32
Um fünf Uhr schob Ann den Laptop in ihren
Aktenkoffer und wandte sich mit den Worten an Jasha: »Ich fahr
jetzt, um ein bisschen Zeit mit Kresley zu verbringen. Ich komm
später zu deinem Haus.« Sie nannte es immer sein Haus - als
wollte sie ihn damit ärgern. Meistens stellte er sich dann taub
oder antwortete: Okay, wir treffen uns zu Hause.
Zu Hause war seine Retourkutsche.
Als sie an jenem Abend jedoch seinen Blick auffing,
waren seine Augen schmal und rot glühend.
»Ist irgendwas?« Ihr schwante Böses. Seit dem
Telefonat mit Boris war Jasha einsilbig und reserviert. Sie konnte
sich denken, weshalb. Er hatte einen Plan, den er für richtig
hielt, den aber sonst niemand billigen würde.
Und sie bestimmt am allerwenigsten.
»Fahr zu deinem Apartment, hol deinen Kater und
bring ihn mit«, sagte er schroff.
Obwohl Ann innerlich kochte, bemühte sie sich um
einen ruhigen, sachlichen Ton. »Kresley kann dich nicht
leiden.«
»Wir kommen schon miteinander klar.« Sein Blick
bohrte sich in ihren. »Und bei mir zu Hause fühlt er sich bestimmt
wohler als in deinem leeren Apartment.«
»In meinem leeren Apartment?« Ann stutzte und tat
mechanisch einen Schritt auf seinen Schreibtisch zu. »Das soll wohl
ein Witz sein, oder?«
»Ich hab dich noch nicht über mein morgendliches
Telefongespräch informiert.«
»Mit Boris?« Sie blieb stocksteif stehen.
»Ja, mit Boris.« Jasha bemühte sich um Fassung.
»Ich hab ihn aus dem Tiefschlaf geholt, aber er ist wie ein Tier.
Er war
sofort hellwach. Fragte, was mit seinem Sohn sei. Ich erklärte
ihm, ich hätte ihn umgebracht und sein Herz verspeist. Er
schüttelte diese Nachricht ab wie eine lästige Fliege und
beteuerte, dass der Junge ohnehin bloß ein Schlappschwanz war. Und
dass er meine skrupellose Brutalität bewundern würde. Er schlug mir
einen Waffenstillstand vor.«
Ann hatte umfassend Recherche betrieben. Ihr konnte
man kein X für ein U vormachen. »Da kennst du die Varinskis aber
schlecht. Dazu würden die sich niemals hergeben.«
»Ich weiß. Ich kenn die Familie besser und länger
als du. Mein Vater hat mir ihre Taktiken lang und breit erläutert.
Was sie beteuern und was sie tun, sind zwei Paar Schuhe.« Jasha
umrundete seinen Schreibtisch, baute sich vor ihr auf. »Ich möchte
nicht, dass du weiterhin in dein Apartment fährst.«
»Und deshalb hast du meine Möbel in dein Haus
transportieren lassen? Heute?« Sie funkelte ihn empört an.
»Wieso hast du mich nicht vorher informiert?«
»Hör auf, das Ganze zu dramatisieren.« Er fasste
ihre Handgelenke.
»Ich und dramatisieren? Na, hör mal! Du hast mich
nicht gefragt, du hast keinen Ton darüber verlauten, sondern
einfach meine Möbel abtransportieren lassen, und da soll ich mich
nicht aufregen?« Okay, er war überheblich, arrogant und
besserwisserisch, aber das hier war der Gipfel!
»Du bist sowieso jeden Abend bei mir. Demnach
schien es mir sinnvoll, deine Möbel zu mir zu holen, hm?« Er machte
sich nicht lustig über sie. Es war ihm bitter ernst mit seiner
Schnapsidee.
Auf ihren Wangen bildeten sich hektisch rote
Flecken. Sie ballte die Fäuste und entwand ihm ihre Handgelenke.
Riss die Arme hoch, als wollte sie ihm ins Gesicht boxen. »Das
Apartment ist meine erste eigene Wohnung, mit den ersten Möbeln,
die ich mir selbst ausgesucht habe. Ich fühle mich dort mit meinem
Kater pudelwohl! Im Übrigen - wieso ziehst du nicht bei mir ein?
