2:25 Uhr
Sheraton, Zimmer 702
Meine Güte, dachte Kowalski. Was haben wir denn hier? Zwei bewusstlose Typen auf dem Boden eines Hotelzimmers. Eine zerbrochene Tür. Eine halb bewusstlose Frau, geknebelt und an einen Stuhl gefesselt. Nicht schlecht. Nimm dazu eine große Tube Gleitcreme, eine Autobatterie, ein paar Überbrückungskabel, und alles ist bereit für einen netten Samstagabend.
Jetzt aber wieder zum Geschäftlichen.
Da waren also die beiden bewusstlosen Typen. Erstens: Charles Lee Vincent, der hartgesottene Sicherheitschef des Hotels. Ein würdiger Gegner. Sogar um einiges würdiger als Kowalski angenommen hatte. Verdammt, sein Magen zitterte immer noch ein wenig. Aber Mr. Vincent war noch für etwa zwanzig Minuten außer Gefecht. Und bis dahin war Kowalski nur noch eine schmerzhafte Erinnerung.
Zweitens: der geheimnisvolle John »Jack« Eisley. Ein weiteres von Kelly Whites möglichen Opfern, keine Frage. War er bereits infiziert? Schwer zu sagen. Man ging besser davon aus, bis neue Anweisungen von der Verbindungsoffizierin eintrafen. Kowalski hoffte bloß, dass er nicht schon wieder jemanden enthaupten musste. Die Sporttasche hatte nur eine gewisse Größe, und er bezweifelte, dass es dem armen Ed gefallen würde, seinen persönlichen Bereich mit einem Fremden zu teilen. Erst recht nicht mit dem Trottel im schwarzen T-Shirt und Khakihosen, der mit seiner hübschen kleinen Schnecke abgehauen war, die er schon so gut wie im Bett hatte.
Was Kowalski zur Frau des Abends brachte. Vorhin am Flughafen hatte sie bloß wie eine weitere von diesen unechten Blondinen gewirkt. Großer Busen, hübsche Augen, nicht viel im Kopf. Ihm fiel immer noch nicht ein, an welche Schauspielerin sie ihn erinnerte. Aber es war eine, die er erst kürzlich in einem Film gesehen hatte.
Aus der Nähe jedoch erkannte Kowalski, dass ihre Augen wild entschlossen waren. Sie hatte die Augen einer Jägerin. Oh ja, dachte er, sie hat einiges gesehen. Es wäre eine Beleidigung gewesen, diese Augen als stechend zu bezeichnen; sie waren nur äußerst wachsam. So wie sie ihn jetzt anstarrte, auch wenn sie ziemlich erschöpft wirkte.
Kowalski wählte die Nummer seiner Verbindungsoffizierin, während er Kelly im Auge behielt. Sie war mit ihren eigenen Handschellen an den Stuhl gefesselt. Die Schlüssel befanden sich in ihrer Tasche. »Lustkästchen, was?«, hatte er gesagt, aber sie hatte ihn bloß angestarrt. Seine Verbindungsoffizierin hob ab.
»Okay, jetzt kannst du beeindruckt sein.«
»Sie lebt?«
»Und ist stinksauer.«
»Das ist egal. Fahr mit ihr Richtung Washington. Wenn du in Silver City bist, melde dich für weitere Anweisungen.«
»Ich werd gegen halb fünf in deiner Nähe sein. Wie wär’s mit einem vorgezogenen Frühstück? Nichts Ausgefallenes. Etwas Kaffee und ein paar Eier. Halt. Ich hab erst vor einer Stunde gefrühstückt. Vielleicht können wir mehr was Richtung Mittagessen bestellen. Hamburger und Kartoffelsalat.«
»Hör bitte zu, das ist jetzt wichtig. Du darfst dich nie weiter als drei Meter von ihr entfernen, aber du darfst sie auch nicht zu nahe rankommen lassen. Außerdem musst du jeglichen Kontakt mit Körperflüssigkeiten vermeiden. Sie darf dich weder küssen noch beißen, wahrscheinlich nicht mal kratzen. Und sie wird es garantiert versuchen.«
»Komm schon, N...«, fing er an und hielt sich dann selbst zurück. Fast hätte er ihren Namen gesagt. »Was zierst du dich wie ein kleines Mädchen?«
»Befolg nur meine Anweisungen.«
»Hör auf mit dem Scheiß. Hier sind nur wir beide, du und ich, verstehst du?«
»Du und ich, vergiss es. Es gibt nur dich und deine Auftraggeber. Befolge meine Anweisungen.«
»Deine Anweisungen sind echt beschissen.«
Kowalski machte das Handy aus und realisierte erst jetzt, wie kindisch er sich gerade angehört hatte. Egal. Vielleicht konnte er etwas mehr aus Ms. White herausbekommen. Im Moment schien sie etwas wacher zu sein. Sie musterte ihn mit ihren hübschen, grünen, durchdringenden Augen.
