Geheimberater

Dulnikker öffnete die Augen und entdeckte, daß er auf einem fremden Bett in einer kleinen, fensterlosen, kalten Kammer lag. Er bemerkte eine geschlossene Stahltür mit einem kleinen vergitterten Fenster ihm gegenüber und seinen verdrückten und mitgenommenen Koffer in einer Ecke des Raumes. Das Licht der Kerosinlampe tat seinen Augen weh, daher versuchte Dulnikker, den Kopf zu wenden, aber ein scharfer, schrecklicher Schmerz schoß ihm durch den Schädel.

»Oj«, flüsterte der Staatsmann, »wo bin ich?«

»Bei Freunden, Herr Ingenieur«, erwiderte Salman Hassidoff mit warmer, sanfter Stimme, während seine Frau den nassen Verband auf der Stirn des geschwächten Mannes wechselte.

»Wie sind Sie hier hereingekommen … Herr Hassidoff?« murmelte Dulnikker in seiner Benommenheit. »Ich erinnere mich, daß ich in den Lastwagen stieg … und es scheint so, meine Herren … daß irgend jemand …«

»Ja, Herr Ingenieur, das war ich«, verkündete der Barbier. »Ich schwöre, ich hatte schon Angst, daß ich Sie zu fest getroffen hätte. Aber schließlich, woher soll ich in solchen Sachen Erfahrungen haben?«

»Wa-a-as?« fragte der Staatsmann. Trotz seiner Schmerzen versuchte er sich aufzusetzen. Aber seine Wohltäter drückten ihn in die Kissen zurück.

»Bewegen Sie sich nicht so viel, Herr Ingenieur«, beruhigte ihn Frau Hassidoff, »wir kümmern uns um alles.«

»Ihre Gesundheit, Herr Ingenieur, ist uns sehr wichtig«, betonte der Barbier. »Ich schwöre, es war kein Vergnügen, Sie auf den Kopf zu hauen, Herr Ingenieur, weil ich voller Flecken von meinem Kampf mit Gurewitsch bin. Bitte schauen Sie, Herr Ingenieur!«

Der Barbier krempelte seinen Ärmel hoch, um Dulnikker einen ansehnlichen schwarzblauen Fleck auf seinem Arm zu zeigen. Der Staatsmann starrte ihn fragend an, denn sein verwirrter Geist hatte die Bedeutung der jüngsten Entwicklungen noch nicht begriffen.

»Daher weiß ich, wie weh so ein Schlag tut«, sagte Hassidoff nachdrücklich, als er die Decke auf den kalten Beinen des Staatsmannes zurechtrückte. »Also, warum ich Sie niedergeschlagen habe? Als mein Weib hörte, daß Sie wegfahren wollen, sagte sie zu mir, ›Salman, laß den Herrn Ingenieur nicht gerade jetzt wegfahren, wo wir seine Hilfe brauchen!‹«

Dulnikkers Blut stieg ihm schwindelerregend zu Kopf.

»Sie wollen sagen, meine Herren, daß Sie mich ermordet und hierhergeschleppt haben, nur um mich zu zwingen, Ihnen Ratschläge für den Wahlkampf zu geben?«

»Gewissermaßen ja«, stammelte der Barbier und senkte den Blick, »aber glauben Sie mir, Herr Dulnikker, ich schätze Ihre Gesellschaft auch als Mensch. Wir dachten, da Ihr Krankenwärter noch immer im Dienst des hinkenden Schuhflickers steht, würden wir es wirklich schätzen, Herr Ingenieur, wenn …«

»Skandalös!« brüllte Dulnikker und versuchte, den Raum unverzüglich zu verlassen. Aber nach einem kurzen Kampf zerrte ihn das kräftigere Paar zu seinem Bett zurück. Der Staatsmann hatte rasendes Kopfweh, und er errötete, als er entdeckte, daß er mit nichts als seiner Unterhose bekleidet war.

»Jetzt verstehe ich!« Dulnikker atmete schwer in zitternder Wut. »Ich bin euer Gefangener!«

»Sie brauchen das nicht gleich so aufzufassen, Ingenieur«, meinte der Barbier, der ebenfalls schwer atmete. »Sie sind nicht unser Gefangener, bloß unser Gast. Außer daß Sie diesen Raum nicht verlassen dürfen — um sicherzustellen, daß Sie niemand anderer mißbraucht.«

»Wirklich, es ist nur bis zu den Wahlen«, flehte die tapfere Frau. »Herr Dulnikker, ich koche Ihnen die besten Gerichte. Ich tue alles für Sie«, fügte sie hinzu und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, »ganz genau so, wie Malka es tat!«

»Sodom und Gomorrha!« stöhnte Dulnikker und begann plötzlich mit mächtiger Stimme zu kreischen: »Hilfe! Ich bin gefangen! Hilfe!«

Der Barbier und seine Frau schritten nicht ein. Sie traten zurück, als wollten sie, daß der teure Kranke nach seinem Unfall etwas Dampf abließe. Ja, Frau Hassidoff trat sogar neben das Bett und fächelte dem heulenden Dulnikker mit der Hand das Gesicht. »Es hat keinen Zweck zu schreien«, bemerkte der Barbier, nachdem der Staatsmann vollkommen heiser geworden und zusammengebrochen war. »Sie befinden sich gegenwärtig, mein Freund, im innersten Vorratsraum meines neuen Kuhstalls. Nur die Kühe können Sie hören.«

»Ich protestiere energisch«, flüsterte Dulnikker. »Sie begehen einen ernsten Bruch des internationalen Rechts. Ich verlange, daß Sie mir unverzüglich meinen Krankenwärter bringen!«

»Das ist unmöglich, Ingenieur«, antwortete Hassidoff, und sein Gesicht deutete aufkeimenden Zorn an. »Ihr Krankenwärter ist gestern nacht wieder verschwunden.«

»Gestern nacht?« Dulnikker war verdutzt. »Das bedeutet, daß ich schon seit fast 36 Stunden hier liege?«

»Stimmt!« kläffte der Barbier. »Die Wahlen sind schon beinahe da, und Sie, Ingenieur, liegen hier wie ein Tonklumpen! Jetzt müssen wir aber wirklich schnell arbeiten.«

»Ihr werdet aus mir keinen Deut — nicht einmal einen halben Deut herauskriegen, ihr Huligane!« versicherte der Staatsmann. Er drehte sich zur Wand und vergrub sich tief in die Decken. Hassidoff und seine Frau warteten noch eine Weile, traten unruhig von einem Fuß auf den anderen und verließen dann böse den Raum.

»Er benimmt sich überhaupt nicht nett«, erklärte Frau Hassidoff, als sie sorgfältig die Eisentür zusperrte. »Wenn die Sache so liegt, hat es sich wirklich nicht ausgezahlt, ihn so gut zu pflegen. Ihr Staatsmänner wißt nicht, was das Wort ›Danke‹ heißt. Was soll ich ihm jetzt zu essen geben, Salman?«

»Nichts«, erwiderte Salman düster.

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Dulnikker lag eine Weile ungestört auf seinem Bett, sein ganzes Wesen schlaff und blutend, bis es ihn anfing aufzuregen, daß die Zeit ohne sein Wissen verging. Die Lampe war aus Mangel an Brennstoff schon lange ausgegangen, und das schwache Licht, das durch das kleine Fenster sickerte, genügte nicht, daß der Staatsmann die Zeiger seiner Uhr sehen konnte. Zumal die Uhr spurlos verschwunden war.

