KAPITEL 14

DIE NEUE GESTALT DER INDUSTRIELLEN WELT

Der Westen kann wieder auferstehen.

Welche wirtschaftliche Zukunft zeichnet sich durch den Aufstieg der Maker-Bewegung ab?

Werden westliche Länder wie die Vereinigten Staaten ihre verlorene Wirtschaftsmacht wiedergewinnen, aber nicht durch einige wenige Industriegiganten, sondern indem sie Tausende kleinerer Firmen hervorbringen, die Nischenmärkte abdecken?

Ich möchte den Abschnitt aus Cory Doctorows Buch noch einmal aufgreifen:

»Die Tage von Firmen mit Namen wie ›General Electric‹ und ›General Mills‹ und ›General Motors‹ sind vorbei. Das verfügbare Geld treibt im Markt wie Krill: Milliarden kleiner Gelegenheiten, die darauf warten, von cleveren, kreativen Unternehmern entdeckt und genutzt zu werden.«

Dies könnte man als kommerzielles Internetmodell bezeichnen, das sich durch niedrige Zugangshürden, schnelle Innovationen und starken Unternehmersinn auszeichnet. Sieht so auch die Zukunft der produzierenden Industrie aus?

Oder wird sie eher dem echten Internet gleichen, wo die meisten Inhalte von Amateuren erstellt werden, ohne jede Intention, daraus ein Geschäft zu machen oder Geld damit zu verdienen?

In dieser Zukunft geht es bei der Maker-Bewegung vor allem um Selbstversorgung – Dinge für den eigenen Gebrauch herzustellen – und weniger um den Aufbau von Firmen. Eine solche Zukunft entspräche noch mehr den ursprünglichen Idealen des Homebrew Computer Club und des The Whole Earth Catalog. Das Ziel damals war es nicht, große Unternehmen aufzubauen, sondern sich von den großen Konzernen zu befreien.

Jedes Mal, wenn ich einen Bauplan aus dem Internet herunterlade und mit meinem MakerBot ausdrucke, statt in einen Laden zu gehen oder eine andere geschäftliche Transaktion durchzuführen, frage ich mich, wie lange es wohl dauern wird, bis die Welt der Atome so frei verfügbar wird, wie es die Welt der Bits in weiten Teilen bereits ist. (Auch über dieses Wirtschaftsmodell habe ich ein Buch geschrieben. Inzwischen bedarf es jedoch keiner Erklärung mehr, da wir bereits mit kostenlosen digitalen Waren überschwemmt werden.53)

Open Source Ecology etwa ist eine Online-Community, die an einem »Global Village Construction Set« arbeitet, einer Sammlung von Open-Source-Bauanleitungen für 50 Maschinen, »die für den Aufbau einer kleinen nachhaltigen Zivilisation mit modernen Annehmlichkeiten« gebraucht werden, von einer kleinen Sägemühle bis zum Mikromähdrescher.

Die Idee geht zurück auf das Prinzip der Selbstversorgung der israelischen Kibbuzim, die in einer Zeit der Not und durch den Glauben an gemeinschaftliche Aktion entstanden, oder auf Gandhis Ideal der wirtschaftlich unabhängigen Dörfer in Indien. Natürlich werden wir nicht alle unsere eigenen Lebensmittel anbauen oder ohne Weiteres auf die Annehmlichkeiten gut sortierter Kaufhäuser verzichten. Aber in einer Zukunft, in der mehr Dinge nach Bedarf hergestellt werden können, statt industriell produziert, versandt, gelagert und verkauft zu werden, ist die Ausgangssituation für eine gewerbliche Wirtschaft günstig, die weniger von kommerziellen und mehr von sozialen Interessen angetrieben wird. Wie es bei Open-Source-Software heute schon der Fall ist.

Für welchen dieser beiden Wege wird sich die westliche Industrie wohl entscheiden?

