16

BEATRICE’ GUTE LAUNE LÄSST NACH
Das Getriebe ächzte, Zahnräder schnarrten und die Welt drehte sich ein Stückchen weiter. Mit einem schwindelerregenden Ruck – oder war es völlig unbemerkt? – ging der Nachmittag in den Abend über.
Cat schlich hinter mir hervor und schnüffelte an Beatrice’ Schuhen, dann drehte er den Kopf und schnüffelte an ihren Fußknöcheln. Cat! Er hatte einfach kein Gefühl für Anstand.
»Worum geht es in deiner Doktorarbeit?«, fragte ich.
»Essen.«
»Ach ja, hattest du ja schon gesagt. Menschen und Essen.«
»Es geht um unser aller Verhältnis zu Lebensmitteln, angefangen bei der Verpackung und beim Einkaufen bis hin zu unserem Essverhalten, besonderen Ritualen, Geschmäckern – solche Sachen. Ich beschäftige mich mit der Frage, ob Essen uns als Spezies beeinflusst und ob es alternative Denkweisen gibt, die in globaler, aber auch in kultureller und sogar individueller Hinsicht pragmatischer wären.«
»Ist das deine Standardantwort, wenn dich jemand nach deinem Thema fragt?«
»Äh, so ziemlich.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich es genau verstanden habe.«
»Okay, hier mal ein Beispiel: Viele Lebensmittel, die wir als ungesund erachten, essen wir als kleine Belohnungen zwischendurch. Daraus folgt irgendwann, dass wir sie, um uns das Gefühl zu vermitteln, erfolgreich zu sein, die ganze Zeit essen, was unserem Körper ziemlich verwirrende Signale gibt, wie zum Beispiel, dass Erfolg an ungesundes Essen gekoppelt ist. Es gibt noch eine ganze Menge solcher absurder Rückschlüsse, wie zum Beispiel, dass gutes Essen besonders viel Verpackung braucht. Wenn man sich unsere Essgewohnheiten mal genauer vornimmt, ergeben sie meistens nicht besonders viel Sinn.«
»Klingt interessant.«
»Ja, ist es wirklich. Aber auch kompliziert. Es ist einfach so ein weites Feld. Ich muss versuchen, es ein bisschen einzugrenzen.«
»Und wo promovierst du?«
»An der New School.«
»Gibt es die noch nicht so lange?«
»Die Uni heißt einfach so.«
»Und gibt es auch eine Old School?«
»Nein.«
»Kommst du aus New York?«
»Hauptsächlich, ja.«
»Was heißt das?«
»Ich habe an ziemlich vielen Orten gelebt, aber die meisten davon befinden sich in oder im näheren Umkreis von New York. Meine Highschool zum Beispiel ist hier ganz in der Nähe. Und was ist mit dir? Kommst du aus London?«
»Nein. Ich bin in den Midlands aufgewachsen.«
»Wo ist das denn?«
»In der Mitte von England.«
»Ah, wie der Name schon sagt.«
»Postindustriell. Ziemlich eigenartiges Fleckchen. Nichts, was ich vermisse. Aber ich bin in einer eher armen, multikulturell geprägten Gegend aufgewachsen und darauf bin ich stolz. Ich habe schöne Kindheitserinnerungen, wie ich in den Siebzigern durch winzige Straßen zwischen Reihenhäusern gerannt bin.«
»In den Siebzigern? Wie alt bist du denn?«
»Achtunddreißigdreiviertel.«
»Dann bist du älter, als ich gedacht hätte.«
»Warum, für wie alt hast du mich denn gehalten?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Hm, vielleicht siebenunddreißigeinviertel oder so«, erwiderte sie und ich ließ den Kopf hängen. »Tut mir leid, von einem jugendlichen Auftreten lasse ich mich nicht täuschen. Bist du verheiratet oder geschieden oder sonst irgendwas Interessantes?«
»Nein. Ich habe nichts von dem, was man in meinem Alter so vorzuweisen haben sollte.«
»Was sollte man in deinem Alter denn so vorzuweisen haben?«
»Ach, keine Ahnung. Ein Haus, ein Auto, eine Karriere, die kein bisschen die eigenen Fähigkeiten oder Interessen widerspiegelt, eine Frau und/oder Exfrau, Kinder …«
»Stimmt.« Sie nickte gespielt nachdenklich. »Du hast dein Leben wirklich verschwendet.«
»Was würde ich nicht dafür geben, wenigstens geschieden zu sein.«
»Mach lieber keine Witze über so was. Eine Scheidung ist die Hölle.«
»Eine ganze Menge Sachen sind die Hölle. Aber das heißt nicht, dass man keine Witze darüber machen darf; vielleicht sollte man es sogar gerade deshalb.«
»Tja … vielleicht.«
»Sollen wir noch was zu trinken bestellen?«, schlug ich vor. »Oder sollen wir uns auf die Suche nach deinem New Yorker Schatz machen und dann vielleicht was essen?«
Sie lächelte. »Gehen wir.«
»Können wir einen Umweg über die Charles Street Nummer 15 machen, damit ich schon mal weiß, wo das ist?«
Beatrice’ Gesicht nahm einen harten Ausdruck an. »Okay«, sagte sie und ihr offensichtlicher Mangel an Begeisterung überraschte mich. Wir machten uns auf den Weg und sie ging extrem langsam, so als wäre sie mit einem Mal schrecklich erschöpft.
