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Alimo holte Jasha und Ann vom Flughafen ab
und fuhr sie durch die sommerliche Hitze zu dem französisch
inspirierten Chateau, dem Firmensitz von Wilder Wines. Links und
rechts der Landstraße erstreckten sich weitläufige Weinberge und
die herrschaftlichen Anwesen der anderen Winzer.
Es war ein Nachmittag mitten in der Urlaubssaison,
und als sie über die baumbestandene Allee rollten, stellte Jasha
zufrieden fest, dass die Parkplätze gerammelt voll mit Autos und
Bussen standen. Etliche Touristen standen Schlange, um an einer
Weinprobe teilzunehmen, andere wiederum saßen an zünftigen
Holztischen unter schattenspendenden Bäumen, wo sie irgendwelche
pikanten Häppchen verdrückten und köstlichen Wein dazu
tranken.
Seine Familie mochte zur Hölle und seine Romanze
den Bach hinuntergehen - im übertragenen Sinne -, trotzdem boomte
das Geschäft.
Im Erdgeschoss des kleinen Palais waren der
Probierraum, der Weinverkauf und der Versand untergebracht. Im
Keller erklärten die Touristenführer, wie aus Trauben Wein gemacht
wurde, denn dort standen die Fässer mit dem jungen Most. In den
beiden oberen Etagen befanden sich die Büros. Der Fahrer setzte
Jasha und Ann vor dem hinteren Eingang ab. Sie schlüpften durch den
eleganten Empfangsbereich zum Aufzug. Weicher Teppichboden
schluckte ihre Schritte; beide trugen Geschäftskleidung, Ann hielt
eine schlanke Aktenmappe unter den Arm geklemmt, in der sie die
erste Ikone aufbewahrte.
Beide schwiegen.
Anfangs war Jasha gar nicht aufgefallen, wie
einsilbig Ann reagierte. Nachdem er seinen Bruder für dessen
Intuition und Forschungsarbeit überschwänglich beglückwünscht
hatte, hatte er Rurik geholfen, ein Flugticket zu organisieren.
Dann hatte er ihn zum Flughafen von Seattle gefahren. Nach seiner
Rückkehr saß die gesamte Familie im Wohnzimmer und überlegte, was
Rurik wohl finden mochte. Gold, einen sagenumwobenen Schatz oder
bloß irgendwelchen Schutt und
antike Scherben, die Daten und Aufschlüsse über die Frühgeschichte
der Menschheit lieferten?
Das wäre zwar einerseits enttäuschend, für Rurik
andererseits aber ein Wahnsinnskarriereschub. Damit würde er
zusätzliche Forschungsgelder für weitere Grabungen lockermachen
können.
Rurik hoffte indes, auf Informationen zu stoßen,
wie sich der Pakt mit dem Teufel lösen ließe. Oder vielleicht auch
- eine weitere Ikone zu finden.
Den ganzen Abend hatte Ann geredet und die anderen
mit Fragen gelöchert. Diese Ausgrabungsgeschichte schien sie
brennend zu interessieren. Erst am nächsten Morgen, als sie sich
auf die Rückkehr nach Kalifornien vorbereiteten, war Jasha ihre
Distanziertheit aufgefallen. Er hatte dies jedoch darauf
zurückgeführt, dass Ann sich unterschwellig auf ihren Job
einstimmte.
Irgendwann war ihm bitter aufgestoßen, dass sie mit
allen sprach, bloß nicht mit ihm.
Und wieso nicht? Er hatte schließlich um ihre Hand
angehalten. Hatte ihr seine Liebe geschworen.
Er tippte darauf, dass sie sauer war, weil er dabei
nicht vor ihr auf die Knie gefallen war, weil er ihr weder rote
Rosen noch einen Verlobungsring geschenkt hatte. Ihr nicht
versprochen hatte, dass er sie auf Händen tragen würde. Aber das
alles hatte er bei Meghan gemacht, und die war kein bisschen
beeindruckt gewesen, zumindest nicht so beeindruckt, dass sie ihm
ein fröhlich juchzendes Ja entgegengeschmettert hätte.