Dann würdest du einen Eindruck bekommen, wie es ist, wenn man immer
hin- und hergeschoben wird.«
»Es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es deine
erste eigene Wohnung ist.«
Er wirkte ehrlich betroffen, und das schockierte
sie. Aber wozu dann das Ganze?
»Ich hätte bestimmt kein Problem damit, bei dir
einzuziehen«, gab er zurück, »aber dein Apartment ist im Ernstfall
nicht sicher genug.«
»Na und? Die Ikone liegt schließlich in deinem
Safe.« Und das verstimmte sie zusätzlich. Okay, das Bild war nicht
wirklich ihr persönliches Eigentum, aber alle meinten - nun,
wenigstens sie und Zorana -, dass sie die Hüterin der Ikone
war.
»Ich sorge mich nicht um die Ikone, sondern um
dich.«
»Red nicht um den heißen Brei herum: Du findest
dein Haus eben viel schöner«, zog sie ihn auf.
»Nicht schöner. Größer und leichter zu
bewachen.«
Aha, daher wehte der Wind. »Ich bitte dich. Als
wenn der große Jasha Wilder mit mir in meinem klitzekleinen
Apartment wohnen wollte …«
Er küsste sie.
Es war der erste Kuss, seit er sie gebeten hatte,
seine Frau zu werden. Damit überrumpelte er Ann. Obwohl sie den
ganzen Tag mit ihm zusammen war, fühlte sie sich einsam und von ihm
allein gelassen.Völlig verblüfft öffnete sie ihm die Lippen,
öffnete ihm ihr Herz und ihre Seele, die so ungeheuer verletzlich
war. Sie küsste ihn leidenschaftlich und lustvoll.
Als er sich von ihr löste, machte er den Fehler zu
lächeln. Dieses Lächeln kannte sie zur Genüge. Das hatte er schon
bei
etlichen Frauen eingesetzt. »Bitte, Ann, du musst mir glauben. Ich
liebe dich, und ich möchte dich heiraten.«
Noch vor einem Monat wäre sie bei diesen Worten,
seinem hinreißenden Lächeln dahingeschmolzen.
Jetzt wäre sie diesem Schuft am liebsten an die
Gurgel gegangen. »Wenn du meinst, du kannst so mit mir umspringen
wie mit deinen anderen Affären, dann bist du schief gewickelt.
Schreib dir das hinter die Ohren, Schätzchen!«
»Du täuschst dich, Ann. Und zwar gewaltig. Du bist
etwas ganz Besonderes für mich.« Seine Hände glitten über ihren Po,
zogen sie an seinen Schritt, woraufhin sie seine Erektion fühlte.
»Andere Frauen schaffen es nämlich nicht, dass ich vierundzwanzig
Stunden lang einen Steifen hab.«
»Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen oder
was?« Ihre Stimme troff vor Sarkasmus, obwohl ihre Knospen verhei
ßungsvoll prickelten und ihre Libido verrückt spielte.
Sie war puppenleicht zu durchschauen. Das fühlte
er, das witterte der Wolf in ihm.
Umwerfend. Diese Frau war das bezauberndste
Geschöpf, das er sich in seiner Fantasie auszumalen
vermochte.
»Nein, deswegen nicht. Du könntest dich aber
geschmeichelt fühlen, wenn ich dir sage: Ich liebe dich. Das hab
ich noch zu keiner Frau gesagt.« Ungeachtet seiner milde gereizten
Stimme fuhr seine Hand sinnlich langsam ihre Wirbelsäule entlang,
seine Finger kraulten zärtlich ihren weichen Nackenflaum.
»Ich wäre geschmeichelt, wenn du das nicht einfach
so dahersagen würdest.«
Sein Gesicht lief dunkelrot an, seine Augen
verengten sich zu wütenden Schlitzen. Endlich hatte sie es
geschafft, ihn aus der Fassung zu bringen.
»Was soll ich denn noch sagen, du kleine
Sicherheitsfanatikerin?«
»Was?« Wie kam er denn darauf? »Das ist nicht
wahr.«
»Anfangs warst du auf der Suche nach einem
Traummann, irgendeinem Gutmenschen, der dich von deiner Einsamkeit
erlöste. Dann, als ich mich in einen Wolf verwandelte, als du die
Ikone fandest, als dir auffiel, dass wir um unser Leben und um
unsere Seelen rangen, wolltest du türmen - bis ich dir bewies, dass
ich dich beschützen würde. Immer. Danach warst du willens, bei mir
zu bleiben.«
»Wie kannst du so was behaupten!« Sie rempelte ihn
unsanft mit den Ellbogen an, damit er sie endlich losließ.