Plötzlich spürte Dulnikker, daß sich sein Magen mit einem seltsamen Laut umdrehte, und als der Anfall heftiger wurde, sprang er zur Tür und begann sie mit den Fäusten zu bearbeiten. Nach einer Weile hörte er draußen Schritte, und das Licht einer Lampe näherte sich der Tür.

»Wozu werden Sie so wild, Ingenieur?« schrie ihn der Barbier an. »Sie zerbrechen mir die Tür, wenn Sie so weitermachen!«

»Ich will hinaus!«

»Das haben wir bereits besprochen.«

»Dann geben Sie mir wenigstens zu essen!«

»Geben Sie mir Rat!«

»N-e-i-n!« keuchte Dulnikker und lehnte sich an die Wand, um nicht zusammenzubrechen. »Tot soll ich hier umfallen, aber ich werde Sie, Sie unverschämter Nichtsnutz, nie zu einem Bürgermeister de jure machen!«

»Schön, Dulnikker, wie Sie wünschen«, erwiderte der Barbier. Bevor er ging, fügte er hinzu: »Wenn Sie das nächste Mal klopfen, sollten Sie sicher sein, daß Sie irgendwelche Ideen haben!«

Der Staatsmann brach zusammen, setzte sich auf den kalten Fußboden, schob jedoch sofort die Lippen vor und kurbelte seinen Mut an, entschlossen, seinem Gefängnis zu entfliehen, selbst wenn er es auch alles selber machen mußte. Daher zog er das schärfste Instrument aus seiner Tasche, das er besaß — seinen festen Taschenkamm —, und begann durch die Düsternis zu kriechen, tastete die Wände mit zitternden Händen überall ab und suchte schwache Stellen zwischen den Ziegeln, wie das in solchen Situationen üblich ist. Kurze Zeit darauf stolperten seine Finger über ein Loch in der Wand, und der fröstelnde Staatsmann begann mit seinem armseligen Instrument an der Stelle zu schaben. Es war noch keine Viertelstunde vergangen, als Dulnikker ohne Kamm und mit zersplitterten Fingernägeln dastand, während das Loch in der Wand nicht um Haaresbreite weiter geworden war — denn die Wand war aus Beton, wie sich der Staatsmann etwas später erinnerte.

Dulnikker taumelte ins Bett, entfernte seinen Verband und quetschte dessen schales Wasser auf seine herausgestreckte Zunge. Dann legte er sich zurück und krümmte sich auf den knarrenden Sprungfedern, als suchten ihn alle Leiden Hiobs heim. »Hier verfaule ich lebendigen Leibes auf meinem St. Helena, während Shimshon Groidiss auf meinem Thron sitzt«, flüsterte der Staatsmann mit erstickter Stimme. Seinen vorwurfsvollen Blick himmelwärts richtend, fügte er hinzu: »Wofür bestrafen Sie mich, meine Herren — wofür?«

In seiner üblen Lage hoffte Dulnikker, daß sein Verschwinden einen Aufruhr im Dorf verursachen würde, der zu einer fieberhaften Suche und schließlich seiner Befreiung führen würde. Besonderes Vertrauen setzte er in seinen verläßlichen Freund, den Chauffeur, wenn ihm auch dessen Rolle bei seiner Entführung äußerst unklar war. In Wirklichkeit aber kümmerte sich kein Mensch um das plötzliche Verschwinden des Staatsmannes. Nur Mischa der Kuhhirt mußte sich für das Geheimnis interessieren, erstens wegen seiner Stellung und zweitens wegen seiner zerrissenen Kleidungsstücke, die er an dem »Seil« befestigt fand, das an das Balkongitter geknüpft war. In seinem Bericht erwähnte der Polizeichef Dulnikkers offenen Regenschirm und brachte die Meinung zum Ausdruck, daß der Herr Ingenieur, der sich in letzter Zeit sehr sonderbar benommen habe, in einem höchst verwirrten Geisteszustand via Balkon hinuntergestiegen sei. Seiner Theorie zufolge habe der Ingenieur die Straßen zu überqueren gesucht. Aber die in der Gegend verstreuten und das ganze Dorf entlang am Brombeergebüsch hängenden Kleidungsfetzchen bewiesen, daß er mit einem nicht identifizierten Riesen fürchterlich kämpfen mußte, der ihn in die Wälder verschleppt habe, aus Gründen, die nur Riesen bekannt waren. Der Dorfrat wurde nicht einberufen, um das Verschwinden zu erörtern, weil Hassidoff Mischas Annahme bezüglich des Riesen akzeptierte, und er schloß den Fall ab.

Das Verschwinden des zweiten Vorsitzenden — des Krankenwärters — war vom Gesichtspunkt der Polizei aus noch mysteriöser, weil sich Zev genau in derselben geheimnisvollen Nacht, ohne die geringste Spur zu hinterlassen, in Nichts aufgelöst hatte. Und von dem Tag an ward der bebrillte Jüngling von niemandem mehr gesehen!

Der Schuhflicker, dessen Pech es anscheinend wollte, daß er unter häufigen Familienschwierigkeiten zu leiden hatte, wurde nach dem Verschwinden seines Schwiegersohns in die Affäre seines Vaters verwickelt. Als der Alte merkte, daß sein Streik nicht die gewünschten Ergebnisse zeitigte, entschied er sich, weitreichende Schritte zu unternehmen. Er verständigte die Öffentlichkeit, daß er zum Bürgermeister gewählt zu werden wünsche, oder zumindest anstelle seines Erstgeborenen Zemach zu einem der Dorfräte. So schlang sich der ältere Gurewitsch seine Leier um den Hals, wandelte von Haus zu Haus und begleitete seine zitternde Stimme beim Vortrag vergessener Rosinesker Lieder mit seinem eigenen Geklimper. Die entzückten Bauern pflegten sich um ihn zu versammeln, der Alte machte eine Pause in seinem künstlerischen Programm und erklärte folgendes:

»Ich verspreche keine Büros oder Kulturpaläste oder Brunnen. Nur eines: Reisen! Ausflüge! Es ist nicht gerecht, daß nur Dorfräte reisen dürfen! Wenn ich dort sitze — im Dorfrat —, werde ich zusehen, daß jedermann, besonders der für mich stimmt, zweimal im Jahr kostenlos ›im Dienst des Dorfes‹ reisen darf, wohin er will.«

Das setzte einen äußerst gefährlichen Präzedenzfall, weil hier das Beispiel eines Bürgers vorlag, der kein Mitglied des Provisorischen Dorfrats war und doch versuchte, sich in den Ständigen Rat einzuschleichen, eine Entwicklung, die unvorhergesehene Ereignisse zeitigen konnte. Daher intensivierten die Abgeordneten ihre eigene Wahlkampagne. Ofer Kisch für seinen Teil konzentrierte seine Tätigkeiten bei den elf »Dreitürniks«. Der Steueraufseher erschien an regnerischen Abenden in ihren Häusern und unterhielt die verarmten Leute mit Grotesktänzen und Tierimitationen — besonders mit dem Eselsgeschrei, in dem er sich so auszeichnete, daß wiederholt Zugaben verlangt wurden.

