Donnerstagmittag

„Man sieht es jeden Abend im Fernsehen und liest es in der Zeitung. Es gehört zum Alltag dazu. Aber wenn es einen selbst betrifft, dann denkt man, man wäre im falschen Film.“ Mathilde Taylor hatte eine Kanne Eistee auf die Terrasse gebracht und setzte sich zu Inge Nowak und Wolfram Berger an den Tisch. Es war ihr dritter Besuch in dem Einfamilienhaus innerhalb von drei Tagen, aber es fühlte sich an, als wäre seit dem letzten unendlich viel Zeit vergangen. Obwohl die beiden Toten noch nicht begraben waren, war jegliche Erinnerung an die Katastrophe nach außen hin aus der Wohnung verbannt. Es war der Hauptkommissarin ein Rätsel, wie die Schwester es in so kurzer Zeit geschafft hatte, die Krankenpflegeutensilien aus dem Wohnzimmer verschwinden und die Wohnung lichter aussehen zu lassen. Überall standen frische Blumen in Kristallvasen, die Vorhänge waren auf- und sämtliche Rollläden trotz der Hitze hochgezogen, und aus der Küche roch es nach frisch Gekochtem. „In einem Horrorfilm, um es genau zu sagen“, setzte Mathilde Taylor nach und schenkte Eistee ein.

„Sie scheinen die Situation aber gut im Griff zu haben“, bemerkte Inge Nowak.

„Ich bin Psychotherapeutin von Beruf. Dadurch weiß ich zumindest theoretisch, wie man mit derlei Katastrophen umgehen sollte. Das heißt aber nicht, dass sie mich nicht umhauen würden. Meine Aufgabe hier heißt nur gerade, der Fels in der Brandung zu sein, und deshalb gebe ich mein Bestes.“ Sie lächelte traurig, und wenn man genau hinsah, konnte man unter dem leichten Make-up sehen, dass sie viel geweint hatte.

„Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrer Schwester?“

„In den letzten Jahren haben wir uns nur noch sporadisch gesehen. Wir hatten unterschiedliche Lebensentwürfe. Mein Mann und ich führen eine offene Beziehung, ich konnte wenig mit der christlich-bürgerlichen Lebensweise von Erika anfangen. Aber wir haben uns respektiert. Ich bin die Patin von Sara, und als Ingo krank wurde, habe ich mich mehr um sie gekümmert. Sie hat uns in London besucht, und Erika und ich hatten geplant, dass sie nach dem zehnten Schuljahr ein Jahr bei uns zur Schule gehen würde.“

„Können Sie sich vorstellen, wer Ihre Schwester getötet hat?“

„Ingo jedenfalls nicht.“ Sie seufzte. „Die beiden hatten zwar eine kranke, aber keine lebensgefährliche Beziehung.“

„Krank? Inwiefern?“

„Depressive Symbiose. Beide litten unter Depressionen, Ingo mehr als Erika. Sie haben ihre Kindheitstraumata aneinander abgearbeitet: Verlustängste, Todesangst und Gewalterfahrung.“ Sie schlug die Beine übereinander. „Wir sind groß geworden in einem – sagen wir mal locker – prolligen Milieu. Mein Vater hat getrunken und gerne zugeschlagen, wenn er überfordert war von seinen Kindern. Unsere Mutter hat ein paar Jahre zugeschaut und hat sich dann entschieden zu sterben. Am Rande eines piefigen Dorfes in der bleiernen Zeit, das Konterfei von Baader und Meinhof an jeder Bushaltestelle. Soziale Kontrolle überall, und keiner hat gesehen, wenn dir einer zwischen die Beine gefasst hat. Erika muss mehr passiert sein als das, aber sie hat nie darüber geredet.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Als sie sechzehn oder siebzehn war, hat sie sich von einem auf den anderen Tag verändert. Ich habe damals schon nicht mehr zu Hause gewohnt. Wir hatten beide Glück im Unglück: Eine Lehrerin in der Grundschule hat nicht locker gelassen, bis wir beide aufs Gymnasium gehen durften. Unser Vater hätte uns lieber in eine Lehre gesteckt. Wozu müssen Mädchen auf die höhere Schule? Na, Sie wissen schon. Jedenfalls bekamen wir Unterstützung von der Gemeinde, Schulbuchgutscheine und die Fahrkarte für den Bus. Schließlich konnte unser Vater nichts mehr dagegen einwenden. Nach dem Abitur bin ich gleich nach Frankfurt in ein Studentenwohnheim gezogen. Einmal kam Erika mich besuchen, war vollkommen verstört. Damals wusste ich nicht, was los war, hielt es für eine pubertäre Phase. Heute würde ich sagen, sie hatte eine traumatische Erfahrung gemacht und konnte sich nicht mitteilen.“