»Alles in Ordnung mit dir?«, erkundigte ich mich.
»Jaja«, erwiderte sie. Irgendetwas hatte sich verändert; das Licht oder der atmosphärische Druck oder vielleicht war es auch etwas anderes.
»Hier ist es – Charles Street Nummer 15«, verkündete sie.
Eine grüne Markise spannte sich über den Bürgersteig in Richtung Straße. Ich ging zur Tür und warf einen Blick durch die Scheibe. Ich sah eine lang gezogene Empfangshalle mit einem Tisch am gegenüberliegenden Ende, hinter dem ein Pförtner saß. Er blickte auf. Ich lächelte und trat vom Fenster zurück. Beatrice lehnte an der Wand und beobachtete mich.
»Und?«, fragte sie.
»Hier hat ihr Kindermädchen gewohnt«, erklärte ich ihr. »Und sie selbst auch.«
»Woher weißt du das?«, wollte Beatrice wissen.
»Die Frau mit dem Klavier hat gesagt, dass sie es aus der Charles Street hat, und laut Butterflys Notizbuch hatte ihr Kindermädchen ein Apartment im West Village. Hier ist es.«
Beatrice schwieg und blickte weiter die Straße hinunter.
»Von hier hat mir jemand die E-Mail geschickt«, behauptete ich.
»Wieso bist du davon so überzeugt?«
»Bin ich nicht unbedingt, es ist einfach der einzige Anhaltspunkt, den ich habe.«
»Es ist doch nur eine Adresse«, entgegnete Beatrice, völlig unbeeindruckt.
»Ich würde ja gerne reingehen und ein paar Fragen stellen, aber ich weiß nicht, welche.«
Beatrice sah mich bloß an.
»Fällt dir nicht vielleicht etwas ein?«, fragte ich.
»Nein, tut mir leid.«
»Dann muss ich wohl noch ein bisschen darüber nachdenken und später wiederkommen.«
Wir fuhren mit dem Bus zum Union Square und nahmen dann die 4 hinunter zur Brooklyn Bridge. Dort stiegen wir aus.
»Und wohin jetzt?«, fragte ich.
»Nirgendwohin«, sagte Beatrice. »Wir warten hier.«
»Worauf denn?«
»Die Linie 6.«
»Und wo fährt die hin?«
»Nirgendwohin. Das hier ist die Endstation.«
»Hä?«
»Nachdem die Leute ausgestiegen sind, verschwindet der Zug in diese Richtung«, sie deutete die Gleise entlang, »dann fährt er ein paar Minuten später am Bahnsteig gegenüber ein und wieder nach Norden.«
»Und?«
»Und wenn man im Zug sitzen bleibt, während er seine Runde fährt, und aus dem Fenster guckt, erhascht man einen Blick auf einen geheimen Ort.«
»Was für einen geheimen Ort?«
»Eine stillgelegte U-Bahn-Station – die frühere Station City Hall –, und wenn man in der Linie 6 nach der Endstation sitzen bleibt, fährt man da durch. Soll ziemlich schön sein.«
Aufregung erfüllte mich, als würde ich gleich etwas absolut Zauberhaftes erleben. Bilder von einer Art exotischen viktorianischen Grotte, vermischt mit irgendetwas aus Tausendundeiner Nacht, zogen mir durch den Kopf.