Am Ende des Programms pflegte Ofer Kisch den »Dreitürniks« zu sagen: »Meine lieben Freunde, ihr habt von mir zuviel in einer Zeit gelitten, die, wie ich hoffe, für euch zu Ende ist, um nie wiederzukehren. Daher helft mir, in den Rat wiedergewählt zu werden, und ich schwöre, ich werde meinem Mangel an Zurückhaltung ein Ende setzen.«

Aber die Leute zog es nicht zum Schneider. Die meisten interessierten sich viel mehr für den »Einfachen Plan« des Schuhflickers, der das Wesentliche seines Programms und seiner Perspektiven in wenigen Worten zusammenfaßte:

»Wer für mich stimmt, erhält auf der Stelle zwei Tnuva-Pfund.«

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Amitz Dulnikker lag entkräftet und jenseits aller Hungerqualen auf seinem kärglichen Bettzeug. Sein Kopf war wunderbar klar, ein sicheres Zeichen, daß sein Ende nahte. Der Tag, den er soeben gefangen verbracht hatte, war eine erhabene Prüfung des menschlichen Willens gegen die Forderungen eines immer schwächer werdenden Körpers gewesen. Dulnikker ersann eine Vielzahl von Schikanen, um seinen eigenen Körper zu täuschen, aber sein erfolgreichster Plan, seinen Geist ständig zu beschäftigen, war natürlich der Gedanke daran, Shimshon Groidiss aus seiner Autobiographie auszumerzen.

Gegen Abend — seiner Zeitschätzung nach — war es zu einem ernsten Zusammenstoß zwischen ihm und seinen Gefängniswärtern gekommen. Der Vorfall begann, als Dulnikker die Eisentür heftig mit Fußtritten bearbeitete und nachdrücklich einen Vorrat an Kerosin für seine Lampe und eine seiner Stellung angemessene Hygiene verlangte. Das Gedonner an der Tür veranlaßte die Hassidoffs, die Verhältnisse zu verbessern, und Dulnikker wurde vom Bürgermeister persönlich sowie einem anderen Kerl hinausgeleitet, von dem sich herausstellte, daß es der Schwager des Barbiers war — der Wächter des Gemeindeamtes. Die Barbiersfrau fegte das kleine Gemach aus und begleitete ihr Tun mit geräuschvollem Knurren. Der Teilsieg diente jedoch nur dazu, die persönlichen Forderungen des Staatsmannes zu erhöhen, und er weigerte sich, in »dieses Loch« zurückzukehren, solange man nicht für die Reinigung seines Anzuges sorgte, der in der Nacht der mißglückten Flucht gräßlich dreckig und fleckig geworden war. Frau Hassidoff wurde sehr böse über den Egoismus des Ingenieurs und machte ihm schwarz auf weiß klar, daß sie diese Lumpen sofort der Frau eines der »Dreitürniks« zum Waschen übergeben würde, denn sie — Salman und sie selbst — hätten es nicht übernommen, solche persönlichen Dienstleistungen zu verrichten.

Dulnikker bändigte nur mühsam seine Freude. Denn inzwischen war es ihm gelungen, eine kleine Notiz zu schreiben, die er in der Jackentasche verbarg:

»Hilfe, ich liege in Ketten im Gefängnis im Kuhstall des Bürgermeisters. Entsprechender Finderlohn zugesichert. INGENIEUR.«

Nachdem Frau Hassidoff mißmutig den Anzug mitgenommen hatte, streckte sich Dulnikker in seiner Unterwäsche auf dem Bett aus und versteckte den Kopf unter den Decken, damit man sein Gelächter nicht hörte. Und so wartete er voll Spannung und hoffnungsvoller Sehnsucht auf die Reaktion des »Finders«.

Gegen Mitternacht hörte er endlich draußen ein leises Rascheln und sah, wie ein Stück weißen Papiers langsam unter seiner Tür durchgeschoben wurde. Dulnikker glitt von seinem Bett, das Herz in der Kehle. Er unterdrückte ein unschuldiges Pfeifen, zündete seine Lampe an und verschlang gierig die Worte auf dem Papier.

Der Staatsmann wurde rot, und seine Adern drohten zu platzen; denn es war seine eigene Geheimnotiz. Und auf die Rückseite war folgendes gekritzelt:

»Morgen gibt es gebratenen Truthahn mit Essiggurken. Und viel Soße. Hassidoff.«

In Wahrheit hatte das Schicksal Dulnikker absichtlich einen Streich gespielt. Denn seine Notiz war tatsächlich zu der »Dreitürnik«-Frau gelangt, der man befohlen hatte, den Anzug am nächsten Morgen anständig gereinigt zurückzubringen. Aber die Bäuerin beherrschte die Geheimnisse der Schrift nicht und hatte den Zettel ehrfürchtig der Bürgermeistersgattin zurückgegeben.

»Mein Mann sagt, es ist ein magisches Amulett«, sagte die Dreitürnitza, »daher bringe ich es schnell zurück, Frau Bürgermeister.«

Hassidoff hatte die Notiz in großem Zorn studiert, und Dulnikker las dessen Antwort sogar mit noch größerer Wut. In grenzenloser Verachtung brüllte er am Fenster:

»Diebe! Posträuber!«

Diese Nacht war unerträglich. Dem Staatsmann gelang es erst nach langer geistiger Verwirrung einzuschlafen, und plötzlich erschien ihm im Traum ein uralter Zwerg, ungefähr acht Zoll hoch, dessen langer Bart feuerrot war. Dulnikker kannte ihn von irgendwoher. Der winzige Uralte trug ein großes Tablett, und darauf lag ein gebratener Truthahn, der ein würziges Aroma aussandte. Auch weniger verführerische Düfte hätten einen Mann verrückt gemacht, der seit fast achtundvierzig Stunden nichts mehr gekostet hatte. Nicht nur, daß Shimshon Groidiss — denn der war der widerliche Gnom wirklich — das saftige Geflügel dem unglücklichen Träumer ständig unter die Nase hielt, sondern er zwinkerte auch noch mit den feurigen Augen, schwang eine gläserne Glocke und sagte:

»Seien Sie nicht töricht, Ingenieur Dulnikker! Geben Sie Hassidoff ein paar gute Ideen und machen Sie Schluß damit.«

Dulnikker wurde den Liliputaner Groidiss mit einem ohrenbetäubenden Aufkreischen los. Erstaunlicherweise hatte jedoch der Duft von Truthahn seine Nüstern nicht verlassen, als er früh am Morgen erwachte. Der Staatsmann erhob sich von seinem Bett, und dem anscheinend wirklich vorhandenen Duft bis zu seiner Quelle nachgehend, stieß er mit dem Kopf an die Tür. Der berühmte Staatsmann kniete nieder, drängte seine Nase in den schmalen Spalt zwischen Schwelle und Tür, und nach einer Weile wollüstigen Schnüffelns erhob er sich, erschüttert von der Entdeckung, daß das gebratene Tier direkt vor der Tür draußen lag.

In diesem Augenblick, nach einem lobenswerten Kampf innerer Titanen, gaben Fleisch und Blut Amitz Dulnikkers nach. »Es ist unmöglich, eine solche Gehirnwäsche zu überleben«, versicherte der Staatsmann hilflos. Und er begann mit der Faust auf die Eisentür zu hämmern, die ihn von der Sehnsucht seines Lebens trennte.

