KAPITEL 1
DIE REVOLUTION DER ERFINDER
Fred Hauser, mein Großvater mütterlicherseits, wanderte im Jahr 1926 aus Bern in der Schweiz nach Los Angeles aus. Er war aber nicht nur Schweizer, sondern vor allem ein ausgebildeter Mechaniker, und da war es wohl unvermeidlich, dass auch ein Uhrmacher in ihm steckte. Zum Glück gab es zu jener Zeit in Hollywood für einen Feinmechaniker viel zu tun bei all den mechanischen Kameras, Projektionssystemen und der neuen Tontechnik mit Magnetbändern. Hauser fand einen Job in der Aufnahmetechnik der MGM-Studios, heiratete, wurde Vater einer Tochter (meine Mutter) und kaufte sich einen mediterranen Bungalow in einer Seitenstraße in Westwood, wo jedes Haus einen großen Rasen vor dem Haus und eine Garage dahinter hatte.
Aber Hauser war nicht nur ein technischer Angestellter. Nachts war er außerdem ein Erfinder. Er träumte von Maschinen, fertigte Entwürfe und technische Zeichnungen an und baute danach seine Prototypen. Er richtete sich in seiner Garage eine Werkstatt ein und stattete sie nach und nach mit den Werkzeugen aus, die er für seine Erfindungen brauchte: einem Standbohrer, einer Bandsäge, einer Stichsäge, einer Schleifmaschine und vor allem einer Drehmaschine zur Metallbearbeitung. Mithilfe einer solchen Drehmaschine und etwas Geschick kann jeder Stahl- oder Aluminiumblöcke in hochpräzise Maschinenteile verwandeln, egal ob Nockenwelle oder Ventil.
Anfangs hatten seine Erfindungen hauptsächlich mit seiner Arbeit zu tun, und er entwickelte verschiedene Bandlaufwerke. Mit der Zeit jedoch richtete er seine Aufmerksamkeit immer mehr auf den Rasen vor seinem Haus. Weil alle trotz der heißen kalifornischen Sonne unbedingt einen perfekt grünen Rasen vor dem Haus haben wollten, boomte das Geschäft mit Sprinkleranlagen. Die stolzen Hausbesitzer nutzten ihren neu gewonnenen Wohlstand, ließen ihre Gärten aufreißen und Bewässerungssysteme verlegen. Nach Feierabend drehten sie dann die Ventile auf und bewunderten die Wasserfontänen aus Versenkregnern, verstellbaren Düsen und Schwenkregnern, die ihre Rasen bewässerten. Eine beeindruckende Vorrichtung. Allerdings musste man immer selbst Hand anlegen, wenn auch nur, um das Wasser an- und wieder abzudrehen. Konnte man hier nicht auch ein Uhrwerk einbauen?
Hausers Antwort auf diese Frage war Patent Nummer 2311108 für den »sequenziellen Betrieb von Versorgungsventilen«, das er 1943 anmeldete. Konkret war damit ein automatisches Sprinklersystem gemeint, das im Wesentlichen aus einer elektrischen Uhr bestand, die das Wasser an- und abdrehte. Das Raffinierte daran war die Programmierung, die heute noch in ähnlicher Form für zeitgesteuerte Lampen und Thermostate verwendet wird: Im »Zifferblatt« der Uhr befand sich ein Ring aus Löchern, je eins alle fünf Minuten. Ein Stift, der durch eines der Löcher dringt, aktiviert einen Schalter, ein sogenanntes Relais, das ein Wasserventil öffnet oder schließt und so diesen Teil des Sprinklersystems kontrolliert. Über verschiedene Lochringe konnte man die einzelnen Teile des Bewässerungssystems steuern und alle Grünflächen rund ums Haus bewässern: vor dem Haus, hinter dem Haus, Innenhof und Auffahrt.
Hauser hatte den Prototyp gebaut und in seinem eigenen Garten getestet, bevor er den Patentantrag stellte. Noch während das Prüfverfahren lief, suchte er nach Möglichkeiten, seine Erfindung auf den Markt zu bringen. Und genau hier offenbarten sich die Grenzen des Industriemodells des 20. Jahrhunderts.
