Persona non grata

Meine liebste Gula,

Ich sende Dir diesen Brief heimlich mit dem treuen Tnuva-Chauffeur, weil ich nicht wünsche, daß sein streng vertraulicher Inhalt öffentlich bekannt wird. Zuerst dachte ich, ich würde mit dem Lastwagen heimfahren, aber nachher beschloß ich, meine Gesundheit, die ohnehin schwach ist, nicht zu gefährden, indem ich zusätzliche Risiken eingehe. Daher möchte ich Dich hiermit bitten, Gula, mir ohne Verzug den Wagen zu schicken, um mich heimzubringen.

Diesmal ist kein Verdacht am Platz. Ich gedenke meinen eisernen Entschluß unter keinen Umständen zu ändern, und du wirst nicht von den gleichen kindischen Schritten Gebrauch machen müssen, um mich heimzubekommen. Ich habe jeden Kontakt zu Menschen abgebrochen, und ich habe sogar aufgehört, das Vieh zu hüten. Ich habe soeben eine schwere geistige Krise durchgemacht, die ihr Zeichen in meiner oben erwähnten schwachen Gesundheit hinterlassen hat. Heute bin ich wieder gezwungen, haufenweise verschiedene Schlaftabletten zu schlucken, da mein Magen launisch und mein Blutdruck über dem normalen Stand ist. Ich wurde von einem Menschen doppelt enttäuscht, der jahrelang zu meinen Füßen gelernt hat und meine Unschuld ausnützte. Diese Wunde ist noch nicht geheilt, so daß ich Dir im Augenblick keinen eingehenden Bericht über die schmerzliche Angelegenheit geben kann. Ich möchte Dir kurz eine Enttäuschung anderer Art beschreiben, die ich im Dorf Kimmelquell erlitten habe, deren uneinige Bürger ihr Leben verwüsten und auf Schlimmeres zusteuern. Ich hoffe, daß Dir diese Enthüllungen, Gula, die unerträgliche Situation, die mein Sein bedrückt, verstehen helfen. Vor zwei Wochen fand ich einen anonymen Brief auf meinem Bett. Er enthielt in äußerst primitiven Buchstaben die Frage: »Warum baut der Barbier einen Kuhstall statt eines Büros?« Zu der Zeit hatte ich mich bereits von den Dorfangelegenheiten zurückgezogen, war jedoch gezwungen, die Folgerungen des anonymen Briefes zu überlegen, weil auch ich bemerken mußte, daß in den letzten eineinhalb Monaten Baumaterial ins Dorf geströmt war, und daß auf der Baustelle des Gemeindeamts dennoch kein Bau vorhanden war, mit Ausnahme von vier Betonsäulen des Gerüsts. Selbst auf der Baustelle des Kulturhauses ist nur ein hastig aufgestelltes Schild zu finden, auf dem steht: »Hier wird der Kulturpalast des Dorfes zur Erinnerung an den verstorbenen Amitz Dulnikker errichtet werden.« (Die Unterstreichung stammt von mir. Ich meine damit nämlich, daß sie es zur »Erinnerung an den verstorbenen« gemacht haben, weil ich, als ich seinerzeit das Projekt plante, gleichzeitig die Dorfräte informierte, daß ich den Byzantinismus bedauere, Gebäude nach Lebenden zu benennen.)

Dennoch, trotz der sündhaften Langsamkeit auf dem Gebiet öffentlicher Bauten, hat sich Herr Hassidoff, der provisorische Bürgermeister, einen wunderschönen Kuhstall ganz aus Beton erbaut — eine Entwicklung, die Grund zu kummervollen Gedanken liefert.

Die Gewalt dieser Überlegung bewog mich, den anonymen Brief dem Dorfrat zu übergeben, aber die Abgeordneten reagierten auf die Beschwerde mit heftigen Vorbehalten und begründeten es mit der Tatsache, daß die Beschwerde nicht unterzeichnet war. Meine kompromißlos negative Einstellung zu anonymen Briefen ist öffentlich bekannt. (Wenn Du die Gelegenheit hast, meine Liebe, sieh Dir Band 3 des stenographischen Berichtes des Kongresses der Regierungskörperschaften 1953 an, und du wirst — nach Shimshon Groidiss’ langer und langweiliger Tirade — meine Rede über das Thema finden, die, ich glaube, von ungefähr Seite 420 bis Seite 500 läuft.) Dennoch bestand ich diesmal hartnäckig darauf und unterrichtete Herrn Hassidoff davon, daß ich ohne Rücksicht auf die mangelnde Unterschrift zu wissen wünschte, mit was für Material er seinen schönen Kuhstall erbaut habe. Herr Hassidoff antwortete mir, daß er nicht zu antworten bereit sei, solange er nicht wisse, wer den Brief geschrieben habe.

