17:17 Uhr
Fernwood Court, Gurnee, Illinois
Theresas Schwester war überrascht, Jack zu
sehen. Sie hatte Theresa zurückerwartet und nicht ihn. »Das ist
nicht dein Wochenende«, stammelte sie. Vermutlich wusste sie
ebenfalls Bescheid.
»Ruf sie an und frag nach«, schlug Jack vor.
Er war müde von der Reise. Es war nicht einfach
gewesen, nach Illinois zu gelangen. Die Kontrolleure im Flughafen
hätten ihr blaues Wunder erlebt, wenn sie die Adidas-Tasche
überprüft hätten. Nicht dass die Entdeckung für ihn weniger
schockierend gewesen war. Glücklicherweise war er auf der Toilette
eines Fast-Food-Restaurants, als er nachsah. Er konnte seinen
Schrei mehr oder weniger unterdrücken.
Ein Flugzeug kam also nicht in Frage.
Eine Autovermietung genauso wenig – nicht ohne
seine Brieftasche mit dem Führerschein und den Kreditkarten.
Also blieben entweder Bus oder Bahn. Die Bahn war
schneller. Sie brauchte etwas mehr als einen Tag. Jack rief den
Herausgeber seiner Zeitung an und überredete ihn, ihm das Geld für
die Fahrkarte nach Philadelphia zu überweisen. Er würde ihm alles
später erklären, sagte er, aber er hätte eine Wahnsinnsstory.
Nicht für die Zeitung. Er würde es nicht wagen,
darüber in ihrer Zeitung zu schreiben.
Aber er wollte alles zu Papier bringen. Und in
einem Schließfach deponieren, in zehnfacher Ausfertigung; im Falle
seines Todes sollten die Kopien an verschiedene Tageszeitungen
gehen, hier in den Staaten und in Großbritannien. Zusammen mit den
Beweisstücken: Fläschchen mit dem Blut aus dem Kopf.
Jack wusste nicht, ob er Michael Kowalski je
wiedersehen würde. Aber er wollte darauf vorbereitet sein.
Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Kowalski das zu
schätzen wissen würde.
Vom oberen Ende der Treppe hörte Jack das Getrampel
von Füßen, dann sah er, wie sein Mädchen die Treppe
heruntergesprungen kam. »Daddy!«
Sie fiel ihm stürmisch um den Hals und drückte so
fest, dass sie drohte, sein Herz zum Platzen zu bringen. Es gab
nichts Besseres.
»Du hast mir gefehlt.«
Er wünschte, er könnte sie für immer festhalten.
Sie für immer bei sich haben.
Und wäre das nicht überhaupt die Lösung?
Natürlich nicht. Nachdem er sie auf den Scheitel
geküsst und wieder runtergelassen hatte, damit sie ihr Nickerchen
machen konnte, nachdem er Theresas Schwester gesagt hatte, ja, er
sei okay, und, nein, er habe keine Ahnung, wann Theresa nach Hause
käme, aber er hätte für seinen Teil alles im Griff, vielen Dank
(während er dachte, du weißt genau, wo deine Schwester ist –
Donovan Platt ist schließlich ein alter Freund der Familie) … nahm
Jack die Adidas-Tasche
– und eine Plastiktüte voller Zeug, das er in einem Baumarkt
besorgt hatte – und ging damit in den Keller, um den Kopf zu
bearbeiten. Er füllte so viele Fläschchen, wie er ertragen konnte.
Und versuchte nicht auf das Gesicht zu schauen.
Als er damit fertig war, brachte er die Tasche in
den Garten hinterm Haus und grub ein flaches Loch. Er gab der
Tasche einen Tritt und machte sich daran, sie mit der losen,
stinkenden Erde zu bedecken.
Jack dachte an das Medaillon, das er für Callie
kaufen wollte. Ein Herz wäre praktisch. Etwas mit einem
winzigkleinen Glasbehälter.
Etwas, von dem sie versprach, es immer zu tragen,
egal was auch passierte.
Genau wie das Fläschchen, das er um seinen Hals
trug.
Wer weiß.
Vielleicht brachte sie das einander näher.