Es war damals schwer, nur mit einer Idee die Welt zu verändern. Man kann eine bessere Mausefalle erfinden, aber wenn man nicht Millionen davon herstellen kann, interessiert sich die Welt nicht dafür. Wie Marx bemerkte, hat derjenige die Macht, der die Produktionsmittel kontrolliert. Mein Großvater konnte das automatische Sprinklersystem zwar in seiner Werkstatt erfinden, aber er konnte dort keine Fabrik bauen. Um seine Erfindung auf den Markt zu bringen, musste er einen Fabrikanten dafür interessieren. Das ist schwierig, und der Erfinder muss dazu die Kontrolle über seine Erfindung abgeben. Der Besitzer der Produktionsmittel entscheidet, was produziert wird.
Doch mein Großvater hatte Glück. Südkalifornien war das Zentrum der neuen Bewässerungsindustrie für den Privatgebrauch, und eine Firma namens Moody erwarb schließlich eine Produktlizenz für das automatische Sprinklersystem. Im Jahr 1950 kam es als Moody Rainmaster auf den Markt, und die Firma warb mit den Wochenenden, die Hausbesitzer jetzt am Strand verbringen konnten, während sich ihr Garten zu Hause selbst bewässerte. Das System verkaufte sich gut und wurde mit jedem Nachfolgemodell immer ausgefeilter. Mein Großvater erhielt für alle Modelle Lizenzgebühren, bis in den 1970er-Jahren seine letzten Patente ausliefen.
Eine solche Erfolgsgeschichte erlebt von 1000 Erfindern nur einer. Die meisten schuften in ihren Werkstätten und bringen ihre Produkte nie auf den Markt. Mein Großvater selbst besaß noch 26 weitere Patente für andere Geräte, aber mit keiner anderen Erfindung hatte er Erfolg. Als er 1988 starb, hatte er insgesamt nur wenige Hunderttausend Dollar an Lizenzgebühren eingenommen. Ich erinnere mich an einen gemeinsamen Besuch bei dem Unternehmen, das Moody später aufkaufte, Hydro-Rain. Es war in den 1970er-Jahren, und ich war noch ein Kind. Er wollte mir das letzte Modell seines Sprinklersystems zeigen, das produziert wurde. Sie sprachen ihn mit »Mr. Hauser« an und behandelten ihn mit Respekt, aber offensichtlich hatten sie keine Ahnung, warum er da war. Sie hatten die Lizenz für seine Patente erworben und dann ihre eigenen leicht herstellbaren und profitablen Sprinklersysteme entwickelt, die den Käufer optisch ansprechen sollten. Diese neuen Systeme hatten mit Großvaters Prototypen nicht mehr Ähnlichkeit als diese mit seinen ersten Entwürfen.
So sollte es auch sein: Hydro-Rain war ein Unternehmen, das Produkte in hohen Stückzahlen für einen Wettbewerbsmarkt herstellte, der von Preis und Werbung bestimmt wurde. Hauser hingegen war ein kleiner, alter Einwanderer aus der Schweiz, dessen Erfindungspatente langsam ausliefen und der in einer umgebauten Garage arbeitete. Er gehörte nicht in die Fabrik und wurde dort nicht gebraucht. Ich erinnere mich daran, dass ein paar Hippies ihn auf dem Rückweg auf der Autobahn aus einem VW heraus beschimpften, weil er zu langsam fuhr. Ich war zwölf, und es war mir furchtbar peinlich. Mein Großvater war vielleicht ein Held des Kapitalismus des 20. Jahrhunderts, aber man merkte nichts davon. Er war nur ein Bastler, der in der wirklichen Welt verloren wirkte.
