KAPITEL 10

DIE FINANZIERUNG DER MAKER-BEWEGUNG

Wo endet die Herstellung und wo beginnt der Verkauf? In den neuen Maker-Märkten ist beides oft dasselbe.

Setzen Sie keine Qualle in ein normales Aquarium. Lassen Sie es einfach. Das Ergebnis ist ziemlich hässlich. Erst wird sie langsam, aber unvermeidlich durch die Strömung an die Seiten und in die Ecken getrieben, vor allem in Richtung der Ansaugpumpe für den Wasserfilter. Dann wird die Qualle in die Pumpe hineingesaugt, in der sie dann feststeckt. Und dann reißt die Pumpe die Qualle in Stücke.

Wahrscheinlich werden Sie es trotzdem tun. Quallen sind die vielleicht schönsten, magischsten Kreaturen, die man in einem Aquarium haben kann. Das werden Sie in einem größeren öffentlichen Aquarium bestimmt selbst auch schon gesehen haben. Von bunten Lichtern angestrahlt sind sie eine lebende Kunstinstallation, sie schweben sanft in Gruppen oder friedlich allein dahin, eine sich ständig verändernde lebende Lavalampe. Aber wenn Sie eine Qualle bei sich zu Hause haben wollen, brauchen Sie ein spezielles Aquarium, das mehrere Tausend Dollar kostet.

Das erschien Alex Andon nicht richtig. Er mochte Quallen, seit er sie als Teenager beim Segeln bei den britischen Jungferninseln gesehen hatte. Nach seinem Abschluss in Biologie an der Duke University im Jahr 2006 zog er wegen eines Jobs in der Biotechnologiebranche in die Nähe von San Francisco. Die Quallen faszinierten ihn mehr, was mit daran lag, dass die Bucht von San Francisco einer der besten Fangplätze für Quallen ist. Er beschloss, seinen Job hinzuschmeißen, um in der Garage eines Freundes eine Firma zu gründen und Spezialaquarien für Quallen zu bauen. Seine Firma, Jellyfish Art, wuchs schnell, und er verkaufte modifizierte Aquarien mit Spezialpumpen und speziellen Strömungsanlagen, die die Quallen von den Seitenwänden fernhielten. Er fand heraus, wie man Plankton für das perfekte Quallenfutter einfrieren und wie man kleine lebende Ohrenquallen per Post verschicken konnte.

Aber als Quallen als Haustiere immer beliebter wurden, beschloss Andon, ein völlig neuartiges Aquarium zu entwerfen, das von Anfang an für Quallen ausgelegt war. Es sollte ein Filtersystem haben, das eine laminare Strömung erzeugte, sodass es keine starken Strömungen gab, die für die Tiere gefährlich werden konnten, und um beste visuelle Effekte zu erzielen, sollte das Aquarium durch LEDs farbig beleuchtet werden. Die Farben wären per Fernsteuerung einstellbar. Das Aquarium wäre klein genug, um auf einen Schreibtisch zu passen, aber groß genug, dass vier Quallen großzügig Platz darin hatten.

Dazu musste er in größerem Maßstab in die Produktion einsteigen, was nicht billig werden würde. Er hatte den Punkt erreicht, an dem sich ein Unternehmer nach Finanzierungsmöglichkeiten umsieht. Ein Bankdarlehen war eine Möglichkeit, private Investoren eine andere. An beides kommt man nicht so ohne Weiteres heran, und beide bergen Risiken und bedeuten einen Kontrollverlust. Für ein Bankdarlehen musste Andon wahrscheinlich alles, was er besaß, als Sicherheit angeben, und er musste das Darlehen mit Zinsen zurückzahlen, während ein privater Investor ein beträchtliches Stück der Firma selbst würde haben wollen.

Es gab aber noch eine weitere Möglichkeit. In den letzten Jahren hat sich ein neues Phänomen verbreitet: das »Crowdfunding«. Dabei bringen Unterstützer und potenzielle Kunden gemeinsam das Geld auf, das für die Produktion der Ware gebraucht wird. Es gibt viele unterschiedliche Formen des »Crowdfunding«, von einer besseren Kaffeekasse bis zu formellen Darlehen von Menschen, keinen Banken.

Andon entschied sich für Kickstarter, eine Website, bei der Menschen Beschreibungen ihrer Projekte veröffentlichen und jeder einen Geldbeitrag beisteuern kann. Die meisten Unterstützer senden aber nicht einfach nur Geld. Ab einer gewissen Spendenhöhe geben sie praktisch eine Vorbestellung für das Produkt auf. Beim Desktop-Quallenaquarium bekamen Spender, die mindestens 350 Dollar gaben, als Erste ein Aquarium, sobald es verfügbar war, zu einem ermäßigten Preis.

Andon musste bei Kickstarter eine Mindestsumme angeben, die erzielt werden sollte. Wurde dieses Ziel innerhalb von 30 Tagen nach Veröffentlichung des Projekts erreicht, wurden die Kreditkarten derer, die sich bereit erklärt hatten, zu spenden, mit den jeweiligen Beträgen belastet. Andon bekam dann das Geld, und es wurde von ihm erwartet, dass er das Projekt auch durchzog. Wurde der Zielbetrag nicht erreicht, floss kein Geld, und Andon musste sich nach einer anderen Finanzierungsmöglichkeit umsehen. Er setzte den Zielbetrag bei 3000 Dollar fest.

In weniger als 24 Stunden hatte das Quallenaquarium dieses Ziel bereits erreicht. Bei diesem Betrag blieb es aber nicht. Durch Mundpropaganda und eine unbefriedigte Nachfrage nach Quallen meldeten sich immer mehr Geldgeber. Am Ende der 30-Tage-Frist waren insgesamt 130000 Dollar zusammengekommen, und 350 Menschen hatten eine Vorbestellung für ein Aquarium abgegeben. Andon war verblüfft und hocherfreut. Er hatte gehofft, dass viele Menschen Quallen bei sich zu Hause haben wollten, aber er hatte keine Möglichkeit gehabt, herauszufinden, ob es wirklich so war. Jetzt hatte er den Beweis: Die Menschen hatten über ihre Geldbeutel für sein Produkt abgestimmt.

Andon besaß nun das Startkapital für seine Produktion. Er hatte garantierte Abnehmer, und er wusste nun mit absoluter Sicherheit, dass die Welt das, was er herstellte, auch wollte. All das hatte er erreicht, ohne einen Teil seiner Firma hergeben zu müssen und ohne sich zu verschulden. Er hatte nur ein Video und eine Projektbeschreibung auf einer Website veröffentlicht.

