2:52 Uhr
Sheraton, Zimmer 702
Jack war selbst erstaunt, wie leicht ihm
die Lügen über die Lippen kamen. Ihm war klar, dass Mr. Charles Lee
Vincent – so hieß der Sicherheitsmann mit vollem Namen -, dass
Lee Vincent den ganzen Mist über die Mary Kates und die
Nanomaschinen und Irland und San Diego nicht glauben würde. Jack
konnte es nach wie vor kaum glauben, und dabei war ihm fast das
Gehirn im Schädel explodiert.
Also musste er Mr. Charles Lee Vincent etwas
erzählen, was der glauben konnte. Irgendwas, damit er in
seiner Nähe blieb.
»Hören Sie, ich leide unter einer extremen
Angststörung. Vor ein paar Minuten, das war so eine Attacke.«
Los, weiter, Worte sind doch dein Metier. Trag ein
bisschen dicker auf.
»Mein Psychotherapeut hat mir gesagt, wenn ich
länger als ein paar Sekunden allein bin, kann das einen
Schlaganfall auslösen.«
Charles Vincent runzelte die Stirn. »Okay, Sir. Ich
höre Ihnen zu.«
»Sie müssen das verstehen. Sie dürfen mich nicht
allein lassen. Keine Sekunde.«
»Verstehe. Aber Sie müssen auch verstehen,
dass ich einen Job zu erledigen habe. Und das bedeutet, dass ich
die Polizei verständigen muss, damit wir den Typ schnappen, der das
getan hat.«
Die Polizei. Vor ein paar Stunden hätte Jack sich
diesem Vorschlag um den Hals geworfen und ihm einen Zungenkuss
verpasst. Doch wenn er ihn jetzt bis zur letzten Konsequenz
durchspielte …
Er in einem Verhörzimmer. Ihm wird eine Tasse
Kaffee angeboten. Er sagt: »Officer, ich will einen Mord melden.«
Der Officer sagt: »An wem?« Er sagt: »An mir.« Er sieht, wie der
Detective den Raum verlässt und die Tür hinter sich schließt. Er
zählt bis zehn, bevor sein Kopf wie eine Wundertüte
explodiert.
Und selbst wenn er es schaffte, dass die Beamten
bei ihm im Verhörzimmer blieben, was konnte er ihnen schon
erzählen? Er konnte nicht mal beweisen, dass Kelly White überhaupt
existierte. Wohin sie auch verschwunden war oder wohin man sie
gebracht hatte, sie hatte ihre Tasche bei sich.
»Okay, Sportsfreund, wir glauben Ihnen, warten Sie
kurz, wir sind gleich mit dem Kaffee zurück«, würden die Bullen
sagen.
Und die Tür des Verhörzimmers würde sich schlie
ßen.
Kawumm.
»Bringen Sie mich einfach nur nach unten. Lassen
Sie mich neben dem Typen am Empfang sitzen, und Sie können tun, was
Sie tun müssen.«
Das war seine einzige Chance. Und von dort aus
musste er sich zu einem Ort mit vielen Menschen begeben. Eine
überfüllte Bar. Moment – es war kurz vor drei Uhr morgens. Die Bars
waren geschlossen. Genauso wie die Coffee Shops, die
Einkaufszentren und Postämter, wie die Restaurants und Imbisse …
Jesus. Er befand sich in Philadelphia, und es war mitten in der
Nacht. Eine Stadt, in der nach 18.00 Uhr bekanntermaßen die
Bürgersteige hochgeklappt wurden.
»Okay, das geht. Kommen Sie. Lassen Sie uns
runtergehen. Dieser Scheißkerl hat mir mein Handy abgenommen –
warten Sie. Lassen Sie mich einen Moment das Zimmertelefon
benutzen, okay?«
Jack nickte, aber dann registrierte er, was er tat.
Der Nachttisch mit dem Telefon befand sich in der anderen Ecke des
Zimmers. Scheiße. Waren das mehr als drei Meter?