Dennoch ist Hausers Geschichte keine Tragödie; ganz im Gegenteil, sie war eine der wenigen Erfolgsgeschichten jener Zeit. Soweit ich mich erinnern kann, war mein Großvater glücklich und lebte für seine Begriffe im Luxus. Vielleicht hätte ich es aber auch nicht bemerkt, wenn es anders gewesen wäre, denn er war das lebende Klischee des Schweizer Ingenieurs, der sich mit einem Zeichenstift in der Hand sehr viel wohler fühlte als bei einem Gespräch. Wahrscheinlich wurde er für sein Patent angemessen entlohnt, auch wenn meine Stiefgroßmutter (meine Großmutter starb früh) die geringe Höhe der Zahlungen und seinen Mangel an Verhandlungsgeschick beklagte. Er war zweifellos ein hochbegabter Erfinder. Nach seinem Tod blätterte ich durch seine vielen Patentanmeldungen, darunter waren Patente für eine Zeitschaltung für einen Ofen und ein Aufnahmegerät ähnlich einem Diktafon. Dabei fiel mir auf, dass von seinen vielen Ideen nur die Sprinkleranlage es auf den Markt geschafft hatte.
Der Grund? Er war ein Erfinder, kein Unternehmer. Und von genau diesem Unterschied handelt dieses Buch.
Früher hatten Unternehmer es sehr schwer. Die großen Erfinder/Geschäftsmänner der industriellen Revolution, wie James Watt und Matthew Boulton, die durch ihre Dampfmaschinen zu Berühmtheit gelangten, waren nicht nur tüchtig, sondern auch privilegiert. Die meisten wurden in die herrschende Klasse hineingeboren, oder sie hatten das Glück, ein Mitglied der Elite zum Lehrmeister zu haben. Seit damals bedeutete Unternehmertum meistens, einen kleinen Gemüseladen oder einen anderen lokalen Einzelhandel zu eröffnen. Ganz selten einmal wagte es jemand, eine waghalsige Idee in einer eigenen Firma umzusetzen und den totalen Ruin zu riskieren für eine kleine Chance auf Reichtum.
Das Web macht es den Unternehmern unvergleichlich einfach. Jeder kann mit einer Idee und einem Laptop die Grundlage für eine Firma legen, die die Welt verändert. Man denke nur an Mark Zuckerberg und Facebook oder Tausende andere Web-Start-ups, die Zuckerbergs Vorbild nacheifern. Natürlich kann man auch scheitern, aber die Folgen sind nur noch überzogene Kreditkarten und nicht mehr lebenslange Schande und Schuldturm.
Das Web hat die Mittel für Innovation und Produktion demokratisiert. Jede neue Dienstleistung kann mit Programmcode in ein Produkt umgewandelt werden. Heute braucht man dafür keine besonderen Programmierkenntnisse mehr, und was man wissen muss, kann man online lernen. Man braucht keine Patente mehr. Mit einem einzigen Tastendruck kann man sein Produkt an Milliarden potenzielle Kunden weltweit »ausliefern«.
Vielleicht werden viele Menschen darauf aufmerksam, vielleicht auch nicht. Vielleicht entsteht daraus ein Geschäftsmodell, vielleicht auch nicht. Vielleicht wartet ein Topf mit Gold am Ende dieses Regenbogens, vielleicht auch nicht. Entscheidend ist, dass der Weg vom »Erfinder« zum »Unternehmer« heute so kurz ist, dass er kaum noch existiert.
In Start-up-Fabriken wie Y Combinator werden inzwischen erst Unternehmer trainiert und dann Ideen in Form gebracht. Um in einen der »Gründerkurse« aufgenommen zu werden, reicht praktisch eine PowerPoint-Präsentation. Jeder Teilnehmer bekommt ein Budget, Whiteboards und einen Schreibtisch sowie die Aufgabe, sich innerhalb von drei Wochen etwas Finanzierungswürdiges zu überlegen. Die meisten schaffen es auch. Das spricht nicht nur für den Erfindergeist der Unternehmer, sondern zeigt auch, wie niedrig die Zugangsschranken zum Web sind. In den letzten sechs Jahren hat Y Combinator 300 solcher Start-ups finanziert, die Namen trugen wie Loopt, Wufoo, Xobni, Heroku, Heyzap und Bump. Einige dieser Firmen (darunter DropBox und Airbnb) sind inzwischen mehrere Milliarden Dollar wert. Mein Arbeitgeber, Condé Nast, hat eine von ihnen sogar gekauft: Reddit hat inzwischen über zwei Milliarden Seitenzugriffe pro Monat. Mittlerweile wird die Firma vom dritten Team genialer Twens geleitet; für einige von ihnen ist es der erste Job überhaupt, und sie haben im Beruf nie etwas anderes kennengelernt als raketenartigen Erfolg.