Er hielt sie fest. »Als ich von Liebe sprach,
wolltest du mir nicht glauben. Na schön. Du musst mir nicht
glauben. Red dir ruhig weiter ein, dass dir meine Liebe nicht gut
genug ist. Dann lass mich wenigstens tun, was ich am besten kann,
nämlich dich vor allen Widrigkeiten beschützen.«
Er klang bitter und böse, und das Schlimme war: Er
hatte teilweise Recht.
Und damit brachte er Ann erst richtig auf die
Palme. »Okay. Ich zieh bei dir ein - bis die Gefahr vorüber ist,
egal, wie lange es dauert. Aber das mit der Ehe kannst du getrost
vergessen. Ein Mann wie du hat bei mir keine Chance.«
»Ein Mann wie ich hat bei dir keine Chance? Wie
meinst du das?« Jasha wurde blass.
»So, wie ich es sage. Du weißt alles besser und
überfährst mich dauernd. Du vertraust mir nicht wirklich, sonst
würdest du mir deine Geheimnisse beichten.«
»Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der hier
Geheimnisse hat, oder?«
Ihre Miene gefror unter seinem beschwörenden
Blick.
»Das dachte ich mir.« Er kraulte weiterhin ihren
Nacken, während ihr Mienenspiel sich veränderte. Zumal seine Geste
weniger zärtlich als sexy fordernd anmutete. »Du weißt um meine
Geheimnisse«, murmelte er.
»Falsch, du bist immer für eine Überraschung gut«,
ätzte sie. »Vielleicht wäre ich sonst …«
»Freiwillig bei mir eingezogen?« Ihre Nervenenden
vibrierten, während er sinnlich ihre Ellbogen und Knie, die
Innenseiten ihrer Schenkel streichelte. »Wenn ich die kleinste
Chance auf dein Einlenken gewittert hätte, hätte ich dich bestimmt
vorher informiert. Immerhin ist es normalerweise Aufgabe einer
Sekretärin, Umzüge zu arrangieren.«
Seine leise verletzende Anspielung verblüffte sie,
und für einen Augenblick fehlten ihr die Worte. Sie war Jashas
persönliche Assistentin - das hatte sie sogar schriftlich, in ihrem
Anstellungsvertrag -, und er hatte sie noch nie als seine
Sekretärin bezeichnet. Er ermutigte sie sogar, Aufgaben an andere
Sekretärinnen zu delegieren.
Ann war von sich selbst überrascht, dass sie wie
ein Feuerwerkskörper hochging. »Ich hasse dich. Ich hab noch keinen
Menschen so gehasst wie dich!« Und das war ihr voller Ernst - aber
vielleicht beteuerte sie es in diesem Augenblick auch bloß aus
purem Selbsthass.
Jasha schlenderte zur Tür seines Büros. Schloss ab.
Als er sich wieder umdrehte, zeigte sich ein gefährliches Glitzern
in seinen Augen, woraufhin Ann befremdet zurückstolperte. »Da du
mich sowieso abgrundtief und auf immer und ewig hasst, kommt es
darauf jetzt auch nicht mehr an. Ich werde deinen Emotionen nämlich
ein bisschen nachhelfen und dir beweisen, wie sehr du mich
liebst.«
Er kam mit den langen, geschmeidigen Schritten
eines Raubtiers auf sie zu, und ihr Herzschlag beschleunigte sich.