Eine Subkultur des Risikokapitals

Kickstarter löst drei schwerwiegende Probleme für Unternehmer: Erstens verlagert es Einnahmen zeitlich nach vorne, genau dahin, wo sie am meisten gebraucht werden. Start-ups müssen normalerweise gleich am Anfang Geld aufbringen, um für die Produktentwicklung zu zahlen, für Maschinen, um Bauteile zu kaufen und für die Montage. Das Geld bekommen sie planmäßig später zurück, wenn die Produkte verkauft werden. Wenn aber diese Einnahmen nicht erst beim Verkauf, sondern schon durch bezahlte Vorbestellungen entstehen, und so funktioniert Kickstarter im Prinzip, dann steht das Geld zur Verfügung, wenn es gebraucht wird, und die Unternehmer müssen keine privaten Investoren mit an Bord nehmen oder ein Darlehen aufnehmen.

Zweitens macht Kickstarter aus Kunden eine Community. Wenn man ein Projekt unterstützt, macht man weit mehr, als nur ein Produkt vorzubestellen. Man setzt auch auf ein Team, das seinerseits seine Unterstützer durch Zwischenberichte auf dem Laufenden hält und auf Vorschläge in Kommentaren und Diskussionsforen während der Entstehungsphase des Produkts reagiert. Die Unterstützer fühlen sich so als Beteiligte am Projekt und werden zu Werbebotschaftern, die für eine virale Verbreitung des Projekts sorgen.

Darüber hinaus bietet Kickstarter das vielleicht Wichtigste für jedes neue Unternehmen: Marktforschung. Wenn ein Projekt die Zielvorgabe nicht erreicht, wäre es wahrscheinlich auch auf dem Markt durchgefallen. Diese Information zu bekommen, bevor man Zeit und Geld in die Entwicklung und Herstellung eines Produkts investiert hat, ist unbezahlbar, und es verringert eines der größten Risiken für jedes Start-up-Unternehmen, das sonst nur schwer einschätzbar ist.

Das ist äußerst sinnvoll, aber es war vor der Ankunft des Internets ganz einfach nicht möglich. Crowdfunding bietet eine Möglichkeit für Menschen, dazu beizutragen, dass ein Produkt, das sie unbedingt wollen, hergestellt wird. Jeder bezahlt nur das, was er ohnehin für das Produkt bezahlt hätte (und meistens sogar weniger). Aber dadurch, dass die Kunden früher bezahlen und die Ware später erhalten, beseitigen sie gemeinsam eine große Hürde für innovative Kleinunternehmer: das Startkapital.

Mehr noch, Kickstarter hilft dabei, diese Menschen zu finden, wo immer sie sind. Wie hätte man vor dem Internet herausfinden können, wo der Markt für Quallenaquarien liegt? Bei Menschen, die bereits ein Aquarium besitzen? Besitzern von Lavalampen? Menschen mit einer Vorliebe für kinetische Kunst? Bei keinem von ihnen, sondern bei einer vollständig neuen Klasse von Konsumenten, denen einfach die Vorstellung von einer Qualle auf ihrem Schreibtisch gefällt, die das aber erst merken, wenn jemand den Vorschlag macht. Wie hätte man so etwas herausfinden sollen? Und wie viel hätte es gekostet?

Durch Kickstarter und ähnliche Marktplätze haben diese Menschen die Chance, Ihr Projekt zu finden. Es ist soziales Kapital in Reinform. Oft erreicht die Nachricht über ein Projekt per Mundpropaganda die richtigen Empfänger auf völlig unvorhersehbaren Wegen. Die Übertragungsmethoden selbst sind recht alltäglich: E-Mail, Twitter, Facebook und andere soziale Medien. Aber um wie viele Ecken herum diese Nachricht ihre Empfänger erreicht, darin liegt die wahre Magie. Darin drückt sich das latente Wissen über die Wünsche der Menschen aus, das nur durch eine Kombination erreicht werden kann aus persönlichen Kontakten und einer Idee, die so überzeugend ist, dass sie verbreitet wird (Sozialwissenschaftler nennen dies Memetik).

Wie haben Sie zum ersten Mal von einem Kickstarter-Projekt gehört (vorausgesetzt, Sie haben von einem gehört)? Hat ein Freund Sie darauf aufmerksam gemacht, weil er glaubte, es könne Sie interessieren? Über einen Feed, den Sie abonniert haben? Über eine Nachrichtenmeldung in einem Bereich, den Sie verfolgen?

Ausschlaggebend ist, dass Sie wahrscheinlich nicht zu Kickstarter gegangen sind und danach gesucht haben. Es hat sie gefunden. Und wenn Sie darauf reagiert haben, dann waren Sie das richtige Zielpublikum, obwohl das im Voraus niemand hätte erraten können. Bei Kickstarter geht es also nicht nur darum, eine Finanzierung zu vermitteln, sondern es geht auch um Marktforschung. Dabei wird oft Bedarf aufgedeckt, den niemand sonst gefunden hätte.

Maker versus multinational

Am 12. April 2012 gab Sony mit dem üblichen großen Brimborium die US-Veröffentlichung seiner neuen Smartwatch bekannt, einem sexy 150-Dollar-Spielzeug, mit dem man über eine Bluetooth-Verbindung zum Handy SMS, E-Mails und Statusupdates vom Handgelenk ablesen kann. Früher hätte so etwas Schlagzeilen gemacht (»Sony erobert die Handgelenke«), aber die Nachricht wurde kaum zur Kenntnis genommen. Warum? Weil einen Tag vorher ein kleines Start-up-Team aus Ingenieuren und Hardwarehackern, die im Erdgeschoss des Wohnhauses ihres Firmengründers in Palo Alto arbeiteten, seine eigene Armbanduhr bei Kickstarter angekündigt hatte … und sie ganz einfach besser war!

Das Kickstarter-Projekt namens Pebble hatte im Gegensatz zum OLED-Farbdisplay von Sony ein gestochen scharfes, sonnenlichttaugliches E-Paper-Display. Farbige Darstellung wird bei Computerbildschirmen bevorzugt, aber bei Armbanduhren bedeutet sie schlechtere Lesbarkeit im Sonnenlicht, eine kürzere Lebensdauer der Batterie, und man muss auf einen Knopf drücken oder die Uhr bewegen, damit die Uhrzeit angezeigt wird, ähnlich, wie es bei den ersten LED-Uhren in den 1970er-Jahren der Fall war. Im Gegensatz zur Sony-Uhr, die nur mit Android-Handys funktionierte, funktionierte Pebble auch mit dem iPhone, und obwohl die Sony-Uhr in Europa schon seit Monaten verkauft wurde, gab es für Pebble mehr Apps. Außerdem wurde Pebble für 115 Dollar verkauft, fast 25 Prozent billiger als das Sony-Produkt.