„Wie hat sich das geäußert?“

„Sie war plötzlich besessen von der Idee, ins Kloster zu gehen. Vorher hatte sie sich kaum für Religion interessiert.“ Die Schwester strich sich eine Strähne zurück, die ihr ins Gesicht gefallen war, und fuhr sich dabei müde über die Augen. „Ein ziemlich klares Zeichen dafür, dass ihr etwas große Angst gemacht hatte, dass sie Schutz suchte. Sie hat sich dann tatsächlich gleich nach dem Abitur in Freiburg für evangelische Theologie eingeschrieben. Danach ist unser Kontakt für eine Weile abgebrochen, weil mein Verhältnis zu Gott damals nicht zum Besten stand.“ Sie lächelte. „Ich habe eher an Mao und die Revolution geglaubt.“

„Wussten Sie, dass Sie kürzlich hier in Berlin einen damaligen Freund wiedergetroffen hat?“

„Valero? Ja, das hat sie mir erzählt. Sie war vollkommen geschockt davon.“

„Warum?“

„Weil Sie Angst hatte, dass er von Ben erfährt.“ Sie angelte nach ihrer Tasche und den Zigaretten, die in einer ledernen Umhüllung steckten. Inge Nowak hätte gerne von dem Angebot, eine davon zu nehmen, Gebrauch gemacht, lehnte aber höflich ab. „Ben ist Valeros Sohn.“

Berger und Nowak sahen sich schnell an. Und nun wusste die Kommissarin, was sie in den letzten Tagen immer wieder verwirrt hatte: das Gefühl, Estebán Valero schon einmal irgendwo gesehen zu haben. Dabei war es Ben gewesen, an den er sie erinnerte.

„Wer wusste das?“

„Eigentlich niemand außer mir und Ingo.“

„Sicher?“ Berger kombinierte schnell.

„Ganz sicher. Erika und Ingo hatten eigentlich die Abmachung, es Ben zu sagen, wenn er achtzehn würde. Sie haben es dann aber noch hinausgezögert, dann wurde Ingo so krank, und sie haben sich entschieden, dass Erika erst nach Ingos Tod mit ihm darüber sprechen sollte.“

„Hat Ihre Schwester Ihnen von dem Treffen mit Herrn Valero erzählt?“

„Sie wollte überhaupt nicht mit ihm reden. Aber er hat nicht locker gelassen. Er muss etwas geahnt haben. Als er sie direkt gefragt hat, hat sie alles abgestritten und ihn für übergeschnappt erklärt.“

Bei dem Wort übergeschnappt musste Inge Nowak an Sara denken, die zur stationären Behandlung in ein nahegelegenes Krankenhaus eingewiesen worden war, nachdem sie trotz der Medikamente nicht zur Ruhe gekommen war.

„Kümmern Sie sich weiter um Sara?“

„Natürlich. Sie bleibt noch ein paar Tage in der Krisenintervention, es ist sehr wichtig, dass sie jetzt unter psychologischer Beobachtung ist. Im Moment geht es nur darum, den Schock zu dämpfen. Sie hat eine lange schmerzliche Reise vor sich. Wenn wir in London sind, wird sie in therapeutische Behandlung müssen, und ich hoffe, dass meine Familie und ich die schlimmsten Folgeschäden abfedern können. Beide Elternteile innerhalb so kurzer Zeit zu verlieren, ist ein einschneidendes, schwer zu verarbeitendes traumatisches Erlebnis.“

„Können Sie Ihre Nichte denn so einfach mitnehmen?“

„Ingo und Erika haben mir schon vor Jahren die Vormundschaft übertragen, für den Fall, dass ihnen etwas zustoßen sollte, solange sie noch minderjährig ist.“

„Und was ist mit Ben?“

„Für Ben auch. Aber er ist erwachsen. Und er wird hierbleiben wollen. Unser beider Verhältnis ist nicht besonders gut. Der Junge ist ein Eigenbrötler.“

„Wo ist er überhaupt?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen.“

Alarmiert sah Inge Nowak zu ihrem Kollegen, der bereits aufstand und sein Handy aus der Hosentasche holte.

