KAPITEL 4
WIR ALLE SIND JETZT DESIGNER
Dann sollten wir aber auch lernen, wie man es richtig macht.
Während meiner Schulzeit an der Highschool in den späten 1970er-Jahren hatten wir auch Werkunterricht, der Teil des Lehrplans für Kunst und Handwerk war. Warum es ein Pflichtkurs war, verstand niemand, denn wir lebten in einem Vorort von Washington, D. C., wo es weit und breit keine Fabriken gab, und die Eltern meiner meisten Freunde waren Anwälte oder Regierungsangestellte. Aber Mitte des 20. Jahrhunderts gehörte es zur amerikanischen Schulbildung einfach dazu, dass man lernte, mit verschiedenen Werkzeugen wie Bandsägen, Tischsägen und Standbohrern umzugehen. Die bösen Jungs stellten Ninjasterne her, die schlimmsten Bongs. Ich baute einen unförmigen Zeitungsständer, den meine Eltern ertrugen, bis ich von zu Hause auszog. Nur mit Glück hatte ich am Ende des Projekts noch alle Finger. Für die Mädchen wurde stattdessen ein Hauswirtschaftskurs angeboten, in dem sie Nähen, Kochen und den Umgang mit Pflanzen lernten, und damit ihren Teil der handwerklichen Grundausbildung abdeckten.
Zu Hause baute ich elektronische Baukästen von Heathkit zusammen. Dabei plagte ich mich wochenlang mit Lötkolben, Drähten und Einzelteilen herum, aber billiger kam man an ein Amateurfunkgerät oder einen Stereoverstärker nicht heran. Chemiekästen enthielten richtige Chemikalien (nicht wie heute, wo kaum mehr als Backnatron und jede Menge Warnhinweise drin sind), und man konnte viel Spaß damit haben. Jeder, der ein cooles oder anfälliges Auto besaß, verbrachte seine Wochenenden mit einem Schraubenschlüssel unter der Motorhaube und tunte es oder bastelte sonst irgendwie an der Mechanik herum. Viele Jugendliche nahmen Dinge auseinander, »um zu sehen, wie sie funktionieren«. Sie fanden dabei viele Einsatzmöglichkeiten für die Einzelteile, und so entstanden zahllose fantastische Maschinen, von denen einige sogar funktionierten.
Aber in den 1980er- und 1990er-Jahren verlor die Herstellung von Dingen mit den eigenen Händen immer mehr an Romantik. Die Arbeitsplätze in der Herstellung garantierten den sozialen Aufstieg oder den Verbleib in der Mittelschicht nicht mehr, und der Werkunterricht war auch nicht länger eine sinnvolle Berufsvorbereitung, denn immer weniger Menschen arbeiteten in der Produktion. Die Schulwerkstatt wurde durch Tastaturen und Bildschirme ersetzt. PCs wurden angeschafft, die in allen guten Jobs benutzt wurden. Ziel des Schullehrplans war es jetzt, die Kinder zu »Symbolic Analysts« auszubilden, so der Name der Sozialwissenschaftler für Angestellte in der Informationsindustrie. EDV-Kurse ersetzten den Werkunterricht. Kürzungen in den Schuletats besiegelten in den 1990ern das Ende des Werkunterrichts. Als die letzten Werklehrer der Generation in Rente gingen, wurden sie einfach nicht ersetzt, die Werkzeuge wurden verkauft oder eingelagert.
Importierte Elektronik aus Asien war bald besser und billiger als die Heathkit-Produkte, und als Mikrochips und integrierte Schaltkreise die einzelnen elektronischen Bauteile, Widerstände, Transistoren und Kondensatoren, ersetzten, nutzte ein Lötkolben nicht mehr viel. Elektronische Geräte wurden zu Wegwerfartikeln, die »keine vom Benutzer zu wartenden Teile« mehr enthielten, wie es in den Warnhinweisen hieß. Ab 1992 stellte Heathkit keine Baukästen mehr her.19
Bei den Autos wurden Vergaser und Verteilerkappen, an denen man herumschrauben konnte, durch Einspritzanlagen und elektronische Zündungen ersetzt, bei denen das nicht mehr ging. Chips ersetzten die mechanischen Teile. Die neuen Autos waren nicht mehr so aufwendig in der Wartung, und unter der Motorhaube gab es nicht mehr viel, das man hätte reparieren oder anders einstellen können, wenn man es gewollt hätte. Man konnte gerade noch Öl und Ölfilter auswechseln. Die beweglichen Teile waren hermetisch verschlossen und unzugänglich, ein Preis, den wir für mehr Zuverlässigkeit und weniger Wartungsaufwand gerne bezahlten.