Ich glaube, für das erstgenannte Modell. Die Industrie wird damit dem heutigen kommerziellen Internet gleichen: immer mehr Unternehmertum und schnellere Innovation bei immer weiter sinkenden Zugangshemmnissen. In dieser Zukunft wird sich der Schwerpunkt industrieller Produktion wieder in die flexibelsten Industrieländer zurückverlagern, trotz der relativ hohen Lohnkosten dort. Globalisierung und Kommunikation haben die Welt verflacht und dafür gesorgt, dass die industrielle Produktion in die Entwicklungsländer mit ihren niedrigen Lohnkosten abwanderte. Diesen Vorgang hat David Ricardo im 19. Jahrhundert als Erster beobachtet und als Triumph des »komparativen Vorteils« bezeichnet.

Jetzt verflachen wir die Welt wieder, aber auf einer anderen Ebene. Dank der Automatisierung ist der Anteil der Lohnkosten an den gesamten Herstellungskosten eines Produkts bereits klein, und er schrumpft weiter. Bei Elektronikartikeln beträgt er teilweise nur noch wenige Prozent. Jetzt fallen andere Faktoren, etwa die Kosten oder die Dauer des Transports, wieder stärker ins Gewicht.

Ein Beispiel: Die 3D-Robotics-Fabrik in San Diego kauft die Fertigungsanlagen und Bauteile für die Elektronik zu denselben Preisen ein wie unsere chinesischen Konkurrenten. Wir bezahlen unsere Mitarbeiter besser, aber der Abstand wird kleiner: Ein Arbeiter in San Diego erhält 15 Dollar die Stunde (2400 Dollar pro Monat) im Vergleich zu den 400 Dollar im Monat, die ein Arbeiter bei Foxconn bekommt, dem riesigen Hersteller des iPhone, iPad und vieler Elektronikbauteile für weitere Großunternehmen. Durch Wettbewerb, bessere Ausbildung und Druck der Gewerkschaften sind die Löhne in Shenzhen in den letzten fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen, während die Industrielöhne im Westen nahezu gleich blieben.

In unserer neuen 3D-Robotics-Fabrik in Tijuana, 20 Minuten entfernt von unserer Fabrik in San Diego, sind die Löhne etwa halb so hoch wie in den Vereinigten Staaten (1200 Dollar pro Monat), und betragen damit nur das Dreifache der Löhne in China. Bei der Produktion eines unserer Produkte, wie etwa des Autopilot-Boards für 200 Dollar, beträgt der Unterschied bei den Lohnkosten zwischen Mexiko und China weniger als einen Dollar oder etwa ein Prozent der Herstellungskosten insgesamt (und ein halbes Prozent des Verkaufspreises). Bei anderen Kosten, Miete und Strom etwa, ist der Unterschied zu China noch niedriger.

Für Produkte, die automatisch hergestellt werden können, was für immer mehr Produkte möglich ist, wird das übliche ökonomische Kalkül der »Lohnarbitrage« immer weniger wichtig. Selbst in chinesischen Firmen wird die Produktion zunehmend automatisiert, um die Firmen vor dem steigenden Lohndruck zu schützen, vor allem aber, um die Kontroversen um die Arbeitsbedingungen zu vermeiden, die Foxconn und Apple in den letzten Jahren anhingen. Ein iPad kann nicht vollständig automatisch hergestellt werden, und es wird nach wie vor viel von Hand gearbeitet. Aber Industrieroboter werden immer billiger, während menschliche Arbeitskräfte immer teurer werden.