Ein paar Maker-Unternehmer hatten beim Design, bei der Vermarktung und beim Preis einen der größten Elektronikkonzerne der Welt übertroffen. Und dank Kickstarter waren sie gerade dabei, Sony auch noch bei den Verkaufszahlen zu schlagen.

Das Pebble-Team gab bei Kickstarter eine Zielsumme von 100000 Dollar an. Sie wurde in knapp zwei Stunden erreicht (ich war einer der ersten Unterstützer). Und es wurde immer mehr. Am Ende des ersten Tages war die Eine-Million-Marke erreicht. Nach der ersten Woche hatte Pebble den bisherigen Kickstarter-Rekord von 3,34 Millionen Dollar gebrochen. Nach etwas mehr als zwei Wochen hatte Pebble bereits Finanzierungszusagen in Höhe von über zehn Millionen Dollar und Vorbestellungen für 85000 Uhren. An diesem Punkt erklärte das Team das Produkt für ausverkauft und stieg in ein Flugzeug nach Hongkong, um herauszufinden, wie sie eine derart riesige Stückzahl an Elektronikprodukten eigentlich herstellen konnten. (Sie hatten zwar früher schon Smartwatches hergestellt, aber von der erfolgreichsten hatten sie gerade einmal 1500 Stück verkauft.) Noch vor Ablauf der Monatsfrist bei Kickstarter hatte Pebble bereits den erfolgreichsten Verkaufsstart einer Smartwatch aller Zeiten hingelegt, noch bevor die erste Uhr auch nur die Fabrik verlassen hatte.

Besonders interessant am Pebble-Phänomen bei Kickstarter war die Reaktion des Designteams auf die Kundenmassen. Als Erstes baten die Unterstützer um eine verbesserte Wasserdichtigkeit. Also fand das Pebble-Team einen Weg, wie man die Uhr wasserdicht genug zum Schwimmen machen konnte. Dann baten die Nutzer um die Verwendung von Bluetooth 4.0, das weniger Energie verbraucht, anstelle des ursprünglich geplanten Bluetooth 2.0 (oder Sonys 3.0). Also machte sich das Team, ermutigt durch die Flut von Bestellungen, auf die Suche nach den passenden 4.0-Modulen, fand schließlich eine Bezugsquelle, verhalf der Uhr so zu einer höheren Batterielebensdauer und machte sie zukunftssicherer. Andere Kickstarter-Projekte begannen auf den Zug aufzuspringen und kündigten neue Apps für Pebble an. Eine davon sollte Nachrichten von Twine, einem Vertreter des »Internets der Dinge«, auf Pebble anzeigen, sodass man ablesen konnte, wenn jemand zu Hause an die Tür klopfte.

Bei Drucklegung hatte Pebble die Uhren noch nicht ausgeliefert (sie sind für Anfang 2013 angekündigt), und Schwierigkeiten bei der Produktion könnten den Verkaufsstart noch verhindern oder zumindest verzögern. Aber auch so ist Pebble offensichtlich ein überlegenes Modell: Ein kleines Team finanziert sich über Crowdfunding und ist so in jeder Hinsicht – Forschung und Entwicklung, Finanzierung, Marketing – schneller als ein schwerfälliger Elektronikriese. Natürlich waren das keine blutigen Amateure, die ihr erstes Projekt verwirklichten. Das Pebble-Team hatte schon drei Jahre lang zusammengearbeitet und bereits eine Smartwatch für BlackBerry-Telefone finanziert und ausgeliefert (die sich nicht so gut verkaufte). Aber die Firma war dennoch ein Start-up mit über 20 Gründern, die ständig improvisierten und ihre Prototypen mit 3-D-Druckern und Open-Source-Prozessorboards von Arduino herstellten, wie viele andere Maker auch. Kickstarter verhalf dieser kleinen Firma über Nacht zum Durchbruch als viralem Hit – und zu ein bisschen Geld obendrein.

Die Zukunft der Finanzierung?

Heute ist Crowdfunding sehr verbreitet und verbreitet sich immer weiter. Inzwischen nimmt man sogar an der Wall Street und im Weißen Haus davon Notiz. Bei der nächsten Stufe des Crowdfunding wird man nicht mehr nur Geld spenden oder ein Produkt vorbestellen können, sondern man wird direkt in das Unternehmen selbst investieren. Für diese Art von Investitionen gibt es in den Vereinigten Staaten aber strenge Vorschriften der Börsenaufsicht (eigentlich zum Schutz kleiner Investoren gedacht), und sie ist normalerweise akkreditierten Profiinvestoren vorbehalten.

Paul Spinrad behandelt dieses Thema in einer Analyse für O’Reilly:

»Diese Gesetze wurden erlassen, um arglose Investoren vor Betrug zu schützen, aber sie verhindern auch, dass Menschen in kleine Unternehmen in ihrer Nachbarschaft investieren oder in Garagenfirmen, die aus Interessengemeinschaften heraus entstehen, zu denen sie gehören. Gänzlich unberücksichtigt bleibt dabei, dass persönliche Bindungen zu einer Investition eine bessere Grundlage für eine Risikoeinschätzung darstellen können (und zu ihrem Erfolg beitragen können) als ein ganzer Stapel Rechenschaftsberichte an die Börsenaufsicht, die sich irgendwo in einem Büro jemand aus den Fingern saugt. Und so hat im Namen des Investorenschutzes die Investmentbranche also ein Monopol auf das komplette Investmentvermögen aller Nicht-Millionäre in den Vereinigten Staaten. Menschen können nicht in andere Menschen investieren, die sie persönlich aus ihrer eigenen Umgebung kennen. Sie können für eine Geldanlage nur unter vorausgewählten Investmentprodukten wählen, die nur überregionale Großunternehmen berücksichtigen.«42

Verschiedene Unternehmer, führende Technologieanbieter und sogar Prominente wie Whoopi Goldberg haben Petitionen beim Kongress eingereicht, dass diese Regelung überarbeitet und eine Möglichkeit für Privatanleger geschaffen werden soll, kleine Geldbeträge (weniger als 10000 Dollar oder zehn Prozent des Einkommens des Investors aus dem vorangegangenen Jahr) in Firmen zu investieren, an die sie glauben.