Während der Werkunterricht den Kürzungen der Schuletats zum Opfer fiel, setzten bessere Arbeitschancen für Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter dem Hauswirtschaftsunterricht ein Ende. Die Kinder wuchsen mit Computern und Videospielen auf statt mit Schraubenschlüsseln und Bandsägen. Die klügsten Köpfe einer ganzen Generation wurden von Software und den unendlichen Welten verführt, die online ihrer Erschaffung harrten. Sie schufen das digitale Zeitalter, in dem wir alle heute leben.
Die Welt vollzog damit den Übergang von den Atomen zu den Bits. Diese Entwicklung dauert bereits 30 Jahre lang an, eine ganze Generation, und dagegen ist nichts einzuwenden.
Aber jetzt, 30 Jahre nachdem der Werkunterricht aus den Lehrplänen gestrichen und der Großteil des Sekundärsektors ins ferne Ausland verlagert wurde, gibt es wieder gute Gründe, sich die Hände dreckig zu machen. Desktop-Fertigungsmaschinen kommen langsam im Mainstream an, und es wird Zeit, die »Herstellung von Dingen« wieder auf den Lehrplan der Schulen zurückzubringen, nicht in Form des früheren Werkunterrichts, sondern als Unterricht in Design.
In Computerkursen lernen Schüler heute den Umgang mit PowerPoint und Excel, und im Kunstunterricht lernen sie immer noch, wie man zeichnet und Kunstwerke mit den Händen formt. Ein Designkurs wäre hier eine bessere, dritte Alternative. In diesem Kurs würden Schüler den Umgang mit kostenlosen 3-D-CAD-Tools lernen, wie SketchUp oder Autodesk 123D. Manche würden Gebäude oder fantastische Strukturen entwerfen, wie sie es jetzt schon in den Schulheften machen. Andere würden raffinierte Levels für Videospiele entwickeln mit Landschaften und Fahrzeugen. Und wieder andere würden Maschinen erfinden.
Noch besser wäre es, wenn jeder Designklasse ein paar 3-D-Drucker oder Lasercutter zur Verfügung stünden. In allen Desktop-Designtools stünde ein Menüpunkt »Make« zur Auswahl. Die Schüler könnten so das, was sie am Bildschirm entwerfen, auch tatsächlich herstellen. Was würde es wohl für sie bedeuten, etwas in der Hand zu halten, das sie sich ausgedacht haben? So wird eine ganze Generation von Makers heranwachsen. Und aus ihnen wird die nächste Welle industrieller Unternehmer kommen.
Das Zauberwort »Desktop« verändert alles
20 Jahre nachdem Desktop-Publishing im Mainstream ankam, wird das Wort »Desktop« auch Industriemaschinen vorangestellt, mit gleichermaßen überwältigenden Auswirkungen. Desktop-3-D-Druck, computergesteuertes Desktop-Fräsen, -Walzen und -Zerspanen, Desktop-Laserschnitt, computergesteuertes Desktop-Sticken, -Weben und -Quilten; sogar Desktop-3-D-Scannen oder »Reality Capture«, die Digitalisierung der materiellen Welt. Desktop-Herstellung als Vorstufe einer vollständigen Desktop-Industrie.
Um die Bedeutung des Wortes »Desktop« zu begreifen, hilft ein Blick auf die Geschichte des Computers. Bis in die späten 1970er-Jahre waren »Computer« entweder Großrechner, die ganze Räume füllten, oder Minicomputer von der Größe eines Kühlschranks. Sie waren nur Regierungsbehörden, großen Firmen und Universitäten vorbehalten. Technologen hatten schon lange vorhergesagt, dass Computer in die Durchschnittshaushalte einziehen würden. Das mooresche Gesetz von sinkenden Preisen und immer höherer Leistung garantierte praktisch, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Aber niemand konnte sich vorstellen, warum jemand einen Computer überhaupt würde haben wollen. Computer wurden damals genutzt, um die Ergebnisse von Volkszählungen und die betriebliche Buchführung in Tabellen zu erfassen, um wissenschaftliche Simulationen durchzuführen und nukleare Waffen zu entwerfen – also für wichtige und umfangreiche Zahlenverarbeitung. Wie sollte das in einem Privathaushalt nützen?