»Jasha, nein.«
»Wieso nicht? Was willst du denn dagegen machen?«
Während er entschlossen näher kam, streifte er sich die Krawatte
ab. »Du verachtest mich. Du hasst mich. Du sträubst dich dagegen,
mich zu heiraten, nicht? Also, was hab ich noch zu
verlieren?«
Sein heißer Atem streifte ihre Ohrmuschel, und als
sie herumschwenkte, bekam sie mit, wie er seinen Gürtel aus den
Gürtelschlaufen zog. »Du kannst ruhig deine Sachen anbehalten«,
stammelte sie. »Hier läuft nämlich gar nichts.«
Den Atem hätte sie sich sparen können, denn er
konterte: »Hast du eine Ahnung, wie scharf es mich macht, dich in
diesem engen Fummel zu sehen? Klar weißt du das. Gib’s zu, du hast
den Rock bloß deswegen angezogen, um mich anzumachen.«
Sie registrierte seinen maskulinen Duft, fühlte
seinen Atemhauch an ihrem Ohr, als er hinter sie trat. »Nein, hab
ich nicht.«
Er lachte ungläubig. »Du trägst die ganze Woche
über Röcke, meinst du, ich merk das nicht? Deine Taktik ist genial
und vor allem, sie funktioniert. Du hast Wahnsinnsbeine, und der
Schlitz in diesem Rock …«
Sie erschauerte, als sich seine Hand über die
Innenseite ihres Schenkels schob.
»Der Schlitz in diesem Rock zeigt verdammt viel von
deinen schönen Beinen. Ich würde gern wissen, was für ein Höschen
du darunter trägst.« Seine Stimme senkte sich zu einem kehligen
Flüstern. »Einen Bikinislip? Einen Tanga? Oder vielleicht ein
Höschen aus feiner Baumwollspitze?«
Ihr Mund war mit einem Mal wie ausgetrocknet, und
sie klemmte unwillkürlich die Beine zusammen, fühlte sich nackt in
ihrem winzigen Tanga.
»Weißt du, was ich mir in meiner Fantasie ausgemalt
habe?«
»Keine Ahnung. Interessiert mich nicht das Schwarze
unterm Fingernagel.« Eigentlich interessierte es sie
brennend.
»Wie wir es auf der Hantelbank treiben. Ich sah
dich, mit gespreizten Schenkeln, vornübergeneigt, das Gesicht von
mir abgewandt, während ich …« Er umschlang blitzartig ihre Taille,
dass Ann die Spucke wegblieb und sie nicht mal aufkreischen
konnte. Und wirbelte sie mit einer geschmeidig tänzelnden Bewegung
herum - wobei ihre Kniekehlen vor die Hantelbank stießen und sie
die Balance verlor.
Er fing sie auf, drehte sie mit dem Gesicht zu dem
Gerät und schob mit einer lasziv gekonnten Bewegung ihren Rock
hoch.
Ann blinzelte verwirrt. Sie stand am Ende der Bank,
vorn übergebeugt, ihre Hände umklammerten die chromblitzenden
Halterungen.
Seine Fantasie schien mit einem Mal Realität
geworden.
Er stöhnte lustvoll, streichelte die vollkommenen
Rundungen ihres Hinterns. »Ann, du bringst mich um.«
»Sobald ich dich in die Finger kriege. Darauf
kannst du Gift nehmen.« Allerdings schloss sie die Augen, als er
den dünnen String ihres Tangas beiseiteschob und sie streichelte.
Seine Finger erkundeten ihre Klitoris, schoben sich in sie,
erforschten ihre seidigen Tiefen, glitten langsam höher.
Ihre Hände umklammerten die Bank so fest, dass ihre
Fingerknöchel weiß hervortraten.
Himmel! Es war heller Tag; sie hatte die Beine weit
gespreizt; er sah ihre weibliche Scham, ihr dunkel gelocktes Vlies,
und sie fühlte sich ihm hemmungslos ausgeliefert. Und er wartete
nicht auf ihre Einladung, er nahm sich, worauf er Lust hatte. Er
war eben der geborene Autokrat - und Ann hätte ihn am liebsten
bestürmt, nicht lange zu fackeln.
Er streifte ihr den Tanga herunter - ein Schritt in
die richtige Richtung. Er bog Ann vornüber, schob ihre Schenkel,
die sich an die kühle Hantelbank schmiegten, weiter
auseinander.
Sie hörte, wie seine Boxershorts leise raschelnd zu
Boden glitten. Dann zwängte er sich dicht hinter sie. Presste sich
an ihren Steiß und streichelte sie mit seinem Penis.
Er war groß und prall, seine Haut seidig-heiß, und
Ann wünschte sich, er würde nicht so lange herumfummeln und … »Ich
hasse dich«, wisperte sie abermals.