Zum Glück.
Außerdem war Ann eine ungeheuer sensible Frau. Sie
konnte bestimmt nachvollziehen, dass seine Familie in diesem Fall
Vorrang vor allem anderen hatte.
Für deine Familie würdest du alles
tun.
Verdammt, er hätte sich ruhig ein bisschen mehr um
Ann kümmern können. Stattdessen hatte er ihr demonstriert, dass er
bloß mit dem Finger zu schnippen brauchte, und schon wurde sie
schwach. Das war nicht clever gewesen. Aber wenn seine süße,
sanfte, sensible Ann eigensinnig ihr Kinn vorschob und ihn eiskalt
abservierte, weil sie fand, dass er sie nicht genug liebte, dann
sah er rot. Dann war sein Kopf wie leergefegt, und ihm fiel keine
bessere Taktik ein, als ihr mit der Glut seiner Leidenschaft zu
beweisen, wie er für sie empfand.
Dummerweise schien sie überzeugt, dass er zwischen
ihr und anderen Frauen keinen Unterschied machte.
Er schnaubte missmutig.
Fragend spähte Ann zu ihm.
Die Aufzugtüren glitten auf, und er ließ Ann
höflich den Vortritt.
Er blieb stehen und beobachtete sie.
Sie bewegte sich anmutig und geschmeidig wie eine
spanische Flamencotänzerin.
Gestern hatte sein Vater versucht, ihm Vernunft und
Verantwortungsbewusstsein einzuprügeln, gleichwohl wollte Jasha nur
eins: ihr nachstellen und sie vernaschen. Sich mit ihr auf dem
Boden wälzen, sie küssen, bis sie vor Erregung stöhnte, ihr die
Kleider vom Leib reißen und …
Junge, Junge, dich hat es ganz schön erwischt,
was? Teufel noch, er hatte Mühe, sich auf seinen Job zu
konzentrieren, hinzu kam der Nervenstress, dass ihm da draußen
irgendwelche Verrückten auflauerten, die es auf sein Leben
abgesehen hatten.
Liebte er Ann?
O ja, seine Gedanken kreisten ständig um sie. Er
hatte Ann sogar seinen Eltern vorgestellt, damit sie in seiner
Familie die Geborgenheit fand, nach der sie sich immer gesehnt
hatte.
»Mr. Wilder! Miss Smith! Wir hatten ja keine
Ahnung, dass
Sie heute zurückkehren!« Die hübsche junge Rezeptionistin sprang
dermaßen ertappt auf, dass Jasha vermutete, sie hätte heimlich
einen spannenden Roman in ihrem Schreibtisch verschwinden
lassen.
»Überraschung«, antwortete er.
Ann legte ihre Hand auf Nicoles, als diese den
Telefonhörer aufnehmen wollte. »Behalten Sie es für sich. Es soll
eine Überraschung bleiben.«
Sie durchquerten die Halle, gingen vorbei an den
hohen Milchglastüren der Konferenzräume, wo ihre Weinhändler und
-lieferanten tagten. Shawn, ihr Topverkäufer, stand mit dem
Einkäufer für Austin Liquor zusammen und zeigte ihm die vielen
Goldmedaillen, Auszeichnungen für ihre Spitzenweine. Er grüßte die
beiden freundlich. Sein gut aussehender Boss und dessen attraktive
Assistentin waren die optimalen Repräsentanten für Wilder Wines.
Wenn die beiden irgendwann heiraten sollten, dachte Shawn, wäre
dies die ultimative Werbung für ihr Weingut.
Ob da irgendwas geplant war?
Ann hatte bislang versucht, ihr Berufsleben strikt
von ihrem Privatleben zu trennen.
In diesem Punkt pflichtete Jasha ihr bei.
Büroaffären waren das Aus für jede effiziente berufliche
Zusammenarbeit. Und er mochte auf die tüchtige Miss Ann Smith nicht
verzichten.