Washington hörte zu. Im April 2012 war Crowdfunding Teil von Präsident Obamas Jumpstart Our Business Startups (JOBS) Act, der auch in Kraft trat. Dieses Gesetz erleichtert es kleinen Unternehmen, geregelte webbasierte Crowdfunding-Sites, wie RocketHub, Crowdfunder und Launcht, zu nutzen, um bis zu einer Million Dollar an Investitionsgeldern von normalen Menschen anzunehmen, nicht nur ausgebildeten Investoren von der Wall Street, ohne die aufwendigen Bilanzierungs- und Veröffentlichungsvorschriften einhalten zu müssen, die für börsennotierte Unternehmen sonst gelten.43 Es gibt zwar Bedenken, dass eine solche eigenkapitalbasierte Finanzierung (im Gegensatz zu einfachen Vorbestellungen und einer Finanzierung durch Spenden) zu Betrugsfällen führen könnte, aber man hofft, dass die Regulierung der Websites durch die Börsenaufsicht statt durch die Firmen selbst die Selbstregulierung der Branche unterstützen wird. Und weil es insgesamt nur um kleine Beträge geht, halten sich die potenziellen Schäden im Rahmen.

Ziel der Initiative ist es, einen Wirtschaftsmotor anzuwerfen, der Innovationen vorantreiben kann, während sich die herkömmliche Industrie gleichzeitig zurückzieht. Dominic Basulto drückte es in einem Kommentar für die Washington Post so aus:

»In Amerika entsteht derzeit eine einzigartige Subkultur aus risikofreudigen Investoren, die viele Ökonomen gar nicht richtig zur Kenntnis nehmen. Die wirtschaftlichen Kennzahlen deuten bei traditioneller Deutung darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum in diesem Land stagniert. Doch eben diese traditionelle Sichtweise ignoriert die wirtschaftliche Aktivität auf DIY-Sites wie Kickstarter.«44

Soziales Kapital

Ich möchte noch einmal das Beispiel mit den Quallen heranziehen, um zu zeigen, worin die besondere Stärke dieses Modells besteht. Andons Entscheidung für eine Finanzierung seines Projekts auf Kickstarter-Art statt durch eine Bank oder einen traditionellen Investor eröffnete ihm einige Vorteile:

  1. Er bekam Geld, ohne Zinsen dafür zahlen oder einen Teil seiner Firma hergeben zu müssen.
  2. Der Finanzierungsprozess war gleichzeitig ein erster Test des Produkts auf dem freien Markt. Wenn es ihm nicht gelungen wäre, den Zielbetrag einzuwerben, hätte sich das Aquarium wahrscheinlich auch nie verkauft. Das Geld direkt von den zukünftigen Kunden einzuwerben erhöht die Chancen, dass das Produkt nach der Markteinführung ein Erfolg wird.
  3. Die öffentliche Spendensammlung erregte die Aufmerksamkeit vieler Medien, von beliebten Blogs bis zum Fernsehsender NBC, und war somit kostenlose Werbung. Eine Schwarmfinanzierung fördert die Verbreitung durch Mundpropaganda.

Crowdfunding ist das Risikokapital der Maker-Bewegung. Als die Produktionsmittel demokratisiert wurden, entstand ein neuer Produzententyp, und ebenso entsteht durch die Demokratisierung der Kapitalbeschaffung ein neuer Investorentyp. Es wird nicht mehr in eine Firma investiert, sondern in ein Produkt, genauer gesagt in eine Produktidee. Diese neuen Investoren erwarten auch keine finanziellen Gewinne, sondern sie erwarten, durch das Produkt entschädigt zu werden, indem sie es entweder tatsächlich erhalten (weil sie genug gespendet haben) oder in Form eines emotionalen Gewinns durch die Gewissheit, mit dazu beigetragen zu haben, dass das Produkt Realität wurde.

Die Projektleiter bei Kickstarter »erschaffen im Licht der Öffentlichkeit« und verwandeln dadurch reine Produktentwicklung in Marketing. Der Entwickler veröffentlicht eine Idee und informiert dann regelmäßig über die Fortschritte bis zur Fertigstellung. Unterstützer kommentieren, und der Entwickler reagiert, indem er das Produkt anhand der Anregungen weiterentwickelt. Im Verlauf dieses öffentlichen Austauschs wird Geld gesammelt, aber vor allem entsteht ein Kundenstamm für das Produkt. Die Kunden stehen nicht nur hinter dem Produkt, weil sie Geld reingesteckt haben, sondern weil sie das Gefühl haben, an seiner Entstehung beteiligt gewesen zu sein. Etwas in aller Öffentlichkeit zu erschaffen ist eine unglaublich effektive Form der Werbung, für die man nicht einmal unbedingt bezahlen muss, sondern sogar noch Geld bekommen kann.

Das soll die Werbebranche erst einmal nachmachen!

Die ganze Sache macht aber auch noch richtig Spaß. Sarah Dopp erläutert das bei Culture Conductor, dem Blog einer Internet-Community:

»Die magische Erfolgsformel von Kickstarter besteht vor allem darin, dass auf der Website aus der Geldbeschaffung ein Spiel wurde, mit folgenden Spielregeln:

1. Legen Sie einen Stichtag fest. Machen Sie den Leuten klar, dass diese Kampagne nur für eine begrenzte Zeit läuft.

2. Legen Sie eine Zielsumme fest: ›Wenn wir diesen Betrag nicht erreichen, haben wir nicht genug Geld, um das Projekt umzusetzen.‹

3. Halten Sie den Stichtag und den Zielbetrag strikt ein. Die Kampagne ist am Stichtag ZU ENDE, und wenn der Zielbetrag nicht erreicht wird, wird aus dem Projekt nichts. (Hier ist Kickstarter besonders nützlich: Sie setzen die Spielregeln mit harter Hand durch und machen sich unbeliebt, während Sie die sympathische Rolle übernehmen und die Menschen begeistern können.)

4. Richten Sie verschiedene Spendenstufen ein und versprechen Sie den Leuten unterschiedliche Prämien für die jeweiligen Stufen.

5. Die Spendensammler behalten die vollen Eigentumsrechte an ihren Projekten. (Hier wird nicht investiert, sondern gesponsert. Es geht dabei um Vorverkäufe und um Großzügigkeit.)«45

Selbstverständlich gibt es dabei Risiken. Es gibt keine Garantie, dass der Unternehmer das Produkt tatsächlich herstellt oder dass es die Erwartungen erfüllen wird. Es werden auch keine Aussagen dazu getroffen, wie lange es dauern wird. Und wenn der Unternehmer das Projekt an die Wand fährt oder einfach verschwindet, gibt es auch keinen einfachen Weg, damit die Spender ihr Geld zurückerhalten. Streng genommen spenden Sie das Geld für einen guten Zweck. Man hat Ihnen zwar versprochen, dass Sie dafür ein Produkt erhalten, aber es gibt keinen rechtsverbindlichen Vertrag, der Ihnen das garantiert.

