Null
Sie wollte weinen. Er hatte sich ganz
schön anstrengen müssen, um seine Luft in Lungen zu pressen, die
sie nicht spürte. Seine Lippen drückten gegen ihre, aber das konnte
sie ebenso wenig spüren. Vielleicht weinte sie bereits. Sie war
nicht imstande, die Tränen auf ihren Wangen zu fühlen.
Sie spürte also gar nichts, aber sie konnte
sehen und hören und denken.
Und sie wusste genau, was passiert
war.
Damals im Labor hatte sie zufällig belauscht,
wie die anderen ihre Vermutungen angestellt hatten.
Partielle Bindung.
Wenn die sich selbst vervielfältigenden,
supramolekularen Bausteine – oh, wie der Boss von Anfang an den
Spitznamen Mary Kates gehasst hatte -, wenn diese Bausteine also
vor einer Entscheidung standen, setzten sie sich auf null zurück.
Genau das musste bei ihr passiert sein. Die Aufzugtüren mochten
sich eine Sekunde oder den Bruchteil einer Millisekunde geöffnet
haben, das spielte für die Mary Kates keine Rolle. Sie setzten sich
auf null zurück.
Und ließen sie auf überaus kreative Weise mit
einem Hirnschaden zurück.
Es war nicht so, wie sie sich das vorgestellt
hatte. Sie hatte geglaubt, es würde schnell und effizient
ablaufen.
Jetzt hoffte sie, sie würde lang genug leben, um
sich zu rächen. Und um noch einmal in die Augen des letzten
Mannes zu blicken, den sie zum Tode verurteilt hatte.
Ihr Retter mit der Vorliebe für
Diät-Cola.
Während er seine Lippen auf die ihren presste,
lag echte Besorgnis in seinen blauen Augen.
Und dann tauchte der andere Typ auf. Der, den
der Boss geschickt hatte.
»Wie heißen Sie?«
»Brian.«
»Brian, haben Sie ihr eine Mund-zu-Mund-Beatmung
gegeben?«
Ja, der Typ wusste Bescheid. Aber er war kein
komplettes Arschloch. Er forderte Brian auf, sich zu waschen und
den Mund auszuspülen; als würde das helfen. Immerhin war es eine
Geste der Menschlichkeit.
Und dann sah ihr der Mann, den der Boss
geschickt hatte, in die Augen, und irgendwie spürte er, dass sie
noch da drin war, denn er berührte ihr Kinn mit seinem Zeigefinger
und sprach zu ihr.
»Tja, das war nicht sehr schlau.«