Zumindest hatte er ihr bisher beigepflichtet.
Verdammt, jetzt hätte er eine Menge dafür gegeben,
wenn sie sich ihm an den Hals geworfen hätte wie damals im Wald.
Wenn sie ihm wenigstens ein ganz klein wenig entgegengekommen wäre.
Aber nein, stattdessen versuchte sie dauernd, ihn
abzuwimmeln.
Er nahm sich fest vor, ihr immer einen Schritt
voraus zu sein. Inzwischen kannte er sie ziemlich gut, und wenn er
es geschickt anstellte, konnte er sie dermaßen mit Arbeit
zuschütten,
dass sie gar nicht merkte, wie er heimlich die Strippen zog und
ihr Leben bestimmte.
Celia Kim, Jashas Produktionsmanagerin, kam aus dem
Kopierraum. Sie hielt den Kopf über einen Stapel Charts gebeugt und
hätte die beiden fast angerempelt. Sie stutzte. Ein warmes Lächeln
überkam ihr Gesicht. »Sie sind zurück! Haben Sie … äh … konnten Sie
alles klären?« Sie blickte bedeutungsvoll von Jasha zu Ann.
Diesen speziellen Code kannte Jasha.
»Es ist alles okay«, meinte Ann kurz
angebunden.
»Wir konnten eine Menge klären.« Er lächelte
charmant, der kompetente Geschäftsmann - und Gentleman. »Es war
sehr nett von Ann, dass sie mich besuchte. Ich hab sie nachher noch
meinen Eltern vorgestellt.«
»Ach ja, wirklich?«, meinte Celia gedehnt.
Zwischen Anns Brauen schob sich eine steile
Falte.
»Ja«, sagte er. »Um alles Weitere zu klären, werden
wir in den nächsten Wochen eine Menge Überstunden machen
müssen.«
Über Celias Gesicht glitt ein Strahlen. »Das freut
mich für Sie.«
Ann lief schweigend weiter.
»Obwohl die Stimmung heute ein bisschen frostig
ist«, raunte er Celia zu.
»Das erstaunt mich«, antwortete sie. »Sonst himmelt
sie Sie an.«
»Es kam alles ein bisschen überraschend für
sie.«
Celia blickte von ihm zu Ann. »Ich hoffe doch, im
positiven Sinne.«
»Wir sind auf einem guten Weg.« Wenn er ehrlich mit
sich selbst war, hatte er es sich mit seinem leidenschaftlichen
Überfall bei Ann gehörig vermasselt. Hoffentlich fiel ihm
schleunigst etwas ein, um die Geschichte wieder geradezubiegen.
Als Ann ihre Bürosuite erreichte, stellte Celia
sich kurz entschlossen vor die Tür. »Wenn ich Sie wäre, würde ich
da nicht reingehen.«
Ann drückte die Klinke hinunter. Die Tür war
verschlossen. Sie blickte fragend von einem zum anderen.
Celias Lippen formten lautlos: »Jordan und
Sophia.«
Der Chefwinzer und eine der Damen vom
Empfang.
Jasha wurde zornesrot im Gesicht. »Ist das wahr?«
In seiner Büroetage, wo Ann ihr Vorzimmer hatte und ihn
gelegentlich vor der Außenwelt abschottete, wo sie lange Gespräche
geführt und viele Abende länger gearbeitet hatten? Er drängte zur
Tür, schloss auf und erwischte das Pärchen in einer heißen
Umarmung, die nichts der Vorstellung überließ.
Die beiden stoben auseinander, und Jordan stammelte
mit hochrotem Kopf: »Hören Sie, Jasha, ich kann Ihnen alles
erklären.«
»Nicht, wenn ich Ihnen nicht zuhöre. Ihr zwei zieht
euch schleunigst an und verschwindet. Ihr könnt euch in der
Buchhaltung die Papiere abholen. In der Zwischenzeit ruf ich die
Putzfrau an, damit sie auf Anns Schreibtisch sauber macht.« Jasha
knallte wütend die Tür zu.