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»Ja, Dulnikker?« fragte der Barbier in dem freundlichen Ton, den alle Sieger anschlagen, »was kann ich für Sie tun?«

»Sie Huligan, geben Sie mir diesen Vogel!«

Der Barbier hob die gigantische Portion des gebräunten Vogels — die Fettaugen wirbelten in dem dicken Saft — zur Höhe des Fensterchens, um dem Ingenieur zu zeigen, daß es ihm ernst war: »Zuerst geben Sie mir einen Rat, Dulnikker, weil ich vermute, daß Sie nach der Mahlzeit den Appetit verlieren, mir zu helfen.«

»Ungeheuer!« stöhnte der Staatsmann, und seine Augen fielen ihm fast aus dem Kopf und auf das Tablett. »Wer garantiert mir, daß Sie mir das Fleisch geben, nachdem ich Ihnen meinen Rat gegeben habe?«

Hassidoff überlegte und beugte sich der Logik der staatsmännischen Behauptung.

»Schön, Dulnikker«, sagte er zu ihm, »machen wir es Zug um Zug.« Dabei riß er einen saftigen Truthahnflügel los, reichte ihn durch das Fenster und fügte hinzu: »Dafür will ich, sagen wir, ein gutes Schlagwort für die Wände zum Draufschreiben haben.«

Dulnikker riß seinem Gefangenenwärter den triefenden Flügel aus der Hand und verschlang ihn blitzartig. Eine solche innere Genugtuung hatte der Staatsmann nicht einmal 1949 empfunden, als er nach der Veröffentlichung des zweiten Bandes seiner Leitartikel den Literaturpreis von Jerusalem erhalten hatte. Nachdem er seine Schlemmerei beendet hatte, drehte er sich um und fragte den Barbier scharf:

»Vielleicht geben Sie mir meine Uhr zurück, Freund?«

»Erst nach den Wahlen, meine Herren«, erwiderte der Barbier. »Früher brauchen Sie sie nicht, Dulnikker.«

»Mehr«, krächzte der Staatsmann und erhielt eine weitere, diesmal winzige Truthahnportion, begleitet von dem energischen Ersuchen, er möge endlich seine Meinung über das für die Wände benötigte Schlagwort äußern.

»Wie lautet das Schlagwort des Schuhflickers?« erkundigte sich Dulnikker und fügte hinzu: »Übrigens, wo sind die Essiggurken?«

Der Barbier reichte ihm eine riesige, frische Essiggurke, die so saftig war, daß Dulnikker fast betrunken wurde.

»Dieser hinkende Schuhflicker hat auf jedes Haus im Dorf geschrieben: DER SCHUSTER LIEBT DAS DORF — DAS DORF LIEBT DEN SCHUSTER, was ein wunderschönes Schlagwort ist. Und außerdem malt er die Worte in grüner Farbe mit Hilfe einer Art Schablone, die man einfach an die Wand hält und mit dem Pinsel drüberstreicht! Ich hätte nie gedacht, daß Gurewitsch das Hirn für so was hat.«

Dulnikker zermalmte mit geschlossenen Augen konzentriert und unermüdlich seine Essiggurke. Dank der verbesserten Ernährungslage und seiner zunehmend guten Laune wurde der Staatsmann bald wieder »Dulnikker, das Elektronenhirn« — wie ihn die Untergebenen seiner Abteilung — selbst ins Gesicht — zu nennen pflegten.

»Wie klingt euch das, Genossen: DER SCHUSTER LIEBT DAS DORF — DAS DORF LIEBT DEN BARBIER!«

Mit strahlendem Gesicht reichte Salman Hassidoff dem Staatsmann den ganzen übrigen Truthahn.

»Blendend!« rief er entzückt. »Ich sage Ihnen ja, Herr Ingenieur, es gelingt Ihnen! Sehr gut. Da gibt’s nur ein kleines Problem, Genossen.« Der Barbier wurde plötzlich feierlich. »Ich brächte unter keinen Umständen je eine solche Schablone zustande. Vielleicht versuchen Sie’s Dulnikker?«

»Ich bin ein absoluter Ignorant, wenn es auf Handwerk ankommt«, entschuldigte sich der Staatsmann. »Solche physischen Aufgaben pflegte ich immer meinem unglückseligen Krankenwärter aufzuerlegen. Aber ich glaube, ihr braucht für diese Aufgabe ohnehin keine Schablone, Genossen. Alles was ihr zu tun habt, ist, nur das letzte Wort von Herrn Gurewitschs Schlagwort zu ändern und SCHUST durch BARBI ZU ersetzen. Das erfordert nur ein bißchen Tünche und etwas Farbe.«

»Eine Sekunde«, rief Hassidoff und schrie hinaus: »Weib! Eine Extraportion Kartoffeln und Linsen für den Herrn Ingenieur!«

»Auch ein paar Knödel, wenn’s gefällig ist«, sagte der Staatsmann. Nachdem sich Dulnikker an dem großen dicken Vogel gelabt hatte, begann er sich dem Barbier gegenüber dankbar zu fühlen, obwohl er unfähig war, sich das vernunftmäßig zu erklären. »Warum steht ihr?« fragte Dulnikker den Bürgermeister. »Warum setzt ihr euch nicht, Genossen?«

Beide setzten sich auf den Bettrand.

»Meine Herren, ich bin bereit, Ihnen die Siegeskrone zu überreichen«, verkündete Dulnikker, als er die schmackhafte Beilage mit wachsender Gier verschlang, »aber dafür verlange ich eine erstklassige cuisine!«

Frau Hassidoff servierte dem Staatsmann eine Schüssel mit heißen Knödeln, Pflaumenkuchen, ein Pfund Äpfel, ein Päckchen Zigaretten und schwarzen Kaffee und dann — noch eine Scheibe Fleisch, einen Zwiebelrostbraten und eine Gemüse-Nudelsuppe, belegte Brote und eine Flasche Südwein. Als ihr ausführliches Gespräch beendet war, taumelte Salman Hassidoff hinaus, versperrte die Tür besonders sorgfältig und trompetete seiner erschöpften Gattin zu:

»Der Herr Ingenieur ist ein liebenswürdiges Genie. Er hat mir eine derartige Geheimwaffe geschenkt, daß ich sie nicht einmal dir erzählen kann.«

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Gleich an jenem Freitag abend stahlen sich der Barbier und sein Bürowächter wie zwei Geister auf Seitenwegen durch das Dorf. Die beiden bedeckten die Buchstaben SCHUST in der feindlichen Aufschrift mit frischer Tünche, und auf ihrer zweiten Runde malten sie auf das weiße Viereck — in der gleichen Grünschattierung — BARBI. In der Morgendämmerung stand die Wahl unter umgekehrten Vorzeichen: Der Schuhflicker war noch immer für das Dorf, aber das Dorf war jetzt für den Barbier.

Da das ganze Unternehmen Freitag nachts stattgefunden hatte, ergoß Ja’akov Sfaradi seine Wut über die Sabbathschänder wie ein Sandsturm in der Wüste Sinai.