Von einem gewissen Gesichtspunkt aus schien er recht zu haben, daher lud ich unverzüglich den Polizeichef ein, in die Ratskammer zu kommen, und wies ihn an, mit Hilfe seines klugen Hundes Satan eine Untersuchung einzuleiten. Gleichzeitig deutete ich ihm meinen Verdacht an, daß sich der Urheber des Briefes in Dorfratskreisen bewege und die ganze Beschwerde bloß ein Akt persönlicher Rache sei. Daher beschnüffelte Satan den anonymen Brief, richtete seine Schnauze sofort auf den Boden und kletterte treppauf. Zu meinem großen Erstaunen ging Satan geradewegs in mein Zimmer. Einige Minuten später kam mein Zimmergenosse, der Polizist, mit seinem Hund wieder herunter und berichtete mir, daß Satan ohne zu zögern zu dem Bett seines Herrn gegangen sei und darin zu scharren begonnen hatte. Somit enthüllte sich, daß der Polizist den Brief selbst geschrieben und ihn in einem unbemerkten Augenblick auf mein Bett gelegt hatte. Der Polizist verfaßte unverzüglich eine Niederschrift des Kreuzverhörs entsprechend den Vorschriften, und es ist mir ein Vergnügen, einige Zeilen wie folgt aus der Niederschrift wörtlich zu zitieren, wegen ihres seltsamen Charakters:

ICH:

Warum habe ich diesen Brief geschrieben?

DER BESCHULDIGTE:

Weil es ekelhaft ist, wie sie Dorfgelder stehlen.

ICH:

Kann ich beweisen, daß der Barbier den Zement gestohlen hat?

DER BESCHULDIGTE:

Was ist das für eine Frage? Wenn ich es beweisen könnte, hätte ich den Brief unterschrieben — stimmt’s?

ICH:

Habe ich den Brief aus privater Rachsucht oder so etwas geschrieben?

DER BESCHULDIGTE:

Das verstehe ich nicht.

ICH:

Ich auch nicht.

Nachdem das seltsame Protokoll öffentliches Gut geworden war, wandte ich mich wieder an Herrn Hassidoff und begründete meine Forderung mit seiner vorangegangenen Erklärung, in der er versprochen hatte, den Fall der Erbauung des schönen Kuhstalls zu erklären, sobald der Verleumder identifiziert sei. Der Bürgermeister lehnte es jedoch ab, sich mit der Frage zu beschäftigen, mit der Behauptung, daß der Polizist geistig labil sei, da er Selbstgespräche führe, so daß seine Verleumdungen den Bürgermeister nicht im mindesten beleidigen könnten. Persönlich stimmte ich bereitwillig mit ihm überein, daß der Polizeichef zu lästiger Zurückgebliebenheit neigt, gleichzeitig aber unterstrich ich, daß die Affäre einer Klärung bedürfe. Ich wies die Abgeordneten auf die Wichtigkeit der Reinheit im öffentlichen Leben in unseren Zeiten hin und warnte sie, den Leuten einen Vorwand zu verschaffen, selbst wenn es nur eine lächerliche, völlig unbegründete Erfindung sei. Als ich endete, nahm der fünfköpfige Untersuchungsausschuß seine Tätigkeit wieder auf und im Prinzip meinen Vorschlag an, eine neutrale Persönlichkeit aus den Kreisen der Dorfbewohner als Rechnungsprüfer des Dorfrats zu ernennen, so daß dieser überprüfen könne, ob die Beschwerden gerechtfertigt waren. Um diese Stellung auszufüllen, schlug ich Hermann Spiegel vor, der den Eindruck macht, streng und gerecht zu sein. Wenige Tage später wurden ihm die Dokumente der Hassidoff-Affäre übergeben. Als der Rechnungsprüfer sein Amt antrat, versprach er dem Dorfrat in einer Plenarsitzung, daß er nicht nachlassen würde, bis er die Wahrheit in der Angelegenheit aufgedeckt habe. Als er mit seinem obenerwähnten Versprechen fertig war, brachen alle Räte in herzlichen Beifall aus, und jeder von ihnen, einschließlich des Herrn Hassidoff, kamen zum Rechnungsprüfer, um ihm Glück zu wünschen und die Hand zu drücken. Überdies segnete ihn der Schächter, Herr Sfaradi, mit dem Erlösersegen.