All das geschieht in der Welt der Bits, den Grundbausteinen der digitalen Welt. Das Webzeitalter hat die Bits befreit: Sie werden billig erzeugt und sind billig zu bewegen. Die gewichtslose Wirtschaftlichkeit der Bits hat alles revolutioniert, von der Kultur bis zu den Wirtschaftswissenschaften. Diese Revolution wird das 21. Jahrhundert entscheidend prägen. Die Bits haben die Welt verändert. (Mehr zu diesem Thema sind in weiteren meiner Veröffentlichungen zu finden.)
Wir leben jedoch überwiegend in einer Welt der Atome, der realen Welt der Orte und Dinge. So groß die Informationsindustrie inzwischen auch sein mag, sie ist immer noch nur ein Nebenschauplatz der Weltwirtschaft. Geschätzte 20 Billionen Dollar Erträge erwirtschaften die Digitalwirtschaft und verwandte Bereiche nach Angaben von Citibank und Oxford Economics.1 Die Wirtschaft jenseits des Webs bringt es nach derselben Schätzung auf etwa 130 Billionen Dollar. Mit anderen Worten: Die Welt der Atome ist immer noch fünfmal größer als die Welt der Bits.
Wir haben erlebt, wie die Demokratisierung von Innovationen im Web Unternehmertum und wirtschaftliches Wachstum beflügelt. Kaum vorzustellen, was eine ähnliche Entwicklung in der realen Welt der Dinge auslösen würde. Aber man muss es sich auch gar nicht vorstellen, weil es bereits geschieht. Davon handelt dieses Buch. Die Maker-Bewegung bringt heute schon Tausende Unternehmer hervor, die den Geist des »do it yourself« (DIY) industrialisieren. Meinen Großvater hätte das schöpferische Miteinander bei Open-Source- und anderen Online-Projekten wohl ziemlich verwirrt, aber die Maker-Bewegung hätte ihm bestimmt gefallen. Ich glaube, er wäre stolz gewesen.
Die Geburt eines Makers
In den 1970er-Jahren verbrachte ich die glücklichsten Sommer meiner Kindheit bei meinem Großvater in Los Angeles. Er wohnte weit weg von meinem Zuhause an der Ostküste, und ich lernte in seiner Werkstatt, mit meinen Händen zu arbeiten. In einem Frühjahr kündigte er an, wir würden einen Viertakt-Benzinmotor bauen, und er habe den Bausatz dafür bereits bestellt. Als ich in jenem Sommer in Los Angeles ankam, wartete die Kiste bereits auf mich. Ich hatte schon einige Modelle gebaut, und so öffnete ich die Kiste in der Erwartung, darin die üblichen durchnummerierten Einzelteile und Montageanleitungen zu finden. Stattdessen lagen darin nur drei Metallblöcke und der Rohguss eines Motorgehäuses. Und eine riesige Blaupause, ein einziges, dreimal gefaltetes Blatt.
»Wo sind die Teile?«, fragte ich. »Sie sind hier drin«, antwortete mein Großvater und zeigte auf den Metallblock. »Es ist unsere Aufgabe, sie rauszuholen.« Und genau das machten wir in jenem Sommer. Mit der Blaupause als Orientierung schnitten, bohrten, schliffen und drechselten wir an diesen Metallblöcken herum. Wir arbeiteten eine Kurbelwelle, Kolben, Lager und Ventile aus den massiven Messing- und Stahlblöcken heraus, wie ein Künstler eine Skulptur aus einem Marmorblock herausarbeitet. Die Stahlspäne häuften sich unter der Drehbank um meine Füße, und ich staunte, wozu Werkzeuge in geübten Händen fähig waren (die meines Großvaters, nicht meine). Wir hatten aus einem Klumpen Metall eine Präzisionsmaschine hervorgezaubert. Wir waren eine Miniaturfabrik, und wir konnten alles herstellen.