»Ein Mensch, der am Vorabend des Sabbath auf jüdische Wände schreibt, kann nicht Bürgermeister in einem jüdischen Dorf sein«, wetterte der Schächter gegen den öffentlichen Sünder. »Durch diese abscheuliche Tat hat sich der Bürgermeister de facto aus der Alljudenschaft ausgeschlossen. Daher erkläre ich, Ja’akov Sfaradi ben Schlesinger, kraft der mir vom Hauptrabbinat übertragenen Autorität Salman Hassidoff für exkommuniziert! Wer immer von heute ab mit ihm irgendwie in Kontakt tritt, mit ihm spricht oder für ihn stimmt, wird ebenfalls exkommuniziert und geht seiner Rechte an den Diensten meines Vorhofs, einschließlich Beschneidung und Heirat, verlustig. Der Schächter hat gesprochen.«

Kein Wunder also, daß Dulnikker Sonntag morgens bei dem Geruch einer frisch gebackenen Erdbeertorte mit hoch aufgehäuftem Schlagrahm erwachte, die der exkommunizierte Bürgermeister zitternd durch das Fenster schob. Dulnikker ging daran, das Tortenkunstwerk mit Riesenbissen zu demolieren, während der entsetzte Barbier ihm erzählte, was durchgesickert war.

»Jetzt, vor den Wahlen, exkommuniziert zu werden!« jammerte das Opfer der Schikane. »Das ist wirklich eine Katastrophe! Was können wir dagegen tun, lieber Ingenieur?«

»Aber das ist doch einfach«, versicherte Dulnikker. »Ihr werdet den Schächter eurerseits exkommunizieren, Genossen!«

So geschah es, daß über dem Spiegel bald eine Aufschrift hing, die lautete:

»Ich, Salman Hassidoff, exkommuniziere hiermit den Schächter, kraft des Barbierdiploms, das mir vom Prüfungsausschuß verliehen wurde. Er verliert somit sein Recht, sich der Vorteile meines Barbierens zu erfreuen, und ich hebe auch sein Recht auf, mit einem Quorum in meinem Geschäft zu beten, als Strafe. Jeder Bürger, der es wagt, sich mit ihm zu befreunden, wird von mir nicht mehr rasiert. Das schließt auch Haarschneiden ein. Und als Bürgermeister werde ich ein Auge auf ihn haben. Der Barbier hat gesprochen.«

Natürlich nützte dieser interne Streit niemanden außer Gurewitsch. Der Schuhflicker wurde von Tag zu Tag aktiver, und seine Projekte zeugten von einem erschreckenden ideologischen Fortschritt.

»Herr Ingenieur, jetzt haben sie uns in der Klemme«, beklagte sich der Barbier, als er den Staatsmann in seiner Zelle rasierte. »Letzte Nacht pfuschte der hinkende Schuhflicker an der Schlagzeile herum: DER SCHUSTER LIEBT DAS DORF — DAS DORF LIEBT DEN BARBIER. Er änderte nur vier Buchstaben, und jetzt lautet die Aufschrift: DER SCHUSTER LIEBT DAS DORF — DAS DORF HASST DEN BARBIER! Jetzt werde ich den Barbier zum Schuster zurückmalen müssen, obwohl ich mich kaum mehr auf den Beinen halten kann, und mein Magen ist nicht in Ordnung. Eine entsetzliche Situation …«

»Gott sei Dank, Zev lebt.« Dulnikker empfand eine ungeheure Erleichterung und dachte heiter, »und außerdem ist er im Schoß seiner Familie.«

Die Mitglieder des Provisorischen Dorfrats waren gezwungen, wieder zu einer formellen Sitzung zusammenzutreten. Ofer Kisch hatte dabei eine Hand im Spiel, denn er leistete den wahrhaft bemerkenswerten Beitrag, daß er die vier Großen dazu überredete, ihre Unstimmigkeit beiseite zu schieben und sich an einen Tisch zu setzen. Der Abgrund zwischen den Dorfhäuptlingen war jedoch unüberbrückbar, und sie setzten sich mit bösen Gesichtern so weit wie möglich voneinander entfernt nieder. Malka hatte in dem Versuch, die Atmosphäre aufzutauen, Tee und Kekse vorbereitet. Der unermüdliche Schneider half ihr den Imbiß servieren, aber es gelang ihnen nicht, das Eis des Hasses zu brechen, das in der Ratskammer immer dicker wurde.

»Also kommen Sie zur Sache, meine Herren«, sagte der Schuhflicker schließlich. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Was gibt’s?«

»Wir müssen entscheiden, wie die Wahl abgehalten werden soll«, erwiderte der Wirt unter ungeheuerlichem Blinzeln, und alle verfielen in verwirrtes Schweigen, weil gerade dieser Punkt den Verstand der Abgeordneten überstieg. Sie begannen alle darüber zu brüten. Dem Barbier tat es allmählich sehr leid, daß er den Ingenieur nicht in seiner Hosentasche hatte mitnehmen können.

»Ja«, erwiderte der Schuhflicker, »das ist eine Grundsatzfrage. Jedenfalls müssen wir eine geheime Wahl abhalten.«

»Gut«, bemerkte Elifas. »Aber wie, um Himmels willen?«

»Sehr einfach«, erklärte der Schuhflicker. »Ich werde dort zwischen den vier armseligen Säulen Hassidoffs am Tisch sitzen, und die Leute werden neben mich treten und mir — ganz geheim — ins Ohr flüstern, für wen sie stimmen. Ich werde in einem Notizbuch eine Aufstellung machen, und am Ende addieren wir die Spalten.«

»Einfach wunderbar«, donnerte der Schächter, »und warum sollen ausgerechnet Sie, Gurewitsch, derjenige sein, der die Liste führt, wenn ich fragen darf?«

»Das gehört zu der Geheimhaltung«, murmelte der Schuhflicker. Der Barbier schaltete sich mit der Meinung ein, daß diese Regelung Mißverständnisse zulassen könnte.

»Ich habe einen viel demokratischeren Vorschlag, Genossen«, kündigte Hassidoff an. »Wir leihen uns eine Sammelbüchse von Majdud und Hajdud und stellen sie zwischen die Säulen. Jeder Stimmberechtigte, der nicht will, daß ich Bürgermeister bleibe, wird eine Halbpfundmünze in die Büchse werfen.«

»Das ist kindisch«, meinte der Schächter. »Vor allem muß man herausfinden, ob jeder Stimmberechtigte fromm ist oder nicht. Daher schlage ich vor, jeden Wähler zu verpflichten, die Hand auf einen Psalter zu legen und zu erklären: Ich stimme für den Schächter. Oder er kann das Gegenteil erklären: Ich bin ein Atheist.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, disqualifizierte Elifas Hermanowitsch die Idee und stieß wütend mit dem Fuß nach einer der Katzen, die zu seinen Füßen spielten. Alle Repräsentanten sahen klar, daß sie in eine Sackgasse geraten waren. Salman Hassidoff schob seinen Ärmel langsam hoch, blickte auf seine goldene Uhr und sagte:

»Es ist bereits sechs Uhr dreißig. Wir sollten lieber etwas tun, meine Herren.«

Der Barbier hatte sich lange auf diesen glorreichen Augenblick gefreut. Aber er wurde bitter enttäuscht. Der hinkende Schuster schob ebenfalls seinen Ärmel hoch:

»Ich habe erst sechs Uhr zwanzig«, sagte er sachlich. Aber auch ihm war eine Überraschung bestimmt. Der winzige Schneider warf einen schnellen Blick auf die Armbanduhr, deren Blaßgold an seinem linken Handgelenk schimmerte:

