2:45 Uhr
Aufzüge des Sheraton, rechter Hand,
Nordseite
Kowalski und Kelly hielten Händchen. Er
trug noch immer dieselbe Kleidung wie schon den ganzen Tag über:
den Anzug und das Smokinghemd von Dolce & Gabbana, dazu die
Schuhe von Ferragamo. Sie hatte sich eine Jeans von Citizens Of
Humanity übergezogen, Puma-Turnschuhe und ein weißes Trägertop. Das
sah nicht nach einer Verabredung aus. Das sah wie das Ende einer
Verabredung aus. Als hätten sie sich in der Bar Noir getroffen,
wären die Straße runtergegangen, um im Hotel eine schnelle Nummer
zu schieben, und wären jetzt wieder unterwegs nach unten, um für
sie ein Anstandstaxi zu rufen. Ihre Augen waren jedenfalls
verquollen genug.
Die Türen schlossen sich. Kowalski hielt ihre Hand
noch fester umklammert. Besonders den Mittelfinger.
Oben im Zimmer hatte er ihre Hand gepackt, noch
bevor er die Handschellen geöffnet hatte, und sie gewarnt. »Ich
kann deinen Mittelfinger auf so grausame Weise brechen, dass du auf
der Stelle das Bewusstsein verlierst. Es wär mir lieber, wenn ich
dich nicht hier raustragen muss, aber auch das ließe sich leicht
erklären. Meine Freundin hier steht wirklich auf
Apfel-Martinis!« Dann hatte Kowalski ihren Finger nach hinten
gebogen, genau wie es ihm sein Lehrer zu Beginn der
CI-6-Ausbildung gezeigt hatte. Dafür waren nur zwei simple
Handgriffe erforderlich, die gleichzeitig ausgeführt wurden.
»Spürst du das?«
Sie hatte sich zu ihm umgedreht – was für eine
Frau! – und gefragt: »Kannst du dasselbe mit meinen Nippeln
machen?«
Kowalski hatte noch fester gedrückt, damit sie
wusste, dass er es ernst meinte. Sie hatte geschnaubt und gleich
danach den Mund zugemacht. Natürlich hatte es sie fast in Stücke
gerissen. Und natürlich hatte sie kapiert. Aber innerlich hatte er
gelächelt. Sie war wirklich gut.
Die Kabine fuhr abwärts und hielt schon im
Stockwerk darunter. Sechs. Großartig.
Die Türen öffneten sich, und ein Typ mit schwarzer
Turnhose, knöchelhohen Socken und einem T-Shirt mit der Aufschrift
TWO-WAY SPLIT trat zu ihnen in die Kabine. Er schien erstaunt, als
er merkte, dass er Gesellschaft hatte. Er hielt einen Eiskübel in
den Händen und drückte den Knopf für den fünften Stock.
»Der Automat auf meiner Etage ist kaputt.«
»Siehst du, Schatz. Philadelphia ist gar nicht so
eine tote Stadt. Die Leute hier machen richtig einen drauf.«
Kelly sagte nichts. Sie warf dem Typen in der
Turnhose einen derart scharfen Blick zu, als wollte sie ihm eine
telepathische Botschaft zukommen lassen.
Doch der Kerl hatte anscheinend Hemmungen, die Frau
eines anderen anzusehen, und unterbrach die Übertragung.
Die Türen gingen zu.
»Ich brauche etwas Eis für meine Diät-Cola. Ich hab
sie mir mitgebracht, aber sie ist warm geworden. Ich muss sie
kühlen, damit ich morgen früh was zu trinken habe.«
»Diät-Cola zum Frühstück?«
»Ich vertrag leider keinen Kaffee. Zu viel Koffein.
Das macht mich nervös.«
»Machen Sie’s einfach wie ich. Verdünnen Sie ihn
mit Bourbon.«
Kowalski sah zu Kelly und drückte ein wenig ihre
Hand.
»Nicht wahr, Schatz?«
Sie starrte immer noch den Typen mit dem Kübel
an.
Der Aufzug hielt. Der Mann nickte ihnen zu und
verließ mit dem Eiskübel in der Hand die Kabine. Der Lift setzte
sich wieder in Bewegung. Kelly warf Kowalski einen Blick zu.
»Ich will nicht sterben.«
»Ich hab nichts von Sterben gesagt. Hätte der Tod
auf der Speisekarte gestanden, hätte ich ihn längst
bestellt.«
Sie hatten das Erdgeschoss erreicht.
»Du verstehst nicht.«
Die Türen öffneten sich. Sie beugte sich zu ihm
vor.
»Ich will nicht sterben. Aber wenn ich muss
…«
Kowalski fühlte, wie Kellys Hand ihm entglitt. Er
griff danach, aber sie hatte bereits einen Schritt zurück gemacht,
umklammerte mit den Händen das Geländer der Aufzugkabine und
versetzte ihm mit beiden Füßen einen Tritt. Der Stoß raubte ihm den
Atem. Er flog durch die Luft. Während er fiel, drehte Kowalski sich
um die eigene Achse und riss die Hände nach hinten, um den Sturz
abzufangen, was ihm auch fast gelang. Mit der linken Handfläche
landete er mühelos auf dem Teppichboden, doch das rechte Handgelenk
verdrehte er sich unglücklich. Als er endlich wieder auf die Beine
kam, spürte er in seinem Handgelenk einen heftigen, stechenden
Schmerz, und die Türen schlossen sich bereits wieder. »Erzähl dem
Boss, dass ich verdammt noch mal gewonnen habe.«