Ich erinnere mich nicht genau, ob ich dich, Gula, während Deines kurzen Aufenthaltes im Dorf mit dem Tierarzt bekannt gemacht habe. Herr Spiegel ist eine pedantische westdeutsche Persönlichkeit, die alle ihre beschränkten Fähigkeiten zur Lösung des Geheimnisses ins Spiel warf. Die ersten Schritte des Rechnungsprüfers waren jedoch nicht allzu erfolgreich, weil der Bürgermeister in seiner Zusammenarbeit mit Herrn Spiegel etwas zurückhaltend war, aus Gründen, deren Logik nicht leicht zu durchschauen ist. Das Folgende ist die Niederschrift eines Teils des Berichts Nr. 1, verfaßt vom kommunalen Rechnungsprüfer über diese Angelegenheit:

FRAGE:

Herr Hassidoff, warum endete der Bau Ihres Büros mit dem Gießen der vier Posten?

ANTWORT:

Weil das Baumaterial, das wir gekauft hatten, inzwischen ausgegangen war.

FRAGE:

Warum ging es aus, Herr Hassidoff?

ANTWORT:

Weil es nicht genügte.

FRAGE:

Wo haben Sie genügend Zement herbekommen, Herr Hassidoff, um Ihren Kuhstall zu erbauen?

ANTWORT:

Ich hatte es.

FRAGE:

Woher, Herr Hassidoff?

ANTWORT:

Ich weiß sehr gut, wer an einer solchen Frage interessiert ist.

FRAGE:

Herr Hassidoff! Wie erklären Sie es, daß einerseits der Zement für das Gemeindeamt verschwand und daß andererseits Sie einen Kuhstall mit Material bauen, von dem Sie nicht sagen können, wo Sie es gekauft haben?

ANTWORT:

Ich werde dem Schuhflicker vor den Bürgermeisterwahlen kein Material gegen mich verschaffen, das verspreche ich Ihnen.

Und so weiter, neun Seiten lang, bis der Verdacht des Herrn Hassidoff, daß seine Worte beim Wahlkampf gegen ihn verwendet werden könnten, endlich beschwichtigt war und er eine eingehende Zeugenaussage lieferte, die Licht auf die ganze Affäre warf:

»Eines Nachts gehe ich schlafen«, so beginnt die Zeugenaussage des provisorischen Bürgermeisters, »und um Mitternacht, da taucht plötzlich in meinem Traum ein sehr alter Zwerg auf, vielleicht neun Zoll hoch, alles in allem, der einen Turban trägt. Sein langer Bart ist ganz rot, und seine Augen sind wie Kohlen. Dann läutet er dreimal mit einer Glasglocke und sagt zu mir: ›Salman Hassidoff, gehe in einer dunklen, mondlosen Nacht, dann, wenn der Hahn zu krähen anfängt, zum Kreuzweg des Dorfes, wo die drei Pappeln stehen, und grabe unter den Wurzeln des mittleren Baumes nach. Einen halben Meter tief‹, fuhr der uralte Zwerg fort, ›wirst du ein Kästchen voller Tnuvascheine finden. Nimm sie und baue dir mit ihnen zum Ruhm des Dorfes einen Kuhstall.‹ So sprach der alte Zwerg, und ich wußte wirklich nicht, was ich ihm sagen sollte. ›Meister‹, fragte ich ihn. ›Warum schenkst du mir einen solchen Schatz?‹ Da antwortete mir der Alte: ›Weil du der Bürgermeister bist‹, und er läutete wieder mit seiner Glocke und verschwand. Als ich in der Früh aufwachte, glaubte ich den Traum nicht. Aber dann wurde ich neugierig, und in einer mondlosen Nacht, als der Hahn krähte, ging ich zu den drei Pappeln, und unter der mittleren fand ich ein Vermögen. Ich nahm es und erfüllte den Befehl des Zwerges mit dem Kuhstall.«

FRAGE:

Haben Sie irgendeinen greifbaren Beweis, daß das, was Sie sagen, wahr ist, Herr Hassidoff?

ANTWORT:

Natürlich. Jeder kann kommen und den Kuhstall sehen, den ich gebaut habe.

Verzeih, bitte, Gula, daß ich Dir so ausführlich beschreibe, wie sich die Dinge entwickelt haben, aber ich will wirklich, daß Du die Kräfte voll verstehst, die mich gezwungen haben, diese Hinterwäldler so schnell wie möglich zu verlassen. Nun, wie Du oben gelesen hast, wäre die Aussage Herrn Hassidoffs über den Ursprung seiner Mittel glaubhaft gewesen, wenn nicht die Sache mit dem Glockenläuten gewesen wäre, die mich staunen ließ, denn ich konnte keinen Sinn und Verstand für diese Handlung seitens des uralten Zwerges finden. Trotz alledem hätten wir uns dennoch von der Hassidoff-Affäre den täglichen Angelegenheiten zugewandt, hätte es nicht die Wachsamkeit des Herrn Spiegel gegeben, die ich hier als lobenswert vermerke.

