7:58 Uhr
Sofitel Hotel, Seventeenth Street und Sansom
Street
Bis zum Hotel war es nur eine kurze
Taxifahrt durch die Stadt. Donovan Platt hatte einen eleganten
Treffpunkt ausgewählt, wahrscheinlich um ihn einzuschüchtern. Die
Portiers hier trugen faltenfreie Uniformen. Und der Haupteingang
lag abseits des hektischen Betriebs von Philadelphias Innenstadt.
Und? Es funktionierte. Jack kam sich billig vor, als er den
Haupteingang passierte. Er hatte zu Hause einiges über das Hotel
gelesen. Sportler und Musiker stiegen gerne hier ab. Einer
Klatschkolumne zufolge hatte Billy Joel erst vor kurzem hier
übernachtet. Billy Joel. Der Typ, zu dessen Song Jack und
Theresa auf ihrer Hochzeit getanzt hatten: »To Make You Feel My
Love.« Und jetzt war er hier, um ihren Scheidungsanwalt zu treffen.
Tja, so schloss sich der Kreis.
Als Jack das Restaurant im hinteren Bereich der
Empfangshalle betrat, hatte er sogar noch zwei Minuten Zeit.
Platt saß an einem Tisch mit einer
elfenbeinfarbenen Tischdecke.
Zusammen mit Jacks Frau, Theresa.
Und sie hielten Händchen.
Jack verspürte ein eisiges Druckgefühl in seinem
Brustkorb, das sich die Lungen hinunter, Richtung Magen
ausbreitete.
Seine schlimmsten Befürchtungen bestätigten
sich.
Er war nach der Trennung treu gewesen.
Sie nicht.
Jack setzte sich. Stellte die Adidas-Tasche neben
sich ab, so dass sie die Seite seines Fußes berührte. Versuchte
jemand, sie zu bewegen, würde er es spüren.
»Wer passt auf Callie auf?«
»Meine Schwester«, sagte Theresa. Sie sah ihn nicht
an.
»Für wie lange?«
»Ein paar Tage.«
»Wir sollten zur Sache kommen«, sagte Platt.
»Zu welcher Sache, Donovan?«
»Was ich Ihnen jetzt sage, wird nicht einfach für
Sie sein, Jack. Aber ich möchte, dass Sie einen Moment darüber
nachdenken, was für Ihre Tochter am besten ist.«
»Leck mich am Arsch, Donovan.« Er wandte
sich seiner Frau zu. »Theresa, was geht hier ab?«
Theresa blickte ihn immer noch nicht an.
»Jack, hören Sie uns einfach zu.«
Uns.
In diesem Moment – jetzt, da sie diesen flüchtigen
Blick austauschten – war plötzlich alles klar. Jack war tatsächlich
zu sehr in seine Arbeit vertieft gewesen. Zu vertieft, um zu
erkennen, dass Theresas Wochenend-Trips zu ihrer Mutter in Toledo
in Wirklichkeit Trips nach Philadelphia gewesen waren. Klar, sie
hatte Callie zwar mitgenommen. Aber sie dann bei ihrer Mutter
gelassen. Und seine Schwiegermutter hatte
davon gewusst, es entschuldigt, womöglich unterstützt.
»Seit wann ficken Sie meine Frau, Donovan?«
»Jack«, sagte Theresa.
»Sie müssen sich entscheiden, Jack. Sie können uns
zuhören und immer noch ein Besuchsrecht für Ihre Tochter erwirken,
oder Sie ziehen es vor, uns nicht zuzuhören. Kein Gericht in
diesem Land würde Theresa nicht das volle Sorgerecht zusprechen.
Besonders nicht hier in Philadelphia. Nicht bei den Richtern, die
ich kenne.«
Das Kältegefühl hatte Jacks Magen erreicht und
explodierte jetzt. Das war der Moment, vor dem er sich gefürchtet
hatte, über den er nicht gewagt hatte nachzudenken: Callie zu
verlieren.