»Und?«
Sie rieb sich an ihm wie eine läufige Wölfin. »Und
… Jasha, ich brauch dich jetzt.«
»Ja Baby, das ist es. Genau das wollte ich
hören.«
Angesichts seiner arroganten Retourkutsche wäre sie
liebend gern herumgeschnellt, um ihn wütend anzupflaumen.
Aber von wegen, er stieß unversehens in sie.
Seine Penisspitze rieb sich erregend an ihrem
feuchten Verlies. Durch sein plötzliches Eindringen krampfte sich
ihre Vagina spontan zusammen, und Jasha hätte sie beinahe zu einem
Orgasmus gebracht. Als er sich zurückzog, gab sie ihn nur
widerstrebend frei, und er stöhnte.
Er drängte abermals in sie, wieder und wieder, und
Ann stemmte sich impulsiv in jeden seiner wilden, heißen
Stöße.
Sie begehrte ihn.Verzehrte sich nach ihm. Und
sehnte sich nach der süßen Erlösung, jenen Momenten, in denen sie
ihren Körper von purer Lust durchflutet fühlte, während sie und
Jasha eins wurden.
Sie beugte sich so weit vor, dass ihre Wange die
Hantelbank berührte, ergab sich der Choreografie ihrer Bewegungen,
der Melodie ihres Stöhnens, dem animalischen Mix ihrer Düfte.
Fieberte ihrem Orgasmus mit allen Sinnen entgegen.
»Bitte«, hörte sie jemanden sagen. »Bitte.« Und
erkannte ihre eigene, bettelnde Stimme.
Dann glitt seine Hand zwischen ihre Leiber. Seine
Finger rieben behutsam ihre Klitoris, bescherten Anns Lust selige
Wonnen. Sie erschauerte, wand sich in krampfhaften Zuckungen, und
als sie es nicht mehr aushalten konnte, schrie sie ihre Lust laut
heraus.
Und er war bei ihr. Mit virtuosen Händen dirigierte
er ihr
Becken, vor und zurück, während er sich tief in sie stemmte, Ann
Begehren, Lust, Befriedigung und erneutes Begehren
verschaffte.
Ja, wahrhaftig, sie hasste ihn, aber er hatte Recht
- ihre Liebe war stärker, und wenn sie nicht aufpasste, hatte er
leichtes Spiel mit ihr: Sie konnte sich seinem Einfluss nicht
entziehen. Sobald ihre Erregung verebbte, erkannte sie nämlich,
dass sie seine Stimmungen daran witterte, wie sich sein Duft
veränderte.
Seit wann war das so? Wann hatte er sie dahingehend
manipuliert?
Er glitt aus ihr heraus, und sie räkelte sich
himmlisch erschöpft auf der lackgepolsterten Bank.
»Ann.« Er umschloss ihre Taille und half ihr, sich
aufzusetzen, zog ihr den Rock unter den Po. Er setzte sich neben
sie, schob seine Hand in ihre. »So geht es nicht weiter. Wir müssen
reden. Wir müssen ehrlich miteinander sein.«
»Genau das finde ich auch.« Sie riskierte einen
kurzen Seitenblick zu ihm.
Er sah müde aus, gestresst und befriedigt, alles
zusammen.
Womöglich sah sie genauso aus, dachte Ann.
Er wusste nicht, wieso sie ihn kratzbürstig auf
Distanz hielt, und das machte es so kompliziert zwischen ihnen. Ann
seufzte. Demnach würde sie ihm die ganze verworrene, verwirrende
Geschichte erzählen müssen - die Wahrheit und nichts als die
Wahrheit.
Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie jemandem
ihr Geheimnis erzählen - nein, zeigen.
»Ich hab deinen Antrag nicht bloß deswegen
abgelehnt, weil deine Mutter darauf drängte, dass wir heiraten«,
begann sie. »Es gab noch andere Gründe.«
»Ich würde niemals heiraten, um meiner Familie
einen Gefallen zu tun. Wenn es darum ginge, hätte ich schon mit
zwanzig
heiraten müssen. Aber bitte - ich bin ganz Ohr. Nenn mir deine
Gründe.«
Sie zog das Böse an. Und geriet dauernd an die
falschen Menschen.