Was ich meine, ist, daß die Aussage Herrn Hassidoffs den Rechnungsprüfer des Dorfrats nicht befriedigte und er deshalb beschloß, der Sache nachzugehen. Daher erhob er sich in einer entsprechenden Nacht beim ersten Hahnenschrei und ging zum Kreuzweg, wo er — nur zwei Pappeln vorfand! Verständlicherweise widerlegte und zerstörte das alle Behauptungen des Bürgermeisters. Er hatte sich widersprochen; denn man kann nun einmal nicht feststellen, welcher von zwei Bäumen der mittlere ist. Daraus ersiehst Du, daß jede Lüge kurze Beine hat und entdeckt wird.

Der Rechnungsprüfer des Dorfrats hielt seine Entdeckung absolut geheim, um die Verdächtigen nicht im voraus zu warnen, und setzte seine Untersuchung fort, obwohl er seine Taktik änderte. Einmal, in einer besonders schwülen Nacht, als ich in den Garten hinunterging — wie das meine Angewohnheit ist, um in der strohgedeckten Hütte etwas frische Luft zu holen —, bemerkten wir plötzlich eine schwarze Silhouette, die verstohlen zum Fenster des Barbiers kroch, durch das noch immer Licht schien, sich aufrichtete — und die Ohren an die Fensterläden preßte.

Kurz und gut, am nächsten Tag berief ich auf ausdrückliches Ersuchen des Rechnungsprüfers den Dorfrat zu einer Notstandssitzung ein und erteilte Hermann Spiegel das Wort, dessen Zittern seine stürmische Geistesverfassung anzeigte. Nun, Geliebte meiner Seele, was uns der Rechnungsprüfer enthüllte, genügte, daß einem die Haare zu Berge standen. Der Rechnungsprüfer hatte — wie er es ausdrückte — jener Nacht ein offenes Ohr geliehen und gerade jenen Teil eines Zwiegesprächs zwischen Herrn Hassidoff und seiner Gattin erlauscht, in dem Frau Hassidoff ihren Gatten schalt, weil er Mischa, dem Polizisten, nicht einen Sack Zement angeboten hatte, da es auf diesen Sack ohnehin nicht mehr angekommen wäre, weil der Barbier bereits drei Säcke dem Schuhflicker und je einen dem Wirt, dem Schächter und dem Schneider gegeben hatte. Andererseits, behauptete Frau Hassidoff, hätte der Zement dem Polizisten den Mund versiegelt, und alles wäre nie so weit gekommen.

Die scharfen Worte des Rechnungsprüfers legten den Abgeordneten ein Hindernis in den Weg. Tiefes Schweigen herrschte in der Ratskammer. Schließlich stand Herr Hassidoff auf und sprach sehr scharf zu Herrn Spiegel. »Das ist Spioniererei!« rief der provisorische Bürgermeister. »Das ist das Niedrigste auf der Welt: An einem geschlossenen Fenster horchen!« Der Dorfschächter stimmte Herrn Hassidoff unverzüglich zu und erklärte, daß »ein Ohr leihen« eines der ernstesten Kapitalverbrechen sei, weil es eine Art geistigen Diebstahls sei, für den rabbinische Gerichte schon mehr als einmal schwere Urteile verhängt hatten.

Die Situation war wirklich äußerst heikel. Dem Rechnungsprüfer des Rats gelang es nicht, sich angesichts der Beschuldigungen zu verteidigen, die von allen Seiten auf ihn herunterprasselten, und er konnte nur monoton den einen Satz wiederholen: »Zugegeben, ich habe eine schändliche Tat begangen, aber der Herr hat trotzdem Zement gestohlen!« Seine Worte wurden jedoch von dem allgemeinen Geschrei verschluckt. »Wichtigmacher! Kleiner Angeber!« schrie Ratsherr Ofer Kisch den Rechnungsprüfer auf Bauernart an. »Solche Leute gehören eingesperrt!« Die Frau des Barbiers, Frau Hassidoff, konnte ihre Wut nicht beherrschen und erkundigte sich, wie es denn käme, daß der Dorfzement Hermann Spiegel etwas angehe, und warum Hermann Spiegel den Dorfrat mit persönlichen Angelegenheiten belästige? »Drei bildschöne Kühe sind mir letztes Jahr eingegangen, wegen Ihrer miesen Behandlung«, wurde jetzt auch der Schuhflicker hysterisch. »Warum reden Sie nicht davon, Spiegel?«