Er hatte nicht glauben können, dass er sich
Gedanken darüber machen musste, er hatte sich immer gesagt, dass
Theresa nicht diese Art von Frau war, egal wie kaputt ihre
Beziehung am Ende war – sie würde ihrer Tochter nicht das Recht
verweigern, ihren Vater zu sehen. Theresas eigene Eltern
waren geschieden. Sicher sollte ihre Tochter niemals dasselbe
durchmachen müssen.
»Ich rate Ihnen«, sagte Donovan, »sich mein Angebot
anzuhören. Sonst wird es verdammt schwer werden, Ihre Tochter zu
treffen, wenn sie erst mal hier bei uns ist.«
»In Philadelphia«, sagte Jack.
»Ganz genau. Im Bryn Mawr College, um genau zu
sein. Der Unterricht dort ist fabelhaft.«
Jack sah seine Frau an. »Philadelphia.«
Und endlich erwiderte sie seinen Blick. »Selbst
wenn du zu Hause warst, Jack, warst du nicht zu Hause. Jetzt tu
nicht so.«
»Es ist doch das Beste für Callie«, sagte Donovan.
»Vergessen Sie Ihren Stolz, Ihre Wut, dann werden Sie das genauso
sehen. Es verstehen. Ich weiß, dass Sie ein viel zu guter Vater
sind, um Ihrer Tochter mit Ihren Gefühlen die Zukunft zu
verbauen.«
Philadelphia.
Ein Kellner näherte sich, doch Platt schickte ihn
wieder weg, indem er die ausgestreckte Hand hob. Dann fasste er
nach links unten, holte eine marineblaue Mappe hervor, in die mit
Blattgold der Name seiner Kanzlei eingraviert war: PLATT GLACKIN
& CLARK. Er reichte sie Jack, der danach griff und sie auf die
Serviette legte. Langsam öffnete er sie. Verschiedene Formulare und
Vereinbarungen, mit seinem und Callies Namen. Auch ein paar
Dollarzeichen und die Worte Reisekostenbeteiligung – aber
Jack konnte sich auf nichts davon konzentrieren. Im Innenfach der
Mappe klemmte ein blauer Kugelschreiber mit goldenen Verzierungen
und den goldenen Lettern des Firmennamens: PLATT GLACKIN &
CLARK.
Du warst nie zu Hause.
Jetzt tu nicht so.
Jack begriff, dass Donovan recht hatte: Es gab nur
eine Sache, die der Zukunft seiner Tochter im Weg stand.
»Das ist ein großzügiger Vertrag, Jack. Wenn Sie
links auf die erste Seite sehen …«
»Zunächst«, sagte Jack, »habe ich eine
Bitte.«
»Schießen Sie los, Jack.«
»Ich möchte meiner Frau einen Abschiedskuss
geben.«
»Ich glaube kaum, dass das …«
»Halt die Klappe, Donovan.« Jack stand auf
und trat um den Tisch zu Theresa.
»Tu das nicht«, sagte sie, während sie geradeaus
starrte.
Jack beugte sich hinunter und presste seine Lippen
irgendwie auf ihren Mund. Mit ihren kalten Händen fasste sie nach
Jacks Gesicht, um ihn wegzuschieben, aber er machte weiter, zwängte
seine Zunge in ihren Mund. Sie schmeckte nach bitterem Kaffee. Er
drückte sie zurück auf den Stuhl und hielt ihren Kopf mit den
Händen fest und küsste sie weiter.
»Um Gottes willen …«
Jack ließ von ihr ab.
»Mach’s gut, Theresa.«
Und dann nahm er die Adidas-Tasche und ging
davon.
»Mistkerl. Eisley, kommen Sie zurück! Tun Sie das
Ihrer Tochter nicht an.«
Jack drehte sich um.
»Bleiben Sie ab jetzt immer bei ihr, Donovan«,
sagte er. »Sie ist eine von diesen Frauen, die Sie nicht allein
lassen sollten.«