Bei Firmen wie IBM oder den Bell Labs von AT & T brüteten die klügsten Köpfe über der Frage, wozu Computer in einem Privathaushalt eingesetzt werden konnten – mit kläglichen Ergebnissen. Die meisten gingen davon aus, dass man damit Kochrezepte verwalten würde. Honeywell bot im Jahr 1969 tatsächlich einen 10000 Dollar teuren »Küchencomputer« an (offizieller Name: »H316 Pedestal Model«), für den auf dem Cover des Katalogs der Kaufhauskette Neiman Marcus mit einer solchen Funktion geworben wurde. Der Computer hatte ein modisches Design mit integriertem Schneidebrett. (Es gibt keine Beweise dafür, dass jemals einer davon verkauft wurde. Das lag wohl vor allem daran, dass die moderne Köchin die Daten per Kippschalter eingeben und die Rezepte über eine binäre Leuchtanzeige auslesen musste.)
Als mit dem Apple II und später dem IBM-PC die ersten richtigen Personal »Desktop« Computer auf den Markt kamen, fanden sich plötzlich zahllose Anwendungsmöglichkeiten, die sich von Tabellenkalkulation und Textverarbeitung für Firmen bald über Videospiele auf die Bereiche Unterhaltung und Kommunikation ausdehnten. Allerdings hatten letztendlich nicht die Spezialisten der großen Computerfirmen herausgefunden, wozu ihre Kunden einen Computer brauchen konnten, sondern die Menschen selbst hatten neue Anwendungsmöglichkeiten gefunden.
Im Jahr 1985 brachte Apple schließlich den LaserWriter auf den Markt, den ersten echten Desktop-Laserdrucker. Mit dem Laser Writer und dem Mac begann das Phänomen des Desktop-Publishing. In diesem entscheidenden Moment trafen im öffentlichen Bewusstsein zum ersten Mal die beiden Worte »Desktop« (Schreibtisch) und »Publishing« (Veröffentlichung oder Gestaltung) aufeinander. Der Apple-Drucker brauchte einen leistungsstärkeren Prozessor als der Mac selbst, um die Seitenbeschreibungssprache Postscript verarbeiten zu können, die ursprünglich für zehnmal teurere Profidrucker entwickelt worden war. Aber Steve Jobs wollte, dass die Desktop-Publishing-Programme des Mac nicht nur dieselbe Qualität lieferten wie ein Profidrucker, sie sollten besser sein. Er war überzeugt, dass Desktop-Werkzeuge besser sein konnten als traditionelle Profiwerkzeuge, und er machte von Anfang an keine Kompromisse. (Die Folge war, dass der Drucker zu einem relativ hohen Preis, für 7000 Dollar, in den Handel kam und eine neue Netzwerktechnologie erfunden werden musste, damit mehrere Leute in kleinen Büros ihn gemeinsam nutzen konnten.)
Zu jener Zeit stand »Publishing« noch für alle Prozesse, die zu einer Veröffentlichung führten, vom Eisenbahntransport von Papier und Tintenfässern in die Druckerei bis zur Auslieferung der fertigen Waren per Lastwagen. Die »Macht der Presse« entstand in den riesigen Druckmaschinen jener Zeit. Zeitungsverlage waren Fabriken, in denen Arbeiter Paletten mit Papier umherschoben. Aber mit dem Desktop-Publishing rückte eine kleinere Version davon für jeden in greifbare Nähe. Man konnte zu Hause den »Prototyp« einer Publikation herstellen und einige wenige Kopien ausdrucken. Wenn das Ergebnis den Vorstellungen entsprach, kopierte man die Datei auf eine Diskette, ging damit in einen Copyshop und ließ die gewünschte Auflage drucken. Die Desktop-Werkzeuge für den Privatgebrauch sprachen dieselbe Sprache (Postscript) wie die großen Maschinen der Druckereien. Am Anfang war das sicher nicht jedermanns Sache, aber mit der Zeit wurden hochwertige Desktop-Farbdrucker immer besser und billiger. Heute kosten solche Drucker weniger als 100 Dollar und stehen praktisch in jedem Haushalt (als Killer-App erwies sich die digitale Fotografie, nicht die Herstellung von Newsletters und Flyern).
Als das Publizieren die Fabrikhallen verließ, wurde es freier. Dies machte sich auf dem Papier allerdings noch nicht so stark bemerkbar, sondern erst mit der Möglichkeit, online zu veröffentlichen. Als die Menschen die Macht der Presse in den eigenen Händen hielten, wollten sie mehr, als nur Newsletters zu drucken. Im Web wurde dann aus »Publizieren« das »Posten«, und die ganze Welt wurde zum Publikum.