Ich wurde älter und kehrte irgendwann nicht mehr in Großvaters Werkstatt zurück. Ich vergaß, wie faszinierend es war, Dinge selbst herzustellen. Schuld daran waren die Bildschirme. Ich gehöre zur ersten Generation, die mit einem eigenen Computer aufwuchs, und Computer begeisterten mich mehr als das Handwerk meines Großvaters. Ich lernte zu programmieren, und meine Schöpfungen bestanden aus Code statt Stahl. Neben der Macht, die ein Mikroprozessor eröffnete, wirkte die Bastelei in der Werkstatt unbedeutend.
Zines, Sex Pistols und die Geburtsstunde des Indie
Mein zweites DIY-Erlebnis hatte ich erst mit über 20. In den frühen 1980er-Jahren lebte ich in Washington, D. C., damals ein Zentrum der amerikanischen Punkrock-Bewegung. Weiße Teenager aus den Vororten gründeten Bands wie Minor Threat und Teen Idles und spielten in den Kellerräumen von Kirchen. Ich konnte kein Instrument spielen und hatte kaum Talent, aber ich ließ mich von der Begeisterung mitreißen und spielte in ein paar unbekannteren Szenebands mit.2 Es war eine prägende Erfahrung.
Um bei einer Garagenrockband mitzuspielen, brauchte man nur eine elektrische Gitarre und einen Verstärker. Neu bei der Punkwelle der 1980er-Jahre war, dass die Bands nicht mehr nur auftraten; sie veröffentlichten auch. Fotokopierer waren gerade im Kommen, und durch sie entstand die »Zine«-Kultur der DIY-Magazine, die in Läden, bei Konzerten und per Post verteilt wurden. Mit billigen Vierspur-Aufnahmegeräten konnten die Bands ihre eigene Musik aufnehmen und abmischen, ganz ohne professionelles Tonstudio. Da es immer mehr kleine Vinylpresswerke gab, konnten Singles und EPs auch in niedriger Auflage hergestellt und dann per Versandhandel oder im örtlichen Einzelhandel verkauft werden.
Dies waren die Anfänge der DIY-Musikindustrie. Jetzt hatten auch Einzelne die Möglichkeiten, die zuvor nur den großen Musiklabels zur Verfügung standen: Aufnahme, Herstellung und Marketing von Musik. Schließlich gründeten einige Bands, unter der Führung von Minor Threat und später Fugazi, ihr eigenes kleines Indie-Label, Dischord, das im Lauf der Jahre Hunderte von Platten veröffentlichte und auch heute noch existiert. Die Bands mussten mit ihrer Musik keine Kompromisse eingehen, um sie veröffentlichen zu können, und es war egal, wie viele Platten sie verkauften oder wie oft sie im Radio gespielt wurden. Sie fanden ihre Fans auch so, oder besser gesagt: Die Fans fanden sie über Mundpropaganda, und die kleinen Labels bekamen haufenweise Postkarten mit Bestellungen von Platten, die es in kaum einem Plattenladen gab. Der niedrige Bekanntheitsgrad verlieh ihnen Glaubwürdigkeit und trug zum Aufstieg einer globalen Subkultur bei, die die moderne Webkultur prägt.
Von meinen Bands gab es alles, von fotokopierten Flyern über selbst gemachte Magazine und Vierspuraufnahmen bis zu Alben bei einem Indie-Label. Wir haben nie den großen Durchbruch geschafft, aber darauf kam es uns auch gar nicht an. Wir hatten alle noch reguläre Jobs, aber wir machten gleichzeitig etwas, das wir für wirklich neuartig hielten. Es kamen immer Leute zu unseren Auftritten, und wir tourten sogar durch New York und andere Städte, die ihre eigenen Indie-Szenen hatten. Aus diesen Anfängen entstand der heutige alternative Rock.