»Was ist?«, fragte er.
»Ich wusste es, er hat dich geschickt. Ich hab mich schon gefragt, wie lange es dauert, bis du auftauchst.«
»Du wusstest, dass ich dich hole?«
»Ich hab’s gehofft. Seit fast einer Woche. Es wundert mich nur, dass er so lange dafür gebraucht hat.«
»Wer?«
Kelly stieß abfällig die Luft aus.
Das hasste Kowalski am meisten an seinem Job. Manchmal fühlte er sich wie der Insider schlechthin, der Typ mit dem Finger am Puls des Geschehens, der Mann, der Geschichte schrieb und keine Erklärungen benötigte. Dann wieder fühlte er sich wie irgendein namenloser Typ in einer mit Filz ausgekleideten Arbeitsnische, der Büroklammern auf Papiere steckte, die in einer fremden Sprache getippt waren. Dabei konnte es sich um Dokumente handeln, die von größter Bedeutung für die nationale Sicherheit waren. Oder um Rechnungen für Truthahn-Sandwiches.
Das hier fühlte sich nach Truthahn-Sandwiches an. Inklusive Zahnstocher und Oliven.
»Schön, wenn du’s mir nicht sagen willst, auch egal.«
»Wie lang arbeitest du schon für ihn?«
»Seit ich bei Wendy’s nicht mehr hinterm Grill stehe. Ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten. Ständig diese quadratischen Burger. Das macht einen ganz verrückt.«
Kowalski trat hinter sie und behielt die Situation im Auge. Damit sie ihn nicht kratzen oder beißen konnte und um den Kontakt mit Körperflüssigkeiten zu vermeiden. Das war leichter, wenn sie bewusstlos war.
»Du bist genau wie er. So verdammt witzig. Gehört das zur Ausbildung für Jungs wie euch? Ein paar flotte Sprüche, um die Stimmung zu heben, bevor ihr jemanden tötet?«
Er mochte sie. Sie war schlagfertig.
»Okay, pass auf, es wär am einfachsten, dich k.o. zu schlagen und zu fesseln, ganz geschäftsmäßig, dich unter eine Decke auf den Rücksitz zu verfrachten und wegzufahren. Aber du möchtest wahrscheinlich nicht, dass das passiert. Hab ich recht?«
»Die Sache mit dem Fesseln klingt nach’ner Menge Spaß.«
»Natürlich. Aber dann müsste ich deinen bewusstlosen Körper irgendwie aus dem Hotel schleppen, um … wann? Um halb drei in der Früh? Das wäre echt beschissen. Darum mein Vorschlag: Wir gehen hier zusammen raus, Händchen haltend. Und steigen in ein Auto.«
»Was für ein Auto?«
»Keine Ahnung. Muss ich erst noch organisieren.«
»Wie nett.«
»Wir steigen ins Auto, und ich bringe dich da hin, wo du hinsollst.«
»Und wenn ich mich wehre?«
»Dann fessle ich dich, und zwar richtig fest.«
»Klingt immer noch nach Spaß.«
Kowalski würde sie so oder so k.o. schlagen, fesseln und auf den Rücksitz verfrachten. Aber es war einfacher, hier zusammen rauszugehen, ein Auto zu finden und den Rest außerhalb des Hotels zu erledigen. Es war frühmorgens, doch irgendwann würde jemand von unten den Sicherheitstyp anrufen. Vielleicht war das bereits geschehen. Kowalski hatte die Batterien aus Mr. Vincents Walkie-Talkie entfernt, ebenso wie aus dem Handy, das an seinem Gürtel klemmte. Die Batterien waren in den Spülkasten der Toilette gewandert.
Kowalski betrachtete Kellys Hände. Das waren eher die Hände eines Mannes – kräftige Handgelenke und fast schon Wurstfinger. Arbeiterhände.
Den Mittelfinger der rechten Hand betrachtete er besonders eingehend.
»Gehen wir.«
Blondes Gift
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