Ben hatte eine Antenne für Lügen. Es war, als ob die Worte, die er hörte, eine andere Farbe bekämen, wenn sie nicht der Wahrheit entsprachen. Es gab helle und dunkle Töne und es gab solche, die er signalrot vor sich sah. Die Antwort seiner Mutter an Estebán Valero hatte ihn fast geblendet.

„Dummes Zeug! Das hättest du wohl gern gehabt – ein Kind von mir! Damit ich bei dir bleibe. Aber ich habe dich nicht geliebt, wann begreifst du das endlich? Im Gegenteil, ich habe dich gehasst. Und heute verachte ich dich für das, was du getan hast!“

Es hatte überzeugend geklungen, aber es war gelogen, das hatte Ben feuerrot durch die Kirchenwand hindurch gesehen, die ihn von seiner Mutter und Estebán Valero trennte. Und er hatte in diesem Augenblick noch mehr gesehen. Das Besondere nämlich, das ihn vom ersten Augenblick an mit seinem Vater verbunden hatte: Er war nicht sein Sohn.

Ben war eigentlich nicht mit seiner Mutter verabredet gewesen, er war nur zufällig in der Buchhandlung um die Ecke. Wenn er sie abholte, so hatte er gedacht, würde vielleicht ein Zuschuss zu den Büchern herausspringen, obwohl sie ihm gesagt hatte, er solle zuerst alles, was sich bei ihm neben dem Bett stapelte, lesen, bevor er neue Lektüre kaufte, aber was verstand sie schon von Philosophie: Manche Schriften musste man einfach haben; die grundlegenden Gedanken zur Phänomenologie von Husserl, zum Beispiel, die er gerade als Taschenbuchausgabe erstanden hatte. Allein das Gefühl, darin nachschlagen zu können, wann immer ihm danach war, ließ sein Herz höher schlagen. Zwar mochte er Bibliotheken und die seiner Fakultät insbesonders, dennoch wollte er das, was er las, auch besitzen.

Die Stimmen hatte er schon gehört, bevor er die große Holztür des Hintereingangs geöffnet hatte, die nur angelehnt gewesen war. Wie angewurzelt war er stehengelieben und hatte gelauscht.

„Und warum sieht er mir dann so ähnlich? Er hat meine Augen, glaubst du, ich bin blind?“

„Wenn alle Jungs in seinem Alter in Berlin mit dunklen Augen von dir wären, dann müsstest du ziemlich viel Alimente zahlen! Und nun lass mich in Ruhe, ich bin nämlich verabredet und ich komme ungern zu spät.“

„Erika … “

„Lass mich sofort los, sonst hole ich die Polizei. Das hätte ich schon vor zwanzig Jahren tun sollen.“

„Ich warne dich. Du weißt nicht, wozu ich fähig bin!“

„Doch, das weiß ich. Und nun verschwinde aus meinem Leben. Und zwar für immer.“

„Wenn er mein Sohn ist, finde ich es heraus. Und dann gnade dir Gott.“

Ben war auf dem Sprung, aber dann wurde die Innentür aufgerissen und er konnte gerade noch zur Seite springen, als Valero die Tür ins Freie aufstieß, hinter der er stand. Für einen kurzen Moment hatten sich die beiden in die Augen gesehen, dann hatte der Ältere sich abgewandt und war mit schnellen Schritten davongeeilt. Ben hatte noch einen Augenblick gezögert, bevor auch er im Gedränge der nahgelegenen Fußgängerzone verschwand.