»Also gut. Ich war noch klein, drei oder
höchstens vier Jahre alt. Und entsinne mich dunkel, dass ich in der
Badewanne saß. Eine der Hospitantinnen im Konvent badete mich. Sie
kreischte plötzlich auf, zeigte mit dem Finger auf mich und brüllte
aus Leibeskräften.« Mit einer Freimütigkeit, die Ann selbst
verblüffte, stand sie auf und schlenderte mit wiegenden Hüften zum
Fenster, durch das die Nachmittagssonne in sein Büro flutete. »Mir
schrillt noch im Ohr, was sie gebrüllt hat: Chimäre,
Monster. Ich wusste damals zwar nicht, was das bedeutet,
trotzdem kann ich mich noch genau daran erinnern.« Sie erinnerte
sich auch, dass sie zu Tode erschrocken gewesen war. »Das Mädchen
lief entsetzt weg. Das ist meine früheste
Kindheitserinnerung.«
»Ann, ich hab dich nackt gesehen«, meinte er
gedehnt. »An dir ist nichts Monströses.«
»Du hast das nicht gesehen.« Ann drehte sich mit
dem Rücken zu Jasha, schob ihren Rock hoch und deutete auf das Mal.
»Ich hab es mit Make-up kaschiert, damit es nicht so
auffällt.«
Er schlenderte zu ihr, neugierig interessiert und
sich seiner Sache sehr sicher. Er wusste, was er gesehen hatte.
»Ich hab es vorhin, als wir uns liebten, bemerkt. Es ist ein
Tattoo. Ich konnte zwar nicht erkennen, was es darstellt, aber nur,
weil ich anderweitig beschäftigt war.« Er grinste, ein aufreizendes
Zucken seiner Lippen. Puh, ein Glück, dass sie diese letzte Chance
wahrgenommen hatte, sich von ihm verwöhnen zu lassen, schoss es Ann
durch den Kopf. Wenn er dieses irrwitzige Ding genauer betrachtete,
wäre es sowieso aus mit ihnen.
»Okay, dann sieh es dir ruhig nochmal an.« Mit der
Daumenspitze
rieb sie das Make-up von dem Mal, mit dem sie gezeichnet war. Und
fürs Leben geschlagen, seufzte sie im Stillen.
Er bückte sich, konzentrierte den Blick auf die
betreffende Stelle. Ann war klar, dass sie auf Risiko
spielte.
Während er mit behutsamen Fingern Konturen und Form
nachzeichnete, wartete Ann beklommen. Vielleicht begriff er jetzt,
was sie vom Rest der Menschheit abhob.
Seine Augen weiteten sich, und er zog verblüfft die
Hand weg. »Was …? Wie …?«
»Ich hab es seit meiner Geburt. Schwester Mary
Magdalene sprach zwar nicht gern darüber, nicht mal mit mir, aber
sie erläuterte mir ein paar Dinge. Sie erzählte mir beispielsweise,
dass dieses Mal vermutlich der Grund war, weshalb meine Eltern mich
wie ein Stück Müll in den Container warfen. Sie beschwor mich, mit
niemandem darüber zu reden, sonst würde mich das Böse holen.«
»Das ist lächerlich, grotesk.« Er beugte sich
erneut über das Mal. Seine Finger verharrten in der Luft, als
traute er sich nicht, es noch einmal anzufassen.
»Nein, ist es nicht. Das Böse kam.«
Seine Brauen schossen nach oben. »Was ist
passiert?«
»Schwester Catherine war eine junge Nonne. Eine
reizende, junge Frau, die sich liebevoll um mich kümmerte. Ich war
damals neun Jahre alt, und sie fand wohl, dass ich viel zu ernst
war für ein Mädchen in diesem Alter. Deshalb erzählte sie mir
lustige Geschichten. Sie spielte mit mir.« Ann strich ihren Rock
glatt und konzentrierte sich auf Jasha. »Eines Abends, nachdem ich
mit den Hausaufgaben fertig war, liefen wir nach draußen, um zu
schaukeln. Sie war so hübsch und so klug, und ich wäre gern wie sie
gewesen … Und wir schaukelten. Doch das Böse nahte...« Während Ann
wie gebannt auf das helle Rechteck aus Sonnenlicht starrte, das
sich
auf dem Teppich abzeichnete, erwachten die alten Ängste zu neuem
Leben, Ängste, die sie krampfhaft ausgeblendet hatte, drängten mit
Macht in ihr Bewusstsein zurück. »Sie kamen, um mich zu holen. Als
Schwester Catherine merkte, dass sie es auf mich abgesehen hatten,
rief sie, ich solle schleunigst weglaufen. Sie kämpfte für mich,
sie starb für mich, direkt vor meinen Augen.«
»Ann.« Jasha schloss sie mit einer sanft
beschützerischen Geste in seine Arme. »Es war nicht deine
Schuld.«
»Schwester Mary Magdalene war da anderer Ansicht.«
Die Vision von Schwester Catherine, blutüberströmt und mit
zerschmettertem Körper, hatte sich unwiderruflich in Anns
Bewusstsein eingebrannt.