Kickstarter und viele ähnliche Websites (unter anderem Indegogo, RocketHub und Funded By Me) verlassen sich auf Transparenz und die Fähigkeit der Internetnutzer, die Risiken selbst einzuschätzen und sich vor Betrug oder Stümperei zu schützen. Den Unterstützern wird geraten, sich auf ihr eigenes Urteil zu verlassen, aber einen eigenen Schutz bieten diese Crowdfunding-Sites nicht an. Den angehenden Geldgebern wird geraten:

»Jeder Initiator erstellt sein Projekt selbst, und er muss überzeugend darlegen, dass er sein Projekt auch erfolgreich umsetzen kann. Jeder Initiator eines Projekts muss das Vertrauen seiner Geldgeber gewinnen, vor allem, wenn die Geldgeber ihn nicht persönlich kennen.

Im Internet kann man sehr viel über frühere Erfahrungen eines Projektinitiators herausfinden. Wenn jemand bisher keine nachweisliche Erfahrung in einem dem Projekt ähnlichen Bereich hat oder ungern Auskünfte erteilt, sollten Geldgeber dies bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, dann ist es wahrscheinlich auch nicht wahr.«

Würde Kickstarter Firmen dabei helfen, Geldmittel aufzutreiben, würde es der Kontrolle der Börsenaufsicht unterliegen, und alle möglichen Vorschriften und Schutzmaßnahmen würden greifen. Aber Kickstarter eröffnet Menschen lediglich eine Gelegenheit, Geld für einen guten Zweck beizusteuern, in diesem Fall die Entwicklung eines Produkts, das sie haben wollen. Man unterstützt dabei nicht einmal ein Unternehmen, sondern nur ein bestimmtes Projekt.

Damit werden auf elegante Weise zahlreiche Hürden umgangen, durch die viele kleine Firmen und Erfinder nicht genug Startkapital aufbringen können. Niemand steuert mehr Geld bei, als er oder sie sich leisten kann, und in der Regel unterstützen Menschen nur Produkte, die sie selbst haben wollen und verstehen.

Zweifellos wird es dabei noch einige große Probleme geben. Es wird wohl einige naive Erfinder mit einer guten Idee, aber ohne jegliche Erfahrung mit der Herstellung von Produkten geben, die feststellen, dass sie den Preis für ihr Produkt viel zu niedrig angesetzt haben und es zum angegebenen Preis unmöglich herstellen können. Teams könnten sich auflösen, persönliche Probleme könnten auftreten, und ein paar Leute werden einfach einen Rückzieher machen. Und dann sind da noch die unvermeidlichen Betrüger. Aber bisher wurden durch Transparenz und die damit verbundene soziale Unterstützung und Verantwortlichkeit die üblichen Katastrophen vermieden. Und dieser Bereich wächst mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit.

Im Mai 2012, drei Jahre nach der Gründung der Plattform, waren bei Kickstarter insgesamt über 47000 Projekte vorgestellt worden. Über 40 Prozent von ihnen waren erfolgreich und erzielten insgesamt 175 Millionen Dollar.46 Mehr als 10000 Projekte erreichten ihre Zielbeträge, und so flossen 60 Millionen Dollar an die Initiatoren der Projekte. Meistens waren es nur wenige Tausend Dollar für Musik, Film oder andere Kunstprojekte (für die Kickstarter ursprünglich gedacht war), aber es waren auch Hunderte erfolgreiche materielle Produkte dabei. Zwei Dutzend solcher Projekte, wie das Quallenaquarium, erzielten jeweils über 100000 Dollar.

Zu den weiteren Beispielen gehört Scott Wilson, ein ehemaliger Creative Director bei Nike. Bei seinen Verbindungen brauchte er kein Crowdfunding, um seine Idee umzusetzen: ein spezielles Armband, das aus einem iPod nano eine Armbanduhr machte. Aber er entschied sich dennoch für diesen Weg, weil er die direkte Rückmeldung und die Einfachheit des Kickstarter-Prozesses nutzen wollte. Die Projektbeschreibung für sein TikTok + LunaTik brachte ihm fast eine Million Dollar ein. 60 Tage nach dem Ende seiner Finanzierungsaktion bei Kickstarter im Dezember 2010 hatte Wilson über 20000 Uhrengehäuse ausgeliefert.

Wilson vermied auf diese Weise den langwierigen Weg der Produktentwicklung in einem Unternehmen: nicht enden wollende Genehmigungsverfahren, die meist Altbewährtes gegenüber echter Innovation begünstigen. Carlye Adler drückte es in Wired so aus:

»Erfinden Sie eine bessere Mausefalle, und die Welt rennt Ihnen die Tür ein. Das ist eine nette Vorstellung, die Generationen von amerikanischen Erfindern inspiriert hat. Die Wirklichkeit wird dieser Vorstellung allerdings nicht ganz gerecht. Erfinden Sie eine bessere Mausefalle, und wenn Sie richtig viel Glück haben, wird ein Unternehmen sie sich mal ansehen, sie Dutzenden von Komitees vorlegen, den Entwurf ein bisschen abändern, damit die Produktion billiger wird, bis schließlich das Marketing-Team entscheidet, ob sie sich profitbringend verkaufen lässt. Wenn Ihre Mausefalle dann endlich in die Läden kommt, ist sie wahrscheinlich bis zur Unkenntlichkeit verfeinert und angepasst worden.«47

Peter Dering, ein Bauingenieur und damals werdender Vater, hatte eine Idee für ein Gerät namens Capture, mit dem man ganz einfach einen Fotoapparat an seiner Kleidung oder einem Rucksack festklemmen konnte. Auch er hätte seine Idee einem Hersteller für Fotozubehör unterbreiten können. Stattdessen beschloss er, es allein durchzuziehen. Sein Projekt bei Kickstarter brachte ihm von mehr als 5000 Unterstützern 365000 Dollar ein. Er schrieb, dies »veränderte mein Leben. Am 2. Mai 2011, als ich Capture ins Leben rief, war ich ein einzelner Mann mit einem Traum. 75 unglaubliche Tage später war ich ein Vater mit einer eigenen Firma.«

Eine Open-Source-Taschenlampe brachte es auf 260000 Dollar. Ein Füllfederhalter aus rostfreiem Stahl erzielte 282000 Dollar, eine Campinghängematte 209000 Dollar. Und bei Hunderten mehr Projekten war es ähnlich. (Ich selbst habe alles Mögliche unterstützt, von einer dreisaitigen Gitarre für Kinder bis zur Desktop-CNC-Maschine.) Kickstarter ist unter Erfindern inzwischen die beliebteste Methode zur Geldbeschaffung überhaupt, oder zumindest bei denen, die ein Video und eine Beschreibung ihrer Vision zusammenstellen können, die Menschen dazu bringen, sie finanziell zu unterstützen.