Sein Vater war also nicht sein leiblicher Vater und seine Mutter enthielt ihm seinen Erzeuger vor. War das wichtig? Sooft er versuchte, in den nächsten Tagen und Nächten diese Antwort vor sich selbst zu verneinen, spürte er einen Widerwillen. Natürlich ist es wichtig, flüsterte eine Stimme in ihm, es ist wichtig, es muss wichtig sein, wenn es ein Geheimnis ist. Geheimnisse waren immer Geschichten, die eine Wahrheit in Frage stellten, so wie die von Kopernikus, der bewies, dass die Erde nicht im Mittelpunkt des Sonnensystems steht, sondern die Sonne. Doch der clevere Astronom befürchtete, sich bei seinen Kollegen lächerlich zu machen, und hatte Angst, sich gegen die Glaubenssätze der Kirche zu stellen. Er weihte nur wenige in seine revolutionären Studien ein. Die Wahreheit war noch nie für Einfältige gedacht gewesen. War er jetzt der Dumme, dem man nicht zutraute zu verkraften, dass die Erde, auf der er stand, sich plötzlich anders drehte? Dachte seine Mutter, er hätte Angst, herunterzufallen, wenn er dahinter käme, dass der feste Boden unter seinen Füßen keine gerade Fläche war? Für wen hielten sie ihn? Für einen kleinen Jungen? Einen Idioten? Oder waren es doch seine Eltern selbst, die nicht ertrugen, dass ihre Gewissheit ins Schwanken geriet und mit ihr das flache Weltbild, in dem sie es sich gemütlich zurechtgemacht hatten? Wie konservativ war seine moderne Mutter, dass sie sich schämte für einen unehelichen Sohn von einem Ausländer? Estebán Valero. Ein wohlklingender Name und sein Träger ein gutaussehende Mann. Es stimmte: Sie hatten die gleichen dunklen Augen, und das Gesicht des Mannes kam ihm vertraut vor. Er kannte es aus dem Spiegel.

Seiner Mutter ging er von da an so gut es ging aus dem Weg. Seltsamerweise war kein Bedürfnis in ihm erwachsen, sie zur Rede zu stellen. Es war eher so, dass er in eine Seifenblase abgetaucht war und versuchte, die neue Erkenntnis einzukreisen: Seit er es wusste, verschlang er alles zum Thema Vater-Sohn-Bindung, was er zu fassen bekam, von psychologischen Ratgebern über philosophische Abhandlungen bis hin zu griechischer Mythologie. Außerdem hatte er Valero auf der Firmenwebsite von Intershop gefunden, mit Bild und kurzem Profil. Während im Erdgeschoss Ingo Mangold, der nicht mehr sein Vater war und doch immer sein Vater bleiben würde, sich seinem Ende näherte, war Estebán Valero, der niemals sein Vater werden konnte, ein Stockwerk höher auf dem Bildschirm erschien. Ihm hatte man den Sohn weggenommen und ihn einem anderen in die Wiege gelegt. Hatte Ingo Mangold davon gewusst, als er Erika Klinger heiratete? Oder war er, Ben, ein Kuckuckskind? Würde diese Tatsache bei seiner Entwicklung eine Rolle gespielt haben, war er so und nicht anders, weil er immer schon gespürt hatte, nirgendwo hinzugehören? Wie nannte man das Phänomen, wenn das, woran man glaubte, sich als Schwindel herausstellte und dennoch keine Lüge war? Moralphilosophisch betrachtet hatte seine Mutter sicher aus hehren Motiven gehandelt. Oder nicht? Er musste das herausfinden, und derjenige, von dem er darüber Auskunft wollte, war Estebán Valero. Lange hatte Ben nicht überlegen müssen, wo er ihn finden würde: über kurz oder lang in der Nähe seiner Mutter. Dort heftete er sich an seine Fersen: Parkte Valero im Dunkeln vor dem Haus, saß Ben unweit davon im Garten und beobachtete ihn mit einem Fernglas durch die Büsche. Setzte sich Valero auf die Bank vor der Kirche, um auf seine Mutter zu warten, stand er nicht weit davon an einer Ecke. Gingen die beiden in ein Café und diskutierten heftig miteinander, hielt er Abstand und sah ihre Silhouetten streiten. Einmal nahm er ein Taxi und bat den Fahrer Valero hinterherzufahren. Die Fahrt führte sie an die Stadtgrenze, in einen Industriepark, zu dem auch ein Hotel gehörte. Dort stellte Estebán seinen Wagen ab und betrat das Foyer ohne Gepäck. Er musste also dort wohnen, und nachdem Ben beim Wenden des Taxis die Leuchtschrift an einem der Bürogebäude erblickt hatte, wusste er auch, warum. Hier befand sich die deutsche Niederlassung von Intershop. Ben legte den Nacken zurück und schaute durch die Heckscheibe in den violettfarbenen Abendhimmel. Merkwürdigerweise beruhigte ihn der Gedanke, dass sein Vater in Berlin arbeitete. Das würde es ihm leichter machen, ihn aufzusuchen. Er wollte ihn damit konfrontieren, dass er Bescheid wusste. Denn was Ben einfach nicht verstehen konnte, war, weshalb er sich mit seiner Mutter traf und nicht mit ihm, wenn er sich doch so sicher war, sein Vater zu sein.