Mit Mitte 20 war mir klar, dass meine Talente woanders lagen, und ich gab die Musik auf. Ich ging wieder aufs College und entschied mich, teilweise als Wiedergutmachung für die verlorene Zeit, für das schwerste Hauptfach, das ich finden konnte: Physik. Ich war zwar nicht wirklich gut darin, aber ich erlebte dadurch die ersten Anfänge des Internets, das bekanntermaßen entwickelt wurde, damit Forscher in akademischen Laboren sich miteinander austauschen konnten. Dies war vor allem für Physikinstitute nützlich, deren teure Ausrüstung von Forschern aus der ganzen Welt genutzt wurde.
Nach meinem Abschluss arbeitete ich einen Sommer lang in irgendeinem Physiklabor, bevor ich für die wissenschaftlichen Fachzeitschriften Nature und Science zu schreiben begann, die noch zur akademischen Welt gehörten und das frühe Internet nutzten. Damit begann meine dritte DIY-Erfahrung: das Web. Es wurde im Jahr 1990 bei CERN entwickelt, einem Schweizer Physiklabor. Ein Blick auf die ersten Websites, nur wenige Monate, nachdem sie in Betrieb gegangen waren, genügte, um mir klarzumachen, welch unglaubliches Glück ich hatte, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Ich erlebte die Geburt eines neuen Mediums, an dem ich nicht nur teilnehmen, sondern das ich auch fördern konnte.
Die digitale Revolution prägte meine berufliche Karriere, von meinem ersten Job in der Welt der Wissenschaft bis zu meiner Tätigkeit als Herausgeber von Wired. In der Punkbewegung mit ihrer DIY-Mentalität vereinnahmten die Menschen die Produktionsmittel und setzten sie für ihre Zwecke ein. Im Webzeitalter benutzten Menschen aus denselben Gründen zunächst Desktop-Publishing, dann Webseiten, Blogs und schließlich soziale Medien. Aus den Vinylplatten der Indie-Firmen wurden Musikvideos auf YouTube. Aus Vierspur-Aufnahmegeräten wurden ProTools und iPad-Musik-Apps. Aus den Garagenbands wurde das GarageBand-Programm von Apple.
Nach drei Jahrzehnten denke ich wieder an die Garage meines Großvaters zurück; nicht aus Nostalgie, und auch meine Meinung zur digitalen Revolution hat sich nicht geändert. Allerdings hat die digitale Revolution jetzt auch die Werkstätten erreicht, den Hort des Materiellen, und dort wird sie wahrscheinlich zu den bisher größten Umwälzungen führen. Nicht nur die Werkstätten selbst werden sich verändern (und richtig cool werden), sondern vor allem wird sich verändern, was durchschnittliche Menschen mit außergewöhnlichen Werkzeugen in der physischen Welt erreichen können.
Wir alle sind Maker. Wir werden als Maker geboren. Schon kleine Kinder sind fasziniert vom Malen, von Bauklötzen, Lego oder vom Basteln, und viele von uns erhalten sich diese Vorlieben in unseren Hobbys und Leidenschaften. Das betrifft nicht nur Werkstätten, Garagen und andere männliche Rückzugsorte. Auch jemand, der leidenschaftlich kocht, ist ein Maker, mit dem Herd in der Küche als Werkbank, denn selbst gekocht schmeckt einfach besser. Jemand, der die Gartenarbeit liebt, ist ein Maker im Garten. Stricken, Nähen, Scrapbooking, Stickerei – jedes Mal wird etwas geschaffen, und wir werden zum Maker.
Diese Projekte stehen für die Ideen, Träume und Leidenschaften von Millionen Menschen. Die meisten schaffen es nie an die Öffentlichkeit, und das ist wahrscheinlich auch gut so. Aber eine der größten Neuerungen des Webzeitalters ist, dass es inzwischen der Normalfall ist, Dinge online mit anderen zu teilen. Man macht Videos von allem, was man tut. Und alle Videos werden online gestellt. Wenn man etwas online stellt, erzählt man allen Freunden davon. Projekte, die online vorgestellt werden, können andere Menschen inspirieren oder zur Mitarbeit bewegen. Einzelne Maker vernetzen sich so weltweit, und eine Bewegung entsteht. Millionen Bastler, die bisher allein vor sich hin gewerkelt haben, arbeiten jetzt plötzlich zusammen.