Die Bank wider Willen

Kickstarters Anfänge liegen weit vor seiner Gründung im Jahr 2009. Perry Chen lebte im Jahr 2002 im French Quarter von New Orleans, arbeitete an seiner eigenen elektronischen Musik und träumte davon, eine große DJ-Show mit den österreichischen DJs Kruder und Dorfmeister zu veranstalten. Das Problem war nur, dass ihn das 15000 Dollar im Voraus gekostet hätte. Heute sind Kruder und Dorfmeister in der DJ-Szene zwar Stars, aber damals waren sie es noch nicht. Was war, wenn niemand kam? Chen wäre total ruiniert.

Wegen des Risikos beschloss er, das Konzert nicht zu veranstalten, aber er hörte nicht auf, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Alles halbwegs Neue ist riskant, aber es gibt nur wenige Menschen, die ein größeres finanzielles Risiko tragen können. Was wäre, wenn man die Leute einfach im Voraus bezahlen lassen würde (keine wirklich radikale Idee; immerhin funktionieren die meisten Konzerte heute über Vorverkäufe), man die Show aber vor allem nicht veranstalten müsste, wenn nicht genug Karten verkauft wurden? Auf diese Weise müsste der Organisator gar kein Geld ausgeben, und die Bands würden nur dort auftreten, wo man sie auch wirklich haben wollte.

Wenige Jahre später war Chen nach Brooklyn gezogen und bediente in einem Szenelokal namens »Diner«. Dort kam er mit Yancey Strickler ins Gespräch, einem Stammgast, und erzählte ihm von seiner Idee. Vor der Verbreitung des Internets war es zwar theoretisch clever, Bedarf aufzuspüren und Projekte vorzufinanzieren, doch es war praktisch unmöglich. Aber mit dem Internet war es einen Versuch wert. Strickler war begeistert (Chen erzählte Adler, es sei »die beste Idee gewesen, die ihm ein Kellner in jenem Jahr unterbreitete«), und die beiden beschlossen, eine Website einzurichten und es auszuprobieren.

Heute ist Kickstarter eine mehrere Millionen Dollar schwere Internetfirma, die an ihren Indie-Wurzeln festhält, so gut sie kann. Das Firmengebäude unter der Adresse 155 Rivington Street in der Lower East Side von Manhattan macht optisch nicht viel her. Auf dem einzigen Schild an der Frontseite steht in goldenen Buchstaben UNDERWEAR (ein ehemaliger Mieter). Der Eingangsbereich erinnert an ein Gruppenhaus.

Chen und Strickler ist der Aufstieg von Kickstarter zum Finanzierungsmotor für materielle Güter noch immer ein wenig unangenehm. Ursprünglich hatten sie Kickstarter vor allem für Musik- und Filmprojekte gedacht, denen die Plattenfirmen und Hollywood keine Chance gaben, sowie für Kunst, Theater, Comicbücher und Mode. Hauptziel war es, Kreativität zu finanzieren, aber immer mehr Kreative interessierten sich für die Herstellung materieller Güter. Es war schwer, da eine Grenze zu ziehen, und daher ließen sie es bleiben. Ein 25-köpfiges Team sichtet Projekte, bevor sie veröffentlicht werden, aber die Projekte werden vor allem aufgrund der Qualität der Beschreibungen ausgewählt, und weniger aufgrund des künstlerischen Wertes. Die größten Projekte bei Kickstarter sind aber wohl oder übel Konsumgüter. Die Plattform befriedigt einfach einen Bedarf, der die ganze Zeit schon bestand und nur darauf wartete, dass jemand auf ihn zurückgreift.

Stimmberechtigtes Kapital

Bei allem egalitären Anspruch von Kickstarter sind die Initiatoren eines Projekts, wenn es einmal finanziert ist, bei der eigentlichen Umsetzung ganz auf sich gestellt. Und sie stellen dann schnell fest, dass die Idee der leichtere Teil war. Lieferkettenmanagement und Herstellung sind sehr viel schwieriger, ganz zu schweigen von der Leitung einer kleinen Firma an sich. Was wäre aber, wenn eine Community bei der Entscheidung helfen würde, welche der von Nutzern eingereichten Produktideen umgesetzt werden, wie bei Kickstarter, dann aber ein Team von Profis aus der Produktentwicklung die Umsetzung begleitete und sich um alle kniffligen Produktionsfragen kümmerte?

Das ist, zusammengefasst, das Modell von Quirky, das etwa zur selben Zeit an den Start ging wie Kickstarter und genauso schnell wächst.

Der Gründer von Quirky, Ben Kauffman (gerade 24 Jahre alt) begann seine Karriere in seinem Abschlussjahr an der Highschool. Damals überredete er seine Eltern dazu, eine zweite Hypothek auf ihr Haus aufzunehmen, um die Gründung seiner Firma »mophie« zu finanzieren, mit der er iPod-Zubehör entwickelte und herstellte. Er verkaufte die Firma im Jahr 2007, und als nächstes Projekt erstellte er eine Website, auf der Menschen über Produktkonzepte abstimmen und Vorschläge einreichen konnten, wie diese Konzepte weiter verbessert werden konnten. So wie sie war, wurde diese Website kein Erfolg, aber sie bildete das Fundament für Quirky, das beide Ideen miteinander verband: Sie nutzte den Schwarm, um bessere Produkte zu entwickeln, wie eben iPod-Zubehör.

Fairerweise sei gesagt, dass Quirky heute sehr viel mehr leistet. Jede Woche gehen dank Quirky zwei neue Produkte in Produktion, die von der Quirky-Community entwickelt wurden. Meist sind es praktische »Haushaltshelfer«, ausziehbare Handtuchhalter und Ordnungshilfen für den Kleiderschrank, die meistens für unter 50 Dollar angeboten werden. Bei Bed Bath & Beyond, einer großen amerikanischen Kette von Einrichtungshäusern, gibt es eigene Quirky-Regale. Die Produkte sind nicht revolutionär, aber meistens gut durchdacht, optisch ansprechend und tatsächlich nützlich. Wenn man die Produktliste durchliest, findet man eigentlich immer etwas, das man gebrauchen könnte.

