine Blonde, »bitte nehmen Sie mir Zev nicht weg! Er ist jetzt oben im Haus und packt …«
Der Ingenieur wand sich und vermied den tränenfeuchten Blick Dworas. »Was kann ich tun, mein Kind?« fragte er schließlich. »Er ist mein Krankenwärter.«
»Aber ich liebe ihn so!«
Wieder verdroß der Staatsmann das allzu naive Mädchen. Warum war sie wegen dieses zynischen Rüpels so verzweifelt?
»Liebe junge Dame« — er stellte sich vor Dwora auf, »glauben Sie mir, Zevs Charakter paßt ganz und gar nicht zu Ihrer Persönlichkeit. Es wäre am besten, mein Mädchen, wenn Sie ihn so schnell wie möglich vergessen.«
»Ich kann ihn nicht vergessen, Herr Ingenieur. Er ist so klug und schön.«
»Schön!«
»Ja. Sehr. Er trägt Brillen.«
»Jetzt hören Sie, meine Freundin!« tobte der Staatsmann. »Wie können Sie sich vorstellen — ein Mädchen, deren Wurzeln im landwirtschaftlichen Sektor liegen —, daß Sie fähig wären, die Bedürfnisse eines absolut städtischen intellektuellen Typs zu befriedigen?«
»Aber ich liebe ihn so!«
»Das ist nicht der richtige Weg, Genossin! Dieses Problem kann nicht auf einer individuellen Basis gelöst werden, mit Hilfe flüchtiger emotionaler Kanäle, sondern nur mittels einer staatlichen Regelung, die den Frauen gesetzesmäßig gleiche Rechte garantieren wird.«
»Das verstehe ich nicht.« Dwora brach in bittere Tränen aus, die eine Stelle in Dulnikkers Herz berührten, denn er war aus irgendeinem Grund unfähig, weinenden Frauen zu widerstehen. Der verwirrte Staatsmann trat auf das Mädchen zu und tätschelte ihr das strohgelbe Haar. »Schon gut, junge Dame, schon gut.« Der Staatsmann räusperte sich. »Gehen Sie heim, mein Mädchen, und versuchen Sie, Zev zu überzeugen. Was mich betrifft, so bin ich bereit, noch ein paar Tage länger zu bleiben, oder sogar noch länger …«
Die Hoffnungen, die Dulnikker auf Dworas Einfluß über seinen Ersten Sekretär gesetzt hatte, verschwanden wie ein Wachtraum. Am frühen Nachmittag erschien Zev im Wirtshaus und begann, die Sachen des Staatsmannes zu packen. Dulnikker saß ihm die ganze Zeit in bedeutungsvollem Schweigen versunken gegenüber.
»Fertig, Dulnikker!« verkündete der Sekretär, nachdem er den Koffer geschlossen hatte. Und fügte in samtweichem Ton hinzu: »Ihren Bademantel habe ich draußen gelassen …«
Dulnikkers Wut war grenzenlos. Genügte es nicht, daß dieser verächtliche Rüpel die Reinheit der dörflichen Familie befleckte? Sollte er es auch wagen, gegen das warme, menschliche Verhältnis zwischen Malka und ihm zu intrigieren? Der Staatsmann empfand eine wachsende Zuneigung zu der gutherzigen Frau, besonders seit es bei einem ihrer Treffen klar geworden war, daß Malka den grünen Pullover für ihn strickte. Sie hatte Dulnikkers Maße bei Mondlicht genommen, und die sanfte Berührung ihrer Finger ließ seinen Brustkasten von einem derartigen Herzklopfen durchwogen, daß er sie an sich gezogen und kräftiger denn je die Fäden seiner Lebensgeschichte entwirrt hatte …
Als Dulnikker nun die Andeutung seines jungen Packers gehört hatte, fühlte er einen mächtigen Drang in sich, seinem Privatsekretär einen Hieb auf die Nase zu versetzen.
»Höre, Freund«, sagte er leise, »rufe doch netterweise den Provisorischen Rat für heute abend zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen.«
»Dulnikker, um Himmels willen!« Der Sekretär erblaßte. »Wir verschwinden doch morgen von hier!«
»Ich weiß«, erwiderte der Staatsmann und rieb seine Nasenflügel kurz mit dem Handrücken, »deshalb sagte ich ja, heute abend.«
Diesmal trat der Dorfrat unter sehr bescheidenen Umständen zusammen, die Atmosphäre war jedoch unermeßlich gelöster als bei der letzten Sitzung. Von den Höhen des Podiums herab informierte Dulnikker die Teilnehmer über zwei wichtige Angelegenheiten: daß er gezwungen war, sie infolge der angespannten internationalen Lage am folgenden Tag zu verlassen, und daß sie, die Delegierten, ihm verzeihen müßten, wenn er infolge Zeitmangels und seiner labilen Gesundheit keine Eröffnungsansprache halten könne. Die beiden Punkte »wurden von den Ratsmitgliedern aufmerksam aufgenommen« — um das Protokoll zu zitieren. Mit anderen Worten, vor Beginn der Sitzung hatte Dulnikker Zev aufmerksam gemacht, daß er das Protokoll so führen solle, als schriebe er das Protokoll der Knesset, und falls er das nicht täte, würde er — Dulnikker — sich nichts dabei denken, »die drastischen Disziplinarmaßnahmen« durch Parteikanäle zu treffen, sobald sie heimkämen. Möge also das Protokoll den Trend der Diskussion spiegeln, wie es von dem Krankenwärter persönlich niedergeschrieben wurde:
VORSITZENDER:
Da wir nunmehr die Machtbefugnis des Bürgermeisters definiert und die Art und Weise umrissen haben, in der er gewählt werden soll, können wir zur Klärung der Einzelheiten fortschreiten. Irgendwelche Fragen?
OFER KISCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Ich wollte schon lange fragen — wozu brauchen wir einen Bürgermeister?
VORSITZENDER:
Was meint ihr damit, Genossen?
OFER KISCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Nur das. Warum einen Bürgermeister? Was gibt’s für ihn zu tun? (Schweigen)
SEKRETÄR:
Entschuldigung, meine Herren. Sie werden doch sicherlich jemanden brauchen, der sich darum kümmert, das Gehalt des Bürgermeisters einzusammeln, stimmt’s?
VORSITZENDER:
Du glaubst, daß du witzig bist, mein Freund, aber du hast eine interessante Frage aufgeworfen. Eine der Pflichten des Bürgermeisters wird es sein, die Einhebung von Steuern zu planen und zu überwachen. Denn die gegenwärtige Laxheit auf diesem Gebiet kann nämlich nicht so weitergehen! Jeder Bürger des Dorfes muß nach Maßgabe seiner Mittel zum Budget beitragen. (Schweigen) Irgendwelche Fragen?
OFER KISCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Wozu brauchen wir ein Budget?
VORSITZENDER:
Stellen Sie nicht so viele Fragen, ja? (Hammerschlag) Ich bitte um Ruhe. (Ruhe) Oj, oj, liebe Genossen! Habt ihr noch nie gehört, wie ein bestimmtes Dorf etwas aus seinem Budget erbaut hat?
ELIFAS HERMANOWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Welches Dorf?
VORSITZENDER:
Wir sprechen natürlich von Kimmelquell!
ELIFAS HERMANOWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Wie kann Kimmelquell etwas bauen: Menschen bauen Häuser, aber Kimmelquell? Das ist doch nur ein Name!
SEKRETÄR:
Ein Kommunalname!
VORSITZENDER:
(Hammerschlag) Ich bitte, nicht zu unterbrechen, meine Herren!
SEKRETÄR:
Ja, Euer Ehren.
JA’AKOV SFARADI, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Ich verstehe schon, was der Herr Ingenieur meint. Ich glaube auch, es ist an der Zeit, daß wir in Kimmelquell aus den Beiträgen der Bürger eine Synagoge bauen.
SALMAN HASSIDOFF, BÜRGERMEISTER DE FACTO, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Völlig überflüssig. Du kannst weiter in meinem Barbierladen beten.
ELIFAS HERMANOWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Einen zweiten Fanatiker findest du hier ohnehin nicht.
JA’AKOV SFARADI, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Atheist!
VORSITZENDER:
(Hammerschlag) Ratsmitglied Hermanowitsch! Ich bitte Sie, sich eines höflicheren Tones zu befleißigen.
FRAU HASSIDOFF, KRANKENSCHWESTER DES SALMAN HASSIDOFF, BÜRGERMEISTER DE FACTO, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Ich schlage vor, daß wir ein Büro für den Bürgermeister bauen. Salman findet es sehr schwierig, sich in unserem winzigen Barbierladen um Dorfangelegenheiten zu kümmern.
ZEMACH GUREWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
(brüllend) Ich sage euch, wir werden mit dem Budget einen Brunnen bauen!
VORSITZENDER:
Nu, endlich rührt sich was, ä bissel Leben!
Diese Bemerkung wurde später auf Befehl des Vorsitzenden aus dem Protokoll gestrichen.
SALMAN HASSIDOFF, BÜRGERMEISTER DE FACTO, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Dieser Brunnen ist widerlich.
VORSITZENDER:
(Hammerschlag) Ratsmitglied Hassidoff! Erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen, daß meiner Meinung nach das Bohren eines Brunnens im Rahmen eines Arbeitsbeschaffungsprogramms die Beseitigung der Arbeitslosigkeit im Dorf möglich machen könnte.
ZEMACH GUREWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Stimmt!
VORSITZENDER:
Wie hoch ist die Zahl der Arbeitslosen im Dorf?
ELIFAS HERMANOWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Es gibt keinen. (Langes Schweigen).
SEKRETÄR:
Vielleicht könnte man den Gegenstand aufgreifen. Wie können wir Arbeitslosigkeit im Dorf schaffen?
VORSITZENDER:
(Hammerschlag) Ruhe bitte! (Ruhe) Ich habe die angenehme Pflicht, Ihnen die Angelegenheit des Projektes zur Abstimmung vorzulegen. Wer für die Errichtung eines Büros für den Bürgermeister ist, möge bitte die Hand heben (Herr Hassidoff stimmt dafür.) Und nun: Wer für das Bohren eines Brunnens ist, wird die Hand erheben. Erheben Sie bitte nur eine Hand! (Herr Gurewitsch stimmt dafür.) Was heißt das, meine Herren? Jeder Delegierte muß irgendeinen Standpunkt einnehmen! Ich verlange eine zweite Abstimmung! (Die Ergebnisse bleiben dieselben.) Meine Herren, soll das eine Provokation sein?
SEKRETÄR:
Euer Ehren, Herr Ingenieur, gestatten Sie, daß ich ausnahmsweise um die Erlaubnis ersuche, mit einer Gegenabstimmung vorzugehen! (Er erhält die Erlaubnis.) Meine Herren, wer gegen den Brunnen ist, hebt die Hand. (Herr Hassidoff, Herr Sfaradi und Herr Kisch heben die Hand.) Jetzt hebt die Hand, wer gegen ein Büro für den Bürgermeister ist. (Herr Gurewitsch, Herr Hermanowitsch und Herr Kisch heben die Hand.) Euer Ehren, Herr Ingenieur, zugunsten der beiden Projekte steht die Abstimmung drei zu drei.
VORSITZENDER:
Mir scheint, das Ratsmitglied Kisch hat zweimal abgestimmt!
OFER KISCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Natürlich, ich möchte mit allen gut stehen!
VORSITZENDER:
Meine Herren, wir sprechen von den Interessen des Dorfes!
OFER KISCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Es ist im Interesse des Dorfes, wenn wir alle Freunde sind.
VORSITZENDER:
(Hammerschlag) Machen wir eine kurze Pause.
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Auf Ersuchen des Vorsitzenden servierte Malka den Delegierten Tee und Kuchen. Die Atmosphäre im Saal war dank der faszinierenden Debatte herzlich.
»Das Bürgermeisterbüro wird sehr billig sein«, erklärte Frau Hassidoff den Ratsmitgliedern während des Essens. »Vier Pfosten, und zwischen ihnen Wände aus unbehauenem Stein, genau wie ein gewöhnliches kleines Haus. Ein Raum für Salman und einer als Wartezimmer. Und vielleicht noch ein Raum für die Leute, die Salman nicht warten lassen will …«
Dulnikker staunte über die verwaltungstechnische Reife der Frau Hassidoff, aber sie bewies, daß ihre Talente sogar noch weiter gingen. Sie zog das »Zünglein an der Waage« in eine der dunkleren Ecken des Saales und sagte charmant zu ihm: »Salman hat schwarze Hosen, die gewendet und gebügelt werden müssen, weil die Sitzfläche derzeit für einen Bürgermeister de facto zuviel glänzt. Wir zahlen, was immer es kostet …«
»Sicher, Frau Hassidoff.« Der Schneider verbeugte sich. »Ich werde für den Herrn Bürgermeister glänzende Arbeit leisten.«
Am Ende der kurzen Pause brachte Dulnikker die Frage des öffentlichen Projekts wieder zur Gegenabstimmung. Diesmal hoben sich nur zwei Hände gegen die Erbauung eines Bürgermeisteramtes.
ZEMACH GUREWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Ofer, du Gauner, vor der Pause hast du dagegen gestimmt!
OFER KISCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Ich stimme ab, wie ich will. Du kannst ja auch Arbeit an deinen Hosen bestellen!
Diese Bemerkung wurde wegen mangelnder Klarheit auf Anweisung des Vorsitzenden aus dem Protokoll gestrichen.
VORSITZENDER:
Der Dorfrat hat zugunsten eines Büros für den Bürgermeister entschieden. (Laute Bravorufe aus den Bänken der Frau Hassidoff.) Somit müssen wir nur noch die Steuerangelegenheit entscheiden. (Stille) Muß ich wirklich immer alles selber machen, meine Herren? Bitte, Genossen, versucht selbst, die Kriterien zu entscheiden, die ihr bei der Einhebung von Steuern bei der Bewohnerschaft anwenden wollt. (Stille) Vielleicht die Größe ihrer Parzellen?
SALMAN HASSIDOFF, BÜRGERMEISTER DE FACTO, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Nix gut, Herr Ingenieur, mir gehört ein prachtvolles Stück Boden. Ich schlage vor, wir berechnen die Steuer nach der Zahl der Räume in einem Haus.
ZEMACH GUREWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Pfui, Salman!
VORSITZENDER:
Bitte, werden wir nicht persönlich!
JA’AKOV SFARADI, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Vielleicht erheben wir die Steuern nach der Anzahl der Kinder?
ELIFAS HERMANOWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Und diese Kreatur überwacht meine Küche!
VORSITZENDER:
(Hammerschlag) Meine Herren! Meine Herren! Ich muß ausdrücklich gegen diesen egozentrischen Ton protestieren. Ich möchte als Basis für eine Luxussteuer den Umfang der Einkäufe von der Tnuva vorschlagen. (Die Majorität der Räte stimmt gegen seinen Vorschlag.) Vielleicht die Anzahl der Kühe? (Die Majorität der Räte stimmt gegen seinen Vorschlag.) Couch? Kaffeetischchen? Lüster?
SALMAN HASSIDOFF, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Haben wir.
SEKRETÄR:
Euer Ehren, Herr Ingenieur! Erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen, daß Mangel an Zeit und der gesunde Menschenverstand eine völlig andere Einstellung verlangen.
VORSITZENDER:
Na schön.
SEKRETÄR:
Meine Herren, was hat keiner von Ihnen?
ELIFAS HERMANOWITSCH, MITGLIED DES PROVISORISCHEN RATS:
Ich erinnere mich, daß wir einmal diskutierten, daß alle von uns Schränke haben, die zu klein sind. (Der Dorfrat nimmt einstimmig seinen Vorschlag an.)
BESCHLÜSSE DES PROVISORISCHEN DORFRATS BEI SEINER HEUTIGEN ZWEITEN SITZUNG:
Zum Zweck der Erbauung eines Büros für den Bürgermeister wird eine einmalige Luxussteuer von drei Tnuva-Pfund von jedem Einwohner erhoben, dem ein dreitüriger Kleiderschrank gehört. Ofer Kisch, Mitglied des Provisorischen Rats, wurde beauftragt, ein Verzeichnis der Steuerpflichtigen anzulegen.
Im Namen des Provisorischen Dorfrats von Kimmelquell:
Elifas Hermanowitsch
Salman Hassidoff
Ofer Kisch
Ja’akov Sfaradi