Die Linie 6 fuhr ein und wir warfen kurz einen Blick nach rechts und links, während die Leute ausstiegen, und als eine Lautsprecherstimme alle Fahrgäste aufforderte, den Zug zu verlassen, huschten wir hinein. Die Türen schlossen sich und wir fuhren los. Wir pressten unsere Gesichter ans Fenster und schirmten unsere Augen ab. Mit einem Mal tat sich eine Welt aus gekachelten Bögen und einer tonnengewölbten Decke vor uns auf, schwach erleuchtet von einem Hauch Tageslicht, der durch verzierte Deckenfenster fiel – ein unterirdischer Tempel entlang eines gekrümmten Bahnsteigs. Dann war es vorbei.
Die City Hall Station war nichts als eine Illusion, die nur existierte, solange wir hinsahen, um sich im nächsten Augenblick in Luft aufzulösen und in die Wüstenlandschaft zurückzukehren, in die sie gehörte.
»Das war toll« war alles, was ich herausbrachte.
Beatrice grinste mich an und wandte sich dann wieder dem Fenster zu, als gäbe es dort draußen noch mehr zu sehen.
»Noch mal! Noch mal!«, rief ich.
Wir erreichten die Brooklyn Bridge Station, und als sich die Türen öffneten, um die neuen Fahrgäste einzulassen, stiegen wir aus.
Beatrice starrte ins Leere und ich sah sie fragend an. »Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist?«
»Klar, mir geht’s gut«, erwiderte sie gezwungen fröhlich. »Was möchtest du jetzt essen?«
»Ist mir total egal. Du bist die Essensexpertin von uns beiden – nimm mich einfach irgendwo mit hin.«
»Dann lass uns zurück zum Astor Place fahren«, schlug sie vor. »Da haben wir eine ziemlich große Auswahl.«
»Okay.«
Sie warf einen Blick über die Schulter, griff mich beim Arm, und kurz bevor sich die Türen schlossen, stiegen wir zurück in den Zug, mit dem wir gerade angekommen waren.
Als wir die U-Bahn-Station verließen, liefen wir an einem Internetcafé vorbei und ich fragte, ob es in Ordnung sei, wenn ich kurz meine E-Mails checkte. Beatrice setzte sich an den Computer neben mir und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
An: Benjamin
Constable
Von:
charlesstreetny15@hotmail.com
Betreff: Noch eine weitergeleitete
Nachricht
Gesendet: 22. 08. 2007 17 : 30
(GMT-6)
Im Folgenden finden Sie eine Nachricht von Tomomi Ishikawa für Sie, aus mehreren ausgewählt, passend zu Ihrer derzeitigen Situation, die sie offenbar vorausgesehen hat. Sie wurde im Februar 2007 in Paris verfasst.
Freundliche Grüße.
Hey, Ben Constable,
nur eine kurze Nachricht mit Instruktionen für den nächsten Teil deines Abenteuers. Der Hinweis ist nicht sonderlich originell, aber bitte schön: Es geht um meine Highschool-Zeit (9. bis 12. Klasse, um genau zu sein) und der gesuchte Ort ist unmittelbar mit dem Schatz verknüpft. Ein weiteres Geständnis erwartet dich, das möglichst bald dort entfernt werden sollte, bevor jemand anderes darauf stößt und es einen Skandal gibt – du würdest also einen Beitrag dazu leisten, meinen guten Ruf zu wahren (nicht dass ich einen verdient hätte, aber dürfte ich dich um der alten Zeiten willen trotzdem darum bitten?).
Ich habe den Schatz eingepflanzt wie einen Strauch, rechts vom Eingang meiner alten Schule – du wirst vielleicht überrascht sein, festzustellen, dass ich auf einer streng katholischen Mädchenschule in West Midtown war (vielleicht musst du ein bisschen recherchieren). Ich schlage vor, dass du dich nach Einbruch der Dunkelheit dorthin begibst und etwas zum Graben mitnimmst, wie zum Beispiel einen Löffel.
B. X O
»Und wo kann ich jetzt die IP-Adresse sehen?«, fragte ich.
Beatrice übernahm die Maus und ich sah zu. Sie arbeitete schnell und präzise. Ein Menü erschien, in dem sie auf Quelle anzeigen klickte, und ein neues Fenster öffnete sich. Sie fuhr mit dem Finger über den Bildschirm, während sie die Seite voller kodierter Informationen überflog.
»Da ist sie«, sie zeigte auf eine Zeile, die Received from: 67.101.158.209 lautete.
