KAPITEL 13
BIOLOGIE FÜR HEIMWERKER
Der größte Traum eines Makers ist die programmierbare Materie. Die Natur arbeitet schon damit.
Lasercutter, 3-D-Drucker und CNC-Fräsen sind cool, aber wie alle Desktop-Werkzeugmaschinen sind auch ihren Produktionsmöglichkeiten Grenzen gesetzt, sowohl was Materialien angeht als auch bei der Komplexität. Ihr nächstes Mittagessen können Sie nicht damit herstellen, und auch kein neues Paar Schuhe. Dafür bräuchte man schon einen richtigen Universal Fabricator. Wie der Replikator aus Star Trek kann diese Maschine auf Befehl fast alles herstellen. Nur leider gibt es sie noch nicht.
Science-Fiction-Autoren lassen sich seit Jahrzehnten von dieser Vorstellung inspirieren. In seinem Roman Diamond Age: Die Grenzwelt beschreibt Neal Stephenson eine Welt, die durch »Materie-Compiler« von Grund auf verändert wurde, die alles herstellen können, was gebraucht wird. Mangel kennt man dort nicht.
»Am Anfang hatte man eine leere Kammer, eine Halbkugel aus Diamant, in der trübes rotes Licht glomm. Im Zentrum der Bodenplatte konnte man das nackte Kreuz eines acht Zentimeter großen Feeders und eine zentrale Vakuumpumpe erkennen, die von einer Anzahl kleinerer Leitungen umgeben wurde, bei denen es sich um mikroskopische Förderbänder handelte, die nanomechanische Bauteile – einzelne Atome oder ganze, zu praktischen Bausteinen zusammengesetzte Gruppen – transportierten.
Der Materie-Compiler war eine Maschine, die am Endpunkt eines Feeders saß und nach den Weisungen eines bestimmten Programms Moleküle Stück für Stück von den Förderbändern nahm und zu komplizierteren Gebilden zusammensetzte.«51
Das ist Science-Fiction, aber etwas Ähnliches ist durchaus möglich. Der MIT-Professor Neil Gershenfeld schätzt, dass es nur noch 20 oder 30 Jahre dauern wird.
Wie wir da hinkommen? Nach Gershenfelds Meinung müssen wir mehr tun, als nur 3-D-Drucker und andere CNC-Maschinen schneller und präziser zu machen. Das Problem bei diesen Methoden sei, so Gershenfeld, dass dabei nur »mit Material herumgemanscht« würde. Sie verspritzen, schneiden oder erhitzen es, aber sie bewegen Material nur oder ändern den Zustand (härten es). Das Material selbst hat keinerlei Intelligenz und Bewusstsein dafür, was aus ihm werden soll. Die ganze Arbeit muss die Werkzeugmaschine erledigen, ohne »Unterstützung« durch das Material.
Schon bei Lego-Steinen ist das anders. Wenn ein Kind mit Lego spielt, korrigieren die Steine die Fehler des Kindes: Sie passen nur zusammen, wenn sie richtig aufeinandergesteckt werden. Die größeren Duplo-Steine unterstützen die Kinder bei der richtigen Ausrichtung der Steine durch abgeschrägte Kanten, die dazu führen, dass Steine beim Aufeinanderstecken, in die richtige Richtung gedreht werden, damit sie passen. Die Steine bringen ihr eigenes Koordinatensystem gleich mit: das Lego-Raster. Und wenn man alle Steine verbaut hat, wirft man sie nicht einfach weg. Man baut sie wieder auseinander und baut etwas anderes damit. Besser lässt sich Material nicht recyceln.
Programmierbare Materie
In gewisser Hinsicht sind auch Lego-Steine »intelligente Materie«. Sie bringen ihre eigenen Montageanweisungen mit und haben eine festgelegte Funktion, etwa als Scharniere oder Räder.
Das klingt verrückt? Ist es aber nicht. Wir sind bereits von »intelligenter Materie« umgeben, denn genau so arbeitet die Natur. Kristalle bestehen schließlich aus Atomen, die sich selbst zu unglaublich komplexen Strukturen anordnen, egal ob bei Schneeflocken oder Diamanten. Der menschliche Körper besteht aus Proteinen, die nach Anweisung der DNA/RNA aus Aminosäuren aufgebaut wurden, die ebenfalls aus Atomen bestehen, die sich selbst anordnen. Die Biologie ist die älteste aller Fabriken.
Die Grundbausteine des Lebens sind »intelligentes Material«. Gershenfelds Lieblingsbeispiel sind die Ribosomen, die sich in den Zellen befinden. Ein Ribosom ist ein Protein, das Proteine herstellt, eine biologische Maschine, die andere biologische Maschinen produziert. Aber Gershenfeld sieht darin ein Vorbild für einen Fabricator der Zukunft.
In den Zellen werden Gene aus der DNA-Codierung in RNA übersetzt, eine Art Spiegelbild wird erstellt. Das Ribosom ist die »Organelle«, die die RNA liest und nach den codierten Anweisungen Aminosäuren für spezialisierte Proteine aufbaut. Nach ihrer Fertigstellung falten sich diese Proteine automatisch zu komplizierten Formen auf, allein durch die elektrischen Ladungen und die Anziehungs- und Abstoßungskräfte, die durch die Atombindungen entstanden. Diese Formen in milliardenfacher Ausführung sind die Bauelemente des Körpers, aus ihnen besteht alles, von Zellwänden bis Knochen.
Dies ist ein Beispiel für einen eindimensionalen Code (DNA, vier chemische »Buchstaben« in unterschiedlichen Kombinationen, die zu langen eindimensionalen Ketten verknüpft sind), der ein dreidimensionales Objekt (Protein) erzeugt. Weil das Material, mit dem die DNA arbeitet (erst RNA, dann Ribosomen, dann Proteine), nicht einfach zusammengemanscht ist, sondern eigenen chemischen und strukturellen Regeln und einer eigenen Logik folgt, kann mit wenig Information eine unglaubliche Komplexität erreicht werden. Ribosomen, sagt Gershenfeld, sind »programmierbare Materie«. In diesem Fall werden sie von der DNA programmiert. Aber dasselbe Prinzip konnte auf alles Mögliche angewendet werden.
In Gershenfelds Labor am MIT haben Studenten die ersten winzigen Schritte in diese Richtung unternommen, mit winzigen Elektronikbauteilen, die zusammengesteckt werden können und automatisch die richtigen Verbindungen herstellen. Andere Forscher haben dieses Konzept bereits weiterentwickelt. Die erfolgversprechendste programmierbare Materie ist jedoch die DNA selbst.
Im neuen Forschungsgebiet der »strukturellen DNA« wird das Material nicht als genetische Codierung eingesetzt, sondern direkt als Baumaterial ohne jede biologische Funktion. In etwa 60 Laboren weltweit wird heute daran gearbeitet, und die Forscher können DNA-Stränge synthetisieren, die sich zu Vierecken, Dreiecken oder anderen Polygonen anordnen.52 Manche Strukturen werden gebildet, indem zweidimensionale DNA-Formen zu einer Fläche »verkantet« werden. Andere Forscher programmieren die DNA so, dass sie sich zu dreidimensionalen Strukturen auffaltet, ein Prozess, der »DNA-Origami« genannt wird.
Dreidimensionale DNA-Strukturen können so programmiert werden, dass sie ein Gerüst und schachtelähnliche Strukturen bilden. Andere DNA-Sequenzen können darauf programmiert werden, dass sie in Reaktion auf einen chemischen Stimulus hin die Struktur öffnen, eine Tür bilden. Dahinter steckt die Idee, dass ein Wirkstoff in die Schachtel aus struktureller DNA gelegt werden könnte, und der Körper das Konstrukt bei geschlossener Öffnung an einen Ort transportieren könnte, wo der Wirkstoff gebraucht wird. Dann würde ein chemischer Reiz ausgelöst werden, der die Tür öffnete, und der Wirkstoff würde austreten und genau an der vorgesehenen Stelle wirken.
Von derartigen programmierbaren Nanomaschinen, die größere Objekte irgendeiner Art erzeugen können, sind wir aber noch weit entfernt. DNA ist nicht sehr stabil, und daher haben Forscher in Experimenten andere Materialien, etwa Nanopartikel aus Gold, an die DNA gebunden, um sie zu stabilisieren. Aber selbst so konnten sie nichts herstellen, das ohne Mikroskop sichtbar war. Andere Forscher führten ähnliche Experimente mit speziellen Polymeren und anderen chemischen Verbindungen durch, die zwar stabiler sind, aber auch schwerer zu programmieren als DNA.
Bisher gab es fast nur Grundlagenforschung. Aber allein die Tatsache, dass es überhaupt funktioniert, deutet darauf hin, dass programmierbare Materie auf der Makroebene durchaus möglich ist – vielleicht sogar, wie Gershenfeld es voraussagt, schon in einer Generation. Es gibt schon heute eine eigene Maker-Bewegung in diesem Bereich.
Maker und die DNA
Kurz vor Mitternacht an einem Freitag im April 1983 fuhr Kary Mullis, ein Chemiker und Hobbysurfer, gerade den Pacific Coast Highway 128 in Kalifornien zwischen Cloverdale und Booneville entlang, als er eine Idee hatte, die ihm am Ende den Nobelpreis einbrachte. Eines der größten Probleme der Genetik bestand damals darin, dass es nie genug DNA für die Untersuchungen gab, und die verfügbare DNA war oft kontaminiert.
Beim Fahren grübelte er über verschiedene Arten nach, wie man Mutationen in DNA analysieren konnte, als ihm plötzlich klar wurde, dass er zufällig eine Methode entdeckt hatte, um jeden beliebigen DNA-Abschnitt zu reproduzieren durch den Einsatz eines speziellen bakteriellen Enzyms namens DNA-Polymerase und einer Folge aus abwechselnder Erwärmung und Abkühlung. Auf die Idee, mithilfe von Polymerase DNA-Sequenzen zu kopieren, waren schon andere vor ihm gekommen. Aber Mullis erkannte, dass durch die Folge von Erwärmung und Abkühlung eine Kettenreaktion in Gang gesetzt wurde, durch die sich bei jedem Durchgang die Anzahl der Kopien verdoppelte und schnell mehrere Millionen betrug.
In Kombination mit einer Version des Enzyms, das aus Bakterien gewonnen wird, sogenannten Extremophilen, die in heißen Quellen leben und hitzeresistent sind, entstand der automatisierte Vorgang zum Kopieren von DNA, der die moderne industrielle Genforschung begründete. Für die sogenannte Polymerase-Kettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR) gewann Mullis 1993 den Nobelpreis für Chemie.
Heute gehören PCR-Geräte, oder Thermocycler, zur Standardausrüstung in allen genetischen Labors. Früher kostete ein solches Gerät 100000 Dollar pro Stück, aber heute werden sie teilweise für 5000 Dollar pro Stück verkauft. PCR ist ein Wunder der genetischen Revolution und ein Eckpfeiler der neuen Biologie.
Aber auch 5000 Dollar sind noch viel Geld. Was war, wenn man sie mit Batteriebetrieb benutzen wollte? Oder mit Kindern im Schulunterricht? Was war, wenn man mit den Maschinen selbst experimentieren wollte, und nicht nur mit dem, was man hineinsteckte?
Josh Perfetto, ein junger Forscher aus Kalifornien, wollte all das. Und er wollte die Technologie offen zugänglich machen, damit sie von allen benutzt werden konnte. Also entwickelte er, weil er es konnte, OpenPCR, einen Open-Hardware-Thermocycler. Das Gerät besteht aus einem Sperrholzgehäuse in der Größe einer Vesperdose mit einem kleinen LCD-Bildschirm oben drauf. Innen befinden sich ein Arduino-Prozessorboard, ein Netzanschluss, ein Behälter für die DNA, das Enzymbad und ein paar Heizspiralen. Es kostet 599 Dollar, etwa ein Zehntel des Preises eines kommerziellen Thermocycler. Und es ist quelloffen, sodass man es nach Wunsch modifizieren kann.
Perfetto ist Teil der »DIYbio«-Community, einem Ableger der Maker-Bewegung. »Biohacker« eröffnen gemeinsam genutzte wissenschaftliche Arbeitsräume, ähnlich den Makerspaces im Hardwarebereich, unter ihnen BioCurious im Silicon Valley und Genspace in New York City. Bisher sind sie kaum besser als ein typisches College-Biologielabor, aber sie erreichen ein ganz neues Publikum mit aufsehenerregenden (und lehrreichen) Projekten: Sie erstellten den genetischen Fingerabdruck von Sushi, das in örtlichen Restaurants verkauft wurde, um herauszufinden, ob es tatsächlich war, als was es angepriesen wurde.
Bisher ging es bei der DIYbio-Bewegung weniger darum, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, als darum, die Werkzeuge der Wissenschaft zu demokratisieren. Laborausrüstung ist oft teuer, patentrechtlich geschützt, schwer zu benutzen und kaum noch manipulierbar. Daher sorgen die Biohacker, wie Perfetto, für Open-Source-Versionen der Geräte, eines nach dem anderen.
Eines dieser Geräte, eine Laborzentrifuge, in der Reagenzgläser geschleudert werden, um schwerere Partikel in einer Lösung von den leichteren zu trennen, kostete im Handel bis zu mehreren Tausend Dollar. Dabei besteht eine solche Zentrifuge eigentlich nur aus einem Elektromotor mit einer Geschwindigkeitskontrolle und einer Spindel für die Reagenzgläser. Und da setzte »DremelFuge« an, eine kostenlose Bauvorlage für eine Spindel, die mit einem 3-D-Drucker hergestellt und auf ein Dremel-Multifunktionswerkzeug montiert werden konnte, das in jedem Werkzeugladen erhältlich ist. Gesamtkosten: weniger als 100 Dollar. Entworfen wurde DremelFuge von Cathal Garvey, einem Biologen aus Cork in Irland. Die Zentrifuge erreicht Drehzahlen von bis zu 33000 Umdrehungen pro Minute, was einer Beschleunigung von bis zu 51000 g entspricht (professionelle Zentrifugen erreichen meist nicht mehr als 24000 g).
Weitere DIY-Teams beschäftigen sich in Projekten mit Open-Source-Versionen eines Magnetrührers (um Flüssigkeiten auch in geschlossenen Behältern rühren zu können, sodass nichts austreten kann) und eines Algenbioreaktors, in dem Algen gezüchtet werden können für Biokraftstoffe, als Tierfutter oder um Abgase zu absorbieren.
Im Moment erfinden die Biohacker nur das Rad neu. Sie erschaffen DIY-Versionen von Ausrüstung und Technologien, die es in den kommerziellen und akademischen Laboren in der Regel bereits gibt. Sie sorgen dafür, dass Laborausrüstung billiger, leichter zugänglich und modifizierbar wird, aber was sie mit diesen Werkzeugen anstellen, ist nur gewöhnliche Laborbiologie. Anderswo fasst man das DIY-Credo ganz anders auf. In Untergrundlaboren werden neue Varianten illegaler Drogen entwickelt, die dieselbe Wirkung haben, aber chemisch unterschiedlich genug sind, um legal zu sein. Die Hersteller dieser Drogen spielen Katz und Maus mit den Behörden und entwickeln neue chemische Verbindungen schneller, als die Behörden sie identifizieren und verbieten können. Synthetisch hergestellte Pulver mit ähnlichen Eigenschaften wie THC in Marihuana werden in einschlägigen Läden in den Vereinigten Staaten legal verkauft, obwohl viel darauf hindeutet, dass diese Drogen schädlicher sind als das echte Marihuana.
Dies betrifft nur die Chemie. Was wird wohl geschehen, wenn diese Werkzeuge leistungsfähig genug werden, um sich auch auf die Biologie und die Genetik auszuwirken? Heute kann man am Küchentisch DNA vervielfältigen und identifizieren. Morgen wird man DNA auch so sequenzieren können. DNA-Synthese, DNA-Modifizierung und andere gentechnische Methoden werden folgen. Die Tage, in denen nur eine kleine Anzahl professioneller Labors diese Verfahren anwenden können und alle Aufträge geprüft und überwacht werden, sind bald gezählt. Dann werden Menschen anfangen, am Leben herumzumanipulieren. Menschen tun das seit Tausenden von Jahren durch Kreuzungen und Züchtungen in der Landwirtschaft, aber sie bewegten sich dabei immer innerhalb der natürlichen Grenzen. Im Labor spielen viele dieser Grenzen keine Rolle mehr. Und die DIYbio-Bewegung plant zahlreiche weitere neue Labore. Warum sollten nur die ausgebildeten Wissenschaftler den ganzen Spaß haben?