»Ich mag diese Schwester Mary Magdalene
nicht.«
»Sie ist zwar nicht übermäßig nett, aber immerhin
hat sie mir die Augen geöffnet. Sie erklärte mir, dass die Bösen es
auf mich abgesehen hätten, es hätte irgendwas mit diesem Geburtsmal
zu tun. Was, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls setzte sie hinzu, dass
Gott eine Aufgabe für mich hätte, und ich solle beten, um die Kraft
zu finden, sie zu erfüllen.« Ann besann sich auf die Jahre
bedingungslosen Gehorsams, genährt von einer tiefen imaginären
Furcht, und sie hätte sich im Nachhinein ohrfeigen mögen.
Sie hatte sich ihr Lebtag von anderen gängeln und
instrumentalisieren lassen.
Zunächst hatte sie in einem Waisenhaus gelebt -
ohne die kleinste Chance, jemals adoptiert zu werden, weil sie
dieses mysteriöse Mal hatte.
Dann hatte sie Sekretärinnenkurse besucht, sich bei
Wilder Wines vorgestellt und den Job bei Jasha bekommen. Dort hatte
sie sich zu seiner Chef-Assistentin hochgearbeitet - weil sie in
ihn verliebt war.
Sie hatte immer, immer nach den Regeln einer
höheren
Instanz gelebt, sie hatte selbstlos Opfer gebracht, nie
aufgemuckt, sondern sich immer angepasst.
Niemand hatte sich je Gedanken gemacht, ob Ann
glücklich war. Geschweige denn versucht, sie glücklich zu machen.
Und wenn, dann bestimmt aus egoistischen Motiven.
Sie fixierte Jasha aus zusammengekniffenen
Augen.
Sie hatte es satt, ihn glücklich zu machen. Es hing
ihr zum Hals heraus, dauernd die Märtyrerin zu spielen.
Sie wand sich aus seiner Umarmung. »Sollte die
göttliche Vorsehung von mir erwarten, dass ich dich heirate, dann
muss ich leider passen. Ohne mich. Ich opfere mich weder für Gott
noch für Schwester Mary Magdalene oder für deine Familie. Auch
nicht für dich.«
»Du liebst mich.«
Obwohl er die ungeschminkte Wahrheit kannte, blieb
er hartnäckig, das musste man ihm lassen. »Ja, aber eines weiß ich
seit unserem Abenteuer in der Wildnis: Ich verdiene die
uneingeschränkte Loyalität und die bedingungslose Liebe, die ich
auch zu geben bereit bin.«
»Wie kommst du darauf, dass ich dir beides nicht
geben werde?«
»Weil du es mir nicht geben kannst, Jasha.«
Ann war sich da sehr sicher. »Du kannst nicht, weil dein Leben auf
Messers Schneide steht, weil du dein Herz und deinen Verstand in
die Waagschale geworfen hast, um den Pakt mit dem Teufel zu
besiegen. Was, wenn Schwester Mary Magdalene die Wahrheit gesagt
hat?«
»Wie meinst du das?« Er fuhr zusammen, als hätte
sie ihn geschlagen.
»Wie ich das meine? Du willst es bestimmt nicht
riskieren, eine Frau zu heiraten, die, wenngleich unwissend, mit
dem Teufel paktiert, oder?« Sie riss ihr Sakko vom Stuhl und lief
zur Tür.
»Ann, lauf doch nicht weg.«
Sie wirbelte herum und maß ihn aus irisierend
blauen Tiefen.
»Weißt du was? In der Wildnis bleiben Wölfe ein
Leben lang zusammen.« In seinen Blick trat ein rot glühendes
Leuchten.