So schalten die Räte den Rechnungsprüfer immer wieder wegen seiner Unloyalität dem Vertrauen gegenüber, das sie zu ihm gehabt hatten, und daß er seine Stellung dazu mißbraucht habe, die Stellung des Dorfrats absichtlich zu unterminieren. Der arme Spiegel versuchte, sich zu verteidigen und sie daran zu erinnern, daß sie ihn gebeten hatten, die Wahrheit der Hassidoff-Affäre zu enthüllen. Aber seine Bemühungen waren umsonst, und er war gezwungen, die Kammer beschämt und schnellen Fußes zu verlassen, um Huliganismus zu vermeiden. Der Untersuchungsausschuß wurde unverzüglich zusammengerufen. Er zog auf der Stelle die Ernennung des Tierarztes zurück und beauftragte das Ausschußmitglied Ofer Kisch, mit der Untersuchung fortzufahren.

Nunmehr, Gula, siehst Du sicherlich meine besondere Situation als Vorsitzender des Provisorischen Dorfrats. Einerseits verstehe ich die Stimmung der Abgeordneten völlig — Hermann Spiegels Spionieren hatte ihre Wut geweckt. Schnüffeln ist, gleichgültig unter welchen Umständen, immer ekelhaft. Aber andererseits bin ich bekannt für meine feste Haltung in allem, was den Puritanismus in unseren Zeiten betrifft. Also erhob ich mich und verurteilte das Benehmen des Rats einem Mann gegenüber, der einfach seine Pflicht getan hatte. Ich erklärte den Abgeordneten, daß sie, die Spitzen des Volkes, vom Eigentum des Volkes nicht einmal einen Faden oder ein Schuhband nehmen dürften, besonders wenn eine so fragwürdige Regelung völlig unnötig gewesen war, denn wir hätten gesetzesmäßig eine anständige Menge Zement und verschiedenen Materials für den Bürgermeister und die übrigen Abgeordneten in Form eines Vorschusses auf ihre zukünftige Pension oder so irgend etwas im Budget untergebracht. Jedoch — das machte ich klar — darf ein Vertreter öffentlicher Angelegenheiten niemals in Handlungen verwickelt werden, die sein Image verderben könnten.

Stelle Dir vor, Gula-Liebling, daß gerade in diesem Augenblick der Barbier — dieses Lästermaul — aufsteht, mich unverfroren unterbricht und mich schamlos fragt: »Was für ein Recht haben Sie, Herr Ingenieur, sich in die internen Angelegenheiten des Dorfrats einzumischen, und wer hat Sie, Herr Ingenieur, eigentlich eingeladen, nichtöffentlichen Sitzungen beizuwohnen?« Nicht nur das, aber der Schuhflicker, Herr Gurewitsch, beleidigte mich ebenfalls gröblichst: »Das Willkommen eines Gastes hat seine Grenzen«, und sie seien keine Säuglinge mehr und brauchten daher keinen Lehrer und so weiter.

Da alle Abgeordneten diesen zwei hochstaplerischen, unverschämten Kerlen gegenüber loyal waren, die übrigens unfähig sind, ohne mich auch nur einen Finger zu rühren, stand ich schweigend auf und erledigte sie mit dem Ausspruch: »Wehe dem Dorfe, das Amitz Dulnikker so behandelt!« Worauf ich hochaufgerichtet zu meinem Bett hinaufstieg.

Es wird Dir daher jetzt klar sein, Gula, warum es zwingend notwendig ist, daß ich aus diesem stinkenden Loch herauskomme. Es ist schwer für mich, die vergiftete Luft dieses Nestes von Huliganen zu atmen, die mir so unverschämt Trotz bieten. Mein Fall ist jedoch ähnlich dem vieler Baumeister der Gesellschaft. Ein Mann versucht, rückschrittliche Massen auf ein anständiges Niveau zu heben, obwohl er immer alles selber machen muß. Und letzten Endes wird er von seinen Schützlingen mit Füßen getreten, genau wie Julius Cäsar und alle Habsburger, glaube ich. Außerdem sind die ersten Herbstregen gefallen, und im Dorf ist es plötzlich kalt geworden. Ich bin in meinem Zimmer mit meinen Gedanken eingeschlossen und komme in keinen Kontakt mit Menschen, denn ich habe mich von der schmutzigen Wirklichkeit entfernt und betrachte weltliche Angelegenheiten als eitlen Wahn. Au revoir, Geliebte meiner Seele, ich warte auf Dich.

Dein

Dulnikker

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