6:55 Uhr
Eins, zwei, die Schuh herbei. Drei, vier, ich
schließ die Tür. Fünf und sechs, nimm die Stöcke längs des Wegs.
Sieben und acht, die Stöcke fort, ganz sacht Neune, zehne … ‘ne
große fette Henne.
Kowalski gab noch ein paar Sekunden dazu,
nur um ganz sicherzugehen.
Dann öffnete er die Tür; Jack war ganz bleich, und
er schwitzte und krümmte sich auf seinem Stuhl, aber er lebte. Die
Sporttasche lag immer noch auf seinem Schoß.
»Was haben Sie getan?«, keuchte er. »Warum bin ich
noch am Leben?«
Die Ortungssysteme in Jacks Körper schienen die aus
Eds zermatschtem Kopf in der Sporttasche registriert zu haben. Der
Wirt musste also nicht am Leben sein. Die Ortungssysteme mussten
lediglich in der Nähe sein, in einem Umkreis von drei Metern. Wie
Jack gesagt hatte.
Gut zu wissen.
Und das war so ziemlich alles, was er wissen
musste. Er konnte jetzt die Sporttasche nehmen, Jack hier
zurücklassen und seinem Kollegen Sarkassian sagen, dass er ihn hier
einfach einige Minuten schmoren lassen sollte, damit er über ein
paar Sachen nachdachte … Ah, nein. Das war nicht klug. Was, wenn
Kelly White tatsächlich tot war? Er konnte einen lebenden Zeugen
gebrauchen. Zumindest vorübergehend.
Bis er rausgefunden hatte, was für ein Spielchen der CI-6
trieb.
Ja, er gab es zu. Er war vorher noch nie von einer
Operation abgezogen worden.
Und das tat weh.
Okay, also Plan B: Er würde diesen Typen mitnehmen
und Kelly White ausfindig machen – falls sie noch unter den
Lebenden weilte. Dann würde er den Kerl in einen Wandschrank
befördern, ihm alles Gute im Jenseits wünschen und ihn bitten,
Mayor McCheese von ihm zu grüßen.
Falls Kelly White schon tot war … tja, dann musste
er einen sicheren Ort aufsuchen, sich einen Anwalt nehmen und auf
eine ganze Menge Scheiße gefasst machen . Denn
möglicherweise beschloss der CI-6, sich von einem gewissen Michael
Kowalski zu trennen.
Und das konnte er nicht zulassen. Zumindest nicht,
solange er nicht seine süße Katie gerächt hatte.
»Bereit, Jack?«
»Wofür? Haben Sie mir nicht zugehört? Ich hab Ihnen
eine Frage gestellt.«
»Ja, und ich hab dich gehört. Ich würde allerdings
keine Zeit verlieren, wenn ich an deiner Stelle wäre.
Fluoreszierendes Toxin ist eine echt fiese Sache. Und nach deiner
Berechung hast du kaum noch zwei Stunden zu leben. Wir müssen ins
Krankenhaus.«
Es erforderte lediglich ein paar Minuten und ein
erneutes Herumzeigen der geprägten Oberfläche mit dem
Adler-Hologramm, um Eisley in Gewahrsam zu nehmen.
Während er sich durch den schwachsinnigen
Papierkram mogelte, bemerkte Kowalski an der Wand mehrere
Fahndungsplakate. Auf einem war ein krimineller Ex-Cop zu sehen,
der angeblich mit seinem Beinahe-Schwager auf der Flucht war. Wie
klein die Welt doch war. Kowalski wünschte, er könnte dem FBI die
Wahrheit sagen und ihnen ein wenig Arbeit ersparen; ihnen sagen,
dass der Ex-Cop unter tausenden von Kilos Zement in Camden, New
Jersey, begraben lag. Kowalski musste es wissen. Denn er war es,
der ihn dort entsorgt hatte.
Sein eigener Beinahe-Schwager hingegen war eine
Sache für sich. Kowalski hatte ihn dem Tod überlassen wollen, aber
er brachte es nicht über sich. Er war ein Teil von Katie gewesen.
Zwar nur ein Halbbruder. Aber immer noch ein Teil von ihr.
Höchstwahrscheinlich das Einzige, was noch von ihr übrig war.
Vielleicht war Kowalski doch kein Scheusal. Ein
Scheusal hätte den Typen sterben lassen.