»Ich wusste, dass es irgendwann passieren würde.«
Ann lehnte sich an die Längswand des Korridors. »Ich hätte nicht
fahren dürfen.«
»Sie haben sich absolut nichts vorzuwerfen«,
versetzte Celia scharf.
»Celia hat Recht.« Jasha fasste Anns Hand und zog
sie durch den Gang zur Cafeteria. Celia folgte ihnen. »Ich kann so
was zwar nachvollziehen« - er küsste Anns Finger - »aber die zwei
sollen ihre erotischen Anwandlungen gefälligst woanders austoben
und schon gar nicht während der Arbeitszeit.«
»Er ist ein widerlicher Anmachertyp, und sie ist« -
Celia spähte zu Ann - »ein kleines unverschämtes Flittchen.«
Das war ihm schon aufgefallen. Wenn Ann zugegen
war, hielten sich seine Mitarbeiter meist mit derart krassem
Vokabular zurück. Für gewöhnlich hatte Ann diesen Effekt auf
Menschen - in ihrer Gegenwart zeigten sie sich von der besten
Seite.
»Hier sieht es aus wie in einem Saustall. Und wir
waren gerade mal sechs Tage weg!«
»Ann sorgt hier sonst für Ordnung«, rückte Celia
spontan heraus. »Sie kümmert sich um alles. Sie hat den Blick für
das Wesentliche und ist unermüdlich im Einsatz.«
»Ann, ich glaube, ich geb dir eine
Gehaltserhöhung.« Er lächelte sein hinreißendes
Womanizer-Lächeln.
Aber das hätte er sich sparen können, denn Ann
würdigte ihn keines Blickes. »Das bleibt dir überlassen.«
Sie hatte keine Lust, einzulenken oder über
stürmische Leidenschaft zu diskutieren.
»Komm, ich hol uns was zu trinken.« Ann bekam ihre
Hand frei. Nach einem Blick durch die leere Cafeteria legte sie
ihre Aktenmappe auf den Stuhl neben Jasha und lief zum
Kaffeeautomaten.
Celias Blick schwenkte vielsagend von Ann zu
ihm.
Er zuckte wegwerfend mit den Schultern und grinste
verkrampft wie ein ertappter Schuljunge. Wenn Celia merkte, dass da
etwas im Busch war, würden seine Angestellten es über kurz oder
lang auch mitbekommen. Dann würde das ganze Unternehmen gespannt
mitverfolgen, wie es zwischen ihm und Ann so lief.
Scheißzivilisation. Scheiß auf den Dresscode und
exzellente Umgangsformen am Arbeitsplatz. Er wollte zurück in den
Wald, mit Ann, und mit ihr die Freiheit der Wildnis genießen.
Letztlich war das jedoch keine Lösung. Er hatte
Verpflichtungen, musste sich um das Weingut kümmern und um seine
Eltern. Und die wollten, dass er Nägel mit Köpfen machte. Sie
drängten darauf, dass Ann seinen Ring an ihrem Finger trug und
nachts mit ihm in einem Bett schlief.
Er deutete auf den Stuhl, der seinem
gegenüberstand. Als Celia sich gesetzt hatte, beugte er sich
verschwörerisch über den Tisch. »Wissen Sie, Celia, wir waren
schließlich nicht im Büro. Als sie völlig unerwartet in meinem
Wochenendhaus auftauchte, fand ihr Besuch eben irgendwie auf einer
privaten Ebene statt. Und da konnte ich ihr unmöglich widerstehen.
Ann trug dieses Wahnsinnskleid …«
»Ich hab ihr beim Aussuchen geholfen.«
»Sie haben einen fabelhaften Geschmack.« Er
erinnerte sich automatisch wieder an das Kleid. Schwarzweiß mit
einem einzigen großen Knopf in der Taille - er hatte beobachtet,
wie Ann die Treppe hinuntergeschwebt kam, und bei jedem Schritt
ihre olympisch langen Beine bewundern können.