Das aktuell angesagte Produkt bei Quirky ist »Pivot Power«, eine flexible Steckerleiste. Sie funktioniert wie eine normale Steckerleiste, aber jeder einzelne Steckplatz ist drehbar, sodass sperrige Netzteile angrenzende Steckplätze nicht mehr blockieren. Jake Zein, ein Softwareprogrammierer aus Milwaukee in Wisconsin, hat sie entworfen, und sie ist ein typisches Quirky-Produkt: Sie ist clever, löst offensichtlich ein Problem, hat ein elegantes Design und ist prinzipiell verzichtbar. Sie ist so ein Ding, das man im Laden sieht und dann denkt: »Ja genau, ich hasse es, wenn ich nicht alle Steckplätze in der Steckerleiste gleichzeitig benutzen kann.« Man bewundert das Design und kauft vielleicht eins. Man braucht es nicht, aber wenn man es irgendwo sieht, will man es doch haben.

Das ist kein Zufall. Die Produkte von Quirky durchlaufen jeweils ein öffentliches Prüfverfahren in mehreren Stufen. In jeder Stufe werden schlechte Ideen aussortiert und gute Konzepte weiter verbessert. An jedem Quirky-Produkt sind Hunderte von Menschen beteiligt, die entweder die ursprüngliche Idee einbringen, einige Veränderungen vorschlagen oder darüber abstimmen, welche Variante ihnen am besten gefällt. Umso überraschender ist, dass sie alle bezahlt werden, vom ursprünglichen Initiator der Idee bis zu jedem anderen, der das Projekt »beeinflusst« hat, und sei es nur durch die Abgabe einer Stimme für den erfolgreichen Entwurf.

In den meisten Fällen geht es nur um Cent-Beträge, aber der ursprüngliche Erfinder verdient unter Umständen Tausende von Dollars. Keine Millionen, aber mehr als nichts. Und sie müssen gar nicht viel dafür tun: Sie müssen nur ihre Idee beschreiben und ein paar Zeichnungen einreichen. Insgesamt gehen 30 Prozent der Verkaufserlöse bei Quirky.com und zehn Prozent der Erlöse von Handelspartnern an die Community. Von diesem Betrag gehen 35 Prozent an den Erfinder. Der Rest wird unter den anderen aufgeteilt, die einen erfolgreichen Entwurf verbessert oder ausgewählt haben.

Und so funktioniert es:

  • Jeder kann eine Idee einreichen, aber es kostet zehn Dollar. Damit sollen Spammer und Spinner abgeschreckt werden.
  • Community-Mitglieder stimmen für Ideen, die ihnen gefallen, und kommentieren sie.
  • Die beliebtesten Ideen kommen in die nächste Runde: die Entwurfsphase. Sowohl der Erfinder als auch die Profis von Quirky reichen Entwürfe ein. Der Entwurf, der die meisten Stimmen bekommt, gewinnt.
  • Über den Produktnamen, Werbeslogan, Funktionsumfang und andere Fragen rund um das Produkt wird jeweils gesondert abgestimmt (beziehungsweise darauf »Einfluss« genommen).
  • Die Ingenieure von Quirky optimieren den erfolgreichen Entwurf für die Produktion und arbeiten mit einer Fabrik zusammen, die das Produkt herstellt.

Überall bei Quirky gibt es Countdown-Uhren und Wettbewerbe wie bei Kickstarter – das Ganze fühlt sich an wie ein Spiel. Man braucht nicht einmal eine eigene Idee, um teilnehmen zu können und das Gefühl zu haben, Dinge zu erschaffen oder zumindest zu verbessern. Für jeden ist etwas dabei, egal, ob man gut mit Worten umgehen kann (Produktnamen und Werbeslogans) oder eher visuell denkt (Design). Manche machen bei Dutzenden von Projekten mit und verdienen unter Umständen Tausende Dollar. Angeblich kann man sogar süchtig danach werden. Man trägt selbst dazu bei, dass Ideen immer weiter verbessert werden, und gleichzeitig ist es ein Glücksspiel, bei dem man auf ein Produkt setzt, für das man abstimmt, und hofft, dass es auch tatsächlich hergestellt und ein großer Erfolg wird.

Im Kern ist die Quirky-Community nichts anderes als schwarmbasierte Marktforschung. Durch die vielen Rückmeldungen in jedem Stadium des Prozesses reduziert Quirky das Risiko. Das Produkt, das die meisten Stimmen erhält, ist auch das Produkt, das sich wahrscheinlich am besten verkauft. Dadurch können sich die Ingenieure und Designer von Quirky auf die Produkte konzentrieren, für die sich die Arbeit voraussichtlich am meisten lohnt. Wie bei Kickstarter müssen die Produkte auch bei Quirky vor der Herstellung erst einen Vorverkaufsprozess durchlaufen, durch den sichergestellt wird, dass nur die Produkte mit einer gewissen Zahl an Abnahmegarantien hergestellt werden. (Die Kreditkarten der Kaufwilligen werden nur belastet, wenn das Produkt tatsächlich in Produktion geht.)

So funktioniert die Maker-Bewegung auch für Menschen, die sich die Hände selbst nicht schmutzig machen wollen. Sie können an jeder Phase der Entstehung eines Produkts teilhaben, ohne den Prototyp selbst herstellen zu müssen. Die vorbereitenden physischen Arbeiten werden in den Büros von Quirky durchgeführt, die mit einem hochwertigen 3-D-Drucker und einer ganzen Reihe anderer numerisch gesteuerter Werkzeuge zur Herstellung von Prototypen ausgestattet sind. Am Ende hergestellt werden die Produkte von Geschäftspartnern von Quirky, vor allem in China. Die Community kann das endgültige Produkt beeinflussen, aber sie hat keine vollständige Kontrolle darüber. Im Endeffekt hilft die Community nur einem professionellen Designteam dabei, schneller und besser zu arbeiten. Und im Gegenzug teilt das Designteam das Geld und den Ruhm mit der Community.

Industrialisiertes Handwerk

Am anderen Ende des Spektrums steht Etsy, der bei Weitem größte Maker-Markt unter den dreien, die ich hier vorstelle. Die Plattform wurde im Jahr 2005 gestartet. Sie hat inzwischen über 15 Millionen Mitglieder, und sie hat im Jahr 2011 eine halbe Milliarde Dollar Umsatz gemacht. Im April 2012 hatte die Firma 300 Angestellte, und pro Monat verkauften dort 875000 Verkäufer Waren im Wert von 65 Millionen Dollar an 40 Millionen Besucher aus aller Welt.48 Mit einem geschätzten Wert von 688 Millionen Dollar nach sechs Jahren erinnert der Aufstieg von Etsy stark an den von eBay in den frühen 1990er-Jahren: ein schnell wachsender Marktplatz für den Long Tail der Dinge.

