KAPITEL 8
DIE NEUERFINDUNG DER GRÖSSTEN ALLER FABRIKEN
Die Automobilindustrie ist die Königin der verarbeitenden Industrie. Wenn sie umgestaltet werden kann, dann klappt es überall.
Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, dass Maker-Firmen klein bleiben müssen. Schließlich begannen auch einige Größen des Silicon Valley, von Hewlett-Packard bis Apple, in einer Garage, und im Internet ist die »Vom Studenten zum Millionär«-Geschichte inzwischen so verbreitet, dass Informatikstudenten, die tatsächlich bis zu ihrem Abschluss an der Uni bleiben, sich dem Verdacht aussetzen, ihnen mangele es an unternehmerischem Talent. Maker-Firmen sind ein Hybrid zwischen einem herkömmlichen Industriebetrieb und einem Internet-Start-up. Dadurch haben sie das Potenzial, die nächste große Sensation zu werden, indem sie die Wachstumsraten der Software mit den Möglichkeiten zum Geldverdienen verbinden, die Hardware bietet.
Aber letzten Endes wird die Maker-Bewegung nicht nur nach dem Einfluss beurteilt werden, den sie auf Produktkategorien und unternehmerisches Vermögen hatte, sondern auch danach, wie sie die Wirtschaft als Ganzes beeinflusst hat. Und dazu muss die Maker-Bewegung in den größten Industriezweigen Wirkung zeigen, vor allem dem größten von allen: der Automobilindustrie. Sogar hier, im härtesten Industriesektor überhaupt, gibt es durchaus Chancen für Maker. Sie können zwar keine großartigen Skaleneffekte bieten, aber sie haben die Flexibilität und die Fokussierung, die Firmen mit enger Anbindung an ihre Kunden heute auszeichnen.
In der Autoindustrie hat es selbstverständlich schon immer Nischenfirmen und kleine Zulieferer gegeben. Aber in der Branche wurde die Luft immer dünner, wie der schleichende Niedergang und Verkauf der meisten britischen Spezialfirmen in der Automobilbranche an multinationale Großkonzerne gezeigt hat. Nur leider hat sich die traditionelle Automobilindustrie in der Vergangenheit als äußerst innovationsfeindlich erwiesen. Die Entstehungsgeschichte des Intervallscheibenwischers ist ein gutes Beispiel dafür.
Die Leiden eines Erfinders im 20. Jahrhundert
Ein junger Ingenieur namens Robert Kearns wurde in seiner Hochzeitsnacht im Jahr 1953 von einem Sektkorken am linken Auge getroffen und erblindete. Zehn Jahre später lehrte er am Wayne State College in Detroit. Wegen seiner verminderten Sehfähigkeit hatte er einige Probleme. Doch gegen eines dieser Probleme, die Ablenkung beim Fahren durch die Scheibenwischer seines Ford Galaxie bei Regen, konnte er etwas unternehmen.
Der Scheibenwischer war nicht nur für Menschen mit nur einem funktionstüchtigen Auge ein Ärgernis. Wenn er eingeschaltet war, bewegten sich die Wischerarme ständig hin und her, egal wie stark der Regen war. Man konnte sie verlangsamen, aber man konnte keine Pausen einlegen, wenn es nur noch tröpfelte. Es war, als würden die Augenlider sich andauernd öffnen und schließen, statt nur hin und wieder zu blinzeln. Für einen Mann mit eingeschränkter Sehkraft bedeutete die ständige Bewegung eine weitere Ablenkung beim Autofahren. Für einen Professor der Ingenieurwissenschaften war es eine Herausforderung, eine bessere Lösung zu finden.
Kearns ging in seinen Werkstattkeller und begann zu basteln. Er konstruierte auf seiner Werkbank den Prototyp eines elektrischen Verzögerungsschalters, bei dem ein Kondensator langsam aufgeladen und so ein Scheibenwischer für eine einstellbare Zeitdauer angehalten wird, je nachdem, wie stark es regnete. Wie im Film Flash of Genius über Kearns’ Leben aus dem Jahr 2008 von Greg Kinnear dargestellt, führt er seinen Kindern überschwänglich sein Arbeitsmodell vor, das er mit den Wischermotoren aus dem Auto seiner Frau und einer Glasscheibe zusammengebaut hat: »Es lebt, lebt, lebt!« Die Kinder sind angemessen beeindruckt und helfen ihm sogar beim Schweißen (das ist eben Hollywood). In dieser Szene ist die Erfindung auf ihren Kern reduziert: ein Mann, eine Idee und die passenden Werkzeuge und Fertigkeiten, um sie Realität werden zu lassen.
Dieses Bild erinnert mich sehr an meinen Großvater, ohne die Theatralik natürlich. Doch Kearns traf damals eine andere Entscheidung als mein Großvater. Beide meldeten ein Patent auf ihre Erfindung an, aber Kearns verkaufte keine Lizenzen für seine Erfindung an die Automobilfirmen. Stattdessen stellte er seine Intervallscheibenwischer selbst her, um sie dann als fertiges Produkt an die Automobilfirmen zu verkaufen. Ford erklärte sich vertraglich bereit, Kearns’ Scheibenwischer in eines ihrer neuen Modelle einzubauen. Also musste Kearns eine Fabrik bauen.
Er lieh sich Geld, nahm einen stillen Teilhaber mit ins Boot, nahm eine Hypothek auf sein Haus auf und kratzte auf jede denkbare Art die riesige Summe zusammen, die er Mitte der 1960er-Jahre für eine Scheibenwischerfabrik brauchte. Es war eine gigantische Unternehmung und, wie sich herausstellte, keine gute Entscheidung.
Die Szenen, in denen Kearns seine Fabrik aufbaut, sprechen für sich. Als Erstes mietet er 9000 Quadratmeter Gewerbefläche an, ein einziger großer, offener Bereich, in dem nur einzelne Pfeiler zwischen den geziegelten Außenwänden und Laderampen standen. Dann musste dieser Raum mit Fertigungsanlagen gefüllt werden. Männer mit Schutzhelmen tragen Stahlregale umher und fahren Gabelstapler mit Rollenlagern für Förderbänder – ein typischer Anblick für das Industriezeitalter. Am Ende findet ein Treffen mit Motorola statt, um über den Kauf von Transistoren zu verhandeln, für den die Finanzabteilung der Firma einen Kredit genehmigen muss. Ganz schön beängstigend für einen Kleinunternehmer.
Aber es kommt noch schlimmer: Kurz bevor Kearns seine Fabrik in Betrieb nehmen kann, zieht Ford sich ohne Vorwarnung aus dem Vertrag zurück. Kearns’ Telefonanrufe werden nicht beantwortet, und er hat keine Ahnung, warum. Ohne Aussicht auf Umsätze muss die Fabrik schließen, bevor darin ein einziger Scheibenwischer produziert wurde.
18 Monate später geht Kearns bei Regen zu seinem Auto zurück und sieht drei brandneue Ford Mustangs um die Ecke biegen auf dem Weg zur großen Rollout-Party. Die Scheibenwischer wischen, machen eine Pause, und wischen wieder. Man hat seine geniale Idee gestohlen. Kearns ist ruiniert und wird kurz darauf wahnsinnig, was im dramatischen Rest des Films erzählt wird. (In Wirklichkeit führte Ford wenige Jahre später Intervallscheibenwischer ein, als im Film dargestellt, als Sonderausstattung in der Mercury-Serie von 1969.29 Aber Kearns durchlebte leider tatsächlich Jahre der Verzweiflung, Depression und Zusammenbrüche.)
Am Ende verklagte Kearns Ford und Chrysler wegen Patentverletzung, und nach einem jahrelangen Rechtsstreit und zehn Millionen Dollar Rechtskosten wurden ihm fast 30 Millionen Dollar zugesprochen. Aber er bestand darauf, dass es in seinem Kampf gegen Ford nicht ums Geld gegangen sei, sondern ums Prinzip. In seinem Nachruf im Jahr 2005 stand, dass »er oft sagte, er habe nur eine Chance haben wollen, mit seinen sechs Kindern eine Fabrik zu leiten und seine Wischermotoren herzustellen«.30 Diese Chance bekam er nie. Es war damals einfach zu schwierig.
Heute würde Kearns die Sache anders angehen. Wie früher auch hätte er seinen ersten Prototyp im Keller angefertigt. Aber statt eine Fabrik zu bauen, hätte er die Elektronik von einer Firma fabben und das Gehäuse von einer anderen herstellen lassen. Dann hätte er einen Hersteller von Scheibenwischern in Guangdong oder Ohio oder irgendwo anders dafür bezahlt, sein Produkt mit diesen Einzelteilen herzustellen. Wahrscheinlich wären sie direkt an die Kunden, die Automobilhersteller, ausgeliefert worden, und der ganze Vorgang hätte nur Monate gedauert, keine Jahre – zu schnell, als dass die großen Firmen ihm hätten zuvorkommen können. Keine Fabrik, kein Rechtsstreit, kein Wahnsinn. Er hätte sich seinen Traum erfüllen und aus seiner Erfindung ein Unternehmen machen können, ohne dafür gegen Windmühlen kämpfen zu müssen.
Flash of Genius – die nächste Generation
Heute muss man sich eine solche Geschichte nicht mehr nur vorstellen, sondern kann selbst Zeuge von etwas ganz Ähnlichem werden. Man muss dazu nur nach Chandler in Arizona fahren zur Local-Motors-Fabrik in einem umgebauten Lagerhaus für Wohnmobile etwa 20 Minuten südlich von Phoenix. Topfpflanzen, die sich um die Säulen ranken, lockern den Innenraum etwas auf, ein gestalterisches Detail, das von einer Ferrari-Fabrik abgeschaut ist (auch wenn die Pflanzen bei der künstlichen Beleuchtung nur schwer am Leben zu halten sind). Aber ansonsten sieht es dort eher aus wie in einem Autohaus als in einer Fabrik. Vor allem gibt es hier keine Fertigungslinien. Stattdessen wird neben farblich abgestimmten Werkzeugschränken sehr liebevoll an den einzelnen Autos gearbeitet.
Hier werden die ersten Open-Source-Autos der Welt hergestellt. Das erste Modell ist ein Baja Racer für 75000 Dollar mit dem Namen Rally Fighter, dessen runde Formen an einen Kampfjet erinnern. Die Anlage in Chandler ist nur die erste von vielen »Mikrofabriken« mit jeweils 40 Mitarbeitern, die die Firma in ganz Amerika plant. In jeder Fabrik werden Autos hergestellt, die von der Community entwickelt wurden, die auch in der Produktion mitarbeitet. Es ist ein kleiner Vorgeschmack auf eine völlig neue Art, Autos zu entwerfen, zu entwickeln und zu produzieren, und vieles andere mehr.
Local Motors ist als Automobilfirma auf den Maker-Prinzipien aufgebaut. Die Entwürfe entstehen durch Crowdsourcing, und die serienmäßig produzierten Einzelteile werden auf dieselbe Weise ausgewählt. Die Ideen werden nicht patentiert, sie werden kostenlos weitergegeben, damit andere darauf aufbauen und sie weiter verbessern können zum Nutzen aller. Es gibt nur minimale Lagerbestände. Erst nachdem Käufer eine Anzahlung geleistet haben und ein Liefertermin feststeht, werden die Einzelteile eingekauft und die Ausstattung zusammengestellt.
Alles begann mit einer Frage: Wie baut man eine Automobilfirma im Internet auf? Im Jahr 2007 beschlossen Jay Rogers und Jeff Jones, es herauszufinden. Sie erstellten eine Website, auf der Autodesigner (Profis, Amateure und andere am Prozess Interessierte) ihre Ideen miteinander teilen und über ihre Favoriten abstimmen konnten. Sie nannten die Firma Local Motors, weil sie hofften, ihre Produktion könne eines Tages genauso geografisch verteilt sein wie die Community. »Mikrofabriken« vor Ort sollten gleichzeitig als Autohaus fungieren. Die Autos sollten nach Bedarf nahe am Wohnort der Kunden hergestellt werden, und nicht in großen zentralen Fabriken.
Rogers war prädestiniert für diesen Job. Sein Großvater, Ralph Rogers, hatte im Jahr 1945 die Firma Indian Motorcycle gekauft. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die leichten Triumph-Motorräder auf den US-Markt kamen, realisierte Rogers Senior, dass sein Marktführer Chief, eine wuchtige und zuverlässige Straßenmaschine, nicht mehr konkurrenzfähig war. Er beschloss, einen neuen, leichteren Motor zu entwickeln, damit Indian ein eigenes, wendiges Motorrad herstellen konnte. Er scheiterte an dieser Aufgabe. Der Richtungswechsel war einfach zu schwierig und zu teuer, und am Ende verlor Rogers seine Firma.
Heute plant Ralph Rogers’ Enkel etwas noch Radikaleres: Er will mit minimalem Budget die ganze Automobilproduktion revolutionieren. Es ist heute einfacher. Sein Unternehmen hat zehn Millionen Dollar beschafft, und er hält das für ausreichend, um die Firma in die Rentabilitätszone zu bringen.
Worin unterscheidet sich die Situation heute von der Vergangenheit? »Damals gab es keine Möglichkeit, auf den Markt vorzudringen, weil einige wenige den gesamten Herstellungsprozess fest im Griff hatten«, antwortet Jay Rogers. Inzwischen haben sich die Lieferketten für die kleinen Firmen geöffnet.
Rogers und Jones glauben, dass das Prinzip der offenen Innovationen unsere Art Auto zu fahren verändern könnte. Sie formulierten ihren Auftrag so:
Das alte Paradigma
Mit einem hohen Einsatz an Kapital entwerfen heutige Automobilkonzerne ein einziges Modell, stellen es in tausendfacher Ausfertigung pro Jahr her und drücken die Autos über ein Netz von Vertragshändlern auf den Markt.
Was wir anders machen
Wir erwerben eine Lizenz für ein besonders sicheres Leichtbau-Fahrgestell, das man mit 2000 Stück pro Jahr profitabel herstellen kann. Darüber legen wir dann einen Entwurf unserer Open-Source-Design-Community. In dieser Community haben ehrgeizige Nachwuchsdesigner aus der ganzen Welt die Möglichkeit, neue Designs zu erfinden und immer weiter zu verbessern. Unser Team gibt den Zielverkaufspreis vor. Die Gruppe sorgt für die Innovationen. Diese Designs werden dann an unsere Zulieferer geschickt, die die benötigten Bauteile just in time direkt an die Local-Motors-Fabrik liefern. Alle Autos werden von einer 20-köpfigen Mannschaft montiert, einer Qualitätsprüfung unterzogen und vor Ort verkauft in einer Anlage mit einem Tausendstel des Kapitaleinsatzes heutiger Autofabriken.
Durch die Veränderungen in der weltweiten Automobilindustrie der vergangenen drei Jahrzehnte ist es heute erheblich einfacher, ein solches Auto zu bauen. Der von den Japanern angeführte Wechsel weg von gigantischen Fabriken und hin zu einem Ökosystem von Zulieferern mit Just-in-time-Lieferungen, hat dazu geführt, dass praktisch alles, was man braucht, auf dem Markt und einfach erhältlich ist. Kleine Firmen bekommen die Teile vielleicht nicht ganz so schnell und günstig wie Ford, aber die globale Versorgungskette der Automobilindustrie steht grundsätzlich allen offen. Sie funktioniert für Stückzahlen in Millionenhöhe und für Einzelstücke: ein weiteres skalenfreies Netzwerk, genau wie das Internet.
Als ehemaliger Captain bei den US-Marines mit Einsätzen im Irak trägt der 38-jährige Rogers heute noch am liebsten einen Fliegeranzug im Militärstil. Er hat außerdem einen MBA von Harvard und arbeitete eine Zeit lang als Ingenieur in China. Während seiner Zeit in Harvard hörte er einen Vortrag über Threadless, die Open-Design-T-Shirt-Firma, die ihm die Macht des Crowdsourcing vor Augen führte.
Autos sind zwar komplexer als T-Shirts, aber beides sind Beispiele für »Plattformen«, auf denen Menschen ihre Talente unter Beweis stellen und gemeinsam Neues ausprobieren können. In beiden Fällen gibt es sehr viel mehr Menschen, die solche Produkte entwerfen können, als derzeit dafür bezahlt werden. Die meisten Studenten des Automobildesigns finden keine Arbeit in der Automobilindustrie. Sie entwerfen am Ende Zahnpastatuben oder Kinderspielzeug. Aus diesem Talentpool von verhinderten Autodesignern kommen die Teilnehmer von gut organisierten Autodesign-Wettbewerben und -Communitys.
Ein Wettbewerb für jede Radkappe
Local Motors’ Anfänge liegen in Wareham in Massachusetts, etwa eine Stunde südlich von Boston, in einem Industriegebiet hinter Factory Five Racing, einem Kit-Car-Hersteller, der auch in die neue Firma investierte. Die Kit-Car-Verbindung ist Teil der Tradition, aus der Local Motors entstand, aber gleichzeitig auch ein warnendes Beispiel dafür, welche Fehler es zu vermeiden galt. Kit Cars gibt es schon seit Jahrzehnten. Sie sind ein Beweis dafür, in welch kleinem Maßstab Automobilproduktion funktioniert. Sie bestehen aus einem handgeschweißten Stahlfahrwerk und einer Fiberglaskarosserie mit einem Serienmotor und Serienausstattung. Amateure bauen diese Autos in der Regel zu Hause zusammen, und umgehen so viele regulatorische Einschränkungen (ähnlich wie bei selbst gebauten Versuchsflugzeugen).
Kit Cars sind meist Nachbauten berühmter Renn- oder Sportwagen, was immer wieder Rechtsstreitigkeiten und Lizenzgebühren nach sich zieht. Das erschwert es, Gewinne zu erzielen, und setzt auch dem Wachstum der Branche Grenzen. Seit der Firmengründung im Jahr 1995 hat Factory Five nur etwa 8000 Kit Cars verkauft.
Rogers und seine Mitgründer fanden einen Weg, das zu vermeiden: Ihre Firma würde nur eigene Entwicklungen bauen. Statt sich nach klassischen Entwürfen zu richten, würden sie ihre eigenen Vorstellungen davon entwickeln, wie ein Auto sein konnte. Die Gemeinschaft um die Firma würde die Produkte kreieren und gleichzeitig die Kundschaft stellen. Dabei war die Gemeinschaft kein Komitee: Über die besten Entwürfe wurde durch Abstimmung und Wettbewerb entschieden, nicht durch Kompromisse und Einstimmigkeit.
Im Jahr 2008 rief Local Motors den Wettbewerb für das erste Auto aus, einen Baja Racer. Um die Gruppe in die richtige Richtung zu lenken und ihnen einen Ansatzpunkt für ihre Arbeit zu geben, forderte Rogers die Teilnehmer als zusätzliche Herausforderung auf, sich an dem P-51 Mustang zu orientieren, einem Jagdflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg, ein klassisches und wunderschönes Flugzeug, das für viele Qualitäten stand, die Rogers auch im Auto wiederzufinden hoffte: Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit, Beweglichkeit und Coolness. Vor allem aber war der P-51 kein Auto, sodass die Firma für die Hommage wohl kaum wegen Verletzung irgendeines geistigen Eigentums verklagt werden würde.
Im Bereich Gesamtgestaltung gewann Sangho Kim, ein Grafikdesignstudent vom Art Center College of Design in Pasadena in Kalifornien (er erhielt insgesamt 20000 Dollar Preisgeld für seine Beiträge). Als seine Karosserie als Gewinner feststand, gab es noch über ein Dutzend andere Wettbewerbe für Bauteile, vom Rückspiegel bis zur modischen »Vinylhaut«, die statt Farblack die Karosserie überziehen sollte. Alle Teilnehmer der Wettbewerbe wollten nicht einfach nur ein weiteres Auto entwerfen, das den Ansprüchen des Massenmarktes und den Konventionen genügte. Sie wollten etwas Eigenes machen. Sie wollten ein Traumauto zum Leben erwecken.
Am Ende hatten über 160 Menschen zur endgültigen Ausführung beigetragen.
Wie aber konnte man die üblichen Gefahren eines Gemeinschaftsdesigns vermeiden, dass man am Ende entweder mit einem Kamel oder mit einem goldbeschichteten Elefanten dastand? Hier bewies das Team von Local Motors gute alte Führungsqualitäten: Während der Entwurfsphase des Rally Fighter verliebte sich die Gruppe in ein Rücklicht, das sie selbst entworfen hatte. »Okay«, war Rogers’ Antwort, »das können wir machen. Aber wir müssen dafür 1000 Dollar auf den Preis des Autos draufschlagen.« »So toll ist es auch wieder nicht!«, war daraufhin die Antwort der Gruppe. Sie einigten sich auf ein 75-Dollar-Teil von Honda, das perfekt zum Auto passte. Rogers leitete die Gruppe vorsichtig an, damit sie selbst langsam Erfahrungen mit der Wirtschaftlichkeitsrechnung von Autos sammeln konnte, ohne das Ergebnis vorgeben zu müssen.
Die Gemeinschaft um Local Motors hat inzwischen fast 20000 Mitglieder: Amateure und Profis sind darunter, manche sind schon Autodesigner, andere sind Designer aus anderen Bereichen, und manche lieben einfach nur Autos. Sie suchen sich ein Problemgebiet aus, an dem sie mitarbeiten wollen, abhängig von ihren Vorkenntnissen und was zu tun ist: Industriedesign, Dynamik, »Außenhaut«, elektromechanisches System, Betriebsorganisation, Beschaffung und mehr.
In der Gruppe gibt es keine Rangordnung nach Qualifikation. Amateure haben genauso viel Einfluss wie Profis. Das ist in fast jeder Open-Innovation-Gruppe so: Wenn man Beiträge von allen annimmt und die Ideen nach ihrem Wert beurteilt werden statt nach dem Lebenslauf des Einreichers, merkt man schnell, dass die besten Beiträge nicht unbedingt von denen kommen, die tatsächlich in dem Bereich beruflich tätig sind.
Rogers zufolge gibt es zwei Arten von Teilnehmern: »Lösungssucher« und »Problemlöser«. Die »Lösungssucher« wollen etwas Bestimmtes erreichen, und die »Problemlöser« stürzen sich einfach auf jedes Problem und lösen es. Weil es eine Open-Source-Gemeinschaft ist, veröffentlichen Leute, die etwas für ihren eigenen Bedarf entwickeln, ihre Projekte während der Entwicklungsphase, um Unterstützung und Rat zu bekommen, und nach Abschluss des Projekts. Dadurch dass so viele unfertige Projekte veröffentlicht werden, gibt es immer etwas, bei dem man helfen kann, wenn man das möchte. Die treibende Kraft der Gemeinschaft ist die »Homophilie« (»Liebe zum Gleichen«), dass Menschen sich anderen anschließen, die ihnen ähnlich sind, und sich mit ihnen verbinden, etwa in einem Netzwerk.
Dadurch wird der »Long Tail des Talents« erschlossen. In vielen Bereichen gibt es mehr Menschen mit nützlichen Fähigkeiten, Ideen und Zeit zum Helfen als Menschen, die eine entsprechende Berufsausbildung oder andere offizielle Befähigungsnachweise haben. Die große Stärke der offenen Innovationen liegt darin, dieses verborgene Potenzial freizulegen, sowohl bei Profis, die nach einer Möglichkeit suchen, ihrer Leidenschaft zu folgen und nicht den Prioritäten ihrer Chefs, als auch bei Amateuren, die etwas zu bieten haben.
Die Absolventen des Art Center College of Design, eine der besten Schulen für Automobildesign in den Vereinigten Staaten, sind ein anschauliches Beispiel. Allein im Bachelor-Programm für Transportation Design, bei dem es hauptsächlich um Autos geht, gibt es 180 Studenten und noch Hunderte mehr in verwandten Fächern wie Industriedesign. Etwa 50 von ihnen werden später für einen Autohersteller arbeiten. Die meisten anderen werden in anderen Produktbereichen Arbeit als Designer finden und für Produzenten von Verbrauchsgütern arbeiten.
Die meisten Autodesignstudenten werden also hauptberuflich niemals Autos entwerfen. Stattdessen werden sie Zahnpastatuben und Shampooflaschen entwerfen. Aber viele werden weiter davon träumen, ein Auto zu entwerfen. Aber es gibt ganz einfach nicht genügend Vollzeit-Designerjobs in der Automobilindustrie für sie. Sie müssen ihren Lebensunterhalt mit etwas anderem verdienen.
Aber die Local-Motors-Gemeinschaft bietet eine Möglichkeit, Autos zu entwerfen, selbst wenn man es nicht hauptberuflich macht. Die Studenten vom Art Center, die es nicht in die Autoindustrie geschafft haben, besitzen immer noch die notwendigen Kenntnisse, Erfahrungen und Ideen. Sie werden in ihrem regulären Job nur nicht für diese Tätigkeit bezahlt. Aber nach Feierabend können sie immer noch ihrem Herzen folgen und Autos entwerfen. Und wenn ihr Entwurf gewinnt, können sie sogar Geld damit verdienen, wie Sangho Kim.
Die Stärke dieser neuen Modelle liegt darin, dass sie sich die »dunkle Energie« (oder wie der Autor Clay Shirky es nennt, die »kognitiven Rücklagen«) zunutze machen, die es schon immer überall gab. Es ist die ultimative Marktlösung: Open-Innovation-Gruppen verbinden das latente Angebot (Talente, die in dem Bereich noch nicht eingesetzt werden) mit der latenten Nachfrage (Produkte, die auf herkömmliche Art nicht wirtschaftlich hergestellt werden können).
Wenn man sich in einer solchen Gruppe als großartiger Autodesigner erweist, kann das auch dabei helfen, einen echten Job in diesem Bereich zu bekommen. Sangho Kim hat es tatsächlich geschafft, zum Teil durch seine Erfolge beim Rally Fighter, und arbeitet heute für GM in Korea.
Wenn die Local-Motors-Gemeinschaft sich für ein Design entschieden hat, machen die Ingenieure der Firma daraus ein herstellbares Produkt. Sie konstruieren ein Montagegestell, auf das die Rahmenträger geschweißt werden, und bauen Formwerkzeuge für die Fiberglasteile der Karosserie. Die meisten anderen Komponenten werden einfach bei Automobilzulieferern bestellt, wie der Penske Automotive Group. Der Motor und das Getriebe können direkt von den großen Autoherstellern gekauft werden, etwa BMW oder GM, die auch an Dritte verkaufen. Die Radachse des Rally Fighter stammt von einem Ford-F-150-Truck, der Tankdeckel von einem Mitsubishi Eclipse. Dadurch dass die im Hinblick auf Leistung, Sicherheit und Herstellbarkeit kritischen Teile von Profis kommen, während die Gemeinschaft die Teile entwirft, die die Form und den Stil des Autos bestimmen, ist Crowdsourcing auch bei einem Produkt möglich, bei dem es um potenziell lebenswichtige Sicherheitsaspekte geht.
Die Endmontage führen die Kunden selbst durch unter der Anleitung eines erfahrenen Mechanikers und erleben so hautnah den Bau ihres Autos in der Chandler-Fabrik mit. In zwei gegenüberliegenden Reihen werden immer ein halbes Dutzend Rally Fighters gleichzeitig gebaut. Für jede Montage gibt es einen eigens zusammengestellten Werkzeugschrank und ein Regal mit Bauteilen gleich daneben. Der leitende Mechaniker arbeitet immer mit einem der Teams zusammen.
Der Käufer verbringt zwei lange Wochenenden (sechs Tage insgesamt) mit der Montage des Autos. Man muss dafür vorher noch nicht einmal eine Motorhaube geöffnet haben. Wenn man fertig ist, weiß man, wie es geht. Als Erstes lernt man, wie man eine Schraubenmutter richtig befestigt: Zunächst zieht man sie mit einem Drehmomentschlüssel genau richtig an. Dann überdreht man sie und beschädigt die Schraube, damit man den Unterschied begreift zwischen fest angezogen und überdreht. Und so geht es mit allen anderen Befestigungs- und Montagetechniken: Man bekommt die Kurzversion eines Mechaniker-Bootcamps.
Das meiste ist Montage und keine echte Fertigung. Die Stahlrahmenträger sind vorher bereits in einem hinteren Raum von zwei Arbeitern zusammengeschweißt worden und fertig, ebenso die Fiberglasteile der Karosserie. Der verwendete 6,2-Liter-V8-Motor wird serienmäßig von BMW oder GM hergestellt, und auch das Automatikgetriebe ist Standardware. Bei genauem Hinsehen erkennt man den Rückspiegel des Dodge Challenger und das Lenkrad des Ford F-150.31
Normalerweise besteht ein Team aus zwei Personen – oft Vater und Sohn –, aber man kann sein Auto auch nur mit der Hilfe des Trainers bauen. Man muss nur die Einzelteile zusammenbauen. Wenn man fertig ist, fährt man damit einfach nach Hause. Das Auto zeigt sich von seiner besten Seite, wenn man damit durch die Wüste rast und über Bodenwellen und -senken schanzt, aber es gilt auch in allen 50 US-Staaten offiziell als straßentauglich, dank des Serienmotors, der schon vorher von der Environmental Protection Agency getestet und abgesegnet wurde. Man kann damit also auch zum Einkaufen fahren, wenn es einem nichts ausmacht, angestarrt zu werden.
Weil die Käufer mindestens 50 Prozent des Autos selbst zusammenbauen, entfallen einige rechtliche Hürden, ähnlich wie bei selbst gebauten Versuchsflugzeugen. Sie sind von den meisten Vorschriften der Federal Aviation Administration ausgenommen, mit der Begründung, dass die Besitzer genug wissen, um sich selbst zu schützen, oder zumindest, um die Risiken zu kennen. Die Autos von Local Motors müssen keine Crashtests durchlaufen und sie sind auch nicht mit Airbags ausgerüstet. Wem dabei mulmig ist, sollte die Finger von den Autos lassen. Aber viele haben damit kein Problem.
Produkthaftungs- und Verbraucherschutzregeln sind ebenfalls weniger streng, wenn der Verbraucher seine Waren selbst herstellt. Wenn beim Rally Fighter ein Fehler auftritt, dann bringen Sie ihn nicht einfach zum »Händler« zurück oder warten auf einen Rückruf. Sie haben den Wagen gebaut, also können Sie ihn auch reparieren. Wenn Sie das Auto fertig gebaut haben und damit von der Fabrik aus nach Hause fahren, bekommen Sie sogar noch eine Werkzeugkiste mit allem Zubehör, das Sie für Reparaturen brauchen. Auch Sie sind ein Teil der Gemeinschaft, in der jeder gern und engagiert dem anderen hilft.
Ein Rundgang durch die Fabrik ist wie ein Blick sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft der Automobilindustrie. Die ferne Vergangenheit ist präsent in den Menschen, die diese Autos wie die ersten pferdelosen Wagen mit Schraubenschlüssel und Schraubendreher zusammenbauen. Weit und breit ist kein Roboter zu sehen (mal abgesehen von den CNC-Maschinen, die im Hinterzimmer Metall schneiden), und es gibt auch keine Fertigungslinien.
Aber man sieht auch die Zukunft: Der Entwicklungsansatz in einer Open-Source-Gemeinschaft ist nicht nur schneller, billiger und besser, sondern er liefert die Marktforschung für das Produkt gleich mit (zumindest unter den eifrigsten potenziellen Kunden). Produkte, die von einer Gemeinschaft entwickelt werden, werden auch eher von einer Gemeinschaft angenommen. Es sind noch weitere Produkte in Vorbereitung, und die Firma gibt an, sie könne innerhalb von 18 Monaten ein Produkt von der ersten Rohskizze zur Marktreife bringen. So lange braucht man in Detroit, um die Spezifikation einer einzelnen Türverkleidung zu ändern.
Local Motors bewies das bei einer Ausschreibung der Forschungsagentur DARPA des US-Verteidigungsministeriums für ein »experimentelles, Crowd-basiertes Kampfunterstützungsfahrzeug« (XC2V). Die Local-Motors-Community trat sofort in Aktion und legte nach wenigen Wochen einen Entwurf vor, der von den Ingenieuren der Firma den letzten Schliff bekam. Dreieinhalb Monate später wurde dieser Entwurf zum Sieger erklärt, und einen weiteren Monat später präsentierte Rogers ihn US-Präsident Obama. Der Wettbewerb richtete sich natürlich gezielt an Communitys, wie Local Motors sie hat, aber ein traditionelles Rüstungsunternehmen hätte in dreieinhalb Monaten wahrscheinlich nicht einmal den Papierkram erledigt, geschweige denn ein komplett neues Hochleistungs-Panzerfahrzeug entworfen und gebaut.
DIY der nächsten Generation
Aber ist das tatsächlich revolutionär? DIY-Autos gibt es schließlich schon seit Jahrzehnten, und der einfache Meyers-Manx-Strandbuggy mit seiner auf dem Fahrgestell eines VW Käfer montierten Fiberglaskarosserie war in den 1960er- und 1970er-Jahren eine feste Größe. Eine geschätzte viertel Million Umbausätze für Strandbuggys wurden verkauft,32 und auch für sie wurden Standardbauteile und maßangefertigte Verbundbauteile verwendet, genau wie beim Rally Fighter. Strandbuggys haben die Welt nicht verändert, sie waren sicher keine Bedrohung für die großen Autohersteller, und der ganz große Erfolg blieb auch aus.
Was ist heute anders?
Niemand geht davon aus, dass Local Motors wahnsinnig erfolgreich wird und Millionen Autos verkauft. Die Firma selbst hat für jedes Modell eine Obergrenze von 2000 Stück festgelegt (und die haben sie mit ihrem ersten Modell noch nicht einmal annähernd erreicht). In der Automobilindustrie hat es schon immer Nischenfirmen gegeben, die exotische Autos an Liebhaber verkaufen, und in gewisser Hinsicht ist Local Motors nichts anderes. Rogers selbst sagt, die Firma fülle die Lücken im Markt für einzigartige Designs. Er erklärt es mit dem Bild eines Glases voller Murmeln, die jeweils ein Fahrzeug eines großen Herstellers repräsentieren. Zwischen den Murmeln gibt es Leerräume, die mit Sandkörnern gefüllt werden können, und diese Sandkörner sind die Autos von Local Motors.
Mit fast 75000 Dollar pro Stück sind die Autos nicht gerade billig. Und auch wenn der Rally Fighter ein Hochleistungs-Rennwagen ist, hat er doch keine großartigen technologischen Neuerungen zu bieten. Er kann auch nichts, was andere Autos nicht auch können.
Aber Local Motors hat mehr als nur ein Auto geschaffen. Die Firma hat darüber hinaus auch eine Plattform für Innovationen erschaffen, ähnlich wie Apple’s iPhone eine Plattform für unabhängige Softwareentwickler darstellt, um eine Firma auf einer selbst entwickelten iPhone-App aufzubauen. Die Local-Motors-Community entwickelt neue Designs schneller, billiger und besser als die traditionellen kleinen Teams, die hinter verschlossenen Türen arbeiten. Aber weil die Designs alle online und quelloffen sind, können einzelne Mitglieder der Community ihre eigenen Projekte und Firmen um diese Designs herum aufbauen. Wenn Sie es also cool fänden, dem Design ein automatisches Aufpumpsystem für Reifen hinzuzufügen, dann machen Sie es einfach. Wenn es bei den Leuten ankommt, dann lassen Sie es herstellen und verkaufen Sie es selbst. Sie müssen dazu nicht zu Local Motors gehen und die Ingenieure überzeugen, es einzubauen. Die Konstruktion des Autos ist quelloffen, und die Community ist Miteigentümer.
Ende 2011 rief Local Motors Local Forge ins Leben als Community speziell für diese Aufgaben.
»Die ›Vorzeigeprojekte‹ machen weiterhin wir«, erklärt Rogers, »aber diese Plattform ist für alles andere.« Bald sollen Mikrofabriken in San Francisco und Dallas entstehen, um die Entwürfe der Community zu bauen.
Doch das unterscheidet sich immer noch kaum vom Markt für Zubehör, der um die alten Strandbuggys herum entstand. Was aber geschieht, wenn Autos immer mehr zu Computern auf Rädern werden, die mit Strom angetrieben und durch Software kontrolliert werden? Dann wird die Sache mit der »Plattform« sehr viel interessanter.
Local Motors wird sein Produktionsmodell als Nächstes auf den Elektroautomarkt ausdehnen. Bei einem Elektroauto wird der Benzinmotor durch Elektromotoren in den Rädern ersetzt, der Benzintank durch Lithium-Polymer-Akkus und alle mechanischen Antriebselemente durch Software. Motoren und Batterien kann jeder kaufen, und wie das Open-Source-Phänomen gezeigt hat, schreiben Communitys Software oft besser als Unternehmen. Dann muss man sich nur noch vergegenwärtigen, dass Elektroautos nicht unabhängig funktionieren, sondern als Teil ganzer Netzwerke: dem intelligenten Stromnetz zu Hause, dem Netzwerk verteilter Ladestationen an den Straßen und dem Mobilfunknetz, über das es Ladestationen lokalisiert.
Wem trauen Sie zu, ein richtig gutes Netzwerk aus Software und Geräten zu erstellen? Apple und Google werden wahrscheinlich auf Ihrer Liste stehen, zusammen mit einigen Start-ups aus der Technologiebranche. Aber an Toyota, Honda, Nissan oder auch BMW und Mercedes werden Sie nicht unbedingt denken.
Bei der Wandlung der Autos von der industriell hergestellten Maschine hin zum rollenden Computer wird der Unterschied zwischen den DIY-Autos von gestern und denen von morgen besonders deutlich werden. Der Rally Fighter ist dem Strandbuggy noch sehr ähnlich. Aber das erste Elektroauto von Local Motors wird völlig anders sein. Dann könnte die Leistungsfähigkeit des Entwicklungsmodells in einer Community den großen Autoherstellern nicht nur auffallen, sondern sie neidisch machen.
Es dauerte sechs Jahre und kostete GM 6,5 Milliarden Dollar, den Volt zu entwickeln. Tesla ist ein Hersteller von Elektroautos, der nach dem Vorbild der Technikfirmen des Silicon Valley aufgebaut ist, aber die Entwicklung des Roadster von Tesla dauerte sechs Jahre und kostete 250 Millionen Dollar. Die Entwicklung des Rally Fighter hingegen dauerte 18 Monate und kostete drei Millionen Dollar. Zugegeben, der Rally Fighter ist sehr viel weniger komplex als die beiden erstgenannten Elektroautos. Aber heute, am Beginn des Elektronikzeitalters macht sich die Komplexität vor allem in Bits bemerkbar und weniger in Atomen. Und es gibt keinen Grund, warum eine clevere Community das nicht schneller, besser und billiger erledigen sollte als ein einzelnes Unternehmen.
Was verändert sich dadurch? Vor allem bietet sich so eine Alternative zum Konzept der geplanten Nutzungsdauer und der Wegwerfmentalität. Wenn bei Produkten wie Autos die Software gegenüber der Hardware immer mehr an Bedeutung gewinnt, dann wird es möglich, den Zeitpfeil umzudrehen: Sie können nach dem Kauf besser werden statt schlechter, weil die Software aktualisiert werden kann.
Eine Website verbessert sich immer weiter, wenn die Entwickler neue Funktionen hinzufügen oder das Design verbessern. Dasselbe könnte auch bei Autos geschehen: Je höher der Anteil der Software ist, umso einfacher geht es.
Autos werden zunehmend »per Computer« gefahren, nicht über mechanische Verbindungen (bei neuen Autos sind die Pedale oder das Lenkrad meistens nicht mehr physisch mit dem Motor oder den Rädern verbunden; sie sind nur noch Joysticks, die die Software anweisen, das Fahrzeug zu bewegen). Warum aktualisieren die Autohersteller dann nicht ständig die Software, um die Leistung des Autos zu verbessern, so, wie der Webbrowser im Computer regelmäßig aktualisiert wird?
Die zynische Antwort lautet: Die Autohersteller wollen, dass Sie ein neues Auto kaufen. Aber eine Community setzt bei einem Produkt, das sie entwirft, nicht auf eine solche geplante Nutzungsdauer. Wenn jemand ein älteres Produkt zu neuem Leben erwecken will, dann kann er das tun. Neue Bits können alte Atome zu neuem Leben erwecken.
Zumindest bei Ford beobachtet man diese Entwicklung aufmerksam. Zu Beginn des Jahres 2012 arbeitete das Unternehmen mit TechShop zusammen an einer gemeinsamen Maker-Fabrik in der Heimatstadt des Unternehmens. Der Detroit TechShop ist mit über 5000 Quadratmetern Fläche riesig, und er ist ausgestattet mit Lasercuttern, 3-D-Druckern und CNC-gesteuerten Werkzeugmaschinen im Wert von 750000 Dollar. Ford-Mitarbeiter können die Einrichtung Tag und Nacht für Projekte benutzen, die im Zusammenhang mit ihrer Arbeit stehen, oder auch für persönliche Projekte, und Ford plant, im ersten Jahr 2000 Mitglieder aufzunehmen. Ford-Mitarbeiter haben im neuen Makerspace schon verschiedene Ideen und Prototypen entwickelt, darunter eine Methode, um ein Auto aus einer Schneewehe herauszuschaukeln, ein Einwegventil, um bei beschlagenen Scheiben Luft aus einem Auto zu lassen, und eine »Trittstufe«, die das Ein- und Aussteigen bei Testfahrzeugen erleichtert. Seit dem Start des Programms wurden 30 Prozent mehr Patente bei dem Unternehmen eingereicht, ein Erfolg, den die Manager der Firma dem Maker-Geist zuschreiben, mit dem TechShop die Mitarbeiter erfüllt hat.
So werden ganze Industrien neu erfunden.
Detroit West (die Zweite)
Eine Automobilindustrie, die nach diesen Prinzipien aufgebaut ist, muss man sich gar nicht vorstellen, denn es gibt sie schon. In der ehemaligen NUMMI-Fabrik (New United Motor Manufacturing Inc.) von GM/Toyota in Fremont, Kalifornien, hat Tesla die modernste Fabrik der Welt gebaut. Dort werden zufällig Autos hergestellt, aber man könnte dort alles bauen. Die Fabrik ist nicht nur automatisiert, sie besteht aus einer wahrhaften Roboterarmee. Hunderte universal einsetzbare KUKA-Roboterarme machen alles, vom Metallbiegen bis zur Montage. Fahrerlose Plattformwagen fahren die Autochassis umher und laden sich selbst während der Fahrt über induktive Ladeplatten auf. Lackierroboter von Fanuc öffnen selbst Autotüren, um sie von allen Seiten zu lackieren, und schließen sie dann wieder, wenn sie fertig sind.
Tesla wird in der Fabrik 20000 Autos pro Jahr fertigen. Das mag nach viel klingen, ändert aber nichts an Teslas Status als Nischenfirma im globalen Automobilgeschäft. Was bei Autos noch als klein gilt, ist für alle anderen trotzdem riesig. Die Tesla-Fabrik belegt einen Teil eines eineinhalb Kilometer langen Gebäudes. Mehr als 1000 Menschen werden dort arbeiten. Die Fabrik ist jetzt schon die größte im Silicon Valley. Der Film Iron Man vermittelt einen guten Eindruck davon. Der Protagonist des Films, Tony Stark, ist dem Tesla-Gründer Elon Musk nachempfunden, und die echte Fabrik sieht aus, als wäre sie direkt dem Film entsprungen.
Die Fabrik ist zum Teil deswegen so innovativ, weil dort keine normalen Autos gebaut werden. Das Model S, das als Erstes in der Fabrik produziert werden wird, ist ein reines Elektroauto; es hat genauso viel mit einem Laptop gemeinsam wie mit einem herkömmlichen Auto mit Benzinmotor. Statt komplizierter mechanischer Teile, wie Motor, Getriebe und Antrieb, haben Tesla-Autos Lithium-Ionen-Akkus, Elektromotoren und eine hoch entwickelte Elektronik und Software. Dadurch gibt es nur einen Bruchteil der mechanischen Teile eines herkömmlichen Autos. Die Elektroautos sind einfacher und dadurch leichter zu bauen.
Während einer Führung durch die Fabrik bei der Eröffnungsfeier erklärte Gilbert Passin, Produktionsvorstand bei Tesla, die Fabrik sei eine riesige CNC-Maschine: Sie kann so konfiguriert werden, dass sie fast alles herstellt. Die gesamte Anlage ist programmierbar, und jedes Auto kann unterschiedlich sein. In derselben Fabrik können gleichzeitig mehrere verschiedene Automodelle produziert werden, mit komplett unterschiedlichen Teilen, auch abwechselnd. Henry Ford trieb die Standardisierung voran mit seinem »jede Farbe, solange sie schwarz ist«. Tesla hingegen treibt die Individualisierung voran, von der Farbe der Innenausstattung bis zur Anzahl der Akkuzellen im Lithiumsatz. Man kann sogar die Straßentauglichkeit der Autos in der Halle testen auf einer speziellen »Holperstrecke« gleich neben der Endmontage mit verschiedenen unebenen Oberflächen, um lose oder quietschende Teile aufzuspüren. Wenn es Probleme gibt, stehen die Menschen, die sie lösen können, gleich daneben. Durch die Auspuffgase wäre so etwas bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren undenkbar.
In der Tesla-Fabrik wird von einer Produktionseinheit von einem Stück ausgegangen. Damit ist man dort näher am Traum der individualisierten Massenfertigung als jeder andere Automobilhersteller vorher. Die meisten Teile der Autos werden direkt in der Fabrik hergestellt, und so kann man auf große Lagerbestände an Bauteilen oder lange Lieferketten und die damit verbundene Inflexibilität verzichten. Die vertikale Integration führt zur totalen Kontrolle. So sieht der ultimative Just-in-time-Prozess aus: Man stellt her, was man braucht, wenn man es braucht.
Das Gegenbeispiel dazu ist die GM/Toyota-Fabrik, die sich vorher auf dem Gelände befand. Im Jahr 1984 ging NUMMI als ehrgeiziger Versuch an den Start, die vorangegangene Revolution in der Produktionseffizienz, die »schlanke Produktion« der Japaner, die Toyota entwickelt hatte, auch in der amerikanischen Automobilproduktion einzuführen. NUMMI selbst hatte eine Fabrik ersetzt, die fehlgeschlagen war: die Fremont-Assembly-Anlage von GM, die zwei Jahre zuvor geschlossen worden war, nachdem sie 20 Jahre lang allgemein als die schlechteste Autofabrik Amerikas gegolten hatte. Die GM-Anlage stand für alles, was in den 1970er- und 1980er-Jahren in der amerikanischen Industrie falsch gelaufen war, von veralteter Technologie bis zu Arbeitskämpfen. Es gab dort einfach alles: korrupte Gewerkschafter, Arbeiter, die entweder teilnahmslos oder feindselig waren, sogar Drogenhandel und Prostitution auf dem Parkplatz.
NUMMI sollte dazu beitragen, die amerikanische Automobilindustrie von der Fabrikhalle aus neu zu erfinden. In gewisser Hinsicht war die Fabrik die erste »Industriebrache« der Automobilindustrie. Man nehme eine gescheiterte Fabrik aus vergangenen Tagen, ersetze, so viel man kann, und fange von vorn an mit einer völlig neuen Herangehensweise: ein vollständiger Neuanfang auf dem Gelände einer existierenden Anlage. Bei der schlanken Produktion der Japaner ging es hauptsächlich darum, die Arbeiter mehr in den Produktionsprozess mit einzubeziehen, sie dazu zu ermutigen, häufig Rückmeldung zu geben sowie Verschwendung und Fehler zu minimieren. Man hoffte, dass amerikanische Fabrikarbeiter so genauso produktiv würden wie japanische, wenn man ihnen bessere Arbeitsbedingungen bot, die es ihnen erlaubten, sich mit dem Produkt zu identifizieren und ihre Ideen mit einzubringen, wie man den Prozess verbessern konnte.
Die Parallelen zwischen damals und heute sind frappierend. Das Ziel war dasselbe: flexible, effiziente, hochwertige Produktion mit dem Einsatz von Automatisierung zur Qualitätsverbesserung und Just-in-time-Lieferungen, um die Kosten zu senken und die Flexibilität zu erhöhen. Der Unterschied ist jedoch, dass Automatisierung damals speziell angefertigte automatische Handler bedeutete, die nur eine spezielle Tätigkeit ausführen konnten. Leistungsstarke Allzweckroboter gab es damals noch nicht.
Die erste Generation computergesteuerter Automationstechnik ähnelte mehr einem dampfbetriebenen Webstuhl als einem Roboter: Sie führte eine Tätigkeit besser aus als ein Mensch, aber eben nur diese eine Tätigkeit. Das machte diese Maschinen effizient für die Produktion eines Produkts, aber es war unglaublich schwierig, den Produktionsprozess für ein anderes Produkt anzupassen. Bevor GM und Toyota ihre Fabrik im Jahr 2009 schlossen, wurden dort in einem jeweils eigenen Bereich der Anlage Toyota Corollas und Tacomas hergestellt. In einem allerletzten Rettungsversuch sollten in der Fabrik stattdessen für GM Prius-Hybridautos hergestellt werden, aber es war einfach zu aufwendig, die Produktion umzustellen.
Das NUMMI-Versorgungsmodell des »just in time« war der traditionellen Detroiter Vorratsbeschaffung klar überlegen, aber sie war immer noch abhängig von einer langen und komplexen Kette von Zulieferern, von denen die wenigsten in Kalifornien ansässig waren. Es hat der Fabrik wohl den letzten Rest gegeben, dass sie so weit von den Zulieferern im Mittleren Westen entfernt lag und dass das aus wirtschaftlicher Sicht in einem immer härter umkämpften Markt immer weniger Sinn machte. »Just in time« verbesserte die Versorgungsketten zwar, aber es blieben nach wie vor Versorgungsketten. Je mehr eine Fabrik auf Teile angewiesen war, die anderswo hergestellt wurden, umso unflexibler wurde sie und umso größer waren das Risiko von Unterbrechungen in der Versorgung und die Preisunsicherheit. Weil die Fabrik sehr stark von einer ausgedehnten Kette von Zulieferern abhängig war, nahmen die Lager für vorproduzierte Bauteile viel Platz in der Anlage ein.
Die digitale Produktion von heute macht den entscheidenden Unterschied aus. Im Gegensatz zur produktspezifischen Automationstechnik von NUMMI sind die meisten Tesla-Roboter Standardmodelle von KUKA mit leichten Sechsachs-Gelenkarmen und einer maximalen Traglast von 1000 Kilogramm. Sie können innerhalb weniger Minuten für neue Aufgaben umprogrammiert werden und führen während eines normalen Arbeitsablaufs oft Dutzende verschiedene Aufgaben aus. Neben den KUKA-Roboterarmen in der Produktionshalle von Tesla steht ein Regal mit verschiedenen Werkzeugaufsätzen. Ein Roboterarm beginnt eine Arbeit möglicherweise mit einem Schweißaufsatz für Aluminium, tauscht ihn erst gegen einen Schraubendreher aus, der dann durch einen Greifarm ersetzt wird, alles automatisch. Selbst Roboter, die nur Metallbleche von einer Stanzmaschine zur nächsten bewegen, sind KUKA-Arme. Im Gegensatz zu den produktspezifischen Maschinen, die sie ersetzten, benutzen die KUKA-Roboter Saugnäpfe oder andere Vakuumgreifer, um Material jeder Größe und Form zu transportieren. Tesla hat die Stanzmaschinen von NUMMI übernommen (und an das Stanzen von leichtem Aluminium angepasst statt Stahl wie früher), aber die automatisierte Steuerungstechnik ist völlig neu.
Auch bei den Versorgungsketten gab es Veränderungen. Der Tesla-Gründer Musk glaubt fast religiös daran, so viel Vorfertigung wie möglich hausintern zu erledigen, und er hat die nötige Erfahrung, um das auch umzusetzen. Diese Erfahrungen sammelte er mit seiner Raketenfirma SpaceX, die inzwischen Marktführer im Privatsektor der Raumfahrtindustrie ist. Die zugrunde liegende Technologie unterscheidet sich nicht sehr von der Technologie, mit der die NASA arbeitet, aber durch die eigenen Produktionsprozesse erreicht die Privatfirma die Erdumlaufbahn mit einem Bruchteil der Kosten. Die NASA verfügt im Rahmen ihrer Raumfahrtproduktion über ein komplexes (und politisiertes) Netzwerk aus Zulieferern, mit Subunternehmen und Subsubunternehmen. SpaceX hingegen stellt fast alles selbst her mithilfe digitaler Produktionswerkzeuge. Die Technologie vereinfacht den Produktionsprozess, verringert den Verwaltungsaufwand und senkt so die Kosten auf fast ein Zehntel, während sie gleichzeitig die Ausfallsicherheit verbessert. Man muss nicht gleich die Raumfahrttechnik neu erfinden, um es besser zu machen als die NASA. Die meisten Innovationen betreffen die Produktionshalle.
Tesla plant nun dasselbe für die Automobilindustrie. Die alten Versorgungsketten folgen den klassischen Wirtschaftsprinzipien von Arbeitsteilung und komparativem Vorteil. Die Firma mit dem Know-how und dem Rüstzeug, um Getriebe herzustellen, konnte nicht gleichzeitig auch Armaturenbretter aus Kunststoff oder Software für ABS-Bremsen herstellen. Jede dieser Firmen war spezialisiert auf einen Bereich, und die Käufer kombinierten sie alle über eine Versorgungskette.
Bei Computern war es am Anfang genauso: Es gab spezielle Computer für die Buchhaltung, spezielle Computer für die Berechnung der Flugbahn ballistischer Raketen und wieder andere spezielle Computer für statistische Erhebungen. Dann erfanden Wissenschaftler den Allzweckcomputer, und heute kann der PC auf dem Schreibtisch alles. Jedes gestartete Programm konfiguriert die Maschine für neue Aufgaben. In einem Webbrowser hat die Maus eine andere Funktion als im Videospiel Call of Duty. Ein Computer kann ein Buch sein, ein Telefon, ein Fernseher, eine Zeitung, ein Spielzeug oder eine Sicherheitseinrichtung, je nachdem, welche Software gerade läuft.
Für eine automatisierte Fabrik gilt dasselbe. Allzweckroboter können über Software genauso einfach neu konfiguriert werden wie ein PC. Tesla setzt noch weitere numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen ein, von Hochleistungs-Lasercuttern für die Herstellung von Stanzformen bis zu CNC-Maschinen für Kunststoffformen, und kann so viele Arbeiten vor Ort durchführen, die früher an Zulieferer ausgelagert wurden. Das Hauptprodukt von Tesla – das Elektroauto, das eher digital ist als mechanisch – ist selbst ein Nebenprodukt der Computerindustrie, und daher können auch einzelne Bestandteile immer neu konfiguriert werden. Beim Model S sorgt Software für die Leistung und kein komplizierter mechanischer Antrieb. Statt ein Armaturenbrett mit speziellen Messanzeigern zu übersäen, werden bei Tesla alle Anzeigen im Auto auf einem einzigen, multifunktionalen Bildschirm ausgegeben, genau wie bei einem PC.
Welche Konsequenzen hat dies für die Zukunft der Industrie? Es bedeutet, dass Amerika und andere Länder mit hohen Kosten eine Chance haben. Billigere Konkurrenz aus dem Ausland, veraltete, unflexible und arbeitsintensive Produktionsprozesse haben zur Schließung von NUMMI geführt. Heute sorgt Robotertechnik dafür, dass sich die Fabriktore wieder öffnen.
Die Roboter haben in diesem Fall keine Menschen ersetzt. NUMMI war geschlossen, und die Fabrik stand leer. Es gab keine Jobs mehr, und alle hatten verloren. Die Roboter erfüllten die tote Fabrik mit neuem Leben und brachten gleich auch noch 1000 neue Arbeitsplätze mit. Diese neuen Arbeitsplätze erfordern eine bessere Ausbildung und werden besser bezahlt als die alten. Ja das bedeutet, dass viele Arbeiter aus der alten NUMMI-Fabrik nicht die notwendige Ausbildung haben, um in der neuen zu arbeiten, aber manche schon. Wichtiger ist jedoch, dass dieses Modell dem wirtschaftlichen Druck der Globalisierung standhalten kann.
Westliche und chinesische Firmen bekommen KUKA-Roboter zum selben günstigen Preis. Der Anteil menschlicher Arbeit an Produkten wie Autos sinkt rapide, die Arbeit wird von Automaten übernommen. Die Unterschiede bei den Arbeitskosten verlieren im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit an Bedeutung. Die Rohmaterialien – Kunststoff, Bauxit (Aluminiumerz) und sogar Lithium – werden auf dem Weltmarkt gehandelt, und jeder bezahlt mehr oder weniger dieselben Preise. Es bleiben noch die Kosten für Land, Strom und Steuern. Diese Kosten sind im Westen immer noch höher, aber das Gefälle ist deutlich kleiner als bei den Arbeitskosten. Mit dem Aufstieg der automatisierten Fabriken könnten die jahrhundertealten globalen Handelsströme hin zu billigerer Arbeit endgültig versiegen.
Selbstverständlich ist die Tesla-Fabrik ein Spezialfall. Die Firma bekam eine riesige finanzielle Starthilfe in Form des von ihr genutzten Teils der NUMMI-Anlage, die sie für gerade einmal 43 Millionen Dollar aufkaufte, inklusive großer Mengen an funktionierender Ausstattung. Tesla ist eine relativ junge Autofirma (sie wurde im Jahr 2003 gegründet) und hatte daher nicht mit Altlasten in Form von Pensionsverpflichtungen und Gewerkschaften zu kämpfen wie die Giganten aus Detroit, und sie war auch keinem Druck ausgesetzt, Arbeitsplätze zu erhalten, statt zu automatisieren. Dann gibt es da noch das Bundesdarlehen über eine halbe Milliarde Dollar, das die Firma 2010 erhielt. Und seien wir mal ehrlich: Es könnte immer noch schiefgehen. Die Firma will in die Autoindustrie einsteigen mit einem Fahrzeug, in dem ultramoderne, rein elektrische Technologie steckt, in einer Welt, in der sogar die Branchengrößen nur schwer Kunden finden, die für jahrzehntealte Hybridtechnologie ein bisschen tiefer in die Tasche greifen.
Aber unabhängig davon, wie es Tesla ergeht, das Produktionsmodell wird sich durchsetzen. Es ist ein Abbild der Entwicklung der industriellen Produktion insgesamt. Die KUKA-Roboter werden nicht rein zufällig in Deutschland hergestellt. Diese flexible Automationstechnik ist der Grund dafür, dass die industrielle Produktion in Deutschland, einem Land mit hohen Kosten, trotz der chinesischen Konkurrenz erfolgreich ist und zum Wirtschaftsmotor Europas aufstieg. Die Tesla-Fabrik ist einfach die neueste nach diesem Muster eingerichtete Anlage, und daher die innovativste. Heute werden dort Autos hergestellt. Aber nach demselben Muster könnte man alles herstellen.
Alle paar Generationen verändern sich die Produktionsbedingungen radikal: Dampf, Elektrizität, Standardisierung, das Fließband, schlanke Produktion und jetzt Robotertechnik. Manchmal sind neue Managementtechniken die Ursache, aber die richtig großen Veränderungen entstehen durch neue Werkzeuge. Und es gibt kein mächtigeres Werkzeug als den Computer. Er steuert die modernen Fabriken nicht nur, er wird zu ihrem Vorbild. Unbegrenzt flexible und anpassungsfähige sowie vielseitig einsetzbare Industrieroboter verbinden sich zur ultimativen Produktionsmaschine. Und wie Computer funktionieren sie in jeder Größenordnung, von der kilometerlangen NUMMI-Anlage bis zum einzelnen Schreibtisch. Nicht nur in der Entwicklung fortschrittlicher Technologie, sondern auch in ihrer Demokratisierung besteht die eigentliche Revolution.