»Und?«, bohrte Celia.
»Sie war schüchtern und süß - oh, ich mag nicht
darüber reden. Der Gentleman genießt und schweigt.« Er lehnte sich
auf seinem Stuhl zurück. »Es war jedenfalls wundervoll.«
»Bis auf den Umstand, dass dieser Weindeal geplatzt
ist.«
»Der war eher nebensächlich.« Er grinste zu Ann,
die eben eine Tasse vor ihn stellte.
»Was ist während unserer Abwesenheit gelaufen?«,
fragte Ann in geschäftsmäßigem Ton.
»Der Auftragsdeal mit den Ukrainern ist definitiv
geplatzt. Sie haben uns mit einer Flut wütender Faxe überschüttet,
aber nachdem wir euch nicht erreichen konnten, wussten wir nicht,
wie wir reagieren sollten.« Man hörte Celia an, dass sie ziemlich
viel Stress gehabt hatte.
»Die schaue ich mir nachher mal an«, sagte
Jasha.
»Es war definitiv das falsche Unternehmen für eine
internationale Kooperation.« Ann schob Celia eine Tasse zu. Sie
stellte die Aktenmappe auf den Boden zwischen sich und Jasha und
setzte sich auf den Stuhl.
»Stimmt.« Jasha starrte versunken in seinen
Milchkaffee, bevor er den Blick auf Celia richtete. »Ich mochte die
Typen, weil sie Russisch sprachen und ich keinen Dolmetscher
brauchte, aber letztlich sind Dolmetscher preiswerter als
Geschäftspartner, die sich wie Primadonnen aufführen.«
Ein erleichtertes Grinsen erhellte Celias umwölkte
Miene, ihre Anspannung verlor sich allmählich. »Ja, das hab ich
auch gedacht.«
»Ich wünschte, ich hätte das gewusst, bevor ich
dich an der Küste ausfindig machen musste, Jasha«, versetzte Ann
bissig.
Eine ganz neue Entwicklung bei ihr.
Aber immerhin redete sie wieder mit ihm.
»Na und? So hatten wir ein paar schöne Tage.« Jasha
umschloss mit beiden Händen seinen Kaffeebecher. »Ich hab Ann
meiner Familie vorgestellt. Wir haben lange über das Weingeschäft
diskutiert und uns vorgenommen, innerhalb der USA zu expandieren.
Wie finden Sie das, Celia?«
Seine Managerin lehnte sich zurück und lächelte
entspannt. »Ich finde das genial. Ich hatte diese Strategie schon
im letzten Jahr empfohlen und stehe weiterhin dazu. Diese Form der
unternehmerischen Entscheidung birgt kaum Risiken, dafür aber ein
großes Erfolgspotenzial.«
»Ah ja, ich erinnere mich an Ihren Bericht.«
Seinerzeit hatte er die Idee verworfen. »Wenn Ann und ich wieder
auf dem Laufenden sind, möchte ich, dass wir Ihre Strategie
gemeinsam durchsprechen.«
»Selbstverständlich!« Celia warf einen Blick auf
ihre Armbanduhr. »Mist, ich hab gleich eine Telefonkonferenz.
Schön, dass Sie wieder da sind …«
Mit dem Gefühl, seine Sache gut gemacht zu haben,
beobachtete er, wie Celia durch den Gang verschwand. Sie war
von Anns Seite auf seine übergewechselt, und vielleicht war das
unfair gegenüber Ann, aber in diesem Coup d’Amour musste er jedes
Geschütz auffahren, dessen er sich bedienen konnte. Folglich hatte
er Anns Kollegin für seine Zwecke instrumentalisiert und damit
brillant gekontert.
Er wandte sich erneut Ann zu. »Ich hoffe, in deinem
Büro ist inzwischen sauber gemacht worden. Wenn nicht, kannst du so
lange auf mein Büro ausweichen und mir bei der Durchsicht der Post
assistieren.« Wenn sie allein in seinem Büro wären, konnte er die
Tür abschließen. Und sich so lange mit ihr dahinter verschanzen,
bis sie ihm ihre Liebe eingestand und in eine Heirat einwilligte.