Sie kopierte die Zahlenfolge, öffnete ein neues Fenster und gab IP-Adresse nachverfolgen bei Google ein. Dann wählte sie ein Ergebnis ziemlich weit unten in der Trefferliste aus, fügte die Adresse in ein Feld ein und klickte auf den Suchen-Button daneben. Eine Weltkarte erschien, mit einem Pfeil, der auf New York deutete. »Bitte sehr«, verkündete sie. »Die Mail wurde von hier verschickt.«
»Was, von diesem Internetcafé aus?«
»Nein, aber von New York aus. Von wo genau, kann man nicht sehen.«
»Lass mich auch mal versuchen«, sagte ich und griff nach der Maus. Ich klickte auf die erste Mail von Streetny und Beatrice sah zu, während ich genau das wiederholte, was sie zuvor gemacht hatte.
Ich kopierte die neue IP-Adresse auf die Suchseite, und als sich diesmal die Weltkarte öffnete, zeigte der Pfeil auf Paris.
»Was hat das denn jetzt zu bedeuten?«, fragte ich.
»Dass, wer auch immer Charles Streetny sein mag, gestern noch in Paris war und heute in New York ist.«
»Das ist ja, als würde mich jemand verfolgen.« Die Worte hinterließen einen schlechten Geschmack auf meiner Zunge.
Wir gingen in ein vietnamesisches Restaurant, das, wie Beatrice fand, nett aussah, und bestellten Bier. Ich trank meins fast in einem Zug aus und orderte ein neues. Beatrice war schweigsam, rührte ihr Bier nicht an und schob ihr Essen auf dem Teller hin und her.
»Du bist echt komisch seit ein paar Stunden«, sagte ich, weil es stimmte.
»Ich bin bloß müde. Mein Kater hat mich heute Morgen viel zu früh geweckt. Er stand plötzlich auf meinem Bauch und hat mir die Nase geleckt. Ich bin aufgestanden und habe ihm etwas zu fressen gegeben, aber danach konnte ich nicht mehr einschlafen.«
»Das macht meiner auch manchmal.«
»Du hast auch einen Kater?«
»Ja. Aber er tut so was nicht, weil er gefüttert werden will. Er will mich bloß nerven, damit ich Sachen mache, für die ich sonst zu faul oder zu feige wäre.«
»Das ist aber ein ziemlich ungewöhnliches Verhalten für eine Katze. Normalerweise haben die kein großes Interesse daran, für jemanden den Motivationscoach zu spielen.«
»Er ist auch keine normale Katze und er unterliegt auch nicht direkt den Gesetzen der Natur.«
»Er unterliegt nicht den Gesetzen der Natur?«
»Nein, er ist imaginär«, antwortete ich und Beatrice hustete. »Aber davon wissen nicht viele Leute. Ich erzähle kaum jemandem von ihm.«
»Du hast einen imaginären Kater?«
»Ja. Das heißt, er gehört eigentlich nicht mir, er kommt mich nur hin und wieder besuchen.«
»Ah«, sagte sie und ihrem Gesicht nach zu urteilen saß sie gerade mit einem gefährlichen Psychopathen am Tisch.
»Darf ich dich mal was ganz anderes fragen?«, wechselte ich das Thema.
»Klar.«
»Kennst du zufällig eine katholische Highschool für Mädchen in West Midtown?«
»Warum willst du das wissen?« Sie warf mir einen misstrauischen Blick zu.
»Butterfly will, dass ich zu ihrer Schule gehe, weil dort das nächste Notizbuch versteckt ist. Sie hat geschrieben, dass es eine katholische Mädchenschule in West Midtown war.«
»Das nächste Notizbuch?«
»Wahrscheinlich noch ein Mord«, vermutete ich.
Sie starrte mich einen Moment zu lange an und schien etwas abzuwägen. »Sie meint die St. Michael Academy.«
»Gibt es eigentlich irgendetwas, das du nicht weißt?«
Sie antwortete nicht.
»Was ist los, Beatrice?«
Sie starrte mich weiter an. »Ich fühle mich … Ich weiß auch nicht, ich habe irgendwie schlechte Laune.«
»Meinetwegen?«
»Wahrscheinlich bin ich einfach müde.«
»Soll ich dich vielleicht nach Hause bringen?«
»Das ist lieb. Aber nein, danke.«
Mehr gab es nicht zu sagen. Wir hörten auf, einander anzustarren, und ein unbehagliches Schweigen breitete sich zwischen uns aus.