Ideen werden miteinander geteilt und werden so zu größeren Ideen. Aus miteinander geteilten Projekten werden ehrgeizige Gruppenprojekte, die ein Einzelner niemals in Angriff genommen hätte. Und aus diesen Projekten können Produkte entstehen, Bewegungen oder sogar ganze Industrien. Allein dass etwas »in der Öffentlichkeit geschaffen« wird, kann zum Motor für neue Innovationen werden, selbst wenn das gar nicht beabsichtigt war. Aber das ist nun einmal die Natur von Ideen: Sie verbreiten sich, wenn man sie teilt.
Im Web passiert das oft. Die ersten Vorreiter des Silicon Valley begannen in einer Garage und brauchten Jahrzehnte, um richtig groß zu werden. Heute werden Firmen in Studentenbuden gegründet und sind groß, noch bevor ihre Gründer zu Ende studiert haben. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Computer verstärken das menschliche Potenzial. Mit Computern können Menschen nicht nur etwas erschaffen, sondern sie können ihre Ideen auch sofort mit anderen teilen, sie können Communitys, Märkte, sogar Bewegungen begründen.
Dasselbe geschieht nun auch auf der materiellen Ebene. Unsere Faszination mit Bildschirmen ändert nichts daran, dass wir nach wie vor in der realen Welt leben. Sie begegnet uns in den Nahrungsmitteln, die wir essen, unseren Wohnungen, Kleidern, Autos. Unsere Städte und Gärten sind real, unsere Büros und Hinterhöfe auch. Sie alle bestehen aus Atomen, nicht aus Bits.
Die Gegenüberstellung von »Atomen« und »Bits« geht auf die Arbeiten einiger Denker des MIT Media Lab zurück und dessen Gründer, Nicholas Negroponte. Heute sind die prominentesten Verfechter Neil Gershenfeld und das MIT Center for Bits and Atoms. »Atome« versus »Bits« steht für die Unterscheidung zwischen Software und Hardware oder auch für den Unterschied zwischen Informationstechnologie und allem anderen. Die Grenzen zwischen den beiden verschwimmen immer mehr, weil immer mehr Gegenstände elektronische Bauteile enthalten und mit anderen Gegenständen verbunden sind im sogenannten »Internet der Dinge«. Auch davon handelt dieses Buch. Vor allem aber handelt es davon, wie das Internet der Dinge die Industrie verändern wird, den Motor der Weltwirtschaft.
Die Vorstellung von der Fabrik im herkömmlichen Sinn verändert sich. So wie das Web die Welt der Bits für Entwickler demokratisiert hat, wird eine neue Klasse von »Rapid Prototyping«-Technologien, von 3-D-Druckern bis Lasercutter, die Welt der Atome demokratisieren. Die erstaunlichen Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte waren nur der Anfang.
Wäre Fred Hauser im Jahr 1998 geboren statt 1898, hätte er immer noch eine Werkstatt gehabt und dort mit der Physik und seinen vielen Ideen herumexperimentiert. Die einzige Veränderung in seiner umgebauten Garage wäre ein Computer mit Internetanschluss. Aber welch eine Veränderung!
Statt allein seiner Leidenschaft nachzugehen, wäre er wahrscheinlich Teil einer Gemeinschaft Gleichgesinnter aus aller Welt gewesen. Statt jedes Mal bei null anzufangen, hätte er auf den Arbeiten anderer aufgebaut. Er hätte die Arbeit von Jahrzehnten in wenigen Monaten geschafft. Statt Patente anzumelden, hätte er seine Entwürfe online veröffentlicht, wie andere Mitglieder seiner Community.
Hauser hätte mit seinen Ideen auch nicht bei Fabrikanten hausieren gehen müssen, wenn er größere Stückzahlen herstellen wollte, sondern er hätte es einfach selbst gemacht. Heutzutage könnte er einfach die Dateien mit seinen Entwürfen bei einer Firma hochladen, die zehn oder 10000 Stück von allem für ihn herstellt, und die Produkte auch noch direkt an seine Kunden verschickt. Da seine Entwürfe in digitaler Form vorliegen, können sie mit automatisierten Werkzeugen hergestellt werden, was seine Werkzeugkosten um gut 90 Prozent senkt. Er würde sich eine eigene E-Commerce-Webseite einrichten und sich so die Suche nach einem Zwischenhändler sparen. Seine Kunden fänden ihn über eine Google-Suche und nicht durch Verkäufer.
Er wäre damit ein Unternehmer gewesen, nicht nur Erfinder. Und genau das ist das Thema dieses Buches. In den vergangenen beiden Jahrzehnten sind Innovation und Unternehmertum geradezu explodiert. Jetzt ist es an der Zeit, diese Entwicklung auch in der realen Welt umzusetzen, mit sehr viel weitreichenderen Konsequenzen.
Wir brauchen das. Amerika und der Westen generell stecken mitten in einer Jobkrise. Das Wirtschaftswachstum, das die Industrieländer noch generieren können, entsteht größtenteils durch Steigerungen der Produktivität, durch mehr Leistung pro Arbeitskraft. Das ist großartig, bedeutet aber aus wirtschaftlicher Sicht gleichzeitig, wenn man dieselbe oder sogar mehr Arbeit mit weniger Mitarbeitern erledigen kann, sollte man das dann auch tun. Die meisten Firmen erholen sich nach einer Rezession wieder, aber jetzt hinkt der Arbeitsmarkt der wirtschaftlichen Erholung hinterher. Die Produktivität steigt, aber Millionen von Menschen bleiben arbeitslos.
Ein Grund hierfür ist, dass der Sekundärsektor, der große Jobmotor des 20. Jahrhunderts, der ganzen Generationen den Weg in den Mittelstand ermöglichte, im Westen keine neuen Arbeitsplätze mehr schafft. In den Vereinigten Staaten, Deutschland und anderen Ländern steigt die Betriebsleistung der Fabriken zwar weiter an, aber es gab im Verhältnis zur arbeitenden Bevölkerung insgesamt noch nie so wenige Fabrikarbeiter wie heute. Schuld daran ist zum Teil die Automatisierung und zum Teil der globale Wettbewerb, der kleinere Fabriken verdrängt.
Die Automatisierung ist aus den reichen Ländern nicht mehr wegzudenken, denn ohne sie wäre eine Massenproduktion dort nicht mehr möglich (siehe Kapitel 9). Was sich dagegen ändern kann, ist die Rolle der kleineren Firmen im Sekundärsektor. So wie Start-ups für einen Innovationsschub in der Technologiebranche gesorgt haben und der Untergrund neue Kulturen hervorbringt, so kann die Energie und Kreativität von Unternehmern und einzelnen Erfindern die Produktion neu erfinden und dadurch neue Arbeitsplätze schaffen.
Der Mittelstand hat in Amerika schon immer für die meisten neuen Jobs gesorgt. Allerdings gibt es im Mittelstand zu wenig echte Innovation und zu viel lokales Gewerbe – chemische Reinigungen, Pizza-Lieferdienste, kleine Obst- und Gemüseläden – mit nur wenig Wachstumspotenzial. Die Maker-Bewegung eröffnet die Möglichkeit, klein und global zu sein, handwerklich und innovativ, Hightech mit niedrigen Kosten, klein anzufangen und groß zu werden. Vor allem aber bietet sich damit die Möglichkeit, Produkte herzustellen, die die Welt braucht, ohne es zu wissen, weil sie nicht ins Schema althergebrachter Massenproduktion passen.
Cory Doctorow zeichnete dieses Bild vor ein paar Jahren in seinem Science-Fiction-Roman Makers.3 Dieses Buch war für mich und zahllose andere Mitglieder der Bewegung eine große Inspiration.
»Die Tage von Firmen mit Namen wie ›General Electric‹ und ›General Mills‹ und ›General Motors‹ sind vorbei. Das verfügbare Geld treibt im Markt wie Krill: Milliarden kleiner Gelegenheiten, die darauf warten, von cleveren, kreativen Unternehmern entdeckt und genutzt zu werden.«
Willkommen zur neuen industriellen Revolution.