Bis sie sich endlich zu ihm bekannte.
Ihre Miene ernst und unbewegt, stand Ann auf und
schnappte sich ihre Aktenmappe. »Selbstverständlich, Jasha.«
Er stand ebenfalls auf und fasste sie am Arm. »Ich
möchte, dass du jemanden in deinen Job einweist, jemand, der
vorübergehend deine Arbeit macht.«
Sie musterte ihn abschätzig kühl. »Weshalb?«
»Weil ich will, dass du dich voll und ganz darauf
konzentrierst, herauszufinden, wer der Typ ist, der hinter dem
ukrainischen Weinhandel steht.«
»Ich dachte, du bist dir so sicher, dass es einer
von Olegs Söhnen ist?«
»Ja, aber ich will Genaueres wissen. Wie er mich
gefunden hat, wie viel er über mich weiß … und was mit den
Varinskis los ist. Ihre Schwachpunkte, die Größe ihrer
Organisation. Ich will Namen wissen und, noch wichtiger, die
entsprechenden Gesichter dazu. Es war ein gravierender Fehler von
mir, dass ich die Varinskis als ernsthafte Bedrohung unterschätzt
habe.«
»Was du sagst, stimmt. Und wie stellst du dir das
weitere Vorgehen vor?«
»Sie dürfen auf gar keinen Fall merken, dass wir
den Spieß umdrehen und uns auf ihre Fährte setzen.«
»Okay.« Ihre Augen wurden schmal, ihre Schritte
energischer. »Ich werde Geekette bitten, während meiner
Internetrecherchen die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zu
erhöhen. Wo soll er meinen Computer aufstellen?«
»In meinem Büro.«
Sie blieb abrupt stehen.
Er lief weiter. »Mein Büro ist das einzige im
gesamten Gebäude, das sicher genug für so was ist.« Da sie nicht zu
ihm aufschloss, drehte er sich zu Ann um.
Sie fixierte ihn aus zusammengekniffenen Lidern,
als überlegte sie fieberhaft, wie sich ein Ausweg aus ihrem Dilemma
finden ließe.
Jasha probierte es mit einer Überrumpelungstaktik.
»Ann, wenn du mich nicht heiraten willst, ist das auch okay für
mich. Mein Ego kommt damit klar.« Der Wink mit dem Zaunpfahl, dass
sie ihm noch eine Antwort schuldig war. »Du weißt, du bist die
Einzige, auf die ich mich bei dieser Recherche verlassen kann. Du
bist intelligent und mit der speziellen Brisanz der Sache vertraut,
dass du die Gefahren erkennst.« Mann, er trug ganz schön dick
auf.
Sie nickte bedächtig und wartete.
Wartete, dass er auf den Punkt kam. Kluges Mädchen.
»Und da du sowieso zu mir ziehen wirst …«
»Von wegen.«
»… damit du in Sicherheit bist …«
»Ich werde nicht bei dir einziehen!«
»… denn was du in Erfahrung bringst, unterliegt
zwangsläufig strengster Geheimhaltung.«
Sie atmete mehrmals tief durch. Hörte er ihr
überhaupt zu? Nicht wirklich.
»Wenn du nicht zu mir umziehen magst, dann überlass
mir wenigstens die Ikone. Ich schließ sie so lange in meinen
Safe.«
Ann drückte das Rückgrat durch und marschierte an
ihm vorbei, als hätte sie einen Stock verschluckt. Wenn er sie
angestupst hätte, wäre sie vermutlich der Länge nach hingeknallt.
»Du bist ein Schuft, Jasha Wilder.«
Er sah ihr nach, wie sie mit arrogant gerecktem
Kinn durch den Korridor verschwand, und grinste breit.
Er hatte eine Strategie, und Ann hatte keine
Chance.