»Ich habe genau fünfundzwanzig vor sieben, Sommerzeit«, erklärte er und fügte hinzu, »vielleicht sollten wir den Tee trinken, Genossen, bevor er kalt wird?«

Die Repräsentanten rührten geistesabwesend in ihrem Tee herum und hoben die hübschen Porzellantassen an die Lippen. Aber da ging etwas Seltsames vor. Salman Hassidoff, dem der Tierarzt winzige rote Pillen gegen seine Magenzustände gegeben hatte, warf zwei von ihnen in seine Tasse, und siehe — der Tee begann zu schäumen, wurde grün und verbreitete einen scharfen Geruch …

»Meine Herren!« schrie der Bürgermeister de facto entsetzt. »Was geht hier vor?«

Die verblüfften Räte sahen ihn an, aber bei dem Klappern zerbrochenen Porzellans wandten sie die Köpfe nach Ofer Kisch um, dessen Tasse ihm aus der Hand geglitten und auf dem Boden zerschellt war. Der Schneider bückte sich, um die Scherben aufzuheben, und sah die zornige Malka an.

»Das ist ja fein!« rief die Gastgeberin aus. »Und das von meinem neuen Service!« Dann wandte sich Malka an Hassidoff. »Beruhigen Sie sich und trinken Sie aus, Herr Hassidoff, es ist der gleiche Tee, den ich täglich mache. Bestimmt ist etwas mit Ihren Pillen nicht in Ordnung.«

»Halt!« kreischte Frau Hassidoff. »Die Katze!«

Alle drehten sich um und sahen eine der Katzen an, die soeben den verschütteten Tee fertig aufgeschleckt hatte und sich jetzt in schrecklichen Schmerzen auf dem Boden krümmte. Die Abgeordneten stellten langsam ihre Teetassen hin und starrten in dumpfem Schweigen das unglückselige Tier an, das nach wenigen Augenblicken vor ihren Augen verendete.

Kurze Zeit waren die Anwesenden sprachlos. Die Dorfräte atmeten schwer und wischten sich bedrückten Herzens die Schweißperlen von der Stirn, während die Frauen vor Entsetzen zu Salzsäulen erstarrten.

»War die Katze krank?« erkundigte sich Ofer Kisch mit bleichem Gesicht, während er sich mit zitternden Lippen in eine Ecke drückte. Als Antwort auf seine Frage hinkte der vierschrötige Zemach Gurewitsch auf ihn zu und hob den kleinen Kerl am Genick hoch.

»Höre, Kisch«, flüsterte der Schuhflicker, gefährlich und gepreßt, »was war drin?«

»Wie soll ich das wissen?« Der Schneider zitterte am ganzen Körper und schluckte seinen Speichel.

»Was hast du in den Tee gegeben?«

»Verzeih mir, Gurewitsch …«

Die riesige Hand des Schuhflickers packte den Schneider fester, der wie ein gefangenes Tier zappelte und stöhnte. Die Spannung war unerträglich. Die Barbiersfrau brach laut in Tränen aus und fiel in ihrem Stuhl zusammen. Zemach Gurewitsch zerrte das Fragment von Mann zum Tisch und hielt Ofer Kisch eine volle Tasse an die Lippen:

»Trink!« brüllte er und schüttelte den Schneider auf und nieder. »Trink, du Bastard!«

Der schlotterte und schaukelte in den Händen des Schuhflickers vor und zurück wie eine leblose Wachspuppe.

»Was war drin?«

»Rattengift …«

»Woher hast du’s gehabt?«

»Vom Tierarzt.«

»Du Huligan!« donnerte der Schuhflicker ihn an und ließ ihn zu Boden fallen. »Hältst du uns für Ratten?«

Ofer Kisch erhob sich auf die Knie und breitete die Handflächen gegen seine Richter aus.

»Barmherzigkeit! Juden, habt Mitleid!« flüsterte er so weinerlich und heiser, daß es seinen Zuhörern schwer fiel, sein gestammeltes Flehen zu verstehen. »Glaubt mir, dem Sünder, daß ich nicht euch persönlich gemeint habe … Habt Mitleid, meine Herren! Ich bin ein armer Bettler, ein geborener Taugenichts, der in seinem ganzen Leben nie etwas erreicht hat. Ich besitze nichts, kein Heim, ich war immer hungrig, bis erst der Dorfrat eine kleine Änderung in meinem Leben zum Guten brachte. Aber stellt euch vor, meine Herren: Ich hatte das Gefühl, daß ich bestimmt nicht wieder in den neuen Rat gewählt und geradewegs in die gräßliche Armut zurückfallen werde … Und dieser Sturz wäre schrecklich gewesen, Genossen. Kein Mensch will hinuntersinken, jeder will emporsteigen zu glorreichen himmlischen Höhen. Jeder will in seiner kurzen Lebensspanne etwas Erfolg haben: menschlicher Ehrgeiz und goldene Träume … Wenn es daher ein Verbrechen ist, Genossen, zu streben, irgendeine öffentliche Stellung zu ersehnen, dann bin ich wirklich ein Verbrecher … ich weiß, daß es nicht nett war, was ich getan habe, ich entschuldige mich dafür, ich glaube auch, daß es nicht ganz richtig war, aber meine Freunde, versucht, mich zu verstehen: Ich wollte so schrecklich gern Bürgermeister werden … Das war mein Traum schon seit meiner schweren Kindheit: Bürgermeister sein! Nicht lange, nur ein paar Monate, ein halbes Jahr, sagen wir ein Jahr, zu spüren, daß ich jemand bin. Jetzt bin ich überzeugt, daß ihr mich alle haßt, Genossen, und ich bin euch deswegen nicht böse, weil ich weiß, daß ihr, die Starken, Erfolgreichen, die Lage des armen, rückständigen Burschen nie verstehen werdet, der nie Glück hat und Gegenstand des Gelächters für jedermann ist … weil er … schwach und klein ist …«

»Jetzt nimm’s nicht so schwer … Es ist nicht so schlimm«, murmelte Elifas, als er sich die feuchten Augen wischte, »es wird alles gut werden, Ofer. Du wirst sehen, es wird alles gut.«

»Danke, Genossen, ich danke euch sehr«, antwortete der Schneider bewegt. »Ihr seid alle wirklich wie gute Freunde zu mir. Glaubt mir, das tut mir mehr weh als euch … Ich hatte wirklich nicht geglaubt, daß eine solche Tragödie passieren würde. Das arme Kätzchen — ich will es bezahlen …«

»Macht nichts«, stöhnte Elifas, »es sind noch eine Menge Katzen im Haus übrig.«

In diesem Augenblick erhob sich Zemach Gurewitsch — dem es plötzlich zuviel wurde, dieses »Ofer-tut-einem-leid« —, packte den unglücklichen Bettelarmen, schleppte ihn zur Tür und beförderte ihn mit einem kräftigen Fußtritt in den Hintern hinaus.

»Hat man schon je einmal so etwas gehört«, murmelte der Schuhflicker. »Schön, ein Kerl erklärt seinem Feind den Krieg, aber doch nicht dem ganzen Dorfrat? Ich schwöre, der Tee war schon an meinem Mund, und in der nächsten Sekunde hätte ich ihn getrunken, wenn Hassidoff nicht das Gift entdeckt hätte.«

»Wirklich ein Glück«, grübelte der Barbier und starrte in die Luft.