»Okay, Ben«, sagte sie schließlich, »es ist deine Schatzsuche, wegen der ich mich unwohl fühle. Ich habe keine Ahnung, wer du überhaupt bist. Du wirkst so nett und eigentlich auch ehrlich, aber diese ganzen Zufälle, die ich gestern noch lustig fand … na ja, die werden mir langsam echt unheimlich.«
»Wieso das denn?«
»Ich kenne die St. Michael Academy, weil ich dort zur Schule gegangen bin. Das ist meine alte Schule. Meine Vergangenheit.«
»Oh.« Meine Kinnlade klappte immer weiter nach unten.
»Ich frage mich langsam, ob du vielleicht irgendein krankes Spielchen mit mir spielst.«
»Oh«, sagte ich wieder, weil mir einfach nichts anderes einfallen wollte. »Ich denke mir das alles nicht selbst aus. Aber dann bist du ja mit Butterfly zur Schule gegangen.«
»Sie kann nicht in meinem Alter gewesen sein, sonst würde ich sie kennen.«
»Sie wäre jetzt dreiunddreißig.«
»Also vier Jahre älter als ich. Ich bin an die Schule gekommen, als ich vierzehn war. Da muss sie in der Zwölften gewesen sein oder vielleicht hatte sie sogar schon ihren Abschluss. Aber wir müssen gemeinsame Bekannte haben. Ich könnte mich mal umhören.«
»Oh Gott, nein, bloß nicht«, fuhr ich panisch dazwischen. »Die Sachen, die ich dir erzählt habe, sind geheim. Mir wäre es lieber, wenn du sie nicht kennen würdest. So geht das alles nicht.«
»Was geht so nicht?«
»Das mit dir. Ich treffe mich gerne mit dir. Aber wenn du sie kennst, dann ändert das alles.«
»Ich finde, du solltest nicht nach dem nächsten Notizbuch suchen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich das Gefühl habe, dass das alles irgendwie mit mir zu tun hat. Das sind einfach zu viele Zufälle.«
»Hey, jetzt bleib du aber mal ganz locker, Kumpel. Das ist alles nur Zufall. Schließlich hat dich keiner gezwungen, mich vor der Bibliothek nach Feuer zu fragen. Das war ganz allein deine Entscheidung. Ich war nur irgendein Typ, der da auf der Treppe saß.«
»Ich möchte nicht, dass du zu meiner Schule gehst.«
»Warum nicht?«
»Wegen all der Sachen, die ich gerade gesagt habe. Weil ich das total gruselig finde. Langsam kriege ich echt Angst.«
»Aber ich muss da hingehen!«, rief ich.
»Du musst gar nichts«, erwiderte sie trocken.
»Es ist spannend, nicht gruselig. Ich decke da langsam, aber sicher irgendetwas auf, ich weiß nur noch nicht genau, was. Das hier ist meine Schatzsuche. Deswegen bin ich doch überhaupt nach Amerika gekommen.«
Sie wich meinem Blick aus.
»Komm mit und hilf mir, das Buch zu finden«, bat ich sie. Und dann fügte ich, halb scherzhaft, hinzu: »Ich beschütze dich auch vor ihr.«
»Ich muss jetzt los«, sagte Beatrice und stand auf.
»Warte. Ich bringe dich noch zur U-Bahn.« Ich stand ebenfalls auf und tastete nach meinem Portemonnaie.
»Nein, ich zahle«, sagte sie. »Du kannst das Trinkgeld übernehmen.«
Als wir nach draußen traten, schien Beatrice mit ihren Gedanken schon ganz woanders zu sein. Sie deutete in eine Richtung. »Du musst da lang«, erklärte sie. »Nummer 425 in der West 33rd Street, ganz in der Nähe der Penn Station. Ich würde an deiner Stelle ein Taxi nehmen.«
»Kann ich dich irgendwo absetzen?«
»Ich muss in die andere Richtung.«
»Ach so. Meinst du denn, wir können uns mal wieder treffen?«
»Ich weiß nicht.«
»Okay.«
»Hör zu, ruf mich einfach an. Nur nicht morgen, ja? Irgendwann anders.«
»Gut«, erwiderte ich.
Sie küsste mich auf die Wangen und ließ mich auf der Straße stehen; ich blickte ihr nach. Es wäre schön gewesen, wenn sie sich noch einmal umgedreht hätte, um mir zu zeigen, dass alles in Ordnung war, aber das tat sie nicht.