Hilfe, Mama, bitte.

Die Worte drehten sich in ihrem Kopf wie Wegweiser, die ins Leere zeigten. Um sie herum war alles weiß, die Bilder an den Wänden nahm sie nur als Schatten wahr, ebenso die Konturen des Fensters und des Nachtisches, auf dem das Kästchen mit dem roten Knopf lag.

„Wenn du etwas brauchst, wenn ich kommen soll“, hatte die Krankenschwester gesagt, „drückst du einfach hier drauf. Und jetzt versuch zu schlafen.“ Sara konnte nichts dagegen tun, dass sie ihr über die Stirn strich, nur die Augen schließen und denken: Nicht anfassen, nicht anfassen, nicht anfassen.

Meine Eltern sind tot.

Wie sie den Satz auch drehte und wendete, er hatte keinen Sinn, verhallte in dem Wolkengebirge, das sich um ihren Kopf türmte.

War Ben auch schon tot?

Vielleicht war ja alles nur ein großer Plan, von Gott ausgetüftelt: Sie würden sich alle bald wiedertreffen, und sie war die letzte, die noch unterwegs zu ihm war. Deshalb war sie im Krankenhaus, deshalb bekam sie die Spritzen. Ihre Mutter musste das arrangiert haben. Nur so machte die Krankheit ihres Vaters Sinn, nur deswegen starben sie so schnell hintereinander, daher war Ben verschwunden. Die drei saßen längst wieder irgendwo zusammen und warteten auf sie. Musste sie sich beeilen mit dem Sterben? Machte sie etwas falsch?

Sara Mangold öffnete die Augen, und ihr Herz schlug trotz der Schwere, die auf ihm lag, schnell. Sie wollte nicht sterben! Der Landesauswahltrainer hatte sie persönlich zum Auswahltraining eingeladen, sie konnte unmöglich absagen. Und Sven – sie hatten sich vor einer Woche das erste Mal geküsst. Wie weich seine Lippen waren, wie vorsichtig seine Hände und wie wunderschön seine Augen, wenn er sie ansah und lächelte.

Sie war doch noch so jung, und Ben war doch auch noch nicht richtig erwachsen. War er weggelaufen? Rannte er dem Tod davon? Wohin? Sie musste ihn finden, durfte keine Zeit verlieren. Wenn sie hierbliebe, hatte sie keine Chance. Sie musste mit Tilde sprechen, sofort. Ihre Tante hatte sicher keine Ahnung von alldem, wusste nicht, dass man sie auch töten wollte.

Vorsichtig versuchte sie ihre Beine zu bewegen, doch sie schienen wie festgebunden. Tonnenschwer lag die Bettdecke darauf, sie spürte die nackte Haut darunter nicht. War sie schon tot? Hatte sie unnötig Angst und alles war gut und sie benahm sich wie ein kleines Kind?

„Gott kannst du immer vertrauen!“, hörte sie ihre Mutter sagen.

Und wenn nicht?

Durch die geöffnete Tür kamen zwei große Schatten. Mama? Papa?

Die Riesen hatten keine Gesichter, ihre Körper waren strahlend. Ein paar Schritte vor ihrem Bett blieben sie stehen und Sara hörte ein Rauschen. Kamen die Engel?

Einer von ihnen beugte sich über sie und nun konnte sie genau zwei Augen und eine Nase sehen.

„Sara?“

Sie nahm all ihren Mut, all ihre Kraft zusammen.

„Ich bleibe hier“, flüsterte sie. „Ich gehe nicht mit.“

„Kein Problem“, antwortete die Stimme sanft. „Du kannst hierbleiben, solange du willst.“

Erleichtert schloss sie die Augen und bevor sie einschlief, erschienen ihr das traurige Gesicht ihrer Mutter und die ernsten Augen ihres Vaters.

Sie hatte ihre Eltern verlassen. Dafür gab es keine Entschuldigung.

Töten Ist Ein Kinderspiel
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