Bei der Entscheidung, wo etwas produziert wird, geht es also immer weniger um Löhne. Dennoch hat China immer noch einen deutlichen Vorsprung in allen Bereichen, von Elektronikartikeln bis zu Spielzeug und Textilien, wie die Etiketten an Kleidung und Geräten beweisen. Der Grund dafür sind die einzigartigen Versorgungsketten. Unsere Montage findet zwar in den Vereinigten Staaten und Mexiko statt, aber die Bauteile kommen immer noch aus China, und wir müssen entweder die Lieferungen abwarten oder mehr einlagern, als wir brauchen, was uns Geld kostet und uns weniger flexibel macht. In Shenzhen, wo all diese Teile hergestellt werden, kann man alles, was man braucht, von einem Lieferanten in der Nähe bestellen und bekommt sie innerhalb weniger Stunden geliefert. Wir müssen unsere Bestellungen Wochen im Voraus aufgeben. Auch unseren Kunststoffspritzguss lassen wir in China machen, weil US-amerikanische und mexikanische Firmen nicht groß genug sind, um beim Preis konkurrieren zu können.

Hier zeichnen sich die ersten Umrisse der gewerblichen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ab.

Auf der Seite der Produktentwicklung sorgt die Maker-Bewegung für einen Wettbewerbsvorteil der Kulturen mit dem besten Innovationsmodell, nicht den niedrigsten Lohnkosten. Diejenigen Länder gewinnen, in denen die »Co-Kreation«, die gemeinschaftliche Entwicklung floriert. Diese Faktoren werden den Erfolg bestimmen auf jedem Markt des 21. Jahrhunderts.

Auf der Seite der Herstellung werden die Verbreitung und der Entwicklungsgrad der Automatisierung das Spielfeld zwischen Ost und West angleichen, ebenso wie die steigenden direkten und indirekten Kosten langer und störungsanfälliger Versorgungsketten. Jedes Mal, wenn der Preis für Diesel steigt, steigen auch die Kosten für den Transport eines Containers aus China. Vulkane in Island und Piraten vor der Küste Somalias zählen zu den Risikofaktoren in einer globalen Versorgungskette und sind gleichzeitig Argumente für eine Produktion von Waren näher an dem Ort, an dem sie gebraucht werden. Wir leben in einer zunehmend unbeständigen und unberechenbaren Welt, in der alles, von politischer Instabilität bis Währungsschwankungen, den Kostenvorteil einer Standortverlagerung ins Ausland im Nu zunichtemachen kann.

Das bedeutet aber nicht die Rückkehr zu den ruhmvollen Zeiten von Detroit oder den Zeiten, als ein Fabrikjob einen sicheren Weg in die Mittelklasse darstellte. Es deutet nur darauf hin, dass sich das Internetmodell am Ende durchsetzen wird: ein völlig verteilter digitaler Marktplatz, auf dem gute Ideen von überall her aufkommen und die Welt im Sturm erobern können. Die Industrie der Zukunft wird mehr Erfolge wie die des Computerspiels Angry Birds (das in Finnland erfunden wurde) und des sozialen Netzwerks Pinterest (das in Iowa entstand) fördern und weniger die Vorherrschaft der herkömmlichen Industriezentren und Unternehmen wie im 20. Jahrhundert.

General Motors und General Electric werden nicht einfach verschwinden, aber das geschah auch nicht mit AT & T und BT, als das Internet aufkam. Wie beim Long Tail wird die neue Zeit nicht zum Ende des Blockbusters führen, sondern nur dem Monopol des Blockbusters ein Ende setzen. Dasselbe wird für die Industrie gelten. Wir werden einfach nur mehr von allem sehen: Mehr Innovation, an mehr Orten, von mehr Menschen, die sich auf mehr und engere Nischen konzentrieren. Gemeinsam werden all diese neuen Produkte die industrielle Wirtschaft neu erfinden, oft mit nur wenigen Tausend Stück auf einmal, aber es werden die genau richtigen Produkte für einen zunehmend anspruchsvollen Konsumenten sein. Für jede Firma à la Foxconn mit ihren fast 1 Millionen Mitarbeitern, die Produkte für den Massenmarkt herstellen, wird es Tausende neuer Firmen geben mit nur wenigen anvisierten Nischen. Gemeinsam werden sie die Welt der Herstellung umgestalten.

Willkommen im Long Tail der Dinge.