Heute erledigt ein einfaches Posting im Internet, wozu früher ganze Fabriken gebraucht wurden. Moderne PCs sind übergangslos mit Serverfarmen (der »Cloud«) verbunden, die ganze Lagerhallen füllen, und ermöglichen so den sofortigen Zugang zu gigantischen Rechnern. Bei einer Google-Suche denkt wohl kaum einer daran, dass gerade die Macht von Hochleistungsrechnern nutzbar gemacht wird, aber noch vor wenigen Jahrzehnten hätte man einen mehrere Millionen Dollar teuren Supercomputer gebraucht, um derartige Datenmengen zu durchsuchen. Und wer die Serverfarmen von Google jemals gesehen hat, weiß, dass der Vergleich mit einer Fabrik durchaus zutrifft: Sie füllen einen ganzen Häuserblock. Heute kann jeder diese Macht nutzen, um jeden Gedanken weltweit und umsonst zu veröffentlichen oder abzurufen.
Die professionelle Ausstattung der größten Medienkonzerne des 20. Jahrhunderts wurde in etwas verwandelt, das vom Laptop aus kontrolliert werden kann. Früher standen die größten Computeranlagen nur der Regierung, Großunternehmen und Forschungslabors zur Verfügung. Heute stehen sie jedem Einzelnen zur Verfügung: All dies hat der »Desktop« bewirkt.
Do-it-yourself-Design
Der 3-D-Drucker hat heute den Stand erreicht, den Jobs’ Macintosh und LaserWriter vor 25 Jahren erreicht hatten. Wie die ersten Laserdrucker sind auch 3-D-Drucker immer noch ein bisschen teuer und umständlich in der Benutzung. Noch sind sie nicht jedermanns Sache. Noch ist nicht klar, was die Killer-App sein wird. Fest steht allerdings, dass 3-D-Drucker besser, billiger und sogar schneller sein werden als Laserdrucker, dank der mechanischen und elektronischen Basistechnologie, die 3-D-Drucker mit ihren zweidimensionalen Vorfahren, den beliebten Tintenstrahldruckern, gemeinsam haben. Die einzigen echten Unterschiede liegen darin, dass beim 3-D-Drucker eine andere Flüssigkeit aus den Düsen spritzt (Kunststoffschmelze statt Tinte), und dass er einen zusätzlichen Motor für die Höhe hat.
Wie damals fühlen sich auch die ersten Nutzer der 3-D-Drucker heute ein wenig verloren. Als das Desktop-Publishing aufkam, stellten Zehntausende Menschen fest, dass sie von Schriftarten, Unterschneiden, Textfluss und Ankern keine Ahnung hatten. Sie mussten über Nacht die Fachbegriffe und Techniken aus mehreren Jahrhunderten Typografie lernen. Das Ergebnis waren jede Menge Dokumente mit einem wilden Durcheinander von Schriftarten, aber auch eine Explosion der Kreativität, aus der das heutige Web entstand.
Ähnlich wie beim Desktop-Publishing ist heute durch die Verbreitung der Fabber eine ganze Generation von Amateuren mit der verwirrenden Fachsprache und den Techniken des professionellen Industriedesigns konfrontiert. Heute geht es nicht mehr um Bildumlauf und Blocksatz, sondern um »Gitter« und »G-Code«, um »Raster« und »Vorschubgeschwindigkeit«. Aber keine Angst: Was man braucht, hat man schnell gelernt, und irgendwann werden Schüler in der fünften Klasse im digitalen Werkunterricht alles Notwendige lernen. In den ersten Jahren der PC-Revolution klangen die PC-Grundbegriffe – »Pixel«, »Bytes«, »RAM« – auch noch nach Geheimlehre, und heute denken wir über derartige Details kaum noch nach, auch wenn das wohl vor allem daran liegt, dass die moderne Technologie die meisten im Hintergrund ablaufenden Prozesse vor den Anwendern verbirgt.
Bei der Maker-Bewegung wird das genauso sein. Heute sind die Anhänger der Bewegung geblendet von den Möglichkeiten der hochwertigen Geräte, die auf ihren Schreibtischen stehen. Die Geeks sind fasziniert von den fremden Begriffen und ungewohnten Techniken der materiellen Herstellung und stürzen sich in die Erforschung dieser fremden neuen Welt. Aber das ist nur der Vorgeschmack eines sich schnell verbreitenden Mainstream-Phänomens. Diese ersten Geräte werden bald so allgegenwärtig und einfach zu benutzen sein wie Tintenstrahldrucker. Und falls man aus der Vergangenheit schließen kann, wird die Welt sich durch diese Technologie noch schneller verändern als durch den Mikroprozessor eine Generation zuvor.
Wir alle sind jetzt Designer. Wir sollten endlich lernen, wie man es richtig macht.