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Als Dulnikker das sich nähernde Aroma von gebratener Gans roch, wußte er, daß ernste Angelegenheiten zur Diskussion standen. Der Barbier kam herein und stellte das Tablett bedingungslos vor dem Staatsmann nieder — eine Tatsache, die einigermaßen das innere Einvernehmen illustrierte, das sich zwischen den beiden Männern in den letzten Tagen entwickelt hatte.

»Bon appetit, Genossen«, bemerkte Hassidoff und fügte hinzu: »Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, Herr Ingenieur, aber kurz bevor Sie unser Gast geworden sind, versprachen Sie mir, mich reden zu lehren.«

Der Staatsmann schluckte monumentale Bissen von dem Gänsebein, das er in der Hand hielt, weil er schon lange von dem Gebrauch von Eßgeräten abgekommen war. In seinen gegenwärtigen Umständen — hatte er geschlossen — war Besteck einfach überflüssig. Dulnikker stand zudem unter dem Einfluß des süßen Weines, den er seit neuestem zu trinken begonnen hatte, und er schwelgte in den wohltätigen Gefilden des Alkohols, in deren Macht es stand, ihn von den Problemen der Gegenwart zu befreien, ob es nun die Fesseln waren, die ihn im Augenblick festhielten, oder Shimshon Groidiss.

»Ihr braucht nicht Rhetorik zu studieren, Genossen«, versicherte ihm der Staatsmann gönnerhaft mit vollem Mund. »Euer Reden hat befriedigendes Niveau.«

»Vielleicht versteh’ ich mit gewöhnlichen Bauern auszukommen, aber was ich meine, ist die Fähigkeit, stundenlang zu reden und so, daß die Leute nicht genau verstehen, worüber ich rede. Ich will reden können wie Sie, Herr Ingenieur.«

»Oj, oj, Salman, mein Freund«, kicherte Dulnikker und rieb sich die Nase. »Das verlangt nicht nur Begabung, Genossen, sondern auch eine ungeheure Übung. Was mich betrifft, so habe ich schon im Alter von sechs Jahren, als ich ein kleiner Engel war, eine derartige Festrede zum Ende des Schuljahrs gehalten, daß an jenem Abend die Eltern erschrocken und in Scharen herbeikamen, um herauszufinden, was ihren Sprößlingen zugestoßen war. Übrigens, zu welcher Gelegenheit plantet ihr zu sprechen, Genossen?«

»Nur eine Versammlung von Farmern.«

Wieder verspürte Amitz Dulnikker jene süße, sinnliche Schwindligkeit seinen Körper wie Rauschgift durchdringen. Die großen Schwierigkeiten, die er in den letzten Wochen erlitten hatte, ließen ihn vorübergehend die Tatsache vergessen, daß er seit mehr als einer Woche keinen nennenswerten Vortrag mehr gehalten hatte. Jetzt eben, dank der Bitte des Barbiers, durchbrach sein innerer Stausee die Dämme mit ohrenbetäubendem Getöse. Der Staatsmann sprang auf, und mit dem fast abgenagten Gänsebein in der Hand wie dem Taktstock eines Dirigenten, begann er eine Festrede, die unter Hochdruck aus seiner Kehle aufschäumte. »Bürger von Kimmelquell, meine Damen und Herren, Altansässige und Neueinwanderer! Verzeiht mir, daß ich einige Minuten eurer Zeit in Anspruch nehme, aber nachdem ich von beiden Stimmenthaltungen gehört habe, die sich von einer absoluten Perspektive aus mit dem Problem beschäftigen, möchte ich in den wenigen mir zugestandenen Minuten trotz unserer Meinungsverschiedenheiten an diese lebenswichtige Angelegenheit erinnern und es absolut klarmachen, ohne auch nur etwas auszulassen oder hinzuzufügen, und zwar in einem dem Gegenstand angemessenen Maßstab, in einer Art und Weise, die unserer Weltanschauung gegenüber loyal ist, mit einem klaren Bewußtsein aller Hindernisse und der Bedürfnisse der Öffentlichkeit und des einzelnen …«

Die Reste der gebratenen Gans waren kalt geworden, und der Schatten des Zeigers der Sonnenuhr hatte sich um zwei Ziffern weiterbewegt, als Amitz Dulnikker seinen letzten Herzanfall in Kimmelquell erlitt. Salman Hassidoff hatte offenen Mundes den dahinrauschenden Worten gelauscht, unaussprechlich beeindruckt, als hätte ein Magier einen alles menschliche Fassungsvermögen übersteigenden Zauber ausgeübt. Und gerade das war die Kunst, die er von dem großen Redner lernen wollte: Diese göttliche Macht, unbegrenzt von Zeit und Raum zu sprechen, jeder Satz ein Satz und jedes Wort an seiner richtigen Stelle, und dennoch ohne einen einzigen wesentlichen Begriff auszudrücken — wie ein unendlicher Aal, der sich ewig dahinwindet.

Als Dulnikker zu stammeln und zu stöhnen begann, stürzte der Barbier auf ihn zu und streckte ihn sehr besorgt auf dem Bett aus; außerdem fächelte er kühle, erfrischende Luft über das rote Gesicht des Staatsmannes. Selbst Hassidoff war von der gigantischen, vollkommenen Rede bis zum Zusammenbruch ermüdet, aber er schonte sich nicht und kümmerte sich mit seiner Frau bis zum Einbruch der Nacht um den Ingenieur.

»Herr Ingenieur«, bat die brave Frau etwas besorgt, »Sie sollten so etwas nicht vor den Wahlen tun. Salman will noch immer, daß Sie ihn sprechen lehren.«

»Nun, Sie haben mich gehört, mein Freund«, flüsterte Dulnikker mit einem schwachen Lächeln, »jetzt ahmen Sie das einfach nach.«

»Das kann ich nicht«, protestierte Salman, »wenn ich so zu reden anfange, egal wie sehr ich mich auch bemühe, was ich sage, ist immer klar wie die Sonne. Haben Sie nicht irgend etwas Schriftliches bereit?«

»Was meinen Sie — bereit?«

»Eine solche Rede, geschrieben oder gedruckt. Es macht nichts, wenn es kurz ist, ich kann ja immer wieder von vorn anfangen …«

Dulnikker versuchte, sich nicht aufzuregen, weil er sich das wirklich nicht leisten konnte, aber die hartnäckigen Forderungen des Barbiers zerrten an seinen Nerven. Nach einiger Suche zog der Staatsmann ein zerknittertes Blatt der Parteizeitung aus seinem Koffer (Groidiss!). Dulnikker erinnerte sich, daß es auf der betreffenden Seite des Blattes etwas gegeben hatte, das dem Barbier entsprechen würde.

»Lesen Sie der Menge den Leitartikel vor.«

»Was ist ein Leitartikel?« fragte Frau Hassidoff.