Bei Etsy werden handgefertigte Waren verkauft. Ja genau, bisher geht es bei Etsy nur um Kunst und Handwerk in epischen Ausmaßen. Die Bandbreite ist unglaublich und reicht von den schönen Künsten bis zu Stickbildern, mit jeder Menge Schmuck und modischen Eintagsfliegen dazwischen. Jedes Produkt wird von jemandem hergestellt (den Richtlinien von Etsy zufolge muss alles auf irgendeine Weise von Hand gefertigt sein, auch wenn Maschinen eingesetzt werden dürfen).

Ich habe dort schon alles gekauft, von coolen Panda-Aufklebern für das MacBook meiner Töchter bis zu fantastischen Siebdrucken von Namen von Wissenschaftlern und Symbolen im Stil von Rockpostern, die jetzt an der Wand meiner Werkstatt hängen. (Tesla und Bohr gefallen mir besonders.) Alle meine Angestellten im Büro haben bei Etsy eingekauft: Schmuck, Buchstützen, Möbel, Kleidung. Die Plattform befriedigt das Bedürfnis einer Generation nach Individualität und Authentizität – echte Dinge von echten Menschen, nicht in Plastik eingeschweißte Kultur von Unternehmen. Etsy-Sachen sind manchmal atemberaubend und manchmal einfach nur seltsam (eine ganze Website, namens Regretsy, ist nur den bizarrsten Kuriositäten gewidmet, die man bei Etsy kaufen kann), aber sie sind auf jeden Fall einzigartig. Wenn man etwas sucht, das von einem Menschen hergestellt wurde und nicht von einer Maschine, dann ist Etsy eine Goldmine.

Im Gegensatz zu Kickstarter oder Quirky unterstützt Etsy Maker nicht bei der Geldbeschaffung oder Entwicklung ihrer Produkte. Die Website bietet einfach nur eine Möglichkeit, die Produkte zu verkaufen, mit einem starken gemeinschaftlichen Element, da der Fokus auf handgefertigten Waren liegt und auf der Kunst- und Handwerkerszene, die sie herstellt. Wie eBay bietet Etsy den Verkäufern eine einfache Möglichkeit an, eigene Einträge zu erstellen, und regelt den Bezahlvorgang. Für jeden Eintrag über vier Monate berechnet Etsy 20 Cent Gebühr plus 3,5 Prozent des Verkaufserlöses.

Noch ist umstritten, ob Etsy sich als rentabler Marktplatz für Kleinunternehmen eignet. Da der handwerkliche Aspekt sehr wichtig ist, ist es den Anbietern in der Regel verboten, ihre Produktion durch effizientere Maschinen oder teilweise Auslagerung der Arbeiten auszuweiten. In einem derart riesigen Marktplatz ist es außerdem schwer, aufzufallen, und die notwendigen Gebühren, wenn man bei einem Suchlauf erfasst werden will, können sich ganz hübsch summieren. Außerdem drückt die viele Konkurrenz die Preise.

Manche Etsy-Verkäufer bestreiten damit ihren Lebensunterhalt, aber die meisten tun es nicht. Es gibt zahlreiche Geschichten von Verkäufern, die ihren Stundenlohn berechnet haben (und feststellen mussten, dass sie als Burgerbrater bei McDonald’s mehr verdient hätten), und man kann nur schlussfolgern, dass die wenigsten es wegen des Geldes machen. Für die meisten ist es ein Hobby oder ihre Kunst, und der größte Anreiz liegt darin, ein Publikum dafür zu finden, selbst wenn nicht viel Geld dabei rausspringt. Für die anderen, die tatsächlich ein Geschäft daraus machen wollen, ist Etsy vielleicht ein guter Ort für einen Anfang, aber nicht die richtige Plattform für Wachstum. Dafür müssen sie ihre eigene Firma aufbauen und lernen, wie die echte industrielle Produktion im 21. Jahrhundert funktioniert.

Glücklicherweise unternimmt Etsy inzwischen selbst erste Schritte in diese Richtung. Es soll zwar weiterhin ein Ort für Handwerker bleiben, aber eben auch ein Ort für Unternehmer werden, die nach Maker-Art produzieren und ihre Geschäfte ausweiten wollen. Die Regel von der Handfertigung könnte durch eine entsprechende Regel ersetzt werden, nach der die Sachen von Hand entworfen sein müssen, aber maschinell hergestellt werden dürfen, oder die sogar ausgelagerte Produktion erlaubt (die neuen Regeln waren noch in Bearbeitung, als ich dies schrieb). Damit soll eine neue Art der Heimarbeit gefördert werden, die tatsächlich zum Motor einer neuen auf Mikrofertigung basierenden Wirtschaft werden könnte.

Chad Dickerson, CEO von Etsy, drückte es auf der ersten Kleingewerbekonferenz des Unternehmens Ende 2011 so aus:

»Über Jahrzehnte hinweg lag der Fokus stur auf Wirtschaftswachstum und großindustriellem Denken. Dadurch haben wir heute den Kontakt zur Natur, zu unserer Kommune und den Menschen und Prozessen hinter den Objekten in unserem Leben weitgehend verloren. Wir halten dies für unethisch, unhaltbar und nicht lustig. Der Aufstieg des Kleingewerbes weltweit gibt uns jedoch wieder Hoffnung, und wir erkennen darin echte Chancen: Eine Chance für uns, Erfolg auf andere Arten zu messen … eine regionale und lebendige Wirtschaft aufzubauen und vor allem eine beständigere Zukunft zu schaffen.«

Derzeit, so stellte er fest, sei Etsy im Vergleich zur Weltwirtschaft noch klein – Hunderte Millionen Dollar im Vergleich zu Beträgen im zweistelligen Billionenbereich. Aber Etsy expandiert weltweit, und trägt sein Modell dadurch überall hin, von Frankreich bis Deutschland. Mit der fortschreitenden Expansion verlagert sich der Fokus immer mehr auf das Kleingewerbe, weg von Kunst und Handwerk. Doch die Wurzeln liegen weiterhin im menschlichen Maßstab, bei einer Person mit einem Gesicht hinter jedem Produkt. »Wir glauben nicht, dass Etsy dem Rest der Welt immer ähnlicher wird«, sagte Dickerson. »Vielmehr wird die Welt Etsy immer ähnlicher.«