»Eine Rede für Anfänger«, vereinfachte es ihr Dulnikker. Ermüdet fügte er hinzu: »Ihr solltet es mehrmals wiederholen, bis ihr es ganz parat habt, Genossen. Jetzt laßt mich ruhen.«

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Die Versammlung fand auf dem Baugrund des vorgeschlagenen Salman-Moses-Kulturpalastes statt. Die Bauern bearbeiteten ihre Felder gerade nicht, sowohl wegen der schweren Regenfälle, die der Winter gebracht hatte, als auch aus anderen Gründen. Daher hatten sie frei, um so an öffentlichen Vergnügungen wie Versammlungen teilzunehmen. Der Himmel neigte diesmal nicht dazu, gemeinsame Sache mit dem Schächter zu machen, und in völliger Mißachtung von Sfaradis Bannspruch der Exkommunizierung segnete der gütige Herr die Versammlung des Barbiers mit freundlichem Wetter.

Aus den Reihen der Versammelten ragten gewisse feindliche Schuhflickernikgesichter hervor, Gurewitsch selbst tauchte in letzter Minute persönlich auf und stand — von seinen Anhängern umgeben — in ominösem Schweigen am Rande des Feldes. Ehrlich gesagt, hatte der Schuhflicker alles Recht zu kommen, weil Hassidoff ganz plötzlich gerissen wurde und den Dorfbewohnern nicht enthüllte, daß dies seine eigene, höchst persönliche Versammlung war. Er verbarg sich hinter dem schwungvollen Schlagwort:

»EINE VERSAMMLUNG FÜR ANHÄNGER DER RECHTSCHAFFENHEIT — MIT ÜBERRASCHUNGEN!«

Diesmal führte nicht der Wirt den Vorsitz, weil Hassidoffs Magen sich jedesmal noch immer leicht drehte, wenn er sich an die Feier der Friseurgeschäftsjahresfeier erinnerte. Die Eröffnungsansprache hielt der kommunale Gemeindeamtswächter, ebenfalls ein wichtiger Dorfbewohner.

»Meine Herren«, lautete die einfache Eröffnung des stämmigen Bauern oben auf dem hohen Podium. »Ich sehe, ihr seid allesamt hier, um zu hören, was uns Salman, dieser ungeheuerliche Ingenieur, einhämmern will. Lassen wir also Salman reden. Für mich ist das schwer.«

Daraufhin setzte sich der Wächter ruhig zurecht, und der Barbier erhob sich kampfbereit. Es waren nur noch wenige Tage bis zu den Wahlen, und Hassidoff erkannte die vor ihm liegende Herausforderung. Er legte das Zeitungsblatt vor sich auf den Tisch, zog trotz des kühlen Wetters die Jacke aus und krempelte die Ärmel bis zu den Schultern hoch. Dann streckte er die Hand aus, drückte dreimal auf die Tischglocke und brüllte in die allgemeine Stille: »Leitartikel!«

Eine Bewegung der Überraschung und Genugtuung ging durch die Zuhörer. Die unverständliche Eröffnung versprach, daß da Großes kommen würde. Und Hassidoff hielt dieses Versprechen:

»Wenn wir nach Beendigung unseres ersten Fiskaljahres der Unabhängigkeit den Weg, den wir zurückgelegt haben, sorgfältig auswerten sollen«, deklamierte der Barbier laut, »und wenn wir zusammenfassen sollen, was der Schoß der Zukunft für uns umschlossen hält, müssen wir uns notwendigerweise fragen: ›Wohin?‹ Wir möchten glauben, daß die Bedürfnisse der Nation untrennbar ineinander verschlungen sind und daß mit ihrer Befriedigung sowohl der Frieden als auch der Fortschritt unseres Volkes in dieser Ära liegen …«

Salman Hassidoff spürte, daß ihm Flügel gewachsen waren. Er war nur schwer imstande, sich zu beherrschen und zwischen den Sätzen nicht in ein wildes Triumphgeheul auszubrechen. Er deklamierte, er sprach, belehrte und rhetorisierte genau wie der Ingenieur mit erstaunlicher Flüssigkeit, äußerst verwirrend, mit der gleichen elementaren Gewalt, wie die reißende Flut des hochgehenden Flusses die Berge überschwemmt, jeden Widerstand, der sich ihr in den Weg stellt, überrennt, zerschmettert und zerstört. Die Zuhörer standen eingeschüchtert da, von frommer Ehrerbietung erfüllt. Selbst die benommenen Gegner des Barbiers wurden von der Macht seiner gigantischen Rhetorik überwältigt. Frau Hassidoff sah den Redner staunend an, und man konnte sehen, daß sie sich von neuem in ihren kahlköpfigen Gatten verliebte. Hassidoff läutete noch zweimal und fuhr fort:

»Die Wahl vor uns liegt zwischen Einheit und Trennung, zwischen Aufbau und Zerstörung, zwischen Sieg und Niederlage, zwischen Erfolg und Mißerfolg, zwischen Anstrengung und Trägheit, zwischen dem Geraden und dem Gewundenen. Die Erbauer des Staates dürfen die Pflichten nicht mißachten, die uns die Erneuerung auferlegt, wenn uns die Schwingen der Geschichte an unsere Mission der Bewährung erinnern, wenn der zionistische Traum in das Herz und die Seele der Nation eingeschrieben hat: Fortsetzung nächste Seite, Kolonne fünf!«

Hier endete der Leitartikel. Da die letzten Wörter, die in Klammern unten auf der Seite standen, etwas unklar waren, insbesondere dem Redner, drückte der Barbier wieder auf die Glocke und wiederholte sie: »Kolonne fünf!«

Die Zuhörer reagierten auf diese überraschende Wendung der Rede mit verwirrtem Schweigen. Niemand hatte es in Betracht gezogen, gerade diese Redewendung besonders beachten zu müssen, wenn alles andere so dicht umwölkt war. Aber die Wiederholung riß den Schuhflicker aus seiner Lethargie, und blitzartig ging es ihm auf: ‘Aha! Eine fünfte will er!’ Er bildete einen Trichter aus seinen Händen und brüllte, so laut er konnte, zum Podium hinüber:

»Und ich sage, es wird keine fünfte Säule geben!«

»Stimmt!« Seine benommenen Anhänger erwachten. »Nieder mit der fünften Säule.«

Der Barbier wurde schrecklich wütend und verlor die Selbstbeherrschung.

»Ich sage euch, ich bin der Bürgermeister«, er hieb auf den Tisch, »und es wird doch eine fünfte Kolonne geben!«

Plötzlich begann die Tragödie. Hassidoff fiel über den Tisch vorwärts, den Körper in Krämpfen und den Mund überquellend von einem gallebitteren grünen Schaum. Hermann Spiegel sah, wie Hassidoffs plötzliche Rage den Gallenanfall hervorrief, aber selbst wenn er dem Leidenden hätte helfen wollen, wurde er durch die Schuhflickerniks daran gehindert. Sie packten die Stöcke, die sie zufällig mitgebracht hatten, und fielen über die Leute des Barbiers mit dem Schlachtruf her:

»Da habt ihr eure fünfte Kolonne, ihr Bastarde!«

Die Taschenmesser in den Händen der Bauern, die auf seiten des Barbiers standen, öffneten sich von selbst. Hermann Spiegel wand sich zum Rand des Feldes durch und öffnete das Erste-Hilfe-Kästchen, das er »nur für alle Fälle« mitgenommen hatte. Und gut, daß er es mitgebracht hatte. Kaum hatte er es geöffnet, schlug ihn jemand auf den